Protokoll der Sitzung vom 24.10.2007

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Warten Sie es ab! Ich erkläre es Ihnen!)

Ich spreche den Kollegen Priggen auch ganz persönlich an. Die politische Ausgangslage ist dabei doch klar. Wir sind uns mit Ihnen einig: Es geht ohne Atomkraft. Wir wissen schon lange, dass Sie – die Grünen – die Braunkohle verteufeln. Wir wissen auch, dass Sie neue Steinkohlekraftwerke ohne Wärmeauskoppelung ablehnen.

Dass Sie aber einer modernen KWK-Anlage in Krefeld die Zustimmung verweigern, ist auch für mich ganz persönlich enttäuschend. Das will ich Ihnen ganz freundschaftlich sagen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sollte zumindest die Kraft haben, einem so umweltfreundlichen und engagierten Projekt wie dieser hocheffizienten KWK-Anlage in Krefeld zuzustimmen.

Auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzt sich mit Kohlekraftwerken auseinander. Lassen Sie mich hierzu nur wenige Anmerkungen machen; denn wir werden diesen Antrag noch weiter im Ausschuss diskutieren können.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Lobenswert ist wieder einmal der Fleiß, mit dem Sie auf insgesamt sechs Seiten eine Vielzahl von Zahlen zusammengeschrieben und daraus politische Schlüsse gezogen haben. Das will ich ausdrücklich anmerken.

Mit diesem Wust von Zahlen verfolgen Sie ganz offensichtlich ein Ziel: Es soll suggeriert werden, die Klimaschutzziele der Bundesregierung seien real in Gefahr.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen im Klimaschutz und in den Instrumenten zur Erreichung engagierter Klimaschutzziele viel besser auskennen, als sie dies mit dem Antrag vorspiegeln.

Herr Priggen, Sie wissen doch, wie Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen wird. Es gibt klare Aussagen zur CO2-Minderung bis zum Jahr 2020. Diese sind bei Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auch in den besten Händen. Das füge ich hinzu.

Bis zum Jahr 2020 werden wir 270 Millionen t CO2 eingespart haben. Das zentrale Instrument, mit dem wir dies erreichen, ist weder die Kraftwerksplanwirtschaft noch die Verstaatlichung der Energiewirtschaft. Wir versuchen nicht, unsere Klimaschutzziele über politische Vorgaben zu Anlagengröße, zu Brennstoff oder zu Betreibern einzelner Kraftwerke zu erreichen. Nein, diese Vorgehensweise hat sich als ineffizient erwiesen.

Das zentrale Instrument, mit dem wir dies erreichen, ist der Emissionshandel. Er ist unser gemeinsames marktwirtschaftliches Instrument. Dabei setzen wir die Rahmenbedingungen so, dass zwei Dinge erreicht werden:

Erstens. Deutschland erreicht mit diesem Instrument seine Klimaschutzziele. Das wissen Sie auch.

Zweitens. Der Wettbewerb stellt sicher, dass klimafreundliche Technologie einen relativen Wettbewerbsvorteil gegenüber Altanlagen hat. Auch das wollen wir gemeinsam. Dies begünstigt den Wettbewerb um die beste Klimaschutztechnologie.

Mit Blick auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen freue ich mich auf die Diskussion im Fachausschuss. Herr Priggen, ich hoffe, dass wir, wenn Sie sich überwinden können, auch einmal alte Vorbehalte und Vorurteile aufzugeben, bei einem solch hochmodernen Kraftwerk wie in Krefeld zu gemeinsamen Vorgehensweisen kommen können. – Vielen Dank für Ihr Zuhören.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Priggen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Liebe Frau Präsidentin! Lieber Kollege Römer. Es war eine solche freundliche Umarmung! Wenn man dann in die Substanz der kohlepolitischen Botschaft schaut …

Ehrlich gesagt: Sie hätten hier auch gestanden und jedes andere Kohlekraftwerk begrüßt. Insofern wollen wir es einmal ganz langsam durchdeklinieren.

(Zuruf)

Herr Römer, wir haben bei der ganzen Diskussion um Klimaschutz und Klimaschutzziele auf der einen Seite einen Konsens in der Bundesregierung. Sie haben Herrn Gabriel angesprochen. Ich nehme die Bundeskanzlerin hinzu. Die Bundesregierung hat im Rahmen einer Regierungserklärung am 26. April Ziele vorgegeben. Auf der anderen Seite wird eine Politik gemacht, die dort, wo die Leute wohnen, das Gegenteil von dem bedeutet, was gesagt wurde. Das passt nicht zueinander. Das nimmt uns irgendwann auch keiner mehr ab.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu gehört die ganze Diskussion um die Kraftwerke.

Wir behandeln heute unter einem Tagesordnungspunkt zwei Anträge. Es gibt zum Gesamtprogramm der Neubauten von Kohlekraftwerken eine Bauliste mit insgesamt 40 Projekten. Diese enthält Vorhaben, die sich in Nordrhein-Westfalen in einer realistischen Umsetzungsphase befinden. Ich weiß, die Liste enthält auch Vorhaben, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht realisiert werden. Mit dem, was hochwahrscheinlich ist, sind diese Ziele absolut nicht zu erreichen.

Ich will die Ziele noch einmal erwähnen. Herr Kollege Römer, bei allen freundlichen Worten müssten Sie eigentlich auch beantworten, wie Sie die Ziele umsetzen. Die Position der Sozialdemokraten zum Emissionshandel ist mir aus den ganzen Runden sehr wohl noch bekannt. Ich bin außerordentlich skeptisch, dass dieses Instrument jetzt in solchem Maß zur Umsetzung taugen soll.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu den Zielen der Bundesregierung: Die Bundesregierung hat gesagt, sie will 11 % der Stromerzeugung einsparen. 11 % weniger Stromverbrauch! Das ist das erste Mal, dass wir uns bescheiden und im Jahr 2020 mit weniger auskommen wollen. Die Bundesregierung spricht von 25 % Kraft-Wärme-Kopplung. Darüber besteht Konsens. Das ist die intelligenteste Art, Strom herzustellen, weil ich die Wärme nutze.

Aber Krefeld ist nicht KWK. Das wissen Sie ganz genau. Ich muss Ihnen die Wirkungsgradzahlen gar nicht zu nennen. Krefeld koppelt Wärme aus, wie auch Weisweiler aus 6.000 Megawatt Abwärme 80 Megawatt auskoppelt. Das sind in Weisweiler Peanuts. In Krefeld ist es etwas mehr. Es ist aber keine Kraft-Wärme-Kopplung. Sie sollten nicht mit falschen Etiketten arbeiten, weil Sie das genau wissen.

Als Drittes hat die Bundesregierung von mindestens 27 % erneuerbarer Energie gesprochen. Das sind Einflussparameter auf den Strommix des Jahres 2020, die ich sauber hintereinander zählen kann. Selbst, wenn ich als Grüner sagen könnte, wir könnten ambitionierter sein, nehme ich nur die Ziele von CDU und SPD in Berlin. Das sind ambitionierte Ziele. Das will ich überhaupt nicht bestreiten.

Wenn wir diese Ziele zusammenfügen und hinzunehmen, dass wir nach dem Atomausstiegsgesetz im Jahr 2020 noch mindestens 5 % Atomstrom haben, dann habe ich 5 % Atomstrom, 27 % Strom aus erneuerbaren Energien, 25 % Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und 10 % Strom aus Gaskraftwerken. Das wissen wir, weil diese bereits jetzt laufen.

Dann kann ich das ganz einfach, ohne dass ich PISA-geschädigt bin, nachvollziehen – Sie müssen mir nicht einen Zahlenwust vorwerfen, sondern wir arbeiten an der Stelle akribisch heraus, woher eigentlich die Glaubwürdigkeitslücke stammt –: Bei der Umsetzung der Ziele der Bundesregierung gibt es noch 33 % Kondensationskraftwerke, in denen Braun- und Steinkohle rein verbrannt wird, ohne dass also die Wärme durch Kraftwärmekopplung genutzt wird. Das sind in Anlagen umgerechnet – das geht ganz einfach; es ist ja bekannt – 28 Gigawatt.

Wenn die bestehenden Anlagen mindestens 40 Jahre gefahren und dann erst außer Betrieb genommen werden – wir wissen allerdings auch, dass sie in Teilen 50/55 Jahre gefahren werden –, dann habe ich eine Lücke von tatsächlich nur 6 Gigawatt, die gefüllt werden muss. Für diese 6.000 Megawatt müsste ich bis 2020 neue Anlagen bauen, um den gleichen Stand zu halten.

Zurzeit befinden sich in der Bundesrepublik Anlagen für 8.000 Megawatt in Bau. Hier in NordrheinWestfalen passiert an vielen Standorten etwas, ob in Lünen, in Hamm oder anderwärts. Wir haben Kraftwerke, die bereits in Bau sind: Datteln ist fast in Bau, Walsum ist in Bau, Neurath ist im Bau. Die werden natürlich nicht abgeschaltet, sondern sie laufen die nächsten 40 bis 50 Jahre. Aber dann habe ich eine Lücke. Und diese Lücke besteht darin, dass auf der einen Seite die Politik Ziele verkündet, verkündet, Gesetze kämen, die Umsetzung erfolgte, und auf der anderen Seite ein Wildwuchs an Neubauten besteht.

Das nehmen uns die Leute nicht mehr ab und fragen: Wie passt das denn zueinander?

(Beifall von den GRÜNEN)

Gestern empfängt die Kanzlerin Al Gore, dann ist sie nach Bali unterwegs. Woche für Woche werden diese Ziele definiert, und alles wird festgesetzt. Gleichzeitig lasse ich eine Neubaustrategie zu. Wenn Sie hier eben erklärt hätten: Es gibt nur noch Kohlekraftwerke mit Kraftwärmekopplung, dann hätte ich gesagt: Das können wir machen, weil das die richtige Form ist.

Aber was machen Sie? – Sie nehmen das Beispiel unter all den Neubauprojekten, wo tatsächlich noch ein bisschen Wärme ausgekoppelt wird. Aber wie ist das bei jedem anderen Standort? Wir beide stellen uns doch nicht hier hin und verkünden: Hamm kann nicht gebaut werden. Die zwei großen Blöcke von RWE passen nicht in das Ziel der Bundesregierung. – Oder wären Sie dazu bereit? Das werden Sie nie tun. Und die CDUKollegen werden auch sagen: Wenn RWE in

Hamm 1.600 Megawatt bauen will – rein Kondensation, die ganze Wärme wird verschwendet –, dann lasst sie doch bauen. – So werden Sie an jedem einzelnen Standort dafür sein.

Aber es ist eine Schizophrenie, auf der einen Seite auf die Ziele hinzuweisen, die umgesetzt werden müssen, aber auf der anderen Seite eine Neubauserie zu haben, die weit über das hinausgeht. Das passt nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir reden nicht nur über „2020“ und „minus 40 %“. Die Bundeskanzlerin hat richtigerweise als EUPräsidentin gesagt: Wir müssen Mitte des Jahrhunderts 60 bis 80 % Reduktion schaffen. Und das, was wir neu bauen – die Braunkohleblöcke BoA 4 und 5, für die RWE ja auch schon das Planverfahren eingeleitet hat –, wird 2015/16 ans Netz gehen und 2050/60 noch laufen.

Wenn wir eine Reduktion von 60 bis 80 % tatsächlich erreichen wollen, dann ist das nur zu schaffen, indem wir die Kraftwerkskapazität reduzieren, anstatt deutlich auszubauen. Und die Braunkohlekapazität wird über den bestehenden Stand ausgebaut. Sie sollten das überall erklären. Denn Sie reden zwar davon, aber in ganz konkretem Handeln ist Ihnen immer die Jacke näher und Sie bauen hier eine Anlage nach der anderen. – Das Ziel ist dann nicht zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sind ja nicht dagegen, dass im Kraftwerksbereich investiert wird, aber wenn die Bundesregierung von 25 % Kraftwärmekopplung spricht, dann habe ich da eine Frage.

Heute Morgen hat Frau Ministerin geredet, und zwar unter anderem aus meiner Sicht in einer sehr negativen Art über die Fotovoltaik. Damit wird ja immer deutlicher: Die Landesregierung will die Windkraft nicht, sie will die Fotovoltaik nicht, bei den Biogasanlagen haben wir Probleme mit der IG Metall, der Landwirtschaft, den Schweinemästern. Erneuerbare werden in NordrheinWestfalen in den Ausbauzielen nicht massiv vorkommen.

Es gibt aber ein Spektrum, in dem NordrheinWestfalen prädestinierter ist als alle anderen Bundesländer. Und das ist der Ausbau der Kraftwärmekopplung in unseren dichtbesiedelten Gebieten im Ruhrgebiet und in unseren großen Städten.

Wir müssten uns doch hier gemeinsam aufstellen und in Richtung Berlin Druck machen und sagen: Wir brauchen, gerade was den Ausbau Kraftwär

mekopplung, Nahwärmenetze angeht, eine Unterstützung, damit in Nordrhein-Westfalen das, was gemacht werden muss, um den Klimaschutz betreiben zu können, auch wirklich zu relevanten Anteilen geschieht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und da passiert nichts. Da bauen wir einen Kranz von Kohlekraftwerken, die Wärme geht in die Umgebung, und im Ruhrgebiet verbrennen wir Gas, was auch perspektivisch knapp wird. Dabei ist das Ruhrgebiet doch das ideale Gebiet, wo Kraftwärmekopplung und Nahwärme ausgebaut werden müssten. Da höre ich nichts.

Das heißt, die Investition in die Kraftwärmekopplung zu lenken, wäre richtig. Das hieße aber: Dieses Land müsste sich in Berlin aufstellen und seine Interessen in den Prozess massiv einbringen. Und das geschieht nicht.