Es kommt darauf an, jetzt nicht zu zögern, zu zaudern oder zu überlegen: Wer ist verantwortlich? Wo machen wir es? Was ist zwischen Bund, Land und Gemeinden? Nein, wir in NordrheinWestfalen haben hier eine Verantwortung.
Wir Grüne haben Sie im März aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, einen Stufenplan zu entwickeln. Das haben Sie abgelehnt. Gut, dann machen wir es. Hier ist unser Gesetzentwurf. Wir können das Beratungsverfahren auch gerne, wenn Sie das jetzt mitreißt und Sie sich angesprochen fühlen, abkürzen und den Gesetzentwurf schneller als ursprünglich geplant beschließen.
Warum, meine Damen und Herren, brauchen wir dieses Gesetz? – Nur so wird das gemeinsame Essen der Kinder in der Schule selbstverständlich. Angesichts des zunehmenden Nachmittagsunterrichts muss das eine Selbstverständlichkeit in unseren Schulen werden. Es ist wichtig, dass alle Kinder ein Mittagessen in der Schule haben und nicht nur die, die eine Ganztagsschule besuchen.
Zum einen sind viele weiterführende Schulen faktisch Ganztagsschulen, obwohl sie nicht so heißen und nicht dafür ausgestattet sind. Bei den Gymnasien sehen wir im Moment sehr stark, dass das ein Problem ist. Auch wenn es dem Namen nach keine Ganztagsschule ist, faktisch ist sie es.
Zum anderen – das ist das Problem, das viele umtreibt, das will ich gerne einräumen, da sind wir uns einig – gibt es hungrige und in ihren Familien schlecht versorgte Kinder, die keine Ganztagsschule besuchen. Auch sie sollten ein Essen bekommen können.
Darüber hinaus wollen wir – in anderen Ländern ist das selbstverständlich – durch die gemeinsame Mahlzeit soziales Lernen fördern und den Zusammenhalt zwischen den Kindern in den Schulen stärken. Wir wollen, dass alle Kinder diesen Zusammenhalt, diese Erfahrung, diese Gemeinsamkeit untereinander, aber auch zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrern erleben.
Meine Damen und Herren, wir haben es schon vor einiger Zeit beantragt, damals ist es abgelehnt worden, man kann es aber noch einmal neu auf die Tagesordnung setzen: Aus unserer Sicht darf kein Kind aus finanziellen Gründen vom Schulmittagessen ausgeschlossen werden.
Deshalb soll das Land die Kosten für die Kinder tragen, deren Familien ALG II oder Sozialgeld, Wohngeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Damit die Kostenübernahme nicht auf die Transferleistungen – Herr Laumann, das ist für Sie besonders wichtig – angerechnet werden kann – deswegen haben wir den Begleitantrag gestellt –, muss sich der Ministerpräsident, muss sich NRW im Bundesrat dafür einsetzen, dass diese Anrechnungsproblematik beseitigt wird. Wenn die Debatte jetzt auf Bundesebene durch den Vorschlag von Herrn Müntefering eine Dynamik erfährt, wenn auf Bundesebene im Zusammenhang mit Hartz IV Kosten getragen werden, dann sind wir die Letzten, die sagen: Wir nehmen das nicht, wir wollen es unbedingt selbst bezahlen. Wir sollten aber nicht darauf warten, weil es dieses Zeichens bedarf.
Meine Damen und Herren, warum haben wir den Gesetzentwurf vorgelegt? – Wir halten alles, was Sie bisher zum Thema Schulessen anbieten, für nicht lösungsorientiert. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Erstens reicht das Geld nicht. 10 Millionen €, die jetzt im Fonds sind, reichen für 50.000 Kinder, wir haben aber wesentlich mehr bedürftige. Der Fonds ist nur für zwei Jahre angelegt. Was passiert danach?
Zweitens – das wurde in verschiedenen Berichten deutlich – schaffen Sie für Kommunen und Schulen riesige bürokratische Hürden, sodass ein Drittel der Summe durch die Bürokratie aufgefuttert wird und nicht den Kindern zugute kommt. Anträge müssen gestellt, Eltern müssen ausgefragt werden. Das führt zu einem gravierenden Nachteil des Fonds. Er befördert die soziale Spaltung, denn erstmals müssen sich Eltern von Schülerinnen und Schülern innerhalb der Schule als arm outen, um in den Genuss der Gelder des Fonds kommen zu können.
Also: Der Fonds ist ein erster Schritt, das räumen wir ein. Ich behaupte, dass es ihn ohne unsere Initiative nicht gegeben hätte. Aber ich prophezeie Ihnen, auch wenn Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil er von uns kommt: Es wird eine gesetzliche Regelung geben, und dann haben wir früher oder später den Rechtsanspruch. Denn: Wenn der Magen knurrt, kann kein Kind lernen. Dass unsere Kinder häufig keine warme Mahlzeit bekommen – mittags nicht und abends nicht –, ist ein Skandal, nicht wahr, Frau Ministerin, nicht wahr, Herr Minister? – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf – Frau Löhrmann hat sehr temperamentvoll vorgetragen – tun die Grünen uns einen Gefallen, weil sie auf unseren 5. Reformkongress hinweisen, der am letzten Wochenende stattgefunden hat, wenn sie das Thema heute im Landtag auf die Tagesordnung bringen. Der Reformkongress der CDU hat ein Thema auf die Agenda gesetzt und in die öffentliche Diskussion gebracht, das von Rot-Grün –das muss man der Vollständigkeit halber sagen – jahrelang nicht zur Kenntnis genommen wurde. Wir müssen über Kinderarmut, Verwahrlosung, Vernachlässigung und Lieblosigkeit gegenüber unseren Kindern in unserer Gesellschaft reden.
Ich wiederhole zunächst einige der Fakten aus dem Armuts- und Reichtumsbericht für NordrheinWestfalen, die der Ministerpräsident auf dem Kongress dargestellt hat: Jedes vierte Kind in Nordrhein-Westfalen ist von Armut bedroht. 815.000 Jungen und Mädchen leben auf Sozialhilfeniveau. Fast jedes vierte Kind in unserem Land ist armutsgefährdet. Die Anzeigen wegen Vernachlässigung, Misshandlung haben sich in Nordrhein-Westfalen seit 1990 von 1.377 auf 3.377 Fälle fast verdreifacht.
Im Jahr 2005 wurden insgesamt 7.941 Mädchen und Jungen fremduntergebracht, wie das dann so schön heißt. Das bedeutet, sie konnten nicht mehr in ihren Familien leben. Erschreckend dabei ist, das sind 54 % mehr als 1995; damals gab es 5.153 Fälle.
45.000 bis 90.000 aller Kinder in NordrheinWestfalen – das sind immerhin rund 5 bis 10 % – werden laut Schätzungen des Bundesfamilienministeriums vernachlässigt.
Unser Ministerpräsident Jürgen Rüttgers – Frau Löhrmann hat ihn bereits zitiert; das habe ich dankbar zur Kenntnis genommen – hat das mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht:
„Wir dürfen nicht länger zusehen, wenn Eltern überfordert sind und Kinder verwahrlosen. Väter und Mütter sind nicht nur erziehungsberechtigt. Sie sind auch dazu verpflichtet.
Allerdings kommen einige Eltern dieser Pflicht nicht nach – weil sie nicht wollen oder weil sie nicht können.“
„Hier ist der Staat gefordert. Und das heißt nicht: noch mehr materielle Transfers. Die wirken häufig sogar kontraproduktiv.“
Ohne parteipolitischen Unterton kann ich feststellen, die Vorgängerregierung hatte bei dieser Problematik nichts unternommen und auch das Thema nicht erkannt. Um welche Fragestellung geht es denn eigentlich? – Die Frage nach der warmen Mittagsmahlzeit, wie sie von den Grünen aufgegriffen wird, greift zu kurz.
Denn unweigerlich verbunden sind damit Fragen wie Kinderarmut, Vernachlässigung und Lieblosigkeit in der Gesellschaft.
Vor diesem Gesamtkontext sind wir der Meinung, dass das Vorhaben, eine warme Mittagsmahlzeit zu garantieren, allein nicht ausreicht. Denn beispielsweise ist auch im Kindertagesbereich eine warme Mahlzeit erforderlich. Bei der Notwendigkeit einer warmen Mahlzeit sind wir uns einig, aber bei dem Ansinnen, das detailliert und bürokratisch gesetzlich zu regeln, sind wir anderer Meinung. Durch die Verstaatlichung der Verantwortung für die warme Mahlzeit schaffen wir eine falsche Verantwortlichkeit. Denn wir können nicht drum herumreden: Verantwortlich dafür, für das Kind zu sorgen und es zu verpflegen, sind eindeutig die Eltern.
Wenn Vernachlässigungstendenzen bei Kindern festzustellen sind, dann ist es zunächst die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die Eltern ihrer Pflicht nachkommen – auch ihrer finanziellen.
Aufgabe des Staates ist es, Eltern und Kinder, die in Armut oder an der Armutsgrenze lebend, nicht zu überfordern, sondern sie erforderlichenfalls zu unterstützen. Dann müssen auch Kinder in Armut eine warme Mahlzeit in der Ganztagsschule oder im Kindergarten erhalten. Es darf auch keine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen, in der ein Teil der Kinder eine warme Mahlzeit erhält und der andere Teil zuschaut.
Herr Kaiser, Sie haben gerade gesagt, der Gesetzentwurf wäre bürokratisch. Das finde ich nicht. Könnten Sie mal sagen, an welchen Stellen Sie die Regelung unse
Bei den Details, die Sie regeln, z. B. bei den Investitionen, brauchen Sie Ausführungsbestimmungen. Von daher glaube ich, dass der Landesfonds besser ist, das dezentral vor Ort zu regeln. Ich gehe im Laufe meiner Rede noch darauf ein.
Um die Ausgabe einer Mahlzeit gerecht zu regeln, ist es der beste Weg, wenn dies vor Ort, in jeder einzelnen Schule, geschieht. Die dort unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer kennen den Bedarf am besten. All das muss kindgerecht und vor allem unbürokratisch erfolgen. Genau diesen unkomplizierten Ansatz verfolgt die Initiative des Ministerpräsidenten „Kein Kind ohne Mahlzeit“, die wir zunächst für zwei Jahre garantieren.
In dieser Zeit werden wir entsprechende Erfahrungen sammeln. Beteiligte loben die unbürokratische Verfahrensweise. Die Mittel sind einfach und unbürokratisch anzuwenden. Die Initiative entlässt die Eltern nicht aus der Verantwortung, ohne sie überfordern, wenn ihnen 1 € pro Mittagessen als Eigenanteil belassen wird.
Zusätzlich unterstützt der Ministerpräsident bürgerschaftliche Initiativen, die sich für Schulmahlzeiten einsetzen, wie etwa die Kindertafel Bochum. Viele örtliche Verbände des Roten Kreuzes, der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt tun Ähnliches. Darüber ist auf unserem Reformkongress berichtet worden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt weiterhin einen Antrag auf eine Bundesratsinitiative; Frau Löhrmann hat darauf hingewiesen. Sie wissen, die Landesregierung arbeitet bereits an einer solchen, weil wir in Nordrhein-Westfalen wollen, dass es zu einer bundesweiten Lösung kommt.
Es ist gut, dass dieser Antrag heute an die Fachausschüsse überwiesen wird. Im Ausschuss haben wir die Möglichkeit, die Problematik genauer anzusprechen und vielleicht gemeinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
Der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem zweiten Punkt einen Landesfonds für eventuell erforderliche Investitionen. Aus unserer Sicht ist diese Regelung überflüssig. Denn die finanzielle Ausweitung der Schulpauschale um jährlich 80 Millionen € wird ausdrücklich auch für Investitionen im Ganztagsbereich vergeben. Diese Mittel sind für die Kommunen ausreichend, um den begonnenen Weg konsequent fortzusetzen.
Hinzu kommen die bekanntlich äußerst flexiblen und günstigen Bewirtschaftungsmöglichkeiten. Die Schulträger können die Schulpauschale auch für die Tilgung von Kommunalkrediten oder für PPP-Modelle nutzen. Wenn Sie den im Moment gängigen Zinssatz von rund 5 % für Kommunalkredite zugrunde legen, kann mit der erhöhten Schulpauschale, defensiv gerechnet, ein Investitionsvolumen von 1,2 bis 1,6 Milliarden € bedient werden. Das ist mindestens ein Drittel mehr, als bisher im Rahmen der IZBB-Bundesmittel insgesamt zur Verfügung stand.
Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf der Grünen ist geprägt von Detailregulierung, dem Gegenteil von Selbstständiger Schule.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Gucken Sie einmal Ihre Gesetzentwürfe an! Er ist schlank und schnuckelig!)
Frau Löhrmann, er regelt aber auch nur eine ganze Kleinigkeit. Für die Kleinigkeit, die darin geregelt wird, ist er wieder zu dick und zu aufwendig. Ich gebe Ihnen ja recht: Schlanke und schnuckelige Gesetze wollen wir alle. Für das darin zu Regelnde ist dieser Gesetzentwurf aber viel zu aufwendig.
Wir sind ja auch froh, dass wir nicht immer einer Meinung sind, Frau Löhrmann. – Deshalb ist der Gesetzentwurf abzulehnen.
Das Anliegen „Eine warme Mahlzeit für alle Schülerinnen und Schüler unabhängig vom Portemonnaie der Eltern“ ist sehr ernst zu nehmen. Die Landesregierung nimmt es durch die Initiative „Kein Kind ohne Mahlzeit“ auf.
Die im zusätzlich vorgelegten Antrag angesprochenen Finanzierungsbedingungen im Rahmen der Sozialgesetze – Herr Minister Laumann wird gleich darauf eingehen, vermute ich – werden wir in den Fachausschüssen sicherlich noch genauer betrachten. Deshalb stimmen wir der Überweisung an die Fachausschüsse natürlich zu. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.