Protokoll der Sitzung vom 07.03.2007

Erstmals wird in diesem Gesetz die Sprachförderung verankert als Regelaufgabe der Kindertageseinrichtungen mit einer finanziellen Rechtsgrundlage, mit der Sprachförderung stattfindet.

Die bundespolitische Diskussion geht dahin, Sprachtests ab dem vierten Lebensjahr einzuführen. Herr Müntefering hat letzthin in einem Interview gesagt, man müsste das machen.

Wir haben das im Schulgesetz als erstes Bundesland gemacht. Jetzt kommt das Passstück zum Schulgesetz. Wenn nämlich alle Kinder im März getestet werden, müssen sie dann gefördert werden. Diese Rechtsgrundlage kommt in das neue Gesetz und wird hier erstmals verankert.

Das Zweite, was mit diesem neuen Gesetz verbunden ist, ist, dass man Bildungschancen erhöht. Wir haben die Absicht, eine Kontinuität von

Bildungschancen zu ermöglichen, vom Kindergarten über die Schule mit dem neuen Hochschulfreiheitsgesetz quasi bis in die Universitäten hinein, weil Bildung die Schlüsselfrage für ein Land wie Nordrhein-Westfalen ist.

Darüber hinaus muss sich ein solches Gesetz, ein Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern, an den Bedürfnissen der Familien ausrichten. Es kann nicht so sein, dass sich Familien an den Einrichtungen zu orientieren und ihre Lebenswelt nach den Einrichtungen auszurichten haben, sondern die Einrichtungen müssen sich auf die Lebensbedürfnisse von Kindern und Familien einrichten. Deshalb brauchen wir hier mehr Flexibilitäten, die durch dieses Gesetz ermöglicht werden.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – eine ganz wichtige Frage – wird durch das Gesetz gestärkt werden. Wir wollen mehr Plätze für unter Dreijährige mit diesem Gesetz auch institutionell schaffen. Als wir das hier vor ein paar Wochen diskutiert haben, kam der Vorwurf, wir wollten institutionelle Plätze nur über Tagespflege schaffen. Nein, mit dem neuen Gesetz werden institutionelle Plätze im jetzigen Kindergartensystem errichtet.

Eine weitere Aussage, die mit diesem Prozess verbunden war, ist die Aussage: Ein neues Gesetz braucht mehr Geld. Wenn man neue Bildungsanforderungen stellt und neue Erwartungen an die Einrichtungen hat, muss es mehr Geld geben. Deshalb sieht der Haushalt des Jahres 2007 vor, dass 819 Millionen € für Kindertagesstätten zur Verfügung stehen. Diese Summe wird im Jahre 2008 auf 959 Milliarden € steigen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Andrea Asch [GRÜNE]: Super!)

Millionen! Ich dachte, Sie hätten aus Freude geklatscht, Frau Asch, aber Sie haben ja nur wegen meines Versprechers geklatscht. Sie könnten aber aus Freude klatschen, denn 140 Millionen € mehr bedeuten, dass für diese fünf Monate des nächsten Jahres das neue Gesetz gilt. Im Jahre 2009 überschreiten wir erstmals die Grenze von 1 Milliarde €. Noch nie ist in Nordrhein-Westfalen 1 Milliarde € nur für frühkindliche Bildung ausgegeben worden. Auch dies ist ein ganz wichtiges Datum, das ein Zeichen setzt, dass uns dieses Thema viel Geld wert ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Damit ist auch die Behauptung widerlegt, das würde ein Spargesetz, wir würden hier etwas herausholen aus dem System. Jeder, der das für sich vor Ort umrechnet, kann das feststellen. Das war

nämlich die Aufgabe dieses komplizierten Prozesses: jede einzelne Aufgabe fachlich zu unterlegen. Das ist so ein Fachterminus, der in den Gesprächen immer fiel. Am Anfang hat man gesagt: Das ist ja gar nicht fachlich unterlegt, was Sie da machen. – Ich habe dann immer gesagt: Aber ich habe doch fachlich alles aufgeschrieben, was gemeint ist. Aber ich habe inzwischen gelernt, „fachlich unterlegt“ heißt, die Standards, die wir heute haben, die Personalschlüssel, die wir heute haben, in die Summen umzurechnen, die sich nachher im Gesetz ergeben. Diese fachliche Unterlegung hat hier stattgefunden, sodass es wirklich ein Qualitätssprung ist.

Frau Asch hat ja immer gerne Horrorszenarien, jetzt müssten hier Tausende Kindergärtnerinnen und Erzieherinnen entlassen werden. Ich glaube aber, wir werden eher mehr einstellen müssen. Denn wenn es mehr Geld gibt, muss das Geld ja irgendwo landen. Der größte Teil in diesem Gesetz sind Personalkosten, sodass man daraus ableiten kann: Wir werden eher mehr qualifizierte Erzieherinnen brauchen als weniger. Dafür wird es auch eher mehr Geld geben als weniger Geld.

Ich habe über die Sprachförderung gesprochen.

Ein weiteres wichtiges Element, das nicht Bestandteil des Konsensverfahrens war, ist die Verankerung der Familienzentren. Dazu sind wir in einem eigenen Gesprächsprozess mit den sechs Wohlfahrtsverbänden und den kommunalen Spitzenverbänden. Hier wird es eine Landesförderung von 12.000 € geben, die ebenfalls gesetzlich verankert wird. Die wird nicht in Sonderprogrammen geführt, sondern die hat eine Rechtsgrundlage im neuen Gesetz.

Die bundespolitische Debatte läuft im Moment über die Frage, was denn im Jahre 2013 der Bedarf für Kindertageseinrichtungen und für UnterDreijährigen-Betreuung ist. Mir erschließt sich in ihrer Form, in ihrer Rhetorik und in ihrer Polemik diese Debatte nicht. Mir ist nicht klar, warum wir heute mit Schaum vor dem Mund über das Jahr 2013 diskutierten, anstatt dafür zu sorgen, dass die Eltern, die heute einen U3-Platz brauchen, den erst einmal bekommen. Das ist eine Debatte, die sich mir nicht erschließt.

(Beifall von der CDU)

Insofern würde ich mir auch von der Bundesfamilienministerin und von der Bundesregierung wünschen – ich habe gestern im „heute-journal“ gehört, dass die Große Koalition plant, eine Sondersitzung der Familienminister durchzuführen, um den Bedarf im Jahre 2013 zu definieren –, dass sie das, was die alte Bundesregierung versäumt

hat, nämlich den Kommunen das Geld für den U3Ausbau zu geben,

(Beifall von CDU und FDP)

endlich einmal nachliefert. Im Tagesausbaubetreuungsgesetz wurde gesagt, das sollen die Kommunen aus den Gewinnen von Hartz IV bezahlen. Aber jeder Kommunalpolitiker weiß, dass in keiner Kommune ein Gewinn aus Hartz IV eingetroffen ist, im Gegenteil. Insofern gibt es hier noch ein Obligo der Bundesregierung, zu helfen, dass das bis 2010 gelingt. Das wäre vielleicht wirkungsvoller, als jetzt über das Jahr 2013 philosophische Betrachtungen anzustellen.

Bei unserem Regierungsantritt betrug die Betreuungsquote für die unter Dreijährigen 2,8 %. Wenn – wie von der „Süddeutschen Zeitung“ vor Kurzem – immer diese Länderstatistiken kommen und Nordrhein-Westfalen da immer auf dem 16. Platz steht, ärgert mich das natürlich. Nur, eines muss ich sagen: Wenn man Frau von der Leyen immer vorwirft, sie würde eine Sozialdemokratisierung der CDU betreiben,

(Edgar Moron [SPD]: Das wäre nicht das Schlechteste! – Zurufe von Lothar Hege- mann [CDU] und Hannelore Kraft [SPD])

sage ich manchmal dazu: Ich wünsche mir keine Sozialdemokratisierung der CDU. Das würde nämlich bedeuten, dass wir Letzter in Deutschland sind.

(Beifall von der CDU)

Ich wünsche mir eher, dass wir eine Christdemokratisierung von Nordrhein-Westfalen erleben und dass wir nicht auf dem 16. Platz, sondern vielleicht einmal auf dem siebten, achten oder neunten Platz stehen.

(Zurufe von der SPD)

Ich wünsche mir, dass wir ungefähr da stehen, wo die Bayern stehen, und nicht auf Platz 16.

(Beifall von der CDU)

Die von uns mit dem neuen Gesetz festgelegte Finanzplanung sieht vor, schon im kommenden Jahr auf 7,4 % institutioneller Plätze zu kommen. Das sind 34.000 institutionelle U3-Plätze. Wir haben heute 16.000 Plätze. Das ist also mehr als eine Verdoppelung.

Wir haben darüber hinaus die Kindertagspflege, die das Gesetz der alten Bundesregierung als gleichrangiges Standbein angesehen hat, ebenfalls bei uns gesetzlich verankert. Ich finde, wir sollten dabei in der Terminologie aufgreifen, was

der Bundesgesetzgeber vorsieht. Wir sollten nicht so tun, als sei Kindertagspflege eine Notlösung, eine Ersatzlösung, eine Billiglösung, wie das in diesem Landtag von manchen Rednern ab und an gemacht worden ist. Sie ist ein qualifiziert gleichberechtigtes Element. Eltern selbst entscheiden für sich, was in welcher Betreuungszeit besser ist.

(Beifall von der CDU)

Ich freue mich, dass es bei den Sozialdemokraten dabei eine gewisse Zustimmung – jedenfalls durch Kopfnicken – gibt. Wenn wir den Eltern, die Kindertagspflege auch in Randzeiten beispielsweise um 16 Uhr, 17 Uhr oder um 18 Uhr in Anspruch nehmen, sagen, das sei eine Billiglösung, setzen wir ein falsches Signal.

Wir wollen mit dem neuen Gesetz Kindertagespflege verankern. Wir wollen sie finanziell ausstatten und den Kommunen dafür erstmals Geld zur Verfügung stellen. Und wir wollen einen Qualifizierungsnachweis: Nicht jeder soll sich Tagesmutter oder Tagesvater nennen können, sondern dafür muss ein Zertifikat vorgewiesen werden. Das haben die Koalitionsfraktionen auch schon vor einiger Zeit in einem Antrag im Plenum gefordert.

Warum war das neue Gesetz überhaupt nötig? Wir machen Schluss mit einer Abrechnungspraxis, die für die Träger einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeutete und die für das Land unkalkulierbare Bugwellen hatte.

(Zuruf von der SPD)

Ich erinnere mich noch an die ersten zwei Jahre unserer Regierungszeit, als ich immer wieder in die Landtagsfraktion gehen musste.

(Zuruf von der SPD)

Ja, früher war das auch so.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie haben vier Bugwellen gehabt!)

Ja, Bugwellen. – Dort hieß es: Liebe Kollegen, wir haben eine kleine Bugwelle. Es war schon ein spöttisches Wort, dass Minister Laschet, wenn er auftrat, immer Bugwellen hatte. Es wurde gesagt: Wir brauchen mal eben 40 Millionen € mehr. Das gibt es in keinem einzigen Haushalt. Wenn kein Geld mehr im Verkehrsetat vorhanden ist, kann Herr Wittke keine Straße mehr bauen. Nur: Bei uns wurde weiterhin Geld ausgegeben, selbst wenn es gar nicht im Haushalt vorgesehen war.

Deshalb brauchten wir ein System, das zur Haushaltsklarheit und -wahrheit beiträgt. Die Träger müssen jetzt nicht mehr jede Krankheitsvertretung, jede Praktikantenvergütung und jede be

zahlte Freistellung nachträglich beim Land einreichen, sondern sie haben Pauschalen, die das von Anfang an abdecken. Sie sind durchgerechnet, schaffen für beide Seiten mehr Klarheit und bringen vor allem für die Träger weniger Bürokratie.

Die Höhe der Kindpauschalen leitet sich rechnerisch aus den Personal- und Sachkosten von drei Gruppentypen ab: Gruppe 1, eine Kindergartengruppe von zwei Jahren, die Kinder von zwei Jahren bis zum Schuleintritt umfasst. Dabei werden 20 Kinder von zwei Fachkräften betreut. Gruppe 2 umfasst zehn Kinder unter drei Jahren, die von jeweils zwei Fachkräften betreut werden. Bei der Gruppenform 3 handelt es sich um die klassische Kindergartengruppe; in ihr sind Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt. 25 Kinder werden von einer Fachkraft und von einer Ergänzungskraft betreut. Für den Fall, dass die Öffnungszeit 45 Stunden beträgt, liegt die Gruppenstärke nur noch bei 20 Kindern.

Wir verbessern damit zum Teil die Standards: Die Gruppen werden kleiner und bei Unter- oder Überschreitung der Gruppengröße wird ab dem zweiten Kind ein Ab- bzw. ein Zuschlag für jedes weitere Kind berechnet. Die Höhe der Förderung richtet sich nach den Betreuungszeiten. Das können 25, 35 oder 45 Stunden sein, wobei unterschiedliche Bedarfe der Eltern in Zukunft besser gesteuert werden können.

Wir sind am Ende eines schwierigen Moderationsprozesses, aber am Anfang eines parlamentarischen Prozesses. In dem Prozess wurde sichergestellt, dass die Trägervielfalt erhalten wird und dass wir nicht einen einheitlichen Pauschalbeitrag haben, sondern dass Elterninitiativen weiterhin nur 4 % aufbringen müssen. Elterninitiativen haben sehr viel bürgerschaftliches Engagement: Die Eltern zahlen den Beitrag und den Trägeranteil, und sie engagieren sich noch mit Zeit in der Einrichtung. Insofern ist es gerechtfertigt, dass sie nur 4 % zahlen.

Aus dem Spektrum der Wohlfahrtsverbände bleibt es für kleinere Träger bei 9 %; für die kirchlichen Einrichtungen wird der Satz von 20 % auf 12 % gesenkt. Das ist, nebenbei gesagt, keine Leistung der Landesregierung an die Kirchen, wie das manchmal hier beschrieben wurde. Das ist kein Geschenk an die Kirchen, sondern eine Stärkung der Kommunen. Viele Kommunen zahlen heute schon genau diesen kirchlichen Trägeranteil. Diese Kommunen wollen, dass die Kirchen im System bleiben, damit sie selbst das nicht als kommunale Aufgabe zusätzlich übernehmen müssen. Insofern ist es eine große Leistung an die Kommunen, dass der kirchliche Trägeranteil sinkt.

(Beifall von Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU])

Die Kirchen haben sich verpflichtet, im bisherigen Umfang im System zu bleiben. Auch diese Verpflichtung ist wichtig für die Arbeit vor Ort; denn man kann diese Vereinbarung dort durchaus zitieren.