Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

„Es ist ein Irrglaube, dass wir Kinder in drei Begabungsschubladen stecken können: technisch begabt, theoretisch begabt, praktisch begabt. Jedes Kind hat so viele verschiedene Talente, die wir alle wecken müssen.“

Wenn man im Ausland unser System des Aussortierens, des Abschulens und des Sitzenbleibens als deutsche Idiotie bezeichnet, dann sollten wir doch allen Ehrgeiz daransetzen, diese traurige Berühmtheit loszuwerden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, ich werbe noch einmal dafür, wie in Schweden den Umstieg ganz pragmatisch über die Kommunen geschehen zu lassen. Geben wir den Kommunen Freiheit, lassen wir die Gemeinden Horstmar und Schöppingen anfangen. Sie haben ein wirklich hervorragendes Konzept vorgelegt. In diesem Konzept werden auch alle Sorgen und Befürchtungen, die die Ministerin formuliert hat, widerlegt. Die Eltern wollen das für ihre Kinder, die Kommunalpolitikerinnen

und -politiker, auch die Ihrer Fraktion, vor Ort wollen das.

Die wissen nämlich: Entweder haben wir eine Gemeinschaftsschule vor Ort, oder wir haben überhaupt keine weiterführende Schule mehr am Ort.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist auch eine Frage der Wirtschafts- und Standortpolitik. Es muss doch in Ihre Köpfe gehen, wenn das landauf, landab auch Ihre Leute sagen.

(Zuruf von Bernhard Recker [CDU])

Herr Rüttgers, geben Sie den Pionieren für Neues in unseren Schulen, in unseren Städten und Gemeinden endlich die Chance zu beweisen, dass es besser geht. Das hat auch etwas mit Freiheit zu tun. Das ist bildungspolitisch richtig, ist sozialpolitisch richtig und ist auch wirtschaftspolitisch richtig, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Auch bei der restlichen Zwischenbilanz komme ich zu einem anderen Ergebnis als Sie. Darüber kann auch das salbungsvolle Gerede nicht hinwegtäuschen. Aber wir sind es inzwischen gewohnt, dass in Reden in weiten Teilen das Gegenteil von dem propagiert wird, was tatsächlich passiert. Das ist dieses „Orwellsche Neusprech“. Sie reden links und handeln marktradikal; Sie reden von Innovation, aber Sie fördern den Stillstand; Sie reden vom Gemeinwohl, aber Sie fördern den Eigennutz.

Herr Ministerpräsident, im Telegrammstil: Mit dem sogenannten Kinderbildungsgesetz sparen Sie auf Kosten der Kinder. Die Elternbeiträge werden in vielen Kommunen steigen, und auch dadurch wird die soziale Spaltung im Land zunehmen. Der notwendige Ausbau der Plätze für unter Dreijährige wird durch Qualitätsabbau in den Kindertagesstätten bezahlt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Mit den Studiengebühren schrecken Sie junge Menschen von der Aufnahme eines Studiums ab. Sie tragen so dazu bei, dass sich der Fachkräftemangel – den Fachkräftemangel haben wir schon, der droht nicht, Herr Ministerpräsident – weiter verschärfen wird. Wir brauchen mehr und nicht weniger junge Menschen mit Hochschulabschluss.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie bieten nur Brosamen gegen Kinderarmut. Statt für ein kostenloses Mittagessen für alle Kinder aus armen Familien zu sorgen, legen Sie einen Hilfsfonds auf, der vorne und hinten nicht reicht. Ernsthafte Maßnahmen gegen Kinderarmut, etwa durch die Anhebung der Hartz-IVRegelsätze, finden bei Schwarz-Gelb nicht statt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Für CDU und FDP in NRW bleibt Klimaschutz ein Fremdwort. Sie ignorieren weiterhin den vom Menschen verursachten Klimawandel. Sie haben keinerlei Konzept; die Bruchstücke von Satzbausteinen, die heute dazu gesagt worden sind, waren entlarvend.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Fast null!)

Sie haben keinerlei Konzept, um selbst die notwendigen, von Ihrer eigenen Bundeskanzlerin formulierten Klimaschutzziele zu erreichen.

Schwarz-Gelb in NRW forciert den Bau von Stein- und Braunkohlekraftwerken. Die erneuerbaren Energien werden gestutzt. Mit dieser ideologisch motivierten Politik verabschiedet sich NRW vom Klimaschutz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Den Umweltschutz bauen Sie drastisch ab. Die anstehende bornierte Zerschlagung und Kommunalisierung der Umweltverwaltung wird zu Qualitätsverlusten bei Genehmigungsverfahren führen und die staatliche Umweltvorsorge schwächen. Mit Bürokratieabbau hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Minister Uhlenberg und der Ministerpräsident selbst hatten nach den zahlreichen Gammelfleisch-Skandalen 300 neue Lebensmittelkontrolleure und -kontrolleurinnen versprochen. Umsetzung: Fehlanzeige! Kontrollen wurden abgebaut, und die Namen der schwarzen Schafe bleiben weiterhin geheim. Das nenne ich Täterschutz statt Verbraucherschutz.

(Beifall von den GRÜNEN – Minister Eck- hard Uhlenberg und Johannes Remmel [GRÜNE], nicht weit entfernt voneinander auf Abgeordnetenplätzen sitzend, reden aufein- ander ein.)

Herr Uhlenberg, schön, dass Sie sich so aufregen. Ich bleibe noch ein bisschen bei Ihnen. Seit eineinhalb Jahren – Herr Uhlenberg, hören Sie mir doch auch einmal ein bisschen zu! – bekommt Minister Uhlenberg den Giftwasserskandal PFT nicht in den Griff.

(Eckhard Uhlenberg [CDU]: Sie haben keine Ahnung!)

Auch hier weigert sich die Landesregierung beharrlich, die Verursacher öffentlich zu benennen. Es war doch für alle in den Zeitungen nachzulesen, dass Sie das nicht in den Griff kriegen, Herr Uhlenberg.

(Eckhard Uhlenberg [CDU]: Unter 100 Na- nogramm!)

Von Anfang an haben Sie versucht, das herunterzukochen, das zu vertuschen und der Sache nicht substanziell und grundsätzlich nachzugehen, wie sich das für einen Umweltminister gehören würde.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Kollegin Löhrmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhlenberg?

(Zurufe von der CDU: Och!)

Die Landesregierung betreibt außerdem einen systematischen Abbruch der Unterstützungsstrukturen für Frauen. Die Spitze des Eisbergs ist, dass Sie bei Frauen und Mädchen kürzen, die von Gewalt betroffen sind und Zufluchtsmöglichkeiten brauchen.

Auch die Selbsthilfe, die soziale Infrastruktur unseres Landes, wird systematisch abgebaut. Da hilft es eben nicht, Sozialflüsterer der CDU in Berlin zu sein, aber in Nordrhein-Westfalen, wo man Verantwortung trägt, Strukturen etwa bei der Drogen- und Suchtberatung,

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

der Aidshilfe oder den Arbeitslosenzentren abzubauen.

Sie stellen beim Verkehr die Weichen falsch. Die Autovorrangpolitik und die drastischen Kürzungen beim ÖPNV haben massive Folgen für die Mobilität der Menschen: Zugstrecken fallen weg, Fahrpläne werden ausgedünnt, Tickets werden teurer, und die Staus werden länger.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie betreiben eine rücksichtslose Personalpolitik. Sie haben die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten massiv eingeschränkt. Mit dem sogenannten Personaleinsatzmanagement werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verschiebemasse für den Finanzminister. Ihre Versprechun

gen gerade im Bereich des Personals haben sich vor der Wahl aber völlig anders angehört.

Und die Abschaffung der Bürgerrechte: Mit dem Gesetz zur Onlinedurchsuchung hat der ach so liberale Innenminister Wolf vor dem Bundesverfassungsgericht eine Blamage sondergleichen erlebt und den „legislativen Murks des Jahres“ verbockt. Selbst der eigene Prozessbevollmächtigte hat das Verfassungsschutzgesetz als suboptimal bezeichnet.

Mit dem weitgehenden Wegfall des Widerspruchsverfahrens können sich die Menschen in NRW nun nur noch vor Gericht gegen fehlerhafte Behördenentscheidungen wehren: ein liberaler Angriff auf die Bürgerrechte unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Und die Kommunalfeindlichkeit Ihrer Politik ist ohnegleichen. Sie entlasten Ihren eigenen Haushalt auf Kosten der Kommunen. Unseren Städten und Gemeinden werden jährlich Hunderte Millionen Euro entzogen. Mit der Reform der Gemeindeordnung – darauf ist schon hingewiesen worden –, vor der Sie Ihre eigene kommunale Basis nachdrücklich gewarnt hat, schwächen Sie die kommunale Selbstverwaltung in der Substanz. Die Lebensqualität der Menschen vor Ort leidet. In den Städten – dort leben die Menschen und merken das; das haben Sie eben abstrakt auch wieder gesagt – wird diese kommunale Basis geschwächt.

Der Haushalt ist mehr Schein als Sein. Der Finanzminister redet von Konsolidierung, aber in Wahrheit greift er in die Taschen von Kommunen und Beschäftigten. Der einzige Beitrag zur Konsolidierung geht zulasten Dritter. Das Ergebnis: Rekordausgaben und Rekordschulden trotz Rekordeinnahmen.

Wenn der Ministerpräsident eben gesagt hat, wir haben weniger Schulden, sage ich Ihnen: Das stimmt nicht! Sie haben bei 110 Milliarden € Schulden angefangen, und bald liegen Sie bei 118 Milliarden €. Nach meiner Rechnung sind das 8 Milliarden mehr und nicht weniger.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)