Erstens. Es ist nötig, den Menschen keinen Sand mehr in die Augen zu streuen. Wir haben eine steigende Jugendgewalt. Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen.
Zweitens. Wir müssen an die Wurzeln gehen, dorthin, wo Jugendgewalt entsteht. Es sind die Problemfamilien in diesem Lande, die Erziehungsschwierigkeiten haben oder zum Teil erziehungsunfähig sind.
Drittens. Wir brauchen Mut, Geld und zusätzliche Stellen im Landeshaushalt. Der Profit wird sich in einigen Jahren einstellen, wenn wir weniger Jugendstrafvollzug brauchen.
Viertens. Wir brauchen keinen Personalabbau bei der Justiz. Wir müssen die Kommunen unterstützen – auch finanziell –, damit der Jugendgewalt in Nordrhein-Westfalen tatsächlich wirksam entgegengetreten werden kann. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das das ganze Feuerwerk war, das Sie abbrennen wollten, um uns in die Nähe von Herrn Koch zu bringen und darzustellen, was wir doch für eine schlimme Truppe sind, dann war das wieder ein untauglicher Versuch.
Ich beginne mit meinem Vorredner Herrn Jäger. Herr Jäger, ich hatte gehofft, dass die sozialdemokratische Fraktion heute Redner in die Bütt schickt, die von der Sache etwas verstehen und im Thema stecken.
Ich darf zu dem Beitrag von Herrn Jäger feststellen: Der Intensivtäter ist massiv beeindruckt; die Tatenzahl wird sofort deutlich zurückgehen.
Zu dem, was Herr Jäger weiter deutlich macht, fragen wir mal Herrn Clement, was denn am Sonntag in Hessen passieren soll. Den werden Sie ja auch nicht so schnell in Bausch und Bogen vergessen.
Wir können gerne deutlich machen, dass wir heute auch über aggressives Verhalten bei Straftätern reden wollen, Herr Sichau. Ich will jetzt keine weiteren Namen nennen. Sie sind plakative Vorbilder, wie man so eine Debatte führt; wir freuen uns. Nur: In der Sache haben wir nichts von Ihnen gehört, was uns auch nur ein Stückchen weiterbringt.
Der Versuch, uns heute in die Nähe von Herrn Koch zu bringen, scheitert doch schon daran, dass Sie sich nicht damit auseinandergesetzt haben, was die Fraktionen oder die Landesregierung wollen. Sie haben bestenfalls ein paar Zeitungszitate gebracht. Mehr ist da nicht.
Frau Düker, wenn Sie sich hier plötzlich fürchterlich über das Erziehungscamp aufregen, hätten Sie vielleicht die Wiesbadener Erklärung des CDU-Bundesvorstands vom 5. Januar dieses Jahres lesen sollen. Dort finden Sie eine Legaldefinition, was die CDU unter Erziehungscamp versteht. Damit kommen Sie mit Ihren Intensiveinrichtungen der Jugendhilfe gut zurecht.
Worum geht es denn überhaupt? Sie beklagen, dass wir angeblich nichts tun. – Sie müssen monatelang außer Landes gewesen sein.
Bereits im März 2006 hat die Landesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die mit vier Ministerien versuchen wird, von allen betroffenen Ressorts gemeinsam einen Katalog präventiver Maßnahmen zu entwickeln,
Wir haben am 7. November 2006 ein 20-PunkteProgramm beschlossen, und Sie wissen, wie viele Punkte dieses Programms bereits umgesetzt wurden.
Nein, sie kommt gleich dran und kann dann reden. – Sie alle haben diese Liste auf dem Tisch. Sie alle wissen, was passiert. Wir haben die Maßnahmen umgesetzt. Dieser Katalog ist auch ein anschaulicher Beleg dafür, dass die Landesregierung dem Phänomen der Jugendkriminalität frühzeitig und auf allen Ebenen der primären und sekundären Kinder- und Kriminalprävention begegnen will.
Herr Sichau, wir reden im Augenblick von Fachthemen. Sie haben heute nur über den Bereich des Vollzugs gesprochen, der am Ende steht. Wir wollen nicht mehr vollziehen, sondern möglichst versuchen, das Ganze von vorne zu regeln. Die Gesellschaft muss der wachsenden Jugendkriminalität – da sind wir uns vielleicht einig – vorne begegnen, damit wir hinten, im Vollzug, nichts mehr haben.
Worüber haben wir mit unseren Erziehungscamps die ganze Zeit geredet? Wir sprechen – eine differenzierte Betrachtung, Herr Kollege, würde uns massiv helfen – von einer ganz kleinen Gruppe der Intensivtäter, denen weder Sie noch wir mit den bisherigen Maßnahmen der Jugendhilfe beigekommen sind. Das sind diejenigen, die bereits im zarten Alter von 14 plötzlich bei der Polizei mit 150 bis 200 Eintragungen auftauchen. Wie gehen wir mit denen um?
Was machen wir mit denen – 17 und 20 –, die Sie etwa in der Münchner U-Bahn gesehen haben? Die erreichen Sie mit den gegenwärtigen Modellen Ihrer Jugendhilfepolitik nicht. Für die, für diesen Bereich suchen wir ein neues Modell, das griffig ist – auch dann, wenn es freiheitsentziehender Maßnahmen bedarf. Sie müssen es ja nicht machen; Sie haben es doch nicht geschafft. Wir werden es versuchen. Das ist die Situation, und über diese Gruppe reden wir.
Machen wir ein Stückchen weiter! Um diese Gruppe geht es uns. Wir haben es in den Medien veröffentlicht, sowohl im Fernsehen wie auch über die Zeitungen, wie die Maßnahmen aussehen können. Das ist die Ecke, von der Sie überhaupt nicht reden.
Lassen Sie mich zwei Beispiele bringen. Ein 14jähriger Jugendlicher, eigentlich fast noch ein Kind, der zu Hause gemeldet, aber ständig unterwegs ist. Mal schläft er zu Hause, mal bei Freunden, mal auf der Straße. Er ist hoch aggressiv, inzwischen kriminell und hat schon um die 50 Eintragungen. Er wird gegenwärtig nur deshalb nicht in den Knast geschickt, weil er eine feste Adresse hat. Erreichen werden wir ihn mit den gegenwärtigen Mitteln nicht mehr, weil ihn niemand will. Für ihn brauchen wir eine Maßnahme.
Da sind 15-, 16- und 17-Jährigen mit einem ebenso langen Register, die hoch aggressiv sind, die in der gegenwärtigen Einrichtung aber niemand will. Ich habe einen Beispielsfall, da ist 46 Mal versucht worden, jemanden in einer Einrichtung unterzubringen, aber er ist wegen seiner Aggressivität nirgendwo genommen worden. Für diese Kinder und Jugendlichen brauchen wir Einrichtungen, die wir gegenwärtig nicht haben. 46 Mal gefragt und nicht angenommen, und dann sagen Sie: Die gibt es schon. – Prima, werden Sie doch endlich wach!
Sie fragen nach der Situation, wie es denn mit der konsequenten Anwendung des Erwachsenenstrafrechts aussieht. Mehr als 40 % der nach Jugendstrafrecht Verurteilten sitzen in Jugendstrafanstalten ein, obwohl sie älter als 21 Jahre sind. Fast 80 % der Einsitzenden in Jugendstrafanstalten sind älter als 18. Alles, weil sie plötzlich Betreuung brauchen? – Nein. Weil im Augenblick zwei Drittel aller Jugendlichen und Heranwachsenden nach dem Jugendstrafrecht in NordrheinWestfalen verurteilt werden, weil es hier gar keine Möglichkeit der Differenzierung gibt.
Es zeigt sich ganz deutlich, dass unsere Gerichte auch dann Milde walten lassen, wenn es um Straftaten geht, die hoch krimineller Art sind. Auch Heranwachsende werden in den letzten Jahren mit mehr als 80 % nach dem Jugendstrafrecht
verurteilt, wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung geht. Bei 96 % der Straftäter in Sachen Vergewaltigung, bei 93 % der Straftäter in Sachen Totschlag, bei 85 % der Straftäter in Sachen Mord und bei 97 % der Straftäter, die wegen Raubes, Erpressung oder räuberischer Angriffe verurteilt werden, wird, solange sie nicht 21 Jahre alt sind, das Jugendstrafrecht angewandt, und das bei all den Tätertypen, die Sie täglich erleben.
Das wollen wir ändern und nur noch dann Jugendstrafrecht anwenden, wo Erziehungsdefizite sind. Das betrifft nicht 90 oder 100 % der Täter. Das ist der Weg, den wir konsequent gehen werden.
Wir wollen die Sicherheit, die Sie propagieren. Sie können mitmachen, oder lassen Sie es sein. Wir werden es umsetzen.