Protokoll der Sitzung vom 19.09.2007

(Christian Weisbrich [CDU]: Auch das noch!)

In diesem Punkt ist Ihre Argumentation für mich inzwischen völlig unglaubwürdig geworden. Zum einen beschließen Sie heute die Entkopplung von Rats- und Bürgermeisterwahl mit der Folge, dass es einen Wahltermin mehr gibt. Im Kommunalwahlgesetz sehen Sie jetzt die Abschaffung der Bürgermeisterstichwahl vor, also eine Wahl weniger. Gleichzeitig wird hinter den Kulissen spekuliert, Bundestags- und Kommunalwahlen zu trennen. Dann gäbe es wieder eine Wahl mehr. Was wollen Sie denn eigentlich? Offensichtlich gehen Sie nach der jeweiligen Interessenlage von CDU und FDP vor,

(Beifall von der SPD)

also wie es in das jeweilige Programm passt, ob Sie eine solche Stichwahl fordern oder nicht.

Gerade ist noch einmal ein grundlegendes Missverständnis in Bezug auf die Stichwahl im Zusammenhang mit der Legitimation deutlich gemacht worden. Es wird immer wieder argumentiert, die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang sei niedriger. Das stimmt in den meisten Fällen auch. Aber: Der Sinn einer Stichwahl besteht darin, die Legitimation auch dadurch zu vergrößern, dass kleinere Gruppierungen für die noch im Rennen befindlichen Bürgermeisterkandidaten stimmen. Durch eine Stichwahl verbreitert man also die Legitimationsbasis und weitet sie auf andere politische Gruppen aus. Ein Bürgermeister kann nach einer Stichwahl sagen: Hinter mir steht nicht nur die eigene Partei, sondern stehen weitere Gruppierungen. – Das ist nicht rüberzubringen. Immer wieder kommt das Argument der niedrigeren Wahlbeteiligung, deretwegen man auf die Stichwahl verzichten könne. Das ist ein Fehlschluss.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: CDU und FDP haben sich vorgenommen, die Kommunalverfassungsreform von 1994 zu vollenden – so die vollmundige Ankündigung. Herausgekommen ist nun alles andere als ein Meisterstück,

(Beifall von der SPD)

nämlich ein Gesetzentwurf mit zahlreichen Widersprüchen, sehr viel Taktik aber wenigen strategischen Überlegungen. Ein Konzept, in welche Richtung sich die Kommunalverfassung und das Wahlsystem in NRW entwickeln sollen, ist nicht zu erkennen.

(Beifall von der SPD)

Sie drehen an ganz verschiedenen Stellschrauben, gehen mal einen Schritt vor und dann wieder zwei zurück. Das alles dient der Absicherung der Regierungsmacht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Folgen werden jetzt schon deutlich: Auf der einen Seite wird die Legitimation der Bürgermeister durch den Wegfall der Stichwahl geschwächt, auf der anderen Seite ist Ihnen nicht wirklich etwas eingefallen, um die Funktionsfähigkeit der Räte über eine Sperrklausel abzusichern. Mit diesem Gesetz haben Sie der lokalen Demokratie einen schlechten Dienst erwiesen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bovermann. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Engel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich, heute wieder einmal abschließend über einen Gesetzentwurf sprechen zu dürfen, den wir anschließend in das Landesgesetzblatt schreiben können, nämlich über die Änderung des Kommunalwahlgesetzes. Der Gesetzentwurf der Landesregierung enthält eine ganze Liste von Veränderungen, die maßgebliche Auswirkungen in den Kommunen haben werden. Ich möchte hier nur auf einige wenige Veränderungen näher eingehen.

Mit der Novellierung des Kommunalwahlrechtes werden die aktiven und passiven Wahlrechte gestärkt. Die Stärkung des aktiven Wahlrechtes erfolgt durch die Verkürzung der Sperrfrist für neu Zugezogene in Bezug auf die Ausübung ihres Wahlrechts von bisher 3 Monaten auf 15 Tage vor der Wahl, wie Kollege Wilp das vorhin dargelegt hat. Diese Änderung erfolgt analog zu der Änderung im Landeswahlgesetz.

Das passive Wahlrecht wird gestärkt, indem die Inkompatibilität – also die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat – auf nur noch wenige Bereiche im öffentlichen Dienst, zum Beispiel den Polizeidienst, beschränkt wird. Es wäre nämlich nicht vorstellbar, dass Bedienstete einer Kreispolizeibehörde Mitglied in ihrem eigenen Kreistag werden könnten.

Die Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers – abgekürzt SLS – wird zu einer noch ausgewogene

ren Sitzverteilung im Rat bzw. Kreistag führen. Das ist in der Expertenanhörung positiv bewertet worden. Mit dieser Methode werden auch die Sitze im deutschen Bundestag berechnet. So werden die Nachteile des bisherigen Verfahrens nach Hare/Niemeyer vermieden.

Das Hare/Niemeyer-Verfahren weist zwei Paradoxien auf: das Sitzzuwachs-Paradoxon, auch Alabama-Paradoxon genannt, bei dem eine Partei ein Mandat verliert, wenn bei gleichem Wahlergebnis insgesamt mehr Mandate zu verteilen sind, und das Wählerzuwachs-Paradoxon, auf das Herr Dr. Bovermann ausführlich eingegangen ist, bei dem Stimmenzuwächse oder -verluste der einen Partei eine Mandatsverschiebung zwischen zwei anderen Parteien bewirken können.

Mit der Umstellung der Sitzberechnung in den Gremien sind zwei neue Regelungen verbunden. Ich möchte näher auf den rechnerischen Mindestsitzanteil eingehen, da dieser für Diskussionsstoff gesorgt hat.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung sah ursprünglich einen Mindestsitzanteil von 0,75 Bruchteil zur Erlangung eines Mandates vor. Die Äußerung von Landrat Frithjof Kühn aus dem RheinSieg-Kreis während der Expertenanhörung hat uns dazu gebracht, hier nachzubessern.

Wir haben uns dazu entschieden, dass ein erstes Mandat erst bei einem rechnerischen Mindestsitzanteil von 1 erreicht wird. Wir gehen nämlich davon aus, dass das im Rahmen verfassungsmäßiger Vorgaben möglich ist. Dem Einzug politisch extremer Gruppierungen in die Gremien werden damit höhere Hürden gesetzt.

Eine Sperrklausel, Herr Kollege Dr. Bovermann, werden wir nicht einführen. Sie entspricht nicht unserem Demokratieverständnis. Man muss sich mit offenem Visier und Argumenten auseinandersetzen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alle kommunalen Spitzenverbände unterstützen die Abschaffung der Stichwahl. Es hat sich gezeigt, dass sich die Zahl der abgegebenen Stimmen bei einer Stichwahl gegenüber der zuerst durchgeführten Wahl nicht erhöht hat, dass die Wahlbeteiligung eher nachlässt. Der Kollege Wilp hat vorhin auf die aktuelle Wahlentscheidung im Landkreis Soest hingewiesen: minus 10 bis minus 15 % im Durchschnitt.

Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht, so Prof. Oebbecke und Prof. Pieroth in der Expertenanhörung.

Durch die zukünftige Entkopplung der Personen- von der Gremienwahl wird die Bedeutung der einzelnen Entscheidung unterstrichen. Bewerber aus den Stimmbezirken haben größere Wahlchancen. Die Wahlen von Bürgermeister oder Landrat können nicht mehr ihren Einsatz vor Ort so stark überlagern.

Damit leite ich zum Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen über. Dieser Gesetzentwurf enthält in Teilen ähnliche Veränderungen wie der Gesetzentwurf der Landesregierung. Das betrifft die Verkürzung der Sperrfrist zur Ausübung des aktiven Wahlrechts und die Inkompatibilitätsregelung.

Die Differenzen des Gesetzentwurfs der Grünen zu dem der Landesregierung liegen in der Beibehaltung der Stichwahl und der Einführung von Kumulieren und Panaschieren.

Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir die Einführung von Kumulieren und Panaschieren als Prüfauftrag im Koalitionsvertrag festgehalten haben.

Dieses System kann nach unserer Ansicht nicht auf Nordrhein-Westfalen übertragen werden. Stellen Sie sich einmal vor, mit was für einem riesigen Wahlzettel sich zum Beispiel die Kölner Wählerinnen und Wähler herumschlagen müssten und was für ein Aufwand bei der Stimmenauszählung gerade in Großstädten in Nordrhein-Westfalen betrieben werden müsste. Unsere kommunale Landschaft mit nur 427 Städten, Gemeinden und Landkreisen entspricht nicht den kommunalen Strukturen mit vielen deutlich kleineren Kommunen, wie dies in Süddeutschland der Fall ist. Bayern zum Beispiel hat 2.056 Gemeinden und Baden-Württemberg 1.108 Kommunen.

Beim Kumulieren und Panaschieren soll verstärkt die Persönlichkeitswahl der Kandidaten im Vordergrund stehen. Das funktioniert in kleinen Kommunen. Da kennt man sich. In großen Kommunen wie hier in Nordrhein-Westfalen halten wir deshalb die Kandidatenvorauswahl durch Parteien und Gruppen für unverzichtbar. Deshalb wollen wir Kumulieren und Panaschieren in NordrheinWestfalen nicht einführen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich zum Schluss komme, möchte ich gern noch auf die gestern im Landtag stattgefundene Pressekonferenz zur Kampagne verschiedener Verbände zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Migranten, die nicht EU-Bürger sind, eingehen. Um allen Migranten, die nicht EUBürger sind, ein kommunales Wahlrecht zu ermöglichen, müsste das Bundesrecht geändert

werden. Ich schlage deshalb für unsere Fraktion vor, dass wir zunächst die von der Großen Koalition in ihrem Vertrag angekündigte Prüfung auf der Bundesebene abwarten.

Ich empfehle Ihnen, den Gesetzentwurf anzunehmen, und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete Horst Becker.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Veränderungen beim Kommunalwahlgesetz sind einschneidend, und zwar erstens, weil sie entkoppeln, zweitens, weil sie die Stichwahl wegfallen lassen, und drittens, weil Sie die Chance nicht nutzen, eine geringe Sperrklausel einzuführen.

Ich will Ihnen im Einzelnen noch einmal einige der Gesichtspunkte darlegen, warum wir meinen, dass Sie mit all diesen Vorhaben auf dem falschen Weg sind, übrigens genauso mit Ihrer Verhinderung von Kumulieren und Panaschieren.

Erstens. Der Wegfall der Stichwahl und die Entkopplung der Wahlen werden – ich glaube, das ist quer zu den Parteien an vielen Stellen Allgemeingut – dazu führen, dass einerseits selbstverständlich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der öffentlichen Wahrnehmung aufgewertet werden und andererseits die Räte damit auch ein Stück weit entwertet werden.

Das führt automatisch dazu – das ist auch ausweislich aller Untersuchungen zu erkennen –, dass diese entkoppelten Wahlen durchschnittlich mit 15 % weniger Wahlbeteiligung stattfinden als die gekoppelten Wahlen. Das ist übrigens nicht nur in anderen Bundesländern zu erkennen, sondern das ist auch zu erkennen bei Nachwahlen von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Nordrhein-Westfalen. Immer dann, wenn sie mit anderen Wahlen gekoppelt waren, war die Wahlbeteiligung deutlich höher.

Es geht um keine Peanuts, sondern es geht darum, ob Kommunalwahlen in Zukunft mit Wahlbeteiligungen von deutlich unter 50 % stattfinden oder ob wir noch jenseits der 50%-Marke liegen können.

Zweitens. Sie wollen dann, nachdem Sie einen Wahltermin zusätzlich einführen, mit dieser Begründung einen weiteren Wahltermin wegfallen lassen, nämlich den Wahltermin für die Stichwahl.

Auf der einen Seite führen Sie zusätzliche Wahltermine ein, auf der anderen Seite wollen Sie welche einsparen.

Abseits der theoretischen Betrachtungen, bei denen auch ich Ihnen schon öfter vorgehalten habe, dass es die Beschneidung eines demokratischen Rechts ist, sind, wie ich glaube, zwei Zahlen überzeugend. Im Jahr 1999 und im Jahr 2004 ist es bei der Auswertung der Ergebnisse, wo im ersten Wahlgang jemand anderes vorne gelegen hat als im zweiten Wahlgang, ganz eindeutig, dass die CDU insgesamt nur in einem einzigen Fall im zweiten Wahlgang gewonnen hat, wo sie im ersten Wahlgang nicht vorne gelegen hat. In allen anderen Fällen waren es Kandidaten der SPD oder der freien Wählerlisten oder der UWGs und in einem einzigen Fall noch jemand von der FDP, die davon profitiert haben.

Wer Ihnen da nicht vorwirft, dass Sie das aus parteipolitischen Gründen machen und an einer Stelle auch einmal ziehen dürfen, wo Sie ansonsten permanent der FDP nachkommen, etwa auch bei ihrem Wunsch nach Trennung der Wahlen, der müsste schon völlig blind sein. Deswegen muss ich Ihnen da unterstellen: Sie haben zwar sonst in allen Punkten gegenüber der FDP nachgegeben, aber in dem Punkt gehen Sie mit dem Wahlrecht um wie Kreuzritter auf Beutezug und nicht wie Demokraten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Sperrklausel ist ein hochinteressantes und spannendes Thema. Wenn man sich das im Einzelnen anguckt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Wegfall der Sperrklausel, der 1999 aus meiner Sicht durch einen Fehler des damaligen Parlamentspräsidenten passiert ist, jedenfalls im Jahr 2004 ganz erhebliche Auswirkungen hatte, weil da zum ersten Mal sehr viele mit Vorbereitung antreten konnten.

Es ist in der Tat so – Untersuchungen in einer Diplomarbeit haben das nachgewiesen –, dass inzwischen in mehr als 70 % der kreisfreien Städten und der dortigen Räte mehr als sieben Gruppen oder Fraktionen tätig sind. Es ist tatsächlich so, dass es inzwischen eine Riesenlatte von Extremisten gibt, die als Einzelbewerberinnen bzw. Einzelbewerber in den Parlamenten sitzen.

(Zuruf von der SPD: Da kriegen die auch mehr Geld!)