Er hat eine sehr durchsichtige politische Wahlkampagne losgetreten. Herr Koch suggeriert, der Migrationshintergrund sei schuld und eine Abschiebung sei die einfachste Lösung. An diesem
Punkt, Herr Integrationsminister Laschet, vermisse ich Ihre glasklare Distanzierung von den rechtspopulistischen und spalterischen Forderungen des Brandstifters Koch.
Dabei ist die hohe Zahl von Gewalttaten junger Menschen in erster Linie Ergebnis von gesellschaftlicher Ausgrenzung und sozialer Spaltung. Sie hat nichts mit der Herkunft der Jugendlichen zu tun. Das deutsche Jugendstrafrecht setzt daher zu Recht auf Erziehung statt auf harte Strafen. Das Ziel von Sanktionen ist eine Verhaltensänderung beim Jugendlichen und nicht die Höchststrafe. Das ist auch gut so!
Deshalb ist es erforderlich, alle außerhalb des Strafrechts vorhandenen Mittel auszubauen, die präventiv und reaktiv der Jugendgewalt entgegenwirken. Dazu zählt auch die Aufstockung personeller Ressourcen in der Jugendarbeit, bei den Jugendstaatsanwaltschaften und Jugendgerichten. Warnschussarreste, Höchststrafen, Sicherungsverwahrung sind Maßnahmen, welche die Jugendlichen bereits aufgegeben haben, keinerlei Erziehungsgedanken mehr beinhalten und die Resozialisation von auffälligen Jugendlichen nachhaltig gefährden.
Auch die von der Landesregierung angestrebten Erziehungscamps – ob sie nun von einem geografischen Analphabeten wie Herrn Laschet in Bedburg-Hau oder Neukirchen-Vluyn geplant werden – sind ein Etikettenschwindel, abgesehen davon, dass völlig unklar ist, in welchem Haushaltstitel die von Minister Laschet letzten Donnerstag angekündigten zehn neuen Erziehungseinrichtungen bzw. Erziehungscamps eingeplant sind.
Ein letzter Satz noch: Wichtig sind aus meiner Sicht vor allem verstärkte Prävention, Aufklärung sowie Jugendbildung und besonders die Chance, gleichberechtigt an der Gesellschaft teilzuhaben und einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Die Linke setzt beim Thema Jugendkriminalität deshalb auf den Ausbau statt auf den Abbau von Jugendhilfeangeboten sowie auf eine andere Sozial, Bildungs- und Integrationspolitik. Deshalb unterstütze ich auch die Anträge, die von Grünen und SPD gestellt worden sind. – Danke schön.
(Frank Sichau [SPD]: Aus „Bedburg-Vluyn“! – Minister Armin Laschet dreht auf dem Weg zum Rednerpult um, um sich weitere Unterla- gen von seinem Platz zu holen. – Zuruf von der SPD: Jetzt holt er sich erst einmal eine Autobahnkarte! – Weitere Zurufe)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Experte der Polizei hat vor wenigen Tagen in der „Aachener Zeitung“ ein Interview gegeben, in dem er sagt:
Wenn ich einen jugendlichen Straftäter habe, der bereits mit 17 oder 18 dreißig, vierzig Straftaten begangen hat, haben alle Systeme versagt. Dann hätte ich mir gewünscht, die Systeme hätten vorher gegriffen: nach der Geburt, im Kindergarten, im Elternhaus, in der Schule, bei der Jugendarbeit und nicht erst bei uns als letztem Glied in der Kette.
Das ist in der Tat das Richtige und Wichtige, das diese Landesregierung, seit sie ihr Amt angetreten hat, in den Mittelpunkt gestellt hat: Prävention, frühes Helfen – Sie haben das KiBiz in einer anderen Diktion erwähnt –, Sprachförderung verpflichtend ab vier Jahren, Kindern Bildungschancen geben, Eltern, die man bisher nicht erreicht hat, durch Familienzentren erreichen. Das alles ist präventive Arbeit dieser Landesregierung.
Herr Sichau, wie Sie genau wissen, auch wenn Sie immer wieder anderes dazwischen rufen: mit mehr Geld auch schon im Haushalt 2008! 2009 sind es über 1 Milliarde €.
um zu verhindern, dass man am Ende da landet, wo man nicht landen soll. Das ist keine ethnische Frage. Wer für sich perspektivlos ist, wird leichter kriminell als jemand, der nicht perspektivlos ist.
Insofern ist es keine Frage der Staatsangehörigkeit und keine ethnische Frage, sondern ein Problem, das Menschen ohne Bildungschancen leichter trifft. Das ist der eine Teil.
Der andere Teil aber ist: Wie gehen wir denn mit denjenigen um, die trotz allem Straftäter werden, die Gewalt ausüben? Ich hatte in der Debatte den Eindruck, als wenn Sie diesen Teil – so wie Sie es bis 2005 als Regierungspolitik gemacht haben – unterschätzen.
Sie glauben, es sei alles mit den klassischen Instrumenten der Jugend- und Kinderhilfe erreichbar. Das ist eben nicht der Fall. Wir brauchen neue Ideen. Eine solche neue Idee – der Kollege Engel hat das vorgetragen – haben Sie noch 2003 weggewischt und gesagt: Das brauchen wir nicht. Nach meinem Amtsantritt war der Träger bei mir und hat gefragt: Wo in Nordrhein-Westfalen können wir mit dem Modell „Menschen statt Mauern“ starten, etwas völlig anderes machen als bisher üblich?
lieber Herr Sichau, wir haben stationäre Unterbringung, wir haben vielfältige Formen für die einzelnen Delikte,
Danke, Herr Minister. Sie haben gerade bemerkenswerterweise – das finde ich richtig – darauf hingewiesen, dass die Ursachen von Jugendkriminalität sehr wohl etwas mit sozialem Hintergrund, mit sozialen Defiziten zu tun haben und weniger ethnisch begründet sind. Fällt auch diese Feststellung unter den von Frau Müller-Piepenkötter und von Herrn Wüst erhobenen Vorwurf der Multikulti-Ideologie?
Nein, mit MultikultiIdeologie ist gemeint, dass man diese Themen nicht benennt, dass man so tut, als wenn das Leben ein immerwährendes Straßenfest ist, wo man sich nett begegnet und die kritischen Punkte nicht anspricht. Das ist Multikulti-Ideologie. Das ist etwas anderes.
Ich darf aus einer Studie zitieren, die Frostenwalde analysiert hat, die von der früheren Bundesjugendministerin Renate Schmidt in Auftrag gegeben wurde; das ist zehn Jahre her. Sie sagt über Frostenwalde – das ist genau das Modell, das wir jetzt einrichten wollen –:
„Frostenwalde ist eine offene Einrichtung, die durch ihre räumliche Abgelegenheit und die Dichte der internen Kommunikation“