Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 86. Sitzung des Landtags von NordrheinWestfalen und heiße Sie herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 10. März 2008 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zum oben genannten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und gebe Herrn Solf von der CDU-Fraktion das Wort. – Bitte schön, Herr Solf.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gallup-Studie, um die es in dieser Aktuellen Stunde geht, enthält gute und schlechte Nachrichten, je nachdem, in welcher Weise man den Umgang mit den Menschen muslimischen Glaubens in unserem Lande pflegt. Schlechte Nachrichten enthält sie für diejenigen, die sich verbittert in der Schmollecke eingerichtet haben. Spätestens jetzt können sie ihr Vorurteil, der Dialog mit dem Islam habe keinen Sinn, für wohlgemeinte Integrationsbemühungen gebe es keine weltanschauliche Basis, nicht mehr aufrechterhalten. Die Gallup-Studie belegt das ganz klar: Die große Mehrzahl der Muslime auf dieser Welt steht den Leistungen und Werten des Westens mit Achtung, manchmal sogar mit Bewunderung gegenüber. Konstitutive Elemente der westlichen Welt wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und das System der parlamentarischen Demokratie werden geschätzt. Der Prozentsatz der engstirnigen Fanatiker ist viel kleiner
als die Wirkung, die diese Gruppe in den Medien erzielt. Es gibt also sehr wohl eine Basis für den Dialog.
Für die meisten von uns ist das natürlich keine schlechte, sondern eine sehr gute Nachricht, denn diesen Dialog haben wir immer gewollt und gefördert. Manchmal allerdings, ja sogar oft genug haben wir gezweifelt, haben bedauert, wie steinig dieser Acker im Alltagsgeschäft sein konnte. Wir können aus der Gallup-Studie Mut schöpfen. Es lohnt sich wirklich, auf diesem Felde weiterzuarbeiten, denn der Boden ist im Großen und Ganzen fruchtbar. Wir haben eine große Chance, dass unsere Mühen nicht umsonst sind. Dies ist das wesentliche Ergebnis, das wir aus der GallupStudie ziehen sollten.
In Nordrhein-Westfalen sind wir wahrlich nicht schlecht aufgestellt, auch wenn die Themen Integration und Dialog mit dem Islam anderswo hin und wieder in die Schlammlöcher der parteipolitischen Auseinandersetzungen geraten. Hier in NRW sind wir doch im Großen und Ganzen gemeinsam unterwegs.
Unsere interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft „Islamdialog“ ist schlicht vorbildhaft. Ich danke Britta Altenkamp, Christian Lindner, Monika Düker bzw. Andrea Asch ausdrücklich dafür. Die Integrationsoffensive 2001 – ich sage jetzt nicht, wer sie im Parlament initiiert hat – wurde einstimmig beschlossen. Ich bin guter Dinge, dass wir diese Einmütigkeit auch bei ihrer Fortentwicklung beibehalten werden. Davon können sich andere Bundesländer ruhig eine Scheibe oder auch zwei Scheiben abschneiden.
Aber wir sind keine Träumer. Zu oft haben wir uns die Füße an den Steinen auf dem Acker gestoßen. Wir verschließen nicht die Augen vor den Problemen. Wir stellen uns unserer Verantwortung, arbeiten die Schwierigkeiten heraus, sind realistisch und ehrgeizig zugleich. Diejenigen, die stören, erkennen wir. Wer unsere mit Augenmaß betriebene Integrationspolitik mit Assimilierung gleichsetzt, dem sagen wir klar, dass er nicht recht hat, auch wenn er ein Staatsmann von Rang ist.
Ihn messen wir an seinem Umgang mit den Minderheiten im eigenen Land, weisen ihn in seine Grenzen und sagen ihm, dass er mit seinem Verhalten jedem ehrlichen Dialog einen Bärendienst erweist. Wir wollen einen Dialog und keinen „Dialüg“.
Wir erkennen auch klar, dass ein fruchtbarer Umgang mit dem Islam in unserem Land und eine erfolgreiche Integration der Musliminnen und Muslime nur über Bildung und Sprache gelingen könen. Das hat mittlerweile fast jeder verstanden, auch wenn es manchmal lange gedauert hat. Und wir wiederholen es immer wieder.
Aber wir schaffen auch die Voraussetzungen. Und wir fordern auch: Wir fordern, dass unsere muslimischen Mitbürger die Hürden beiseite räumen, die der Emanzipation der Mädchen und jungen Frauen im Wege stehen. Ohne Emanzipation keine Integration! Ohne diesen Schritt kann es ein spannungsfreies Miteinander nicht geben.
Ich bin durchaus auf der Seite von Bassam Tibi, der einen reformierten Islam einfordert. Er soll im Einklang mit den Menschenrechten des Individuums stehen und sich als Teil einer offenen Gesellschaft empfinden, deren Reichtum sich aus der Vielfalt der möglichen Lebensentwürfe speist.
Intoleranz können und wollen wir nicht tolerieren. Der Gallup-Studie können wir entnehmen, dass die Mehrheit der Muslime auf der Erde eine solche Position nicht als Zumutung, sondern als etwas Anzustrebendes empfindet. Das macht Mut.
Aber natürlich kann ein gedeihliches Zusammenleben nur gelingen, wenn wir den Zuwanderern das Gefühl vermitteln, dass wir sie ernst nehmen, und wenn wir ihnen zeigen, dass sie in unserer Gesellschaft gewollt sind. Nur auf dieser Basis werden sie unsere Werte und Traditionen akzeptieren können, ohne dabei ihren eigenen Wurzeln aufzugeben.
Einigendes Band ist das klare Bekenntnis zu unserer Verfassung und zu unserer Werteordnung. Eine so verstandene Vielfalt in der Einheit ist für unsere Gesellschaft eine Bereicherung.
Es bedarf natürlich noch zahlreicher einzelner Schritte, um auf diesem Weg voranzukommen. Dabei müssen wir auch mutig sein und das Neue wagen.
So rege ich an, die Bemühungen zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts zu forcieren. Warum versuchen wir als Übergangslösung nicht – natürlich kenne ich die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten –, zu einer Zusammenarbeit mit den in der Religionsausübung bedeutsamen Gruppierungen oder Verbänden zu kommen, auch wenn diese nicht oder noch nicht juristisch als Religionsgemeinschaften anerkannt worden sind?
Ich meine, wir müssen hier pragmatischer werden, aber nur – hier werde ich wieder unbequem – wenn unsere Partner ohne Wenn und Aber auf dem Bo
So will ich auch den christlich-muslimischen Dialog zu einem jüdisch-christlich-muslimischen Dialog erweitern. Ein unter dieser Zielsetzung stehender Schulunterricht und so konzipierte Schülerbegegnungen werden bei den jungen Menschen antisemitischen ebenso wie antiislamischen und antichristlichen Vorurteilen vorbeugen. Ich will auch, dass wir endlich eine akademische Ausbildung von Imamen an einer deutschen Hochschule haben.
Ich will eine Kultur der gemeinsamen Identität. Ich wünsche mir, dass am Ende möglichst viele der hier lebenden Frauen und Männer muslimischen Glaubens von sich sagen:
„Hier ist meine Heimat. Diesem Land bin ich treu. Nach seinen Gesetzen will ich leben. Ich bin ein deutscher Muslim.“
Dieses Zitat ist nicht von mir; es ist von unserem Bundespräsidenten. Ich danke ihm dafür, und ich danke Ihnen für das Zuhören.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen auf den Tribünen! Sehr geehrte Besucher! Die CDU-Fraktion hat für heute Morgen eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Interkulturellen Dialog weiterentwickeln – Ergebnisse der Gallup-Studie sorgfältig analysieren“ beantragt.
Das Thema ist wichtig. Ich denke aber, mit einer Aktuellen Stunde greifen wir aufgrund ihres Rahmens zu kurz. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir hier und heute erst einen Aufschlag machen und uns demnächst intensiver mit dieser Studie und ihren Ergebnissen befassen werden.
Herr Solf hat schon darauf hingewiesen, trotzdem: Ich denke, die Ergebnisse sind überraschend, und man kann sie eigentlich nicht oft genug wiederholen. Eines der Ergebnisse war: 93 % der befragten Moslems sind einem moderaten politischen
Spektrum zuzuordnen. Nur 7 % werden als radikal bezeichnet, wobei radikal nicht mit gewaltbereit gleichzusetzen ist. Die allermeisten Moslems wünschen sich einen besseren Arbeitsplatz und Sicherheit und wollen keine Konflikte oder Gewalt.
Am Westen werden die vorhandene Technologie, Freiheit und Demokratie geschätzt. Erstaunlich sind sicherlich auch die Daten zu den Frauenrechten. 85 % aller Befragten im Iran, 90 % der Befragten in Indonesien und 61 % der Befragten in Saudi Arabien treten für die gleichen Rechte für Männer und Frauen ein. Ich grenze das sofort ein: zumindest theoretisch.
Für Muslime ist ihre Religion ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. In Berlin hat es bei der Umfrage folgende Ergebnisse gegeben: Die Religion ist ein wichtiger Bestandteil für 41 % der Gesamtbevölkerung Berlins, aber für 85 % der befragten Muslime. Dies steht keineswegs im Gegensatz zu ihrer Loyalität gegenüber Deutschland. Drei Viertel der in Berlin lebenden Moslems bezeichnen sich als loyal. Trotz dieser gegenteiligen Befragungsergebnisse gibt es bei vielen Deutschen immer noch eine kaum zu durchbrechende Gedankenkette. Und diese Gedankenkette bedeutet: Moslem, Islam, Ehrenmord, Zwangsehen, Gewalttaten, Terror.
Ich greife auf die Studie der Muslime in Deutschland zurück, um einige Daten daraus zu nennen. Eine starke Ablehnung von Muslimen seitens der deutschen Bevölkerung – 14 % bis 20 % – ist danach nicht selten. Knapp ein Viertel der Befragten, ist der Ansicht, dass Muslimen der Zuzug nach Deutschland grundsätzlich untersagt werden soll. Ein Drittel formuliert, dass sie sich wegen der Muslime wie Fremde im eigenen Land fühlen.
Die Aussage, dass die moslemische Kultur in die westliche Welt passt, wird von knapp 75 % der Deutschen abgelehnt. Eine Binnendifferenzierung der Muslime ist für 80 % der Befragten offenbar eine Überforderung. Sie nehmen Muslime eher als eine gleichartige amorphe Masse wahr. Zudem existiert eine Tendenz der Deutschen – das ist ganz wichtig im Gegensatz zu den Ergebnissen der Gallup-Studie –, den Muslimen eine verstärkte Segregationsneigung – ca. 80 % – und eine Sympathie für Terroristen – ca. 60 % – zu unterstellen. So stimmten 64,4 % der Aussage zu, dass islamistische Terroristen von vielen Muslimen als Helden verehrt werden. Die Ergebnisse der Gallup-Studie sprechen eindeutig dagegen.
Muslime erleben hier in Deutschland auch, dass ihr Glaube und ihre Religiosität nicht respektiert werden. Sie haben Angst, ihre kulturelle und reli
giöse Identität zu verlieren und haben den Wunsch, mehr an Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden. Hinzu kommt, dass sich in Deutschland lebende Muslime diskriminiert fühlen, hauptsächlich in den Bereichen Schule, Universität, Arbeitsplatz und Wohnungssuche. Ich behaupte auch, sie fühlen sich nicht nur diskriminiert, sie werden auch zum Teil diskriminiert.
Das muss nicht immer bewusst sein, es muss auch nicht immer böse gemeint sein. Ich denke aber, es passiert. Ich möchte jetzt ein kleines Beispiel geben. Beim letzten internationalen Frauenfrühstück habe ich mich mit einer deutschen Muslimin türkischer Herkunft unterhalten. Sie ist selbstständig und Arbeitgeberin, komplett integriert in Deutschland, hat ihr Kind auf einem Gymnasium angemeldet und wurde dort von dem Lehrer angesprochen, er fände es aber toll, wie gut ihre Tochter deutsch spreche.
Diese Dame erzählte, sie wäre fassungslos gewesen. Sie sei in Deutschland geboren, ihre Tochter sei in Deutschland geboren, ihre Tochter sei in den Kindergarten gegangen, habe die Grundschule besucht. Das heiße, sie seien Deutsche durch und durch. Dann stellt sich für mich die Frage: Was müssen Migrantinnen und Migranten, egal welcher Glaubensrichtung, noch tun, um als Deutsche akzeptiert zu werden? Was müssen sie noch mehr tun?