Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

„Die mehr als drei Millionen Muslime in Deutschland sind keine fünfte Kolonne eines weltweit agierenden Dschihadismus. Sie haben mehr Ähnlichkeiten mit der Mehrheitsgesellschaft, als dieser möglicherweise lieb sein mag.“

Das muss unsere Grundhaltung sein, wie wir in einen einvernehmlichen offenen Dialog mit den Muslimen in Nordrhein-Westfalen eintreten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Asch. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laschet.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es hervorragend, dass wir uns heute Morgen im Landtag Nordrhein-Westfalen, im Zentrum der Landespolitik, die Zeit nehmen, über das Thema Islam zu sprechen, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Deutsche Islamkonferenz in Berlin parallel tagt.

Frau Asch, ich glaube, Sie wissen genau, wie der Weg zu einer solchen Debatte mit diesem Gewicht an einem solchen Morgen funktioniert. Insofern ist es gerade das Signal, dass eine Fraktion die Aktuelle Stunde beantragt hat und es eben nicht die Koalitionsfraktionen waren.

(Andrea Asch [GRÜNE] lächelt.)

So ist es beabsichtigt. Sie brauchen nicht zu lächeln. Es gibt manche Themen, über die man auch nicht lächeln sollte. Das ist gerade das Signal: Hier steht nicht Regierung gegen Opposition, sondern das wollen wir alle gemeinsam halten.

(Beifall von CDU und FDP)

Mir ist der Konsens wichtig, gerade bei diesem Thema, und deshalb ist das der richtige Weg, zu einer Aktuellen Stunde zu kommen.

Zweitens. Sie sagen, die Gallup-Studie sei etwas an den Haaren herbeigezogen. Sie wissen, wie Aktuelle Stunden entstehen. Es ist eine wichtige Studie. Und um es heute hier möglich zu machen, über das Thema zu sprechen, hat die Fraktion den richtigen Weg gewählt.

Drittens. Sie haben beklagt, dass sich der Bund in der Deutschen Islamkonferenz quasi in der Föderalismusrelation in ein Thema hineinbegebe, das keiner Bundeszuständigkeit unterliege. Ja, das ist wahr. Natürlich liegt die Kulturhoheit letztlich bei den Ländern. Aber dass mit Wolfgang Schäuble ein deutscher Innenminister gesagt hat, der Islam sei Teil der deutschen Gesellschaft, und dass er mit einem Prozess beginnt, der zu einer Klärung des Verhältnisses zwischen Religion und Staat führen soll, ist etwas sehr Verdienstvolles und Wichtiges, das die Arbeit in den Ländern erleichtert. Insofern begrüße ich es nachdrücklich, dass es diese Deutsche Islamkonferenz gibt.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielleicht ist es kein Gegensatz. Vielleicht habe ich Sie falsch verstanden.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Das passiert ja oft, Herr Minister!)

Es klang etwas …

(Britta Altenkamp [SPD]: Herr Laschet, las- sen Sie es einfach!)

Ich lasse es. Okay.

Meine Damen und Herren, ich möchte ein paar Sätze zu der Gallup-Studie sagen. Diese ist nach dem 11. September gemacht worden. Die Studie begann 2001 und lief bis 2007. Sie hat 50.000 Muslimas und Muslime in vorwiegend islamisch geprägten Ländern interviewt. Sie ist genau der Frage nachgegangen, ob es eigentlich den Islam gibt. Kann man von dem Islam sprechen, so wie man bei dem hierarchisch organisierten Katholizismus beispielsweise von der katholischen Kirche sprechen kann? – Aber selbst bei der können Sie nicht von einer Kirche sprechen, obwohl es nur ein Lehramt gibt. Die katholische Kirche ist in Lateinamerika anders ausgeprägt als bei uns. Sie ist in Asien anders als in Afrika. Beim Islam tun wir aber so, als sei das alles einheitlich, obwohl es noch weniger einheitlich ist. Ich glaube, das verdeutlicht die Studie sehr gut.

Bei der Befragung muss man manchen Dingen noch einmal nachgehen. Kann man wirklich repräsentative freie Umfragen in Ländern wie dem Iran oder anderen machen? Das wird eine genauere Analyse erforderlich machen. Für uns ist allerdings die Wertung interessant, dass nicht jeder Muslim prinzipiell wesentliche Werte wie Demokratie, Frauenrechte oder vieles, über das bei uns die Debatte geführt wird, ablehnt. Deshalb müssen wir das auf Nordrhein-Westfalen übersetzen.

Das Erste ist – ich glaube, das ist deutlich geworden –: Es gibt auch Muslime, die bestimmte Werte ablehnen. Und radikal ausgerichtete Muslime, Extremisten, Hassprediger und Ähnliche haben keinen Platz in dieser Gesellschaft und müssen auch klar erfahren, dass wir als Staat Grenzen aufziehen. Das ist das eine, was wir machen müssen.

(Beifall von CDU und FDP)

Dies gilt aber nicht für die überwiegende Mehrheit, und um die geht es. Das sind die Menschen, die bei uns leben und arbeiten und übrigens nicht erst seit 2006 Teil dieser Gesellschaft sind. Sie sind spätestens seit 1961 Teil dieser Gesellschaft, als die ersten türkischstämmigen Gastarbeiter auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs eintrafen. Seitdem ist der Islam Teil unserer Gesellschaft, und es ist gut, dass wir langsam dazu kommen, das Verhältnis zwischen Staat und Religion zu organisieren.

Das ist nicht einfach. Das war übrigens auch bei den Christen nicht einfach. Wir haben Jahrhunderte gebraucht, ehe der Augsburger Religionsfrieden zwischen den Konfessionen Katholizismus und Protestantismus geschlossen wurde,

(Britta Altenkamp [SPD]: Dreißigjähriger Krieg!)

wobei man den Dreißigjährigen Krieg führen musste, um zu ein paar Grundprinzipien des Zusammenlebens zu kommen. Und im Alltag war es bis in die Nachkriegszeit hinein für den vertriebenen Evangelischen nicht einfach, in ein katholisches Dorf integriert zu werden, wo „Mischehen“ bis vor wenigen Jahren noch kritisch betrachtet wurden. Dort gab es die gleichen Muster, die wir heute erleben.

Vielleicht haben Sie „Clash of Civilizations“ von Huntington gelesen. Dort beschreibt er diesen Kampf der Kulturen nicht anhand der Muslime, sondern anhand einer Linie quer durch den Balkan zwischen Orthodoxie und westlich-römisch geprägtem Christentum. Der Krieg auf dem Balkan in den 90er-Jahren war ein Krieg, der die

Vorstellung vermittelte, dass die serbisch geprägte Orthodoxie gegen die westlichen Werte kämpfte, und die Muslime waren die Opfer in Bosnien und Kroatien.

Also, dieser Konflikt ist uns in Europa seit Langem vertraut, und deshalb ist es richtig, dass der Dialog der Religionen ernsthafter wird. Die Rede des Papstes in Regensburg hat dazu geführt, dass 138 islamische Gelehrte einen sehr konstruktiven Brief verfasst haben. Ich erachte es auch für die Praxis bei uns vor Ort wichtig, dass nun ein regelmäßiger katholisch-muslimischer Dialog – zum ersten Mal im November dieses Jahres in Rom – stattfindet. Dort sollen genau die Gemeinsamkeiten auch auf der Ebene der Kirchen, der Religionen herausgearbeitet werden, die wir als Staat im Verhältnis zu den Religionen längst geklärt haben.

Frau Asch hat von der fünften Kolonne eines anderen Staates gesprochen. Auch das kennen wir aus unseren Erfahrungen. In der Bismarck-Zeit gab es die Behauptung, dass die Katholiken quasi aus Rom gesteuert würden, dass sie Ultramontane und eigentlich keine guten Deutschen seien. Der Konflikt des Rheinlands mit dem preußisch dominierten Berlin entstand genau aus dieser Vorstellung heraus. All das ist noch gar nicht so lange her. Und wir haben uns mühsam erarbeitet, dass es eben keine Rolle mehr spielt, welcher Religion Menschen angehören.

Hier haben einige erwähnt – auch das halte ich für wichtig –, dass Muslime und Juden in den Dialog eintreten müssten. Viele Muslime – bei arabischen Muslimen ist dies natürlich meistens durch den Nahost-Konflikt politisch begründet – haben ein kritisches Verhältnis zum Judentum; dies reicht bis hin zu antisemitischen Tendenzen. Dass sich nicht nur Christen an diesem Dialog beteiligen, sondern dass auch Juden und Muslime gemeinsam versuchen, Spannungen untereinander abzubauen, dient ebenfalls einem besseren Verhältnis zwischen den Religionen in der deutschen Gesellschaft, die aus vielen Kulturen besteht.

Die Landesregierung bietet den Muslimen, die die Werte des Grundgesetzes und unserer Landesverfassung anerkennen, eine verlässliche Kooperation und einen breiten Dialog an. Der Koalitionsvertrag enthält das Ziel des islamischen Religionsunterrichtes. Er ist in deutscher Sprache unter deutscher Schulaufsicht und von in Deutschland ausgebildeten Lehrern eben besser aufgehoben als in irgendwelchen Koranschulen, hinsichtlich derer niemand weiß, was dort den Kindern beigebracht wird. Deshalb arbeiten wir sehr intensiv an dieser Frage. Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland, der sich jetzt zusammenge

schlossen hat, ist dabei, zu einem Landesverband zusammenzukommen; Nordrhein-Westfalen könnte der erste Ort sein, in dem das gelingt.

Ich wünsche mir, dass so, wie die Aleviten es geschafft haben, zu einer Religionsgemeinschaft zu werden, auch die vier islamischen Verbände zu einem Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen kommen. Da ist die heutige Islamkonferenz sicher noch einmal ein sehr wichtiger Schub.

Wir Länder haben zur zweiten Sitzung der für Integration zuständigen Minister am 10. April 2008 eingeladen. Wolfgang Schäuble wird selbst an dieser Konferenz teilnehmen und dann auch vortragen, was wir als Länder nach der heutigen Deutschen Islamkonferenz gemeinsam weiter tun können.

Dazu gehört natürlich auch, dass Religion, wenn sie denn gelebt wird, sich auch widerspiegeln muss. Nun kann es einen Katholiken nicht mit Freude erfüllen, wenn das Bistum Essen Hunderte Kirchen verkaufen muss, aber Moscheen gebaut werden. Das ist allerdings nicht die Schuld der Muslime, die gläubig sind und für sich Gotteshäuser bauen, sondern löst auch eine Anfrage an uns selbst aus. Wenn wir unseren Glauben nicht mehr leben und die Menschen nicht mehr in die Kirchen gehen, kommt es natürlich zu Kirchenschließungen. Wir dürfen das nicht den Muslimen, die ihren Glauben ernst nehmen, in die Schuhe schieben und daraus erneut einen Kulturkonflikt machen.

(Beifall von der SPD)

Wenn die DITIB in Köln sagt: „Wir wollen eine Moschee bauen; sie soll repräsentativ sein; sie soll auch architektonisch anspruchsvoll sein“, kann man das deshalb begrüßen. Man kann viele örtliche Probleme mit Parkplätzen oder Ähnlichem verstehen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Das kann man nicht verstehen! Das ist alles vorgeschoben!)

An dem Grundprinzip, dass die Angehörigen dieser Religion auch Gotteshäuser bauen dürfen, sollten wir aber nicht rütteln. Wir sollten hier auch den Konsens in diesem Hause erhalten.

(Beifall von CDU, SPD und GRÜNEN)

Lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Das, was nach mühevollen Jahrhunderten erst in der Weimarer Republik gelungen ist, nämlich zu einem geordneten Staat-Kirchen-Verhältnis zwischen den christlichen Kirchen und dem Staat zu kommen, steht jetzt mit dem Islam an. Das langfristige Ziel muss eine Art Staatsvertrag sein,

in dem viele Fragen – Imamausbildung, Anstaltsseelsorge für Muslime, muslimische Bestattungen und alle diese Dinge – so geregelt werden, wie wir sie auch für die jüdische Kultusgemeinde und die christlichen Kirchen geregelt haben.

Eine so wichtige Frage lässt sich nur im großen Konsens der demokratischen Parteien regeln. Deshalb richte ich auch meinen Appell und gleichzeitig meinen Dank an alle Fraktionen dieses Landtags. Lassen Sie uns bei all dem Streit, den wir haben, diesen Konsens erhalten; denn nur durch diesen Konsens ist es möglich, zu einer geschlossenen Haltung gegenüber den islamischen Verbänden zu kommen, damit wir am Ende wirklich ein Staat-Kirchen-Verhältnis haben, das trägt – selbst wenn neue Mehrheiten entstehen und Regierungen wechseln!

Diese Frage ist so bedeutsam, dass sie für uns alle als Gesamtheit des Staates wichtig ist und nicht parteipolitisch differenziert werden kann. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU, SPD und FDP)

Herzlichen Dank, Herr Minister Laschet. – Für die SPD spricht nun Frau Altenkamp.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Muslime denken, ist Gegenstand der Gallup-Studie. Ziel war, die Einstellungen der Muslime in der Welt gegenüber den westlichen, aber vor allen Dingen den amerikanischen Werten herauszufinden.

Das Ergebnis kann wirklich niemanden überraschen, der sich mit Integrationspolitik beschäftigt. Dennoch ist für die weniger fachlich orientierten Kreise einiges tatsächlich eine Neuigkeit.

Es wurden 50.000 Muslime in 35 Ländern in Direktinterviews befragt – in islamischen Ländern, aber auch in den USA, England, Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich. Allein in Deutschland sind 1.500 Menschen in Direktinterviews befragt worden. Deshalb kann man sehr wohl von einer repräsentativen Studie sprechen.

Herr Lindner und Frau Asch, wenn Sie dann über die Werthaltigkeit dieser Studie diskutieren, muss ich sagen: 1.500 Menschen sind repräsentativ in Direktinterviews befragt worden. An der einen oder anderen Stelle haben sie im Prinzip vielleicht das gesagt, was sie glaubten, dass es der Gegenüber von ihnen erwartet. Das ist aber grundsätzlich bei jeder Meinungsumfrage so. Wenn wir das generell infrage stellen, sollten wir uns als po