Protokoll der Sitzung vom 23.08.2007

Ich wiederhole: Es geht nicht darum, das Gymnasium abzuschaffen – das ist eine unsachliche Instrumentalisierung Ihrerseits, um die alten Gräben wieder aufzureißen –, sondern um eine Qualitätssteigerung des Schulsystems.

Wenn Sie davor die Augen schließen, wenn Sie nicht wahrhaben wollen, was rings um uns herum passiert – nicht nur in den anderen europäischen Ländern, nicht nur weltweit, sondern auch in den anderen Bundesländern – und von vornherein sagen: Die SPD will die Gymnasien abschaffen, ihre alten Hilfstruppen wieder aktivieren und mobilisieren, und damit die Schlagzeilen beherrschen wollen, dann helfen Sie niemandem – weder dem Schulsystem noch den Leistungen, die dieses nordrhein-westfälische Schulsystem erbringen kann, noch den Kindern, die versuchen, die besten Leistungen zu erzielen.

Das ist doch der Punkt; das ist die ideologische Hemmschwelle, die Sie endlich einmal überwinden müssen: den Dialog suchen und nicht die Augen und Ohren verschließen. Wenn Sie eben wieder die Hauptschule hochgehalten haben und sich gegen Diffamierung der Hauptschule gewehrt haben, dann darf ich nur ganz am Rande erwähnen, dass es im Jahre 2001 bei der CDU Petersberger Beschlüsse gegeben hat mit einem Inhalt: Abschaffung der Hauptschule.

(Zustimmung von der SPD – Ilka von Boese- lager [CDU]: Da wissen Sie mehr als wir!)

Meine Damen und Herren, versuchen Sie an dieser Stelle, einmal etwas selbstkritisch rückwärts zu blicken.

Ich möchte mit einem Zitat schließen, das von Ihnen hoffentlich auch ernst genommen wird:

„Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat im Vergleich zu dem Kind eines Akademikerpaares nur ein Viertel der Chancen, auf ein Gymnasium zu kommen. Die Ursachen dafür mögen vielschichtig sein. Der Befund ist beschämend. Bildungschancen sind Lebenschancen. Sie dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Darum werde ich immer auf der Seite derer sein, die leidenschaftlich eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig ist und dem Ziel gerecht wird: Bildung für alle.“

Das hat unser Bundespräsident Horst Köhler gesagt. Sie sollten sich ab und zu seine Reden durchlesen; sie sind sinnführend und zielführend. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Große Brömer. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde, und wir nähern uns zügig dem Tagesordnungspunkt

2 Sozialverträglicher Ausstieg aus der Steinkohle – Sichere Rahmenbedingungen und Zukunftsperspektiven für Nordrhein-Westfalen

Unterrichtung durch die Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/4911

In Verbindung mit:

Kein Bergmann fällt ins Bergfreie

Eilantrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/4894

Mit Schreiben vom 14. August hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung zu unterrichten.

Ich erteile für die Unterrichtung Frau Ministerin Christa Thoben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Steinkohlebergbau in Deutschland – speziell an Rhein und Ruhr – blickt auf eine jahrhundertelange Tradition

zurück. Die Branche erlebte eine wechselvolle Geschichte – Höhen und Tiefen. Die Grundstoffindustrie in Nordrhein-Westfalen – eine über Generationen erfolgreiche Symbiose von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet – hat unser Land, die Gesellschaft, die Menschen und die Kultur geprägt wie kein anderer Industriezweig.

Die Montanindustrie hat zudem eine derart strategische und politische Bedeutung, dass die Alliierten sie nach dem Kriegsende der eigenen Kontrolle unterworfen hatten. Die 1951 gegründete Montanunion festigte die Beziehungen im Nachkriegseuropa und war der Nukleus der heutigen Europäischen Union.

Im Nachkriegsdeutschland war Kohle ein wertvolles Gut, begehrt in der Industrie und in jedem Haushalt, denn geheizt und gekocht wurde mit Kohleofen. Die notleidende Bevölkerung – ich sage dieses ganz wertfrei – „besorgte“ sich Kohlebrocken von fahrenden Kohlezügen. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Frings, stellte diesen Kohlenklau dem Mundraub gleich und erteilte den Kohledieben die Absolution. Der Ausdruck „fringsen“ ist den Älteren unter uns sicherlich noch bekannt.

Der wirtschaftliche Aufschwung, das deutsche Wirtschaftswunder, wäre ohne die Kohle an Ruhr und Saar schlichtweg undenkbar gewesen. Der deutsche Bergbau erlebte seine Hochzeit in den Jahren 1952 bis 1957 mit über 600.000 Beschäftigten, 151 Millionen t Jahresförderung und 183 Bergwerken.

Doch seit genau 50 Jahren ist der deutsche Steinkohlenbergbau auf dem Rückzug. Seit 1957 sind alle drei genannten Kenngrößen massiv rückläufig.

Als Primärenergieträger wurde die Steinkohle insgesamt durch Öl und Gas und auch durch Kernenergie verdrängt. Zudem sah sich der deutsche Bergbau zunehmend mit schwierigen geologischen Bedingungen konfrontiert. Die Importkohle drängte aus anderen Kontinenten verstärkt in den deutschen Markt und setzte den heimischen Steinkohlebergbau unter Druck. Schon bald deckten die erzielbaren Erlöse nicht mehr die Förderkosten der deutschen Zechen.

Seit 1949 erhält der deutsche Steinkohlenbergbau staatliche Unterstützung in unterschiedlichster Ausprägung. Einschließlich des Plafonds für das Jahr 2006 haben sich diese Hilfen bis heute auf knapp 127 Milliarden € aufsummiert.

Trotz aller direkten und mittelbaren Finanzhilfen und trotz aller Anstrengungen zur Rationalisierung und Modernisierung der Abbaumethoden ist es

nicht gelungen, den Steinkohlenabbau in Deutschland wettbewerbsfähig zu gestalten. In der Folge hat sich die Bedeutung der deutschen Steinkohle für unsere Energieversorgung in den letzten Jahrzehnten drastisch reduziert.

Derzeit arbeiten rund 35.000 Beschäftigte, die noch knapp 21 Millionen t auf acht Bergwerken fördern. Damit deckt die deutsche Steinkohle heute gerade noch 4 % des gesamten Primärenergieverbrauchs – auch an Rhein und Ruhr heizt man inzwischen völlig anders und organisiert auch die Stromversorgung anders.

Übrigens ist das Ganze nicht Schuld der Bergleute. Ich sage hier ganz ohne Pathos, aber mit großem Nachdruck: Sie leisten unter schwierigsten Arbeitsbedingungen bis heute hervorragende Arbeit. Sie verdienen unseren größten Respekt.

(Allgemeiner Beifall)

Aber wir müssen erkennen: Der deutsche Steinkohlenbergbau ist seit Jahrzehnten nicht wettbewerbsfähig. Die Landesregierung hat sich deshalb zu einer Neuorientierung der Politik in diesem Bereich verabredet. Wir wollen uns mit ganzer Kraft auf Zukunft durch Innovation in allen Wirtschaftsbereichen konzentrieren. Wir wollen und werden das Land der neuen Chancen, das Talente, Technologien und Toleranz zum Markenzeichen entwickelt.

Diese Bewertung hat in der jüngsten Vergangenheit in Politik und Gesellschaft – auch was die Zukunft des deutschen Steinkohlenbergbaus angeht – immer mehr Zustimmung gefunden. Daher konnte es am 7. Februar 2007 gelingen, dass sich der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland unter Einbeziehung der RAG AG und der IG BCE in den Eckpunkten einer kohlepolitischen Verständigung darauf geeinigt haben, die subventionierte Förderung von Steinkohle in Deutschland zum Ende des Jahres 2018 sozialverträglich zu beenden.

Unser Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers hat Sie in der Sondersitzung des Landtags am 8. Februar 2007 ausführlich über die vereinbarten Eckpunkte unterrichtet.

Die Bausteine, wie sie am 7. Februar 2007 im Eckpunktepapier beschlossen wurden, fügen sich nunmehr zusammen. Alle notwendigen Verabredungen sind zwischenzeitlich getroffen.

Gemäß § 24 Abs. 1 des NRW-Haushaltsgesetzes 2007 bedurften die Rahmenvereinbarung und der Erblastenvertrag der Zustimmung des Wirtschaftsausschusses und des Haushalts- und Finanzausschusses des Landtags. In beiden Ver

tragstexten ist dieser Vorbehalt aufgenommen. Die in der Rahmenvereinbarung enthaltene Zusage des Landes Nordrhein-Westfalen zur Gewährung von Anpassungsgeld fällt zusätzlich unter den Vorbehalt einer haushaltsmäßigen Ermächtigung durch den Haushaltsgesetzgeber des Landes.

Die Landesregierung hat beiden Ausschüssen die Rahmenvereinbarung und den Erblastenvertrag mit allen dazugehörigen Anlagen zugeleitet – übrigens einschließlich Stiftungssatzung und Stiftungsgeschäft. Obwohl es sich dabei um unternehmensinterne Unterlagen handelt, hat der Stiftungsvorstand im Sinne größtmöglicher Transparenz der Weitergabe beider Papiere zugestimmt. Dafür bin ich dankbar. Ergänzend haben wir einen umfangreichen schriftlichen Bericht übersandt, der alle wesentlichen Punkte beider Verträge detailliert erläutert. Beide Ausschüsse haben den zugeleiteten Verträgen und Vereinbarungen zwischenzeitlich zugestimmt.

Eines ist mir dabei besonders wichtig: Die beschlossene Beendigung der Subventionen wird nicht zu sozialen und strukturellen Brüchen führen. Nach dem Ergebnis der Eckpunktevereinbarung werden Bund und Länder gemeinsam die notwendigen Finanzierungshilfen bis zur Stilllegung des gesamten Steinkohlenbergbaus gewähren.

Meine Damen und Herren, wegen der Bedeutung wollte ich trotz der umfangreichen Beratung in den beiden Ausschüssen gerne auch das gesamte Plenum über diese Vereinbarungen unterrichten.

Die Maßnahmen umfassen die Steinkohleproduktion, die Produktionshilfen, die Stilllegung der Anlagen, die Stilllegungsbeihilfen und die Finanzierung der Altlasten des Bergbaus, die nicht als Ewigkeitslasten dauerhaft zu bewältigen sind.

Der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen, das Saarland und die RAG AG haben zu Details der Auslauffinanzierung eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen. Sie ist ausverhandelt und wurde im Umlaufverfahren unterzeichnet. Für das Land Nordrhein-Westfalen haben Finanzminister Dr. Linssen, Arbeitsminister Laumann und ich diese Rahmenvereinbarung vor wenigen Tagen unterschrieben.

Für die sozialverträgliche Auslauffinanzierung von 2009 bis 2019 stellt Nordrhein-Westfalen insgesamt bis zu 3,9 Milliarden € Beihilfen zur Verfügung. Die Kohlehilfen des Bundes belaufen sich bis auf rund 15,6 Milliarden €. Die RAG AG leistet einen Eigenbeitrag von 965 Millionen €. Bei den Finanzhilfen der öffentlichen Hand handelt es sich

um Höchstbeträge, die der jährlichen Abrechnung unterliegen.

Übrigens: Die Rückführung der Steinkohleförderung bis 2012 war bereits in der Berliner Vereinbarung 1994 durch die alte Bundesregierung und die alte Landesregierung festgeschrieben.

Schon nach dem Jahr 2014 wird sich das Land Nordrhein-Westfalen nicht mehr an den Produktionshilfen für die laufende Produktion beteiligen, sondern nur noch die notwendigen Altlasten und Stilllegungsbeihilfen gewähren. Den dabei an sich auf Nordrhein-Westfalen entfallenden Anteil übernimmt der Bund. Auch zur Mitfinanzierung des Saarlandanteils an den Kohlebeihilfen bis 2019 wird Nordrhein-Westfalen nicht herangezogen, sodass fast 600 Millionen € für den Landeshaushalt eingespart werden.

(Beifall von der CDU)

Wir haben außerdem erreicht, dass die Finanzierung aller zeitlich befristet anfallenden Altlasten in die gemeinsam von Bund und Land bis 2019 zu tragenden Finanzplafonds vorgezogen wird. Nordrhein-Westfalen profitiert davon, weil der Bund in dieser Phase knapp 80 % der Kohlebeihilfen trägt. Im Falle einer Deckungslücke bei der RAGStiftung beteiligt sich der Bund immerhin mit einem Drittel der Kosten. Auch das ist ein Verhandlungserfolg und war so ursprünglich nicht angelegt. Insgesamt wird der Landeshaushalt daher um mehr als 1,5 Milliarden € entlastet.

(Beifall von der FDP)

Es bleibt beim Prinzip des sozialverträglichen Personalabbaus. Dazu werden die Regelungen des Anpassungsgeldes bis zum Jahr 2022 verlängert. Das letzte Anpassungsgeld wird im Jahr 2027 ausgezahlt werden. Dabei bleibt es bei der schon heute geltenden Stichtagsregelung, nach der nur diejenigen Bergleute Anspruch auf Anpassungsgeld erhalten, die vor dem 1. Januar 2006 im Bergbau tätig waren.

Die Zahl der Förderfälle für Nordrhein-Westfalen kann ich Ihnen gerne auch noch einmal vortragen; bei der heutigen Aussprache ist mir aber ein anderer Punkt wichtiger.