Protokoll der Sitzung vom 22.08.2007

Ja, es kommt noch eine lange Rede hinzu, denn man muss Ihnen ja noch einiges ins Stammbuch schreiben. – Was ich heute bei all diesen langen Reden gelernt habe, ist eigentlich eine kurze Geschichte: Ich habe gelernt, dass die Länge der Fraktionssitzungen der CDU nicht auszureichen scheint, dass der Ministerpräsident es schafft, seine eigenen Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Fraktion eigentlich sein müssten – heute sind ja nur noch zwei vorhanden –, so einzunorden, dass sie ihm nicht hinterrücks in den Rücken springen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist eine Tatsache. Das habe ich heute gelernt. Als er über die Schulstruktur gesprochen hat, hat er nur Sie angeschaut. Er hat es nicht gewagt, der Opposition ins Auge zu blicken.

(Gisela Walsken [SPD]: Nicht einmal!)

Er musste bei den Aussagen, die er gemacht hat, zusehen, dass ihm seine eigenen Leute aus dem ländlichen Raum nicht ins Kreuz springen. Er hat nämlich gesagt, die Schulen würden bei Umsetzung des neuen Konzeptes der Opposition geschlossen. – Das Gegenteil ist der Fall. Die Schulen werden mit Ihrem alten Konzept des dreiteiligen Schulwesens geschlossen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist eine Tatsache. Deshalb bekommen Sie auch keine Ruhe in die Fraktion.

Auch was KiBiz und andere Geschichten angeht, werden Sie keine Ruhe in die Fraktion bekommen.

Da muss man mit hypnotischem Blick schauen, dass niemand aus dem Ruder läuft. Das ist das, was ich bei den langen Reden beobachten konnte. Zuhören musste man Ihnen ja nicht, weil wir

die Verschleierungstaktik, die Sie anwenden, statistisch sehr schnell aushebeln können.

Wohnortnahe Schulversorgung gibt es nur mit dem neuen Konzept der Grünen. Sie haben für diese Frage eben kein Zukunftskonzept. Ich frage Sie: Was sagen denn die Eltern? Wo bleiben denn die Stellen? Wo bleibt die Verbesserung in der Schullandschaft? Fragen Sie doch einmal nach. Gehen Sie doch einmal herum. Es ist alles versprochen, aber bislang nichts eingehalten worden.

(Minister Dr. Helmut Linssen: Schüler- Lehrer-Relation!)

Es ist beeindruckend, mit welcher Nibelungentreue und mit welcher Ritualität die Regierungsfraktionen versuchen, jede Handlung der Regierung als glorreiches Husarenstück zu qualifizieren. Es ist aber mitnichten so, dass die Politik dieser Landesregierung, auch nicht die Finanzpolitik, Herr Finanzminister, zukunftsweisend ist. Dies hat schon unsere Fraktionsvorsitzende Frau Löhrmann herausgearbeitet. An einigen Stellen werde ich dies noch vertiefen.

Der Finanzminister rechnet für 2008 mit Steuereinnahmen von insgesamt mindestens 41,1 Milliarden €. Die Steuereinnahmen liegen damit fast 7,2 Milliarden € über denen des Jahres 2004. Hierzu kann man nur sagen: Helmut im Glück! Die Nettoneuverschuldung geht aber im gleichen Zeitraum nicht entsprechend um die 7,2 Milliarden € zurück, sondern nur um 4,7 Milliarden €. Alles, was Sie in dieser Hinsicht versprochen haben, Herr Finanzminister, halten Sie nicht ein.

Zusätzlich zu den 7,2 Milliarden € Steuermehreinnahmen, die Ihnen zufällig zufallen, weil die Konjunktur gut läuft und wir rot-grüne Strukturpolitik gemacht und Veränderungen in der Steuerpolitik durchgesetzt haben, sacken Sie strukturell jährlich fortlaufend fast 500 Millionen € auf Kosten der Kommunen ein.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Da wäre, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen, die Verdopplung des Anteils der Kommunen an der Krankenhausfinanzierung von 20 auf 40 %, der Wegfall des kommunalen Anteils, Beteiligung an den Einnahmen der Grunderwerbsteuer, der Wegfall der Landesfinanzierung bei niedrigen Elternbeiträgen für Kindertagesstätten in den Kommunen, in denen die Eltern über ein geringes Einkommen verfügen.

Was haben Sie damals in der Opposition getönt, als Rot-Grün die 20 %ige Beteiligung an der Krankenhausfinanzierung eingeführt hat?! – Sie

haben getönt, das sei der Untergang des Abendlandes, und gesagt, das könne man nicht tun und das würden Sie rückgängig machen. Jetzt haben Sie es verdoppelt. Wir mussten es damals angesichts sinkender Steuereinnahmen tun. Das, was Sie jetzt tun, nämlich die Kommunen noch mehr beteiligen, noch mehr rasieren, tun Sie bei steigenden Steuereinnahmen. Das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das, was Sie tun, ist eine simulierte Konsolidierungspolitik. Das ist Raubrittertum, Land gegen Kommunen. Dies ist in Wahrheit keine Konsolidierung der Staatsfinanzen, sondern eine Verschärfung der kommunalen Finanzsituation gerade in strukturschwachen Kommunen. Das sind Taschenspielertricks zulasten der Eltern mit Kindern. Dies hat nichts mit seriöser Politik zu tun.

Die Lage des Landeshaushaltes könnte aber noch deutlich besser sein, Herr Finanzminister. Das wissen Sie auch. Hätte die CDU aus parteipolitischem Kalkül nicht jahrelang den dringend notwendigen Subventionsabbau vor allem bei der Eigenheimzulage blockiert, hätte NordrheinWestfalen bereits heute gut 330 Millionen € mehr im Säckel.

Allein NRW hat 1 Milliarde € aus Landesmitteln in diesen Bereich hineingesteckt. Das ist eine gigantische Subventionierung, die Sie mitgetragen und nicht beendet, sondern aufrechterhalten haben – eine gigantische Subventionierung der Eigentümer, wie wir alle wissen. Endlich kommen wir langsam von dieser dramatischen Fehlallokation herunter. Erst im Jahre 2014 wird das Land keine Zulagen mehr auszahlen müssen und steht dann auf der Habenseite mit 1 Milliarde € besser da als 2005. Ihr „Verdienst“ an diesem Subventionsabbau ist allerdings, Herr Finanzminister, dass er spät kommt und Sie ihn lange verhindert haben.

Aber, meine Damen und Herren, wie geht es – weil immer so ein rosiges Bild gezeichnet wird – jetzt eigentlich mit NRW weiter?

Die Schulden steigen trotz gigantischer Mehreinnahmen weiter an. Ende 2007 werden es gut 118 Milliarden € sein. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Sie uns schon im Wahlkampf das Ende vom Abendland aufgrund der hohen Schulden von 110 Milliarden € vorgeworfen haben. Wo aber ist die versprochene Umkehr geblieben? – Sie können sie nicht herbeiführen, und Sie wollen es auch nicht. Ende nächsten Jahres wird der Schuldenberg auf 120 Milliarden € angewachsen sein. Allein aus Ihrer Regierungszeit resultieren jetzt schon zusätzliche Zinsausgaben in Höhe von

400 Millionen € jedes Jahr – Tendenz, Herr Finanzminister: steigend.

Ein Blick auf die nackten Zahlen belegt auch dies: NRW fällt wirtschaftlich zurück. Schwarz-Gelb versucht, den Menschen einen Aufschwung zu suggerieren. In Wahrheit geht es hinunter. Die Mittel für den originären Länderfinanzausgleich werden für 2008 noch auf 150 Millionen € beziffert. Im Jahre 2005 betrug der Aufwand hierfür immerhin noch 550 Millionen €, Herr Finanzminister.

Das Bruttoinlandsprodukt – eine zweite Zahl – ist in NRW im Jahre 2006 um 2,4 % gestiegen. Bundesweit waren es im Durchschnitt unter Einschluss der Ostländer 2,7 % – auch dort fallen wir zurück.

Schon diese beiden Hinweise belegen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den anderen Bundesländern deutlich positiver ausfällt als in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

Ja, Herr Finanzminister, dass Sie das nicht gerne hören, kann ich gut verstehen. Natürlich kommt da Widerspruch, weil das Ihre Politik enttarnt. Sie versuchen, das schönzureden. Was tatsächlich passiert, ist: Es geht wirtschaftlich bergab, und die Schulden steigen weiter an. Es kann Ihnen natürlich nicht recht sein, wenn jemand einmal die Wahrheit sagt.

NRW zählt nur noch sehr knapp zu den Geberländern. Sollte sich diese Entwicklung der letzten Jahre fortsetzen, wäre NRW möglicherweise noch vor der Wahl 2010 – vielleicht schon im nächsten oder übernächsten Jahr – ein Nehmerland. NRW holt unter Schwarz-Gelb also nicht auf, sondern fällt zurück. In den jeweils ersten Monaten des I. und II. Quartals – Sie waren ja so nett, uns das mitzuteilen, Herr Linssen – waren wir bereits Nehmerland.

Meine Damen und Herren, welche Folgen aber hat diese Entwicklung? – Der sich gerne selbst als soliden und vorsichtigen Kaufmann bezeichnende Finanzminister muss schon sehr, sehr tief in seine Trickkiste greifen – das hat er auch getan –, um der staunenden Öffentlichkeit eine kontinuierlich sinkende Nettoneuverschuldung zu verkaufen, obwohl es diese gar nicht mehr gibt. Es gibt sie nicht mehr; das ist vorbei. Es gibt die Trendumkehr, und das ist statistisch auch zu belegen.

Im Nachtragshaushalt 2007 stellt der Finanzminister von zusätzlichen Steuereinnahmen etwa die Hälfte – also 680 Millionen € – in die Versorgungsrücklage ein. Allerdings dient diese Operati

on nur vordergründig der Konsolidierung der Versorgungslasten. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Dieser Schritt wird von uns Grünen trotz haushaltspolitischer Probleme begrüßt.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Aber was veranlasst den Minister denn dazu, gerade in dieser Situation diesen Schritt zu gehen? – Immerhin kostet diese Operation das Land jährlich mindestens 3 bis 4 Millionen €, da es sich um eine kreditfinanzierte Rücklage handelt. Er nimmt also auf der einen Seite Geld auf – sehr teuer – und steckt es auf der anderen Seite in eine Rücklage. Die wird natürlich schlechter verzinst als er für das, was er an Krediten aufgenommen hat, Zinsen zahlen muss. Es kostet uns also ca. 3 bis 4 Millionen € jedes Jahr.

Der Finanzminister muss dieses Geld vor den zunehmenden Begehrlichkeiten der Regierungsfraktionen in Sicherheit bringen. Das ist einer der Gründe. Die zunehmende Nervosität, gerade der gelben Regierungsfraktion, ist in diesem Punkt unübersehbar. Die erhofften Gelder für liberale Lieblingsprojekte wie den Innovationsfonds wollen nicht mehr so richtig fließen. Erlöse aus dem Verkauf der WestLB sind kaum noch zu erwarten – zumindest zurzeit nicht. Auch der skandalöse Verkauf der Wohnungsbestände wird die Finanzsituation des Landes nicht verbessern können. In so einer Situation werden Papke und Co. schon einmal zappelig und würden gerne auf andere Töpfe des Finanzministers zurückgreifen.

Es ist also eine teure, aber nachvollziehbare Reaktion des Finanzministers. Die 4 Millionen €, die er jedes Jahr aus der Landeskasse dafür zahlen muss, sind in Wahrheit Schmerzensgeld. Der Finanzminister trägt die Schmerzen gerne. Er rettet damit die 680 Millionen € vor den Begehrlichkeiten der FDP-Fraktion.

Der zweite Grund dafür ist, dass er versuchen will, auch in 2008 noch eine positive Haushaltsentwicklung zu suggerieren. In den letzten beiden Jahren sank die Nettoneuverschuldung aufgrund immenser Steuermehreinnahmen, aber eben nicht, weil diese Regierung gespart hätte. Sie hat eben nicht gespart; sie hat einfach nur mehr eingenommen. Gespart haben Sie nur auf Kosten anderer, auf Kosten der Kommunen und durch kontinuierliches Brechen von Wahlkampfversprechen.

Das Anlegen der 680 Millionen € in diesem Sparstrumpf führt jetzt dazu, dass sich die Einnahmeentwicklung nicht nur um 1,2 Milliarden €, sondern um 1,9 Milliarden € verbessert. Die Nettoneuver

schuldung 2007 hätte ohne die Operation Versorgungsrücklage im Nachtragshaushalt nur etwa 1,66 Milliarden € betragen gegenüber den geplanten 1,99 Milliarden € für das Jahr 2008. Die Nettoneuverschuldung wäre 2008 also trotz erheblicher Mehreinnahmen – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – erstmals wieder um 20 % angestiegen.

Herr Minister, Ihre Nettoneuverschuldung steigt um 20 % an. Die Trendumkehr ist da. Wir sacken nicht nur wirtschaftlich ab, sondern auch die Nettoneuverschuldung steigt wieder um 20 % und sinkt nicht um 15 %. Das ist ein einfacher und sehr schnell zu durchschauender Taschenspielertrick, den Sie angewendet haben. Das, was Sie heute behauptet haben, Sie könnten die Nettoneuverschuldung auch im nächsten Jahr senken, ist eindeutig falsch. Sie steigt wieder an, und zwar um 20 %.

Das Kaufmannsimage, Herr Linssen, hat einen weiteren erheblichen Schaden erlitten. Zu Regieren ist nämlich etwas anderes, als nur im Wahlkampf allen alles zu versprechen, denn in der Regierung muss man diese Versprechen tatsächlich auch umsetzen können. Das schaffen Sie zurzeit nicht.

Meine Damen und Herren, hier hat die schwarzgelbe Regierung auf der ganzen Linie versagt und hat es allein der guten Konjunktur zu verdanken, dass es im Moment noch nicht so auffällt, wie die Statistik es schon ausweist.

Aber auch von der bundespolitischen Ebene hat sich NRW verabschiedet. Der Ministerpräsident ist mittlerweile als Robin Hood vollständig abgetaucht und mutiert zunehmend zum Sheriff von Nottingham.

Der Finanzminister hat gar nicht erst den Versuch unternommen, die berechtigten Interessen Nordrhein-Westfalens als größtes Bundesland überhaupt bundesweit zu vertreten. Es taucht nicht auf. In der bundesdeutschen Steuer- und Finanzpolitik spielt NRW nahezu keine Rolle mehr.

Im Rahmen der Föderalismuskommission II haben sich die Herren Linssen und Rüttgers bisher in keiner Weise inhaltlich eingebracht. Statt sich für mehr Finanzautonomie der Länder einzusetzen, schweigen Sie. Sie schweigen.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

Wo bleiben Ihre Initiativen für eine eigenständigere und nachhaltigere Finanzpolitik der Länder, Herr Minister? Es reicht nicht, von der Regierungsbank aus einmal zwischenzurufen. Sie müssen sich auch bundespolitisch einbringen. Wo

sind Ihre Initiativen und Konzepte in diesem Bereich? Es reicht nicht, im Haushalts- und Finanzausschuss pflichtgemäß über die Lage im Bund zu unterrichten. Es reicht nicht.