Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Wir als Sozialdemokraten wollen, dass DB Netz, DB Station & Service sowie DB Energie, also die sogenannten Eisenbahninfrastrukturunternehmen, zu 100 % beim Staat verbleiben. Das ist mehr Staatlichkeit als grundsätzlich zwingend notwendig. Denn nach dem Grundgesetz wäre immerhin eine Privatisierung selbst des Netzes mit Minderheitsbeteiligung der privaten Hand möglich. Ich bin allerdings den Genossinnen und Genossen im Deutschen Bundestag und unserem Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee äußerst dankbar dafür, dass sie diese Radikalprivatisierung gegen den Willen von Teilen der CDU verhindert haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, das jedoch spricht nicht gegen eine Beteiligung Dritter an den Unternehmensteilen der Deutschen Bahn AG, die nicht zum Bereich der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zählen. Hinsichtlich des Bereichs des Transportes hat die Sozialdemokratie nichts gegen eine Beteiligung Dritter. Im Gegenteil: Sie kann hilfreich sein, um die vielfältigen Aufgaben, die vor uns liegen, zu lösen.

Am liebsten wäre uns eine reine Finanzierung über das Volksaktienmodell. Ferner prüft die Große Koalition in Berlin gerade weitere Modelle der Beteiligung von Firmen an den Transportunterneh

men der Deutschen Bahn AG; wohlgemerkt: nicht am Netz.

Eines ist mit der SPD jedoch nicht zu machen: die Privatisierung des lukrativen Teils der Deutschen Bahn AG und die Sozialisierung der verlustreichen Teile der Deutschen Bahn AG.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das, Herr Lorth, würde Ihnen so richtig passen, dass Sie Ihre verquere Privat-vor-Staat-Ideologie auch noch auf dieses Feld ausweiten könnten. Sie sind mit diesem Motto schon bei der Bundestagswahl 2005 gescheitert, und Sie werden auch in Nordrhein-Westfalen Schiffbruch erleiden. Ich glaube, Ihre Marketingleute bei der Union bereuen jetzt die Ausrufung dieses Mottos. Denn es passt nicht zu uns. Es passt nicht zu Nordrhein-Westfalen.

Weiterhin sind wir Sozialdemokraten für den Erhalt des konzerninternen Arbeitsmarktes; auch das ist ein Thema, das Sie hier wieder völlig ausgespart haben. Sie von Schwarz-Gelb interessiert offenbar nicht, was mit den 230.000 Beschäftigten und deren Familien passiert.

Die Deutsche Bahn AG muss fit gemacht werden für den globalen Wettbewerb. Die bisherigen Erfolge auf dem Weg finden die Unterstützung der SPD. Und wer kritisiert, dass Herr Mehdorn darüber nachdenkt, Güterzüge von Ostasien nach Westeuropa durchgehend fahren zu lassen, hat schlicht keine Ahnung von den Verhältnissen auf dem globalen Logistikmarkt.

Für uns Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen steht natürlich die Versorgung der Bevölkerung mit attraktiven Verkehrsdienstleistungen hier im Land im Vordergrund. Unser verkehrspolitisches Oberziel lautet nach wie vor, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.

Die Deutsche Bahn AG ist nur dann ein starkes Unternehmen, wenn es ihr gelingt, die Interessen der Pendler im Regionalbahnverkehr genauso intensiv wahrzunehmen wie den Herausforderungen an ein globales Logistikunternehmen gerecht zu werden.

Wir als Sozialdemokraten haben ein großes Interesse, dass weder das eine noch das andere hinten herunterfällt. Leider hat Minister Wittke zu den unseligen Kürzungen der Regionalisierungsmittel noch einige hinzugefügt, und man muss sagen, dass er die Kürzungen leider immer noch nicht gegenfinanziert, wie es seine Kollegen in anderen Bundesländern offenbar schaffen. Damit kappt Wittke die Lebensader des öffentlichen Personennahverkehrs. Das, Herr Lorth, gefährdet in

Wahrheit die Bahninfrastruktur: Wo kein Regionalverkehr stattfindet, ist das Netz auf Dauer gefährdet.

Wo ist der Kollege Lorth eigentlich?

(Gerhard Lorth [CDU]: Hier hinten! Ich höre Ihnen aufmerksam zu!)

Zum Antrag der Grünen nur so viel: Ein Moratorium, wie in Ihrem Antrag gefordert, macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Es muss möglichst bald entschieden werden. Denn der jetzige Zustand ist alles andere als wünschenswert.

Der Einfluss des Staates auf die DB AG ist äußerst gering, obwohl er der eigentliche Financier des Staatsunternehmens ist. Das muss sich ändern. Wir brauchen mehr Transparenz in den Strukturen. Erstmals überhaupt sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine klare Definition des staatlichen Bereiches, nämlich Netz, Station & Service sowie Energie vor. Endlich wird eine Qualitätskontrolle aufgebaut, und sie soll ausgebaut werden.

Alle Karten liegen also auf dem Tisch. Wir müssen jetzt entscheiden. Noch einmal: Der jetzige Zustand wird nicht dadurch besser, dass wir noch länger warten. Entscheiden wir uns jetzt für eine leistungsfähige Bahn der Zukunft. – Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wißen. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Becker das Wort.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es zunächst einmal wichtig, dass wir diese Debatte erneut führen, und insofern sollten wir uns auch einig darüber sein, dass es in Bezug auf dieses Unternehmen gar nicht oft genug der Fall sein kann, dass sich auch der Landtag Nordrhein-Westfalen – das ist schließlich der Landtag des Landes, das Bahnland Nummer eins in der Bundesrepublik ist – mit dem Zustand der Bahn und mit den Planungen für eine Privatisierung oder für die Fortentwicklung dieses Unternehmens beschäftigt.

Herr Präsident, wenn ich das an dieser Stelle sagen darf: Ich gratuliere ganz besonders dem Kollegen Lorth, der heute an seinem Geburtstag hier die Rede gehalten hat. Er hat einiges vorgetragen, was unserer Auffassung entspricht.

Wir sind in der Tat der Auffassung, liebe Kolleginnen und Kollegen – Sie wissen das –, dass das

Tiefensee-Modell, wenn es denn so gekommen wäre, der Bahn, den Kundinnen und Kunden, insbesondere auch denen in der Fläche, Schaden zugefügt hätte. Denn selbstverständlich wird aus einem System, wenn plötzlich ein Netz, das bis jetzt 70 Millionen € Verlust erwirtschaftet hat, in Zukunft 250 Millionen € Gewinn erwirtschaften soll, Substanz herausgezogen. Das führt dazu, dass Trassenpreise steigen, dass insbesondere in den nicht so vertakteten Gebieten, in den Randbereichen, ein Stilllegungsdruck entsteht und somit den Kundinnen und Kunden Schaden zugefügt wird.

Und selbstverständlich ist ein Vertrag, der vorsieht, dass vom Bund, wollte er das Netz zurückhaben, nach einer Laufzeit von 15 Jahren ein Betrag von 7,5 Milliarden € zurückzuzahlen wäre – hierbei ist noch nicht einmal berücksichtigt, was der Bund vorher jährlich selber für den Substanzerhalt aufgewandt hätte –, wirtschaftlich hoch unvernünftig. Keiner von uns allen würde im Privatbereich jemals einen derartigen Vertrag abschließen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich will, obwohl ich in der Sache das Volksaktienmodell für falsch halte, doch immerhin ein Positives dazu bemerken, und ich will es auch gar nicht ironisch tun. Weil Sie alle wissen, dass es in der Politik manchmal auch um Gesichtswahrung geht, will ich deutlich sagen, dass ich froh bin, dass die SPD das Volksaktienmodell beschlossen hat, weil es offensichtlich der einzige Weg in der SPD war, aus diesen Plänen von Herrn Tiefensee auszuscheren.

Dazu hat sich zum Beispiel der Kollege Scheer, der das in der Sozialdemokratie ganz maßgeblich befördert und betrieben hat, geäußert. Ich habe mir die Debatten auf „Phoenix“ angesehen und habe auch die Interviews mit ihm gehört. In den Interviews hat er ganz unverblümt zugegeben: Mehr war hier nicht drin. Es geht um Gesichtswahrung für den Verkehrsminister. Aber ich bin froh, dass wir dieses Modell beschlossen haben, denn es ist der Ausstieg aus den falschen Plänen von Herrn Tiefensee. – Ich finde, die Ehrlichkeit sollte man dann auch aufbringen: Es ist so, und dann soll man das auch so benennen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Wißen, warum fordern wir ein Moratorium? Ich will Ihnen das gerne noch einmal erläutern. Ein Moratorium kann nicht ewig dauern. Ich glaube aber, wir sollten uns alle zusammen noch einmal mit den Fragen beschäftigen: a) Brauchen wir tatsächlich um jeden Preis die Priva

tisierung? Dazu sage ich gleich noch einmal etwas. b) Was privatisieren wir dann wie?

Im Moment habe ich ein bisschen die Angst, dass die Privatisierungspläne derartig kreuz und quer diskutiert werden, dass am Ende – wie bei so manchem Kompromiss der Großen Koalition – etwas herauskommt, was nicht wirklich zu Ende gedacht ist. Wenn Sie allerdings erneut einen Schritt in die falsche Richtung gehen sollten, dann hätten wir alle zusammen ein Problem.

Es ist schon bezeichnend, dass der Finanzminister, der Kollege Peer Steinbrück, im Moment derjenige ist, der die Vorschläge zur Privatisierung vorantreibt. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass der Finanzminister im Zusammenhang mit der Schiene in den letzten zwei Jahren nicht immer glücklich agiert hat, Stichwort: Regionalisierungsmittel. Er hat also einen anderen Blick auf Prozesse rund um die Bahn und Prozesse rund um die Schiene, als er fachpolitisch, nicht finanzpolitisch, möglicherweise angemessen ist. – Das ist die erste Befürchtung.

Die zweite Befürchtung: Frau Kraft, Sie haben eben, als wir uns nebenbei unterhalten haben, gesagt, es gebt zwei Varianten, die untersucht würden. Bei allem Respekt: Dass die Volksaktie jetzt noch untersucht wird, ist nichts anderes als das Reiten eines toten Pferdes.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

In Wahrheit wird nur noch das Holdingmodell untersucht werden. Da habe ich meine Bedenken in Bezug auf denjenigen, der das vorantreibt, gerade genannt.

Deswegen glaube ich, dass mit den Ländern zusammen ein neues Modell für die Privatisierung entwickelt werden muss, wenn sie denn noch kommen soll. Oder es muss tatsächlich mit den Ländern zusammen überlegt werden, dass sich die Bahn an den Fahrgastinteressen orientiert und anders aufstellt. Da gibt es ja noch andere Modelle, die nicht per se börsengängig sein müssen.

Lassen Sie mich bitte noch Folgendes hinzufügen: Wenn Sie zum Volksaktienmodell Herrn Ehlers zitieren, dann müssen Sie ihn auch korrekt zitieren. Ich hatte das im Kopf und ich habe mir das gerade auch noch von meinem Mitarbeiter bringen lassen. Er schreibt – auf Seite 9 der Unterlage von Herrn Prof. Ehlers nachzulesen –: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sämtliche Nachbesserungen“ – damit meint er auch die Frage der stimmrechtslosen Aktie; Sie nennen es Volksaktie, in Wahrheit also die Vorzugsaktie – „die Interessen der Länder am Ende nicht schüt

zen können. Sie kurieren nur an Symptomen, ohne das Grundproblem zu lösen: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Vom Bund können die Länder kaum Unterstützung erwarten.“

Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist der Hintergrund, vor dem ich zu dem Schluss komme: Wir brauchen ein Moratorium, wir brauchen einen Tisch, wo sich Land und Bund und die entsprechenden Fachminister zusammensetzen. Wir sollten nicht weiter nachbessern und kein eigentlich ungeeignetes Modell vorantreiben. Wir sollten neu anfangen und etwas mit Vernunft und Verstand tun.

(Beifall von Ewald Groth [GRÜNE])

Dazu kann ganz am Ende der langfristige, international über viele Ländergrenzen hinweg und über viele Tausend Kilometer sich ziehende Güterverkehr vieler Unternehmen zählen. Zuerst einmal geht es um die Bedienung in der Fläche in unserem Land für die Kundinnen und Kunden. Das ist die Aufgabe der Bahn. Alles andere muss hinterher kommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die Landesregierung erhält Herr Minister Wittke das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen: Mit dem Bundesparteitagsbeschluss hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die gemeinsame Basis mit der Union auf Bundesebene in Sachen Bahnprivatisierung verlassen.

(Beifall von der CDU)

Ich sage aber genauso deutlich: Ich bin darüber nicht traurig. Der Tiefensee-Entwurf hätte weit reichende Veränderungen erfahren müssen, damit er für uns Länder akzeptabel gewesen wäre. Der Tiefensee-Entwurf war verfassungswidrig. Der Tiefensee-Entwurf hat nicht die Diskriminierungsfreiheit zum Inhalt gehabt. Der Tiefensee-Entwurf wäre zulasten der Länder gegangen. Und der Tiefensee-Entwurf hätte insbesondere die Bahn in der Fläche geschädigt.

Dass es überhaupt zu einer neuen Beschlussfassung kommen kann und dass sich der Bundesparteitag der SPD überhaupt mit dieser Thematik befassen konnte, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Bundesländer den Gesetzentwurf der

Bundesregierung in seltener Einhelligkeit und Einmütigkeit abgelehnt haben.

Nordrhein-Westfalen hat diesen Gesetzentwurf von Anfang an nicht unterstützt. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Fraktionen von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in diesem Haus dafür bedanken, dass sie wiederum die Landesregierung von Anfang an darin unterstützt haben, im Gesetzgebungsprozess die berechtigten Interessen der Länder und insbesondere auch die Interessen des ländlichen Raums wahrzunehmen.