Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

Sie waren stets ein Teil des Systems Kohl. Davon haben Sie sich nie gelöst. Sie sind eine Art Kohl light.

Was uns allen neben den schwarzen Kassen von Kohl in Erinnerung geblieben ist, war sein politisches Führungsprinzip des Aussitzens. Sie, Herr Rüttgers, haben sich inzwischen die fragwürdige Ehre erarbeitet, dem Aussitzen einen neuen Namen zu geben. Inzwischen heißt es überall nur noch „Rüttgern“. Sie bleiben in vielen drängenden Fragen im Nebel - auch gestern -, im Ungefähren, zeigen keine klare Kante. Die Regierungserklärung - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - ist noch weniger konkret gewesen als die Koalitionsvereinbarung.

(Anhaltender Beifall von SPD und GRÜNEN - Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

Pathos statt Inhalt! Trotz vieler Worte sagen Sie immer noch nicht, wie Sie Nordrhein-Westfalen in den nächsten fünf Jahren konkret regieren wollen. Ich will Ihnen einmal unterstellen, Herr Rüttgers, dass Sie es gut meinen. Ob Sie es gut machen,

daran haben nicht nur wir Sozialdemokraten große Zweifel.

(Zuruf von der CDU)

Nicht zu Unrecht, wie schon die Debatte um die Mehrwertsteuer in der CDU und Ihre Rolle dabei gezeigt hat.

Herr Ministerpräsident, auf der Kommandobrücke des größten Bundeslandes können Sie nicht wie ein Fähnchen im Wind stehen. Da ist hart Kurshalten gefordert.

(Beifall von der SPD)

Mit Ihren Zickzack-Manövern wird NordrheinWestfalen sonst zur Titanic.

Herr Ministerpräsident, Ihre Regierungserklärung ist ein Dokument der Enttäuschung. Sie enttäuschen die Menschen, die wissen wollen, wie es konkret in Nordrhein-Westfalen weitergeht. Ich will Ihnen gerne sagen, was im Lexikon unter dem Begriff „Regierungserklärung“ zu finden ist: Die Regierungserklärung bezeichnet die Vorstellung des Regierungsprogramms vor dem Parlament. Sie enthält die wichtigsten Vorhaben der Regierung für die kommende Wahlperiode. Ihr kommt in der Theorie eine bedeutende verfassungspolitische Verbindlichkeit für Parlament und Regierung zu.

Sie waren dagegen „Mister Unverbindlich“.

(Beifall von der SPD - Rainer Schmeltzer [SPD]: Er hat kein Lexikon!)

Meine Damen und Herren, die CDU redet in diesen Tagen viel von Ehrlichkeit. Bei Angela Merkel ist es das „ehrliche Regierungsprogramm“, bei Ihnen, Herr Rüttgers, ist es die „erfolgreiche Strategie der Ehrlichkeit“. Doch wie ehrlich sind Sie wirklich?

(Zuruf von Hans Peter Lindlar [CDU])

Bei Ihnen hat in Wahrheit das Prinzip „Versprochen gebrochen“ Hochkonjunktur.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Lachen von der CDU - Zuruf von Helmut Stahl [CDU])

- Kommt, warten Sie ab! - Wir alle erinnern uns gut, Herr Stahl, Sie haben drei zentrale Wahlversprechen abgegeben: erstens unter der Überschrift „Arbeit statt Rot-Grün“ 1 Million neue Jobs, zweitens Unterrichtsgarantie, drittens Haushaltskonsolidierung.

(Zuruf von Bernhard Recker [CDU])

Plenarprotokoll 14/5

In Ihrer Regierungserklärung herrscht zur Einlösung dieser drei zentralen Wahlversprechen Fehlanzeige.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zum ersten Ziel: 1 Million neue Jobs. Es ist schon heute aufgegeben. Wir erinnern uns: Bis zu 800.000 Jobs wollten Sie durch die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen schaffen. Jetzt sprechen Sie schon sehr viel vorsichtiger von einem „großen Potenzial“. Konkrete Handlungsschritte der Regierung - Fehlanzeige. Sie wollen Pionierverantwortung für diesen Bereich übernehmen, was immer das heißen mag.

Es lohnt dazu ein Blick in das Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl. Die von Ihnen geforderte - ich zitiere - „generelle steuerliche Anerkennung von Privathaushalten als Arbeitgeber“ findet sich dort mit keinem Wort. Wo war da Ihr Einfluss, Herr Rüttgers?

(Beifall von der SPD - Rainer Schmeltzer [SPD]: Richtig!)

150.000 neue Jobs sollte der Bereich der Gesundheitswirtschaft bringen. In der Regierungserklärung und im Koalitionsvertrag ist auch hierzu außer vagen Ankündigungen nichts zu finden. Wie denn auch? Die Regierung Steinbrück hat längst Programme eingeleitet, die bis zu 200.000 Jobs in diesem Bereich bringen werden, Stichwort: Masterplan Gesundheitswirtschaft. Weiter gehende Versprechungen waren von Anfang an höchst unseriös.

Immerhin 50.000 neue Jobs sollten durch die Jobmaschine Flughafen entstehen. Den Teil, Herr Rüttgers, haben Sie interessanterweise in Ihrer Regierungserklärung weg gelassen. Keine konkreten Maßnahmen. Stattdessen werden aus der Koalition Signale ausgesandt, die eher flughafenkritisch sind, so zum Nachtflug in Köln/Bonn oder zur Kapazitätsausweitung in Düsseldorf.

50.000 neue Jobs sollten im Umfeld der Hochschulen entstehen. Auch hier Fehlanzeige bei den konkreten Schritten. Schlimmer: Bei der Haushaltssperre haben Sie zwar die Hochschulen, aber nicht die Forschung ausgenommen, und dort sind konkret viele Projekte und damit die Arbeitsplätze einzelner Bürgerinnen und Bürger bedroht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Statt der Schaffung neuer Arbeitsplätze planen Sie beschleunigten Personalabbau im Bergbau und in der Landesverwaltung. Es drohen betriebsbedingte Kündigungen. Stopp für Arbeit statt Vorfahrt für Arbeit!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Fazit: Neue Jobs sind nicht in Sicht. Ziel verfehlt, Wähler getäuscht. Dabei sollten doch nach Ihrer eigenen Selbsteinschätzung - ich erinnere mich - allein durch Ihre Wahl zum Ministerpräsidenten die Marktkräfte entfesselt und ein Wirtschaftsboom ausgelöst werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Es ist niemand entfesselt!)

Bisher ist aber von dem Regierungschef Rüttgers nicht einmal ein laues Lüftchen an Konjunkturbelegung ausgegangen. Interessant war zu lesen, was Ihre Wirtschaftsministerin Christa Thoben dazu gesagt hat.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

Sie hat nämlich in der „Westfälischen Rundschau“ vom 6. Juli gesagt, Sie schlügen offensichtlich nicht so schnell ein wie Jürgen Klinsmann bei der Nationalmannschaft.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auch das zweite Ziel, Unterrichtsgarantie, wurde schon heute aufgegeben. Ohne Zweifel: Es ist gut und richtig, 4.000 neue Lehrerinnen und Lehrer in mehreren Schritten bis 2010 einzustellen.

(Beifall von der CDU)

- Da können Sie ruhig klatschen. Das finde ich auch gut.

Doch versprochen war etwas anderes. Versprochen war Unterrichtsgarantie. Die FDP hat sogar von einem Unterrichtssicherungsgesetz gesprochen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Wieder nicht durchgesetzt!)

Beide Begriffe tauchen weder in der Koalitionsvereinbarung noch in der Regierungserklärung auf. Das ist schon interessant für die Menschen da draußen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Hört, hört!)

4.000 Lehrerstellen bedeuten 0,6 Lehrer mehr pro Schule. Wir wissen alle: Diese reichen allein schon nicht aus, um das Problem des Unterrichtsausfalls zu lösen.

(Zuruf von der CDU)

Und sie reichen allemal, meine Herren von der CDU, nicht bei der Einschulung mit fünf und bei Englisch ab der ersten Klasse aus.

Diese beiden Pläne von Ihnen lösen einen zusätzlichen Mehrbedarf von rund 12.000 Stellen aus.

(Christian Lindner [FDP]: Wir haben auch weniger Kinder bis 2010!)

Herr Rüttgers, das war schon ein starkes Stück, was Sie hier gestern versucht haben