Protokoll der Sitzung vom 26.01.2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 51. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen und heiße Sie herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 14 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde Landesregierung muss endlich Konzept für den Ausbau der U3-Betreuungsplätze vorlegen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/3578

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 22. Januar 2007 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion dem Kollegen Jörg von der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Jörg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass Sie heute Morgen so „zahlreich“ erschienen sind. Das ist ja offenbar ein spannendes Thema. Wäre es parlamentarisch möglich gewesen, dann hätten wir heute am liebsten keine Aktuelle Stunde, sondern ein Aktuelles Jahr beantragt. So hätten wir dann jeden Tag darauf aufmerksam machen können, wie schlecht es um die Politik für Kinder unter dieser Landesregierung bestellt ist.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Aber wir können auch in der Aktuellen Stunde aufzeigen, dass zwischen den Versprechen des Ministerpräsidenten – ich habe ihn gerade schon gesehen – und der realen konservativen Regierungspolitik Welten liegen.

Die Menschen in NRW haben Herrn Rüttgers in fast zwei Jahren kennengelernt. Sie wissen heute, dass er zwei Dinge nicht einhalten kann: Das sind zum einen Redezeiten, wenn Journalisten dabei

sind, und zum anderen Versprechen, die er vor der Wahl gemacht hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Minister Armin Laschet: Unsinn!)

Nehmen wir zum Beispiel das Versprechen, Nordrhein-Westfalen zum kinder- und familienfreundlichsten Land zu machen.

(Minister Armin Laschet: Wir sind auf dem Weg!)

Was ist daraus geworden? Welche messbaren Veränderungen sind nach fast zwei Jahren Regierungszeit eingetreten? Welche Initiativen sind gestartet worden? Welche Gesetze sind zugunsten von Kindern verändert worden? Welche Gelder sind bereitgestellt worden?

(Christian Lindner [FDP]: 250 Millionen €!)

Bevor wir an die Beantwortung der Fragen gehen, sollten wir einmal über den Tellerrand hinaussehen und uns fragen, in welchen Ländern so viel für Familien gemacht wird, dass die Zahl der Geburten besser ausfällt als in Nordrhein-Westfalen. Das ist ja ein legitimes Anliegen.

Nehmen wir einmal Frankreich, ein durchaus vergleichbares Industrieland. In Frankreich ist in der letzten Woche eine Studie veröffentlicht worden, aus der sehr deutlich hervorgeht, dass ein breit gefächertes Angebot der Kindereinrichtungen maßgeblich zur Entscheidung für Kinder beiträgt.

(Minister Armin Laschet: Richtig!)

Schön, dass Sie mir zustimmen, Herr Minister. – Frankreich hat in den letzten Jahren viel für die Familienpolitik getan. Inspiriert durch skandinavische Modelle gibt es umfangreiche Angebote für die Kleinsten. Kostenlose Kindergartenplätze, zahlreiche Krippenplätze für die unter Zweijährigen, deren Zahl übrigens in den nächsten Jahren noch massiv erhöht werden soll, Herr Minister, und als Ergänzung gut ausgebildete Tagesmütter umfassen ein Angebot, das offensichtlich den Anforderungen der Eltern entspricht.

Europaweit sehen wir, dass überall dort, wo gute Angebote gemacht worden sind, die Entscheidung für Kinder offenbar leichter fällt. Das leuchtet auch, wie ich finde, unmittelbar ein, denn viele Familien oder Paare sind darauf angewiesen, dass beide Elternteile arbeiten gehen. Ansonsten kämen sie nicht über die Runden.

Die Sorge, keinen verlässlichen Partner bei der Kinderversorgung zu finden, ist sicherlich ein legitimer und nachvollziehbarer Grund, sich im Zweifel gegen ein Kind zu entscheiden. Hier ist nach

26.01.2007 Nordrhein-Westfalen

Plenarprotokoll 14/51

unserer festen Überzeugung der Staat in besonderer Weise gefragt. Wir müssen qualitativ hochwertige Angebote für die unter Dreijährigen bereithalten, damit nicht nur die Eltern beruhigt arbeiten gehen können, sondern damit vor allem die Kleinsten unter den richtigen Bedingungen aufwachsen. Denn von den Talenten der Kleinsten, ist unsere Zukunft abhängig.

Doch was macht die Landesregierung, genauer gesagt, was versprach die Landesregierung? Bis 2010 sollen 60.000 U3-Plätze eingerichtet werden.

(Minister Armin Laschet: So ist es!)

Vielleicht sind es bis jetzt 15.000. Niemand weiß etwas Genaues.

(Minister Armin Laschet: Sie wissen es nicht!)

Herr Minister, ich kann es nur dadurch erfahren, indem Sie es zum Beispiel schwarz auf weiß im Haushalt dokumentieren.

(Beifall von der SPD – Minister Armin La- schet: Da sehen Sie es doch!)

Diese 15.000 Plätze sind bei Weitem zu wenig. Vor allem reicht dies nicht aus, um ein Zeichen zu setzen, dass es die Landesregierung ernst meint, sich auf die Bedarfe junger Paare und Eltern einzustellen. In Frankreich haben wir heute eine Kinderquote von zwei Kindern pro Frau; bei uns liegt sie bei 1,3 – Tendenz fallend. Deshalb müssen wir schnell handeln. Meine Fraktion fordert mindestens 120.000 Plätze für die Betreuung der unter Dreijährigen bis 2010.

(Beifall von der SPD)

Denn wenn wir diese Zahlen nicht beschließen und erreichen, ist Nordrhein-Westfalen weder familienfreundlich noch in der Lage, die richtigen Zukunftsimpulse zu setzen. Die französische Untersuchung zeigt eindeutig den Zusammenhang zwischen guten Angeboten und der Entscheidung für Kinder.

Diese Erkenntnislage ist allerdings nicht neu. Sie ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Die rot-grüne Landesregierung hatte deshalb die U3Betreuung eingeführt. Damals träumten die CDUMänner noch davon, ihren Frauen eine Geschirrspülmaschine zu schenken, falls sie irgendwann einmal politisch erfolgreich würden. Nun hat sich der Erfolg zugegebenermaßen vorübergehend eingestellt. Aber das Familienbild der Männer der Konservativen ist offenbar das alte geblieben. Wäre es nicht so, würden der Ministerpräsident

und die Regierung doch alle Register ziehen, eine ausreichende Anzahl an U3-Plätzen zur Verfügung zu stellen. Doch es passiert zu wenig. Der Minister schweigt darüber, wie er gedenkt, selbst die völlig unzureichende Zahl von 60.000 Plätzen zu erreichen. Herr Minister, wo bleibt eine Offensive für Kinder und Familien? Wo bleiben Ihre Initiativen?

Dabei stehen Kommunen, Träger und Eltern parat, um alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit so schnell wie möglich neue qualitativ hochwertige Plätze angeboten werden. Was tun die Regierung und die sie tragenden Fraktionen? – In den Ausschusssitzungen, lieber Herr Lindner, habe ich manchmal den Eindruck, dass die Fraktionen von FDP und CDU folgende Strategie haben: Sie reservieren sich einen Sitzungssaal und reden die U3-Plätze herbei. Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht nicht als Strategie.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir wollen Taten sehen. Unser Land braucht die Plätze dringend. Erklären Sie uns hier und heute, wie Sie die nötigen Plätze schaffen wollen. Erklären Sie, was Sie konkret gedenken, für eine angemessene Betreuung unserer Kinder in Nordrhein-Westfalen zu tun. Der alleinige Ausbau der Tagepflege reicht bei Weitem nicht aus. Außerdem würde es den Bedürfnissen der Menschen auch nicht gerecht.

Doch nun zu den Ausgangsfragen zurück: Was ist aus den Versprechen des Ministerpräsidenten geworden? – Nichts. Welche messbaren Veränderungen sind nach fast zwei Jahren Regierungszeit eingetreten? – Nur negative. Viele Beratungsstellen für Familien müssen mit weniger Geld auskommen. Welche Initiativen sind gestartet worden? – Für die U3-Betreuung leider keine.

(Minister Armin Laschet: Das stimmt nicht!)

Aber die Regierung gibt sich die größte Mühe, soziale Zusammenhänge zu destabilisieren, wie man beispielsweise am Ladenschlussgesetz feststellt.

Welche Gesetze sind zugunsten von Kindern verändert, welche Gelder sind bereitgestellt worden? – Nun, nach allem, was man hört, wird sich bald ein Gesetz ändern, nämlich das GTK. Alle Anzeichen sprechen eindeutig für eine Verschlechterung des gegenwärtigen Zustands.

(Minister Armin Laschet: Das stimmt doch gar nicht!)

Darüber hinaus hat die Regierung seit Amtsantritt über 170 Millionen € aus dem System der Kinder

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