Protokoll der Sitzung vom 07.03.2007

Aber das kennen wir schon: Sie haben schon die Kürzungen im letzten Haushaltsjahr bei Kindern und Jugendlichen als Mehrausgaben verkaufen wollen.

Meine Damen und Herren, wir sehen: Dieses Gesetz ist kein Gesetz für Kinder und Eltern. Es wird ein Gesetz für den Finanzminister und die kommunalen Kämmerer.

Dieses Gesetz ist eine herbe Enttäuschung für alle, die sich mehr Qualität und bessere Standards für unsere Kinder gewünscht hätten.

Sie haben noch die Möglichkeit, im Referentenentwurf nachzusteuern. Ich kann Sie nur dazu auffordern, im Sinne unseres Entschließungsantrages nachzusteuern, den wir heute auf den Tisch gelegt haben. Wenn Sie diese Nachsteuerung nicht vornehmen, werden Sie sonst bei den Eltern und den Erzieherinnen eine glatte Bauchlandung erleben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion erhält der Abgeordnete Lindner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben im Bereich der frühkindlichen Bildung eine sehr komplexe und nicht für jeden sofort überschaubare Ausgangslage vorgefunden. Das Bewusstsein für die Bedeutung der frühkindlichen Bildung ist insgesamt gestiegen. Wir wissen aufgrund des gesellschaftlichen Wandels, dass der Bedarf nach Betreuungsmöglichkeiten insbesondere auch für unter dreijährige Kinder steigt.

Wir stehen vor einer sehr deutlichen – vielleicht muss man sogar sagen: dramatischen – Veränderung in unserem Bevölkerungsaufbau, der sich aber regional sehr unterschiedlich vollziehen wird. Es wird in Nordrhein-Westfalen Städte und Kreise geben, die Demografiegewinner sein werden, und solche, die Demografieverlierer sein werden. Die alte Unterscheidung zwischen armen und reichen Trägern, die es im jetzigen Gesetz gab, entspricht nicht mehr der Wirklichkeit. Kirchen sind nicht mehr generell reiche Träger. Das hat auch damit zu tun, dass die Einkommensteuer verändert worden ist und Kirchen allein deshalb ohne eigenes Verschulden nicht mehr die Finanzierungsmöglichkeiten wie in der Vergangenheit haben.

Das System „Kindertageseinrichtungen“ betrifft viele Menschen: 550.000 Kinder in 9.700 Einrichtungen und 55.000 Beschäftigte bei Dutzenden unterschiedlicher Träger.

Vor diesem Hintergrund war es Aufgabe und Ziel der Koalition, Dreierlei in gleicher Weise anzustreben: zunächst eine qualitative Verbesserung zu verwirklichen, dann einen quantitativen Ausbau zu ermöglichen sowie drittens betriebswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Ziele zu erreichen, das heißt Effizienzreserven zu heben. Das sind drei gleichberechtigte Ziele, die immer in einem labilen Gleichgewicht stehen. Wer versucht, nur ein Ziel zu erreichen, wird die anderen nicht erreichen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund würdigen wir als FDP-Landtagsfraktion, dass es Minister Armin Laschet gelungen ist, im Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege einen Konsens zu erzielen. Das war eine beachtliche Leistung, die wir als Koalition würdigen, lieber Armin Laschet.

(Beifall von FDP und CDU)

Nordrhein-Westfalen hat von dieser Koalition in den vergangenen Monaten das modernste Schulgesetz in Deutschland erhalten.

(Lachen von der SPD)

Wir haben das fortschrittlichste Hochschulgesetz. Und jetzt bekommen wir auch das beste Kindergartengesetz. Damit wird Nordrhein-Westfalen das Bildungsland Nummer eins von der Wiege bis zum Hochschulhörsaal.

(Beifall von FDP und CDU – Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Das ist unser Ziel, das wir auch erreichen werden. Das, was hier eben auch an positiven Ergebnissen vorgetragen worden ist, muss an dem gemessen werden, was sich die Vorgängerkoalition vorgenommen hatte. Dabei gab es einen etwas längeren Vorlauf. Frau Asch, das ist jetzt für Sie interessant, weil Sie eben darauf hingewiesen haben, die Pro-Kind-Pauschale sei eine Erfindung von Schwarz-Gelb.

Es gibt einen Kabinettbeschluss von Rot-Grün vom 18. Juni 2003. Darin werden der Finanzminister – zuerst genannt – und die Fachministerin für Schule, Jugend und Kinder beauftragt, das GTK zu novellieren mit dem Ziel, eine Pro-KindPauschale einzuführen.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Das war Ihre Idee. Das ist über eine Kleine Anfrage von mir im Jahr 2004 öffentlich gemacht worden. Das war aber nicht umsetzbar. Sie haben nicht die Kraft besessen, sich selbst zu korrigieren und dieses Gesetz trotz der objektiv notwendigen Änderungsbedürftigkeit zu verändern. Sie hatten dafür nicht mehr die politische Kraft.

(Beifall von FDP und CDU)

Hier ist gesagt worden, die Mitwirkung der Koalitionsfraktionen und insgesamt der Öffentlichkeit sei unzureichend. Ich will Sie daran erinnern, dass Sie alle wesentlichen Veränderungen des GTK vorher gewissermaßen in einer Dunkelkammer verhandelt haben, nämlich in der sogenannten Steuerungsgruppe. Selbst die Grünen haben sich darüber zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung beschwert, wie das abgelaufen ist. Ich will das hier dem Publikum einmal zur Kenntnis geben. Frau Koczy sagte am 9. September 1998 – damals stand die letzte Novelle des GTK an –: „Selbst wir Grüne waren in den Beratungsprozess nicht einbezogen.“

Ich kann sagen, dass die heutigen Koalitionsfraktionen zu jedem Zeitpunkt über den aktuellen

Stand der Gespräche unterrichtet worden sind und dass wir unsere Anregungen einbringen konnten.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Das ist der Unterschied. Sie messen mit zweierlei Maß.

Wir haben verschiedene Ziele bereits erreicht. Wir wollten den Bildungsauftrag stärken. Das gelingt insbesondere auch dadurch, dass wir die Sprachförderung jetzt auf einer gesetzlichen Grundlage vollziehen. Weil der Kollege Jörg darauf hingewiesen hat, dass es eine spezielle Förderung qua Gesetz für Einrichtungen in sozialen Brennpunkten nicht mehr gibt, will ich eines deutlich sagen: Die Sprachfördermaßnahme, die sich am einzelnen Kind orientiert, wird vor allen Dingen den von Ihnen genannten Einrichtungen zugute kommen. Dort werden nämlich überwiegend Kinder zu finden sein, die in besonderer Weise förderungsbedürftig sind. Das heißt, über den Mechanismus der Pro-Kind-Sprachförderung wird gleichzeitig ein regionaler Ausgleich geschaffen.

Wir haben ein zweites Ziel erreicht. Familien werden unterstützt, aber sie werden auch angehalten, ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden, etwa dadurch, dass in Zukunft die Vorsorgeuntersuchung bei der Anmeldung zum Kindergarten verbindlicher nachgehalten wird. Das haben Sie dem Konzept für einen verbesserten Kinderschutz entnehmen können.

Wir werden in Nordrhein-Westfalen Familienzentren einrichten. 3.000 der 9.700 Einrichtungen werden solche Familienzentren sein, die Knotenpunkte des sozialen Netzwerks in einer Kommune sind. Das lassen wir uns etwas kosten: 12.000 € bekommt jedes Familienzentrum mehr im Jahr.

Zum Dritten – darauf will ich etwas ausführlicher eingehen – verbessern wir die Möglichkeiten der Betreuung für unter Dreijährige.

Was uns im Augenblick in der Bundespolitik geboten wird – und auch schon vorher geboten wurde – ist dagegen ein Trauerspiel. Man hat bald den Eindruck, Karneval ist noch nicht vorbei. Seit Wochen ist die Bundesfamilienministerin in der Landschaft unterwegs und sagt, wir bräuchten dringend mehr Betreuungsplätze. Wie sie diese finanzieren will, sagt sie aber nicht. Wir sagen dazu sehr klar: Wer den Mund spitzt, der muss dann auch pfeifen. Die Bundesfamilienministerin muss ein klar nachvollziehbares Konzept vorlegen, wie sie diesen Betreuungsausbau finanzieren will.

Das hatten wir nämlich schon einmal. Die Vorgängerregierung unter Rot-Grün hat sich doch in

gleicher Weise betätigt. Frau Schmidt hat damals großspurig versprochen, man wolle bis zum Jahre 2010 230.000 Betreuungsplätze schaffen und die Kommunen erhielten auch Geld vom Bund, nämlich über die Hartz-IV-Einsparungen. Leider gab es aber keine Hartz-IV-Einsparungen, mit denen die Kommunen hätten arbeiten können. Im Gegenteil: In Nordrhein-Westfalen sind die Kommunen durch Hartz IV, ausweislich der Zahlen der Gemeindeprüfungsanstalt, mit 300 Millionen € belastet worden. Das heißt, den Kommunen ist nicht Geld für das Tagesbetreuungsausbaugesetz von Rot-Grün gegeben worden, sondern ihnen ist im gleichen Zeitraum Geld genommen worden. Diese Politik, die wir in Berlin erleben, ist nicht seriös. Das ist familienpolitische Show, aber nicht eine Familienpolitik, die tatsächlich Kindern und ihren Eltern hilft.

(Beifall von der FDP)

Was uns heute in der Landtagsdebatte geboten worden ist, das ist ebenfalls interessant. Frau Asch hat zum Beispiel gesagt, Personalstandards würden abgebaut. Sie sagt außerdem, Kindpauschalen seien ein Anreiz für die Gruppengrößenüberschreitung. Sehen wir uns doch daraufhin einmal das jetzige GTK an. Gegenwärtig gibt es keine Zuschläge beim Überschreiten der Regelgruppengrößen. Aber wir hatten in der Vergangenheit Situationen, wo in Nordrhein-Westfalen 14.000 Kindergartenplätze nur haben geschaffen werden können, indem die Regelgruppengröße zum Teil bis auf 28 erhöht worden ist. In den Fällen gibt es zukünftig – Sie werden auch weiter möglicherweise notwendig sein – zusätzlich Geld, damit die Betreuungssituation in der jeweiligen Gruppe dann angepasst werden kann. Rot-Grün hat nur Abschläge gekannt, wenn eine Gruppe unterbelegt war. Wir kennen jetzt aber auch Zuschläge, wenn sie überbelegt ist, damit die Qualität dann angepasst werden kann.

(Beifall von FDP und CDU)

Herr Jörg, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie eben das Beispiel Berlin gelobt, weil Sie selbst dort waren.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Die Einrichtungen!)

Die Einrichtungen haben Sie in Berlin gelobt. Das hört man gelegentlich auch von Frau Asch, wenn es um die Beitragsfreiheit geht. Berlin wird dafür in einem Atemzug mit anderen Ländern gelobt.

Ich will Ihnen aber einmal sagen, wie die Situation in Berlin aussieht, wenn Sie etwa den Abbau von Personalstandards beklagen. Der Personalstan

dard in Berlin ist in einer Gruppe von nur Zweijährigen eine Fachkraft für zehn Kinder, in der Gruppe der Drei- bis Sechsjährigen eine Fachkraft pro 15 Kinder, ausweislich des Berliner Kindergartengesetzes. Wenn Sie das als guten Standards wahrnehmen, lieber Herr Jörg, wie finden Sie denn dann das, was wir in Nordrhein-Westfalen vorhaben? 20 Kinder, davon sind aber nur vier bis sechs zweijährige Kinder, mit zwei Fachkräften. Das ist ein wesentlich besserer Standard als in Berlin.

Weil hier im Vorfeld die Frage, wie und wo Zweijährige betreut werden, möglicherweise anders zu debattieren war, da es vielleicht eine Verschlechterung des Personalschlüssels gab, möchte ich auch Sie, liebe Frau Asch, fragen. Im Jahre 2005 – wir machen das ja nicht im luftleeren Raum – hat Ihr Landesjugendamt im Benehmen mit dem damaligen Ministerium für Schule, Jugend und Kinder – Rot-Grün regiert – mitgeteilt, dass es in NordrheinWestfalen eine neue Kindergartengruppe gibt.

Diese konnte damals erprobt werden und hat sich bewährt: eine Kindergartengruppe für Kinder im Alter von zwei Jahren bis zur Einschulung, zwei Fachkräfte, 20 Plätze, davon vier bis sechs für Kinder unter drei Jahren. Das hat sich bewährt, dem haben Sie im LVR zugestimmt, Frau Asch. Jetzt wollen Sie das als Verschlechterung des Personalstandards kritisieren, was erprobt worden ist und sich in der Praxis bewährt hat? – Das ist unseriös. Entweder sind Sie nicht informiert, oder Sie verdrehen die Fakten. Es hat sich bewährt!

(Beifall von der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: Hört, hört!)

Diese Gruppe hat sich in den vergangenen zwei Jahren bewährt. Dieses neue Gruppenmodell hat sich in Nordrhein-Westfalen und im Übrigen auch in Baden-Württemberg bewährt, die das in gleicher Weise machen. Wir wollen, dass die Zweijährigen in den Kindergarten kommen. Weil nach oben die Kinder aus dem Kindergarten dank der Vorziehung des Stichtages zur Einschulung herauswachsen, wollen wir unten Kindern Möglichkeiten schaffen, dass sie in den Kindergarten kommen können, damit sie eine solche Förderung über drei Jahre erfahren.

Meine Damen und Herren, mit diesen Maßnahmen – auch mit der verbesserten Förderung, der erstmaligen Förderung, auch finanziellen Förderung der Tagespflege in Nordrhein-Westfalen – werden wir im Jahre 2010 90.000 Plätze für unter Dreijährige anbieten können. Von Ihnen haben wir 11.000 Plätze übernommen, und innerhalb von fünf Jahren werden wir eine Verachtfachung er

reichen, werden wir 90.000 Plätze im Jahr 2010 für Eltern und Kinder bei einem hervorragend pädagogischen Standard anbieten können.

Es ist etwas Weiteres gesagt worden, was mich zu einer Klarstellung veranlasst. Von Herrn Jörg etwa ist dargelegt worden, es gebe Träger, die jetzt bevorzugt würden, nämlich die Kirchen. Das seien die Einzigen, die jetzt profitierten. Lieber Herr Jörg, ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Kirchen auch zukünftig einen Eigenanteil von 12 % zahlen werden. DRK und AWO zahlen 9 %, Elterninitiativen 4 %. Wo sehen Sie denn da eine Bevorzugung der Kirchen? Die haben immer noch den höchsten Eigenanteil.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Aber, Herr Lindner, Sie haben mich schon verstanden, oder?)

Wir haben ein ganz anderes Problem. Dank der Steuergesetzgebung von Rot-Grün – Einkommensteuer – hat sich das Kirchensteuereinkommen reduziert. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat sich dann bei der Ökosteuer bedient, um den Bundeshaushalt nicht zu sehr zu belasten. Das konnten Kirchen nicht. Deshalb haben sich Kirchen vielfach aus der Betreuungsinfrastruktur zurückgezogen und den Kommunen vielerorts Einrichtungen vor die Füße geworfen. Wie haben Sie als rot-grüne Landesregierung den Kommunen geholfen? Ich will Ihnen sagen, wie Sie das gemacht haben.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Deshalb packen Sie jetzt keinen Pfennig mehr in das System! – Weitere Zurufe von der SPD)