Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

(Beifall von den GRÜNEN)

Pfft, Luft raus, eingeknickt, so schnell kann man gar nicht gucken. Innovation und Rückgrat – das sieht ein bisschen anders aus, und das sollte sich Herr Pinkwart einmal vor Augen halten.

Ich finde es schon erstaunlich, wenn heute klar wird – sowohl Herr Recker wie auch Herr Witzel haben das präsentiert –, dass man sich nur bestimmte Zitate aus Studien, die einem in den Kram passen, heraussucht. Offensichtlich ist die

Leseleistung irgendwann bei 2000 und etwas danach stehengeblieben, sodass die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die heute auf dem Tisch liegen und von Baumert, von Olaf Köller und anderen immer deutlicher formuliert werden, nach den ersten zaghaften Versuchen, gar nicht mehr zur Kenntnis genommen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Baumert spricht seit 2006 dezidiert davon: Die schulformbezogenen Kompositionseffekte führen für Schülerinnen und Schülern dazu, dass sie leistungsmäßig und sozial benachteiligt werden. Das ist für alle Bundesländer nachgewiesen.

Ich will an dieser Stelle ebenfalls sagen, dass Herr Witzel offensichtlich die Leistungsuntersuchung an hessischen und nordrhein-westfälischen Gesamtschulen von Olaf Köller auch nicht zur Kenntnis genommen hat, die nach 2003 in einem Buch vorgelegt worden ist. Aber, wie gesagt, Lesekompetenz – eigentlich ein Standortfaktor – ist bei der FDP nicht gerade verortet.

Ich will auch sehr deutlich sagen, dass wir uns nicht in der Regionalliga aufstellen lassen, also die PISA-Ergebnisse nicht im Bundesländervergleich betrachten sollten. Ich habe den Anspruch, dass sich dieses Land als bedeutende Industrienation insgesamt an der Champions League orientiert, und in der Champions League spielen andere:

(Beifall von den GRÜNEN)

Finnland, Schweden, Kanada, Australien. Davon sind wir leider noch ein ganzes Stück entfernt. Vielleicht ist es sinnvoll, nicht nur über Finnland zu schwadronieren, sondern selbst hinzufahren. Aber das stößt gerade bei der FDP-Fraktion auf dauernde Ablehnung. Auch in Südtirol – bei der nächsten Schulausschussreise – wird die schulpolitische Sprecherin leider an den entscheidenden Gesprächen gar nicht teilnehmen. Schade, wieder mal ein Bildungsleck, und wir müssen in den weiteren Diskussionen mühsam nacharbeiten.

Noch ein Wort zu dem PISA-Ländervergleich. Es ist doch interessant, dass gerade die Bayern, die in ihrem Schulsystem so wenige Kandidaten für die Hochschulen produzieren, liebend gerne die nordrhein-westfälischen Abiturienten und Abiturientinnen aufnehmen, weil sie nur mit ihnen ihre Hochschulplätze besetzen können. Da gibt es keine Klagen über eine mangelnde Qualität der Bewerberinnen und Bewerber. Ganz im Gegenteil: Der Brain-Drain geht von NordrheinWestfalen nach Bayern herunter, weil dort zu we

nig qualifizierte Abschlüsse produziert werden. Interessant! So viel zu den Klagen über das nordrhein-westfälische Bildungssystem.

Die Legendenbildung, die Sie heute zu verbreiten versuchen, dass mit Ihnen die Hauptschule konsolidiert und gerettet ist, ist wirklich eine Dreistigkeit. Dass sich das bei den gestiegenen Schülerinnen- und Schülerzahlen im Jahrgang, der Zwangszuweisung zu den Hauptschulen und dem Sterben der Halbtagsangebote auf die letzten bestehenden Hauptschulangebote mit Ganztag konzentriert, ist doch ganz klar. Sie halten das Problem nicht auf. Das wird Ihnen nicht gelingen.

Diese Fitnesskuren haben wir schon andernorts erlebt. Inzwischen besteht in Baden-Württemberg eine Opposition aus Schulleitungen von Hauptschulen, die sich ganz vehement gegen das wehren, was ihnen der dortige Kultusminister mit einer Fitnesskur zu verordnen versucht.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Frau Sommer versucht es auf die gleiche Art und Weise. Sie wird hier auch den gleichen Segen ernten. Ich warte auf die erste Briefkampagne der betroffenen Schulleitungen, die sich gegen Sie wehren werden.

Wie ich schon im Ausschuss gesagt habe, empfinde ich es als eine Beleidigung der Hauptschulkollegen und -kolleginnen, wenn gesagt wird: Jetzt machen wir mal besseren Unterricht in den Hauptschulen. – Das ist wirklich eine Unverschämtheit; denn dort arbeiten mit die engagiertesten Leute. Sie kommen aber aus der Systemfalle nicht heraus.

Aus dieser Systemfalle wollen Sie sie nicht herauskommen lassen. Das betrifft die Ministerin und den Ministerpräsidenten – und auch die Herren, die gerade interessiert miteinander diskutieren, aber wieder einmal nicht zuhören. Herr Präsident, ich würde darum bitten, dass das einmal geregelt wird. Wenn schon so wenige Abgeordnete da sind, wäre es gut …

Verehrte Frau Kollegin, Sie haben das Recht, hier zu reden. Ich kann aber keinem Abgeordneten verbieten, dass er sich unterhält, während Sie sprechen; tut mir leid. Wir sind hier nicht in einer Schule.

Ich bitte den Herr Präsidenten aber schon, für entsprechende Ruhe zu sorgen. Das hier ist doch deutlich überzogen. Es ist auch eine Missachtung.

Es tut mir leid; ich habe nicht den Eindruck, dass diese Redner im Augenblick die Debatte wesentlich stören.

Jetzt haben sie es auch eingestellt – nachdem ich interveniert habe.

Einen Punkt möchte ich noch herausheben. Ich halte es sowohl von Herrn Recker als auch von Herrn Witzel für etwas gewagt, heute Mittag hier das Thema Sprachstandserhebungen aufzubieten – gerade nach der Anhörung am letzten Freitag, bei der sich die wissenschaftlich Verantwortliche klar von der politischen Umsetzung in diesem Land distanziert haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie hat nämlich ganz deutlich gesagt, dass sich dieses Verfahren in einem experimentellen Stadium, einem Erprobungsstadium, befindet, und dass sie es leid ist, dafür verhaftet zu werden, dass es politisch über das ganze Land, über 180.000 Kinder sowie Tausende von Lehrkräften und Erzieherinnen, ausgegossen worden ist – ohne Evaluation, ohne wissenschaftliche Absicherung, ohne einen wissenschaftlich gesicherten Stand und ohne geeicht zu sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dies hat sie sehr deutlich gemacht. Das war wirklich eine schallende Ohrfeige – sowohl für die beiden verantwortlichen Minister/innen, Frau Sommer und Herrn Laschet, als auch für die Regierungsfraktionen, die dies politisch zu verantworten haben.

In Bezug auf die Entwicklung der individuellen Förderung in diesem Land muss noch einmal sehr deutlich gemacht werden, dass wir seit mehr als einem Jahr eine Fortbildungsbrache in NRW haben. Gerade auf diesem wichtigen Gebiet stehen die Lehrerinnen und Lehrer ohne Unterstützung da. Die systematische Entwicklung des Unterrichts wird ihnen nicht mehr ermöglicht. Sie treten auf der Stelle. Das wird in vielen Briefen und anderen Äußerungen immer wieder beklagt.

Und die Landesregierung tut nichts. Sie investiert viel zu wenig in die Fortbildung und schulische Transformationsprozesse. Dort liegen erhebliche Versäumnisse. Darüber müssen wir an dieser Stelle reden.

Bemerkenswert finde ich auch das derzeitige Werben der Ministerin darum, dass ältere Lehrerinnen und Lehrer für Vertretungsunterricht zurückkommen sollen, weil nicht genug Menschen für den Unterricht zur Verfügung stehen. Zur glei

chen Zeit jagen wir durch den Mangelfacherlass ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer über die Landesgrenze, weil hier die Einstellungsversprechungen gebrochen worden sind. Das ist die Realität der Schulpolitik in diesem Land.

Deswegen ist es auch richtig, sehr deutlich zu bilanzieren, dass wir im Anfangsstadium von notwendigen Systementwicklungen sind und dass Sie mit den Schulstrukturentscheidungen leider in die falsche Richtung marschieren. Dass Sie sich immer tiefer in die Schützengräben einbuddeln, haben wir ja gerade gesehen: Wenn jemand versucht, ein bisschen nachzudenken, dann wird er zurückgepfiffen. Ganz egal, ob er Minister, Landesvorsitzender oder Innovationsminister ist oder nicht, wird er von diesen Betonfraktionen eingemauert. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich freue mich sehr, dass ich jetzt nach über fünfstündiger Debatte als fraktionsloser Abgeordneter für die Linke hier auch einiges zur Regierungserklärung „Unser Nordrhein-Westfalen – Bundesland der Zukunft“ sagen kann.

Den Ministerpräsidenten habe ich seit mittlerweile über zwei Stunden nicht mehr hier gesehen, den stellvertretenden Ministerpräsidenten über eine Stunde nicht mehr.

Dieser Tagesordnungspunkt heißt „Aussprache zur Regierungserklärung“. Mittlerweile ist das Ganze zu einer schulpolitischen Debatte geworden. Nichtsdestotrotz möchte ich ganz grundsätzlich etwas zur Regierungserklärung und zu dem sagen, was hier in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist. Ich will also weg von der schulpolitischen Debatte, die jetzt seit zwei Stunden geführt wird. Wahrscheinlich hat das auch kein größeres Interesse mehr beim Ministerpräsidenten hervorgerufen. Gut; so ist es halt. Ich weiß allerdings nicht, ob es in der Form, in der es nun hier abläuft, dem Parlamentarismus tatsächlich dient.

Es ist kalt geworden in Nordrhein-Westfalen, und das liegt nicht am meteorologischen Kälteeinbruch. Die soziale Kälte, die seit 2005 von dieser neoliberalen FDP/CDU-Landesregierung ausgeht, hat die Menschen im Land zum Frieren gebracht. Ministerpräsident Rüttgers macht keine Politik für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Er

macht keine Politik der Chancengleichheit – und schon gar keine Politik für die Schwächeren und sozial Benachteiligten in NRW. Er macht auch keine ökologisch nachhaltige Politik. In NRW werden Reiche immer reicher, Arme immer ärmer und die Umwelt immer schlechter.

Rund 500.000 Kinder werden unter Hartz-IVBedingungen groß. Trotzdem streicht diese Landesregierung die Lernmittelfreiheit für diese Kinder, schafft durch die Veränderung der Schulbezirke soziale Segregation und sorgt nicht dafür, dass alle ein kostenloses Schulessen bekommen.

Immer heißt es: Es ist kein Geld da. – Doch das ist nicht die Wahrheit; denn die Steuerkassen sprudeln, und in Berlin werden erneut die Unternehmenssteuern gesenkt. Uns fehlen dadurch im Haushalt 2008 wieder 800 Millionen €. Die SPD ist übrigens vorne mit dabei. Ebenso wird die Erbschaftsteuer für Reiche passend gemacht, wodurch Milliarden für die öffentlichen Kassen verschenkt werden, und zwar an junge reiche Erben, die dieses Geld nicht selbst verdient haben.

Auch sonst zahlen die Unternehmen ihre Steuern oft nicht so wie veranschlagt, da die Finanzbeamten, die dies überprüfen sollen, fehlen.

Das ist Geld, das für eine soziale Politik für die Menschen fehlt. Dafür sind Sie von CDU und FDP verantwortlich, die sogar weitere 900 Finanzbeamte im nächsten Jahr entlassen wollen.

Symbolische Politik, wie sie übrigens die SPD in Berlin mit betreibt, hilft uns nicht weiter. Die Nachbesserung beim Arbeitslosengeld, nämlich eine Verlängerung um sechs Monate, ist nicht das, was die Menschen im Land tatsächlich brauchen. Vorher waren es 32 Monate, jetzt sind es 24 Monate für ältere Arbeitslose. Ich frage mich, wie das Ganze finanziert werden soll. Diese Fragen sind offen. Ich bin sehr gespannt, ob bei den Qualifizierungsmaßnahmen oder bei Hartz IV gekürzt wird. Es gibt also eine Menge Probleme.

In den Sonntagsreden von CDU und FDP heißt es: Die Jungen sind unsere Zukunft. – Doch Ihre ersten Taten waren es, die Mittel für den Landesjugendplan massiv zu kürzen und an den Hochschulen des Landes Studiengebühren einzuführen. Gerade gegen junge Menschen ist Ihre Politik von CDU und FDP gerichtet.

Herr Laschet zieht die Lasche immer enger, und das gegen die Kinder gerichtete Kinderbildungsgesetz hat zu Recht zu Massenprotesten geführt. Höhere Elternbeiträge statt Beitragsfreiheit.

Und seit Frau Sommer da ist, ist der Winter auch in die Schulen eingezogen, und es gefriert auch

dort. Die Menschen geben deshalb schlechteste Noten für die mangelhafte Bildungspolitik. Kopfnote unverträglich, Frau Sommer. Setzen oder besser absetzen, das wäre die richtige Konsequenz.

Die Rede ist immer vom Aufschwung. Doch – das fragen sich die Menschen im Land – was schwingt sich in NRW auf? Die Unternehmen machen Milliardengewinne, doch die Leute im Land merken nichts davon. Die Reallöhne sind gesunken, Personal wird entlassen, Leistungen werden gekürzt. Es wird eine gewerkschaftsfeindliche Politik betrieben. Nur die eigene Klientel profitiert von dem warmen Subventionsregen.

Die Landwirtschaftskammern erhalten zweistellige Millionenbeträge. Der Flughafenausbau wie am Flughafen Münster/Osnabrück, wo ich herkomme, wird neuerdings auch subventioniert. „Privat vor Staat“, so lautet der Hauptslogan. Nur für die eigene Klientel gilt der nicht. Die neoliberalen Hardliner von der FDP treiben Sie von einer Subventionsbaustelle zur nächsten.

Die Zeit der Lügen ist gekommen: Lehrerlüge, Lügen in der Kinder- und Jugendpolitik und die Haushaltskonsolidierungslüge. Gelogen, betrogen, versprochen, gebrochen, das ist die Politik seit 2005.