Protokoll der Sitzung vom 24.08.2007

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 68. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen und heiße Sie herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Ganztag statt Samstag

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/4859

In Verbindung mit:

Ganztag statt Samstag

Antrag der Faktion der SPD Drucksache 14/4863 (Neudruck)

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/4915

Ich eröffne die Beratung und gebe Frau Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Pläne der Landesregierung zeigen offensichtlich schon Wirkung. Ich glaube, dass sich einige Kollegen schon darauf einstellen, demnächst samstags hier sein zu müssen. Deswegen sparen sie sich die Anwesenheit heute Morgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich schwanke ja immer noch hin und her, ob ich Ihnen meine Gratulation eher zum schulpolitischen Kommunikationsgau des Jahres oder für die Wiederbelebung einer alten deutschen Schlagerschnulze aussprechen soll. Sie wissen sicherlich, welche Schnulze ich meine:

(Die Abgeordnete singt.)

„Immer wieder“ samstags „kommt die Erinnerung, dubidubidubi.“

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von GRÜ- NEN und SPD)

Es geht weiter:

„An die längst vergangenen Zeiten.“

Ich schwinge mich jetzt nicht auf – ich sehe auch den Staatssekretär –, vom neuen Cindy und BertMinisteriumsduo zu sprechen, aber ich gebe zu, Frau Ministerin: Sie haben es als Shootingstar in den ersten Augustwochen spielend bis ins Kabarett geschafft.

Sie kennen sicherlich auch den mindestens in Schulkreisen zum Kultpodcast avancierten Clip von Jürgen Becker und Didi Jünemann in der „Frühstückspause“ im WDR 2 zum Thema Samstagsunterricht. Die kabarettistische Analyse ist bestechend und schonungslos. Zunächst spießen die beiden auf, dass so mir nichts, dir nichts ein Schuljahr am Gymnasium abgeschafft wurde, um dann süffisant festzustellen: „Intelligente Politiker, die sehen voraus. Wenn ich so was mache: Was kommt dabei heraus?“

Das Urteil über den Zusammenhang von Schulzeitverkürzung ohne entsprechenden Ausbau der Ganztagsschule und über den Samstagsunterricht fällt dann bei Becker und Jünemann drastisch, aber dafür erfrischend klar aus. Ich zitiere und bitte dafür um die Genehmigung der Präsidentin. – Danke, das hat sie mir erlaubt.

„Scheiß Idee! Kann man nicht so zugeben, also nächste scheiß Idee.“

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist der Unterschied: Was Jürgen Becker und Didi Jünemann im WDR zelebrieren, ist Kunst. Was Sie uns hier in der Schulpolitik vorführen, ist familien- und arbeitnehmerfeindlicher Dilettantismus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich hinzufügen: Da reiht sich Ihr heutiger Entschließungsantrag wahrhaft würdig ein. Endlich machen Sie unmissverständlich deutlich, was Sie unter eigenverantwortlicher Schule verstehen: Jede Schule darf eigenverantwortlich mit dem Chaos umgehen, das die schwarz-gelbe Koalition mit der Fehlsteuerung ihrer Politik anrichtet.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ralf Witzel [FDP]: Peinlich!)

Landtag

24.08.2007 Nordrhein-Westfalen

Plenarprotokoll 14/68

Nun hat uns die Ministerin in einem WDRInterview wissen lassen, dass sie ihre Kinder gerne in der Schule samstags untergebracht hat und dann freudig shoppen gegangen ist. Der unvergleichliche Pressesprecher des Ministeriums weiß dem „Kölner Stadtanzeiger“ zu erzählen, dass Schule am Samstag eine durchaus sinnvolle Beschäftigung für Kinder sei.

Aber die Lehrkräfte, von denen ja auch einige Familie haben sollen, wie man gerüchteweise hört, können an dem neuen kinderfreien Shoppingvergnügen leider wenig partizipieren. Es soll sogar auch Eltern geben, die sich auf die ganze Zeit am Wochenende mit ihren Kindern freuen und sie sinnvoll nutzen.

Wenn Sie Kindern, die in ihrer familiären Umwelt wenig Anregung erhalten, eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung vermitteln wollen, dann fördern Sie doch bitte die Kinder- und Jugendarbeit ausreichend und sparen Sie sie nicht klein.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die zahlreichen Anrufe von geschiedenen Eltern, die bei uns eingegangen sind, haben noch einmal eine besondere Facette dessen ans Licht gebracht, was Sie mit Ihrer Unüberlegtheit riskieren: Sie rauben Scheidungskindern und Scheidungseltern wertvolle Zeit.

Frau Ministerin Sommer, das bedeutet:: Spaß beiseite. Haben Sie eigentlich registriert, dass die Schulen, die Schulträger und auch die Presse das Spielchen auf Anhieb durchschaut haben? Für die Städte und Kommunen ist Ihre Schulpolitik schon längst zur Tragikkomödie geworden:

(Beifall von den GRÜNEN)

Hausmeisterstunden am Samstag, Besetzung der Sekretariate, Energiekosten, Reinigung und – nicht zu vergessen – die Schülerbeförderung.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Witzigerweise haben Sie argumentiert, die Mittel könnten gekürzt werden, weil an allen Schulen die Fünftagewoche bestehe. Da müssen Sie schon etwas konsistenter in Ihrer Argumentation sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber lassen Sie mich doch bitte an die Debatte anschließen, die wir gestern Abend im Plenum zum Thema „individuelle Förderung“ hatten.

An dem Unternehmen „Samstag statt Ganztag“, mit dem Sie sich um die Bewältigung der Folgen Ihrer nicht zu Ende gedachten Schulzeitverkürzung drücken, wird klar, wie wenig Sie verstanden

haben, dass individuelle Förderung nicht mit einem Lehrerstellenstatistikbudenzauber durchgeführt werden kann, sondern dass jeglicher Unterricht auf individualisiertes Lernen umzustellen ist, dass im Ganztagsunterricht die dringend benötigte Zeit für ein anderes Lernen liegt, dass die Schulen das unbedingt brauchen und dass die Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützt werden müssen, um das umsetzen zu können.

Was Sie mit Ihrer Schulpolitik im Alltag von Schülerinnen und Schülern produzieren, heißt: Stoffhuberei am Vormittag, bimsen mit mehr Hausaufgaben und Nachhilfe am Nachmittag, den Samstag auch noch verschulen, anstatt dass die Kinder sich mit der Familie erholen, Aktivitäten im Sport nachgehen oder einfach nur mal freie Zeit haben. Auch darauf haben Kinder und Jugendliche ein Anrecht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich wundere mich wirklich, dass Sie noch nicht selbst darauf gekommen sind, wie man auch den Sonntag sinnvoll einbauen könnte. Ich schlage vor: Verlegen Sie bitte grundsätzlich den Religionsunterricht auf den Sonntag – Pflichtsitzung im hohen Dom zu Köln bei Kardinal Meisner, aber, damit nichts durcheinanderkommt, die Gymnasiasten bitte nach vorne ins Mittelschiff, die Schüler der anderen Schulformen in die Seitenschiffe und die Förderschüler in die Krypta!

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich fasse zusammen: Der Entschließungsantrag ist peinlich. Sie können noch nicht einmal die neue deutsche Rechtschreibung. Dann lassen Sie bitte um Himmels willen die Finger von der eigenverantwortlichen Schule. Das sind moderne Steuerungsinstrumente. Die dürfen Sie nicht missbrauchen und diskreditieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie dokumentieren in dieser ganzen Tragikkomödie um den Samstagsunterricht, dass Sie die notwendige neue Rhythmisierung des Lernens leider noch nicht verinnerlicht haben. Sie sind immer noch bei den alten Melodien: „Immer wieder“ samstags …