Protokoll der Sitzung vom 14.06.2007

Armut in Deutschland ist nicht die gleiche Armut wie in Südostasien. Da besteht ein erheblicher Unterschied.

Wir haben uns jetzt darauf konzentriert, eben nicht zusätzliche Transfers in das System zu geben, wie Sie das als Grüne auf Ihrem Landesparteitag fordern, Hartz auf 900 € zu erhöhen. Sie scheiden damit aus der Solidarität mit den Sozialdemokraten mit Blick auf die Agenda 2010 aus. Das ist eine Gutmenschenpolitik. Wir schaffen vielmehr Chancen, indem wir das Bildungssystem wieder funktionsfähig machen, indem wir Ganztagshauptschulen einrichten

(Andrea Asch [GRÜNE]: Woran merken wir das?)

- ich bin noch bei der Beantwortung der Frage –, indem wir die Sprachförderung von lumpigen 7 Millionen €, die Sie aufgewendet haben, im nächsten Jahr auf 28 Millionen € erhöhen.

Aber mit Fakten haben Sie ja ein Problem. Die würdigen Sie nicht einmal in Ihrem Antrag richtig. Sie haben eben in Ihrer Rede gesagt, das Erziehungsgeld sei früher drei Jahre gezahlt worden. Es ist aber noch nie drei Jahre gezahlt worden. Es waren immer nur 24 Monate.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Aber Sie haben mit solchen Fakten eben nichts am Hut. Ihnen reicht der gute Eindruck. Ich sage Ihnen: Irgendwann wird auch Ihren Wählern nicht mehr reichen, dass Sie immer nur einen guten Eindruck machen wollen und nur gute Absichten formulieren. Irgendwann werden sich auch die Grünen einmal an den Ergebnissen messen lassen müssen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben fraglos noch eine interessante Diskussion in den Ausschüssen vor uns. Eine Vielzahl von Maßnahmen ist bereits eingeleitet worden. Ich könnte über das Handlungskonzept für einen besseren Kinderschutz sprechen und, und, und. Trotzdem bleibt die Kernaufgabe: Arbeitslosigkeit muss reduziert werden.

(Beifall von der CDU)

Denn über die Arbeitslosigkeit werden letztlich auch Kinder benachteiligt,

(Beifall von der CDU)

weil sie sich vom Erwerbsleben entfernen und weil sich ihre Sozialisationsbedingungen verschlechtern.

Herr Lindner.

Gibt es eine Zwischenfrage?

(Sigrid Beer [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Frau Beer, bitte. – Entschuldigung, Herr Präsident.

Bitte schön, Frau Beer.

Herzlichen Dank. – Herr Kollege, haben Sie registriert, dass Sie eigentlich zum Thema noch gar nichts gesagt haben

(Beifall von den GRÜNEN)

und dies damit kein inhaltlicher Beitrag war? Sie haben sich nur in Abwehrreden und Abwehrschlachten bewegt. Eigentlich hat die FDP also zum Thema Kinderarmut keine Aussage zu machen?

Liebe Frau Beer, ich dachte immer, Sie seien gegen Kopfnoten. Ich muss mir von Ihnen jetzt hier auch keine erteilen lassen –

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von der SPD: Das ist wieder keine Antwort! – Weite- re Zurufe von der SPD)

genauso wenig wie ich Ihre Anträge zensiere. Im Übrigen wäre das einmal gut, wenn ich da gelegentlich vor Einbringung ein paar Anmerkungen machen dürfte. Das wäre sicher nicht schlecht für Sie.

(Beifall von FDP und CDU)

Deshalb bitte ich Sie auch, meine Beiträge für meine Fraktion hier nicht zu kritisieren.

Ich will noch einen Satz persönlich anschließen, weil Sie da so wohlgefällig als Grüne sitzen. Mit meiner Person spricht hier jemand, der den sozialen Wohnungsbau nicht nur von außen kennt. Ich habe schon selber im sozialen Wohnungsbau gewohnt. Deshalb nehme ich mir das Recht heraus, über die Frage anders zu sprechen als Sie. Von Leuten wie Sagel, die noch nie ehrliche Arbeit geleistet haben,

(Zurufe von SPD und GRÜNEN)

die immer nur im Staat gearbeitet haben oder vom Staat gelebt haben, muss ich mir in der Frage nichts sagen lassen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU – Zurufe von SPD und GRÜNEN – Heike Gebhard [SPD]: Wis- sen Sie, wie viele hunderttausend Menschen Sie jetzt beleidigt haben?)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Minister Laschet das Wort. Bitte schön.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Ich habe 20 Jahre in meinem Beruf gearbeitet! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Armin Laschet*) Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahlen, über die wir heute sprechen, sind dramatische Zahlen. 825.000 Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen leben in einkommensarmen Familien. Das ist fast jeder vierte junge Mensch. Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte haben mit 42,9 % ein noch höheres Armutsrisiko als Kinder ohne Zuwanderungsgeschichte.

Das sind die Zahlen des Jahres 2005. Das ist zufällig auch der Zeitpunkt, zu dem wir die Verantwortung als Landesregierung übernommen haben. Kinderarmut ist also angesichts dieser Zahlen kein Thema, bei dem die einen auf die anderen zeigen sollten.

(Beifall von der SPD – Britta Altenkamp [SPD]: So ist es!)

Das ist die Ist-Analyse eines Jahres, in dem ein Regierungswechsel stattgefunden hat.

(Beifall von der CDU)

Deshalb meine ich, dass man manches schon fühlen konnte, wie die Situation ist, selbst wenn die Zahlen jetzt erst vorliegen. Insofern, Frau Asch: Die Zahlen, die Sie von Herrn Lindner abgefragt haben, wie das denn heute aussieht, können auch nur gefühlte Zahlen sein. Die können sich ableiten aus vielen Faktoren, ob die Situation besser oder schlechter geworden ist. Wenn mehr Menschen in Arbeit sind, ist das sicher eine Verbesserung der Lage, weil damit Menschen auch aus Armut herauskommen.

(Beifall von der CDU)

Aber den nächsten Bericht werden wir ja dann in drei oder vier Jahren diskutieren. Jetzt reden wir über die Ist-Analyse 2005 und darüber, was man daraus machen muss.

Da wir diesen großen Bedarf erahnt haben, ist im Koalitionsvertrag bereits vieles von dem festgeschrieben worden, was jetzt in der Umsetzung ist, nämlich mehr Ganztagsangebote, mehr Betreuungsangebote auch für unter Dreijährige, Integrationspolitik stärker wahrnehmen, als das vorher der Fall war, Familienzentren gründen, um Beratungsdienste zusammenzuführen. Alles das wurde dann in 2005 festgeschrieben. Jetzt geht es darum, am konkreten Fall zu sehen, ob es denn funktioniert hat.

Ein Zweites müssen wir meines Erachtens ebenfalls sagen. Wir dürfen Familien, die in Armut leben, auch nicht stigmatisieren. Das sind nicht alles Problemfamilien. Der Kollege Laumann hat

das, wie ich finde, in einer beeindruckenden Rede hier vor zwei, drei Wochen einmal deutlich gemacht. Wer arm ist, ist noch nicht asozial. Es gibt viele Menschen, die in Würde arm sind und zum Beispiel auch darauf bestehen, dass ihre Kinder morgens etwas zu essen bekommen, bevor sie in die Schule gehen, und ein Butterbrot geschmiert bekommen. Viele andere dagegen, die viel mehr Geld haben, lassen ihre Kinder verwahrlosen.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist auch das, glaube ich, eine ganz wichtige Aussage.

Noch einmal zu den Zahlen: Kinder und Jugendliche leben vor allem dann in einkommensarmen Verhältnissen, wenn sie bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen. Dann liegt das Armutsrisiko heute bei 40 %. Wenn Kinder mit mehreren Geschwistern aufwachsen, also in größeren Familien, beträgt das Armutsrisiko 43 %. Ich habe es bereits erwähnt: Bei Familien mit Zuwanderungsgeschichte liegt das Risiko bei 42,9 %. Wenn die Eltern dann erwerbslos sind oder nur unzureichend am Erwerbsleben beteiligt sind, steigt das Armutsrisiko noch einmal dramatisch. Deshalb ist jeder Schritt, der Arbeit schafft – Kollege Kern hat das eben gesagt –, der Menschen zu einer Beschäftigung bringt, ein konkreter Schritt gegen Arbeitslosigkeit. Das bedeutet, wenn wir über Kinderarmut sprechen, so müssen wir auch über Familienarmut sprechen, wir müssen die Einkommenssituation der Familien verbessern. Deshalb ist die Beteiligung am Erwerbsleben auch für die Eltern ein ganz wichtiges Thema; denn wenn wirtschaftliche Entwicklung da ist, wenn mehr Menschen die Möglichkeit haben, Arbeitsplätze zu bekommen, dann ist das auch ein Beitrag gegen Arbeitslosigkeit.

Aber wenn das nicht so ist, dann muss man Modelle finden, wie man den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Deshalb ist das, was Kollege Laumann mit dem Kombilohn für NordrheinWestfalen vorangetrieben hat, auch ohne den Bund, sondern mit den Mitteln, die ein Land hat, ein ganz wichtiger Schritt, um Menschen aus der Armut zu bringen. Auch der Kinderzuschlag, den es seit drei Jahren gibt, zielt in diese Richtung, nämlich das Einkommen der Eltern zu ergänzen.

Ferner brauchen wir – die Debatte ist noch lange nicht beendet – einen transparenten und vereinfachten Familienleistungsausgleich. Wir erwarten weitere Vorschläge von der Bundesregierung, die der Lebenswirklichkeit von Familien mehr entsprechen als die heutigen familienpolitischen Leistungen. Diese Debatte ist durch die Debatte über

die Plätze für unter dreijährige Kinder vorgezogen worden. Im Herbst – das hat die Bundesfamilienministerin angekündigt – will sie alle Leistungen auf den Prüfstand stellen. Das muss in das gesamte Sozialsystem eingefügt werden, um zu sehen, wie Mittel wirklich unmittelbarer bei den Familien ankommen können.

Zur Verbesserung der Lage der Familien gehört es, neue Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit zu schaffen – das macht die Betreuung der unter Dreijährigen – und das soziale Umfeld in den Wohnquartieren zu verbessern; denn die meisten armen Familien leben in bestimmten Wohnquartieren. Wir haben durch das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ alleine in diesem Jahr in 42 Stadtteilen bzw. in 32 nordrhein-westfälischen Städten insgesamt 44 Millionen € eingesetzt, um die Eltern in ihrer Erziehungsarbeit bei der Familienbildung und in den Familienzentren zu unterstützen. Auch das ist ein ganz wichtiger Schritt.

Der Kollege der Sozialdemokraten hat eben vorgetragen, dass das mit den Familienzentren zwar eine gute Idee sei. 12.000 € ist mehr als Null Euro. Selbst eine Arithmetikerin wie Frau Asch wird zugestehen, dass das mehr ist als Null, wenn man so etwas macht.