Ich weiß, dass es zum Beispiel bei den Gewerkschaften eine große Unruhe darüber gibt, wie viele langjährige Gewerkschafter sich jetzt bei der Linken engagieren. Spätestens dieser Punkt sollte Sie nachdenklich machen. Es ist richtig: Geschichte wiederholt sich nicht, aber man kann bekanntermaßen aus der Geschichte lernen.
In der Weimarer Republik war das schon einmal so. Damals gab es die Spaltung der SPD in eine USPD und eine MSPD.
Das Allerschlimmste war: Durch diese Entwicklung hat sich das Klima zwischen den Parteien in einer Art und Weise verschlechtert, dass letztlich das politische Klima vergiftet worden ist.
(Lachen von der SPD – Ralf Jäger [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung! – Weitere Zuru- fe von der SPD)
Ich würde mit solchen Fragen, werte Kolleginnen und Kollegen, etwas ernsthafter umgehen, als Sie es gerade mit Ihren Zwischenrufen tun.
Wenn sich die neue radikale Linkspartei – nach meiner Auffassung ist das eine Ansammlung von Radikalen und von Populisten – in den Parlamenten beginnend mit der kommunalen Ebene etabliert, haben wir ein großes Problem.
Die Tatsache, dass Sie „Unverschämtheit“ rufen, zeigt nur, dass Sie entweder völlig ahistorisch sind oder nicht verstehen, worum es geht.
Ich könnte Ihnen jetzt die Umfragen der letzten Tage auseinandernehmen und das darlegen, was die Leute glauben, was sie von der SPD zu halten haben.
Ich wollte das bewusst nicht tun, sondern ich wollte auf die Notwendigkeit hinweisen, das Thema ernst zu nehmen. Ich füge hinzu: Das ist nach meiner Auffassung nicht nur ein Problem der Linken, sondern wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass alle Parteien in Deutschland an Vertrauen verloren haben.
Wenn man das mit Fachleuten diskutiert, gibt es zwei Thesen: Die einen sagen, das war ein Konjunkturproblem, und der Zyklus „Verlust des Vertrauens“ wird sich wieder umkehren, je länger die Konjunktur gut läuft. Der anderen sagen, das ist ein Strukturproblem. Ich persönlich glaube, dass es ein Strukturproblem ist. Ich weiß nur eines: Radikale Konzepte und Populismus sind keine Lösungen – weder auf der linken noch auf der rechten Seite. Wir müssen dem vielmehr in beiden Fällen entschlossen entgegentreten, und zwar da, wo es auftritt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb ist es für Sie, Frau Kraft, wichtig, dass Sie die Undeutlichkeiten – das, was Sie in den letzten Wochen offen gelassen haben – beseitigen und klar sagen, dass das für Sie keine Perspektive ist. Sie werden nicht drum herumkommen. Sonst werden Sie die Türe öffnen, und genau durch das Tor werden die dann reingehen.
Ich weiß, dass das für die Opposition schwierig ist. Bisher hat sie nicht den Mut gehabt, sich von der verfehlten Politik der eigenen Regierung in den letzten Jahren zu distanzieren. Das ist auch schwer; das gebe ich zu. Ich finde – auch das möchte ich Ihnen sagen –, das kann man vor allen Dingen dann beseitigen, wenn man in den Aussagen klar wird und einfach das sagt, was man will.
Ich möchte gerne von Ihnen Folgendes wissen – das muss nicht heute sein –: Wollen Sie die Sätze erhöhen? Sind Sie jetzt für eine gerechtere Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes? Sind Sie für eine Erhöhung des Schonvermögens? Können Sie mir sagen, warum Ihr Parteifreund aus Nordrhein-Westfalen, Bundesarbeitsminister Müntefering,
bisher schlichtweg verhindert, dass alle Gespräche, die in Berlin auf Koalitionsebene gelaufen sind, zu einem Erfolg werden? Können Sie mir erklären, warum Sie dann sagen: „Da muss etwas passieren!“? Sind Sie für die Revision, sind Sie gegen die Revision?
Das sind zum Beispiel Unklarheiten, die die Menschen nicht durchgehen lassen. Sie werden sauer und verlieren das Vertrauen in die Politik, wenn seit einem Jahr ein solches Thema diskutiert wird, während Menschen Angst haben, sozial abzusteigen, wenn sie arbeitslos werden, und Sie sagen:
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wo sind Ihre Initi- ativen als Ministerpräsident? Worthülsen! – Zuruf von der SPD: Sie sind doch geschei- tert!)
Eine ähnliche Situation haben wir wohl im Bereich der Schulpolitik. Dazu ist eben schon einiges gesagt worden. Sie wollen nun auf Ihrem Parteitag ein Modell beschließen. In Ihrer Rede haben Sie eben gesagt: Mut zu neuen Ideen. Das ist wieder ein starker Satz. Können Sie mir bitte einmal erklären, was denn an der Idee dessen, was Sie Gemeinschaftsschule nennen, neu ist? – In Wahrheit wird die alte Koop-Schule aus 1976 vorgeschlagen!
1976 sind Sie in einem Volksbegehren an den Eltern und Lehrern gescheitert. Danach hätten Sie in Ihrer Regierungszeit wahrlich Jahrzehnte genug Zeit gehabt, etwas zu verändern, wenn Sie immer noch davon überzeugt waren. Sie haben den Mut nicht gehabt, dieses Modell während Ihrer Regierungszeit umzusetzen. Jetzt versuchen Sie, dieses alte Modell als neues Modell zu verkaufen. Die Wahrheit ist, dass die Einheitsschule nicht neu ist, sondern das älteste Modell der Schulpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Vorwärts zurück in die 68er-Jahre! Das ist das Konzept, was Sie verfolgen.
Ich habe mich für die Frage interessiert, was das eigentlich bedeutet. Es war kein starker Auftritt zu sagen: Wir werden ein Gesetz vorlegen, wenn wir an der Regierung sind. – Glauben Sie denn, wir würden Ihnen durchgehen lassen, dass Sie die nächsten zwei Jahre plus x hier herumlaufen und verkünden: „Wir haben das neue Modell“, ohne den Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern, den Schülerinnen und Schülern zu sagen, was das konkret bedeutet?
Ja, in 30 Jahren kommt das dann irgendwann. Die Debatte wäre natürlich auch spannend, einmal den Antrag zu stellen, ob es 2008, 2009, 2010 eingeführt wird. Wahrscheinlich nicht 2010 – da hat man Angst vor den Wahlen –, aber 2011, dann greifen wir richtig an. – Diese Aussage ist ja gerade gemacht worden.
Mich interessiert die Frage, was das eigentlich bedeutet, wenn alle Schulen – Gesamtschule, Realschule, Hauptschule und Gymnasium –bis zur Klasse 10 in einer Schule sind. Eines ist doch völlig klar: Die flächendeckende Einführung der Einheitsschule bedeutet, dass die bisherigen Schulen – Realschule, Gymnasium, Hauptschule und Gesamtschule – aufgelöst werden müssen. Das wollen wir als Erstes festhalten.
Das Zweite kann man überschlagen. Wir haben eine Rechnung aufgemacht, was dann an Angebot notwendig ist – es wird ja ein differenziertes Angebot mit unterschiedlichen Kursen, mit unterschiedlichen Formen auch der Betreuung der Schwächeren sein müssen – und wie groß diese Schulen sein müssen, damit sie überhaupt funktionieren. Wir haben überschlagen, dass Sie etwa 1.000 Schüler haben müssen, damit dieses Angebot überhaupt gemacht werden kann.