Protokoll der Sitzung vom 13.03.2008

Dann ist sie immer nichtig – automatisch. – Das ist ein Punkt.

Wenn Sie darauf rechtlich weiter aufbauen, könnte ich Ihnen an jeder Stelle dogmatisch aufzeigen, wie Sie fachlich daneben liegen.

Herr Kollege Rudolph sprach von einer historischen Niederlage. – Nein. Historisch ist richtig. Historisch ist, dass das Bundesverfassungsgericht erstmalig die Gelegenheit hatte und diese auch nutzte, eine völlig neue und offene Rechtsfrage betreffend eine völlig neue Technik zu klären. Auf der Fachebene sind wir uns doch längst darüber einig, dass das Urteil notwendig war, damit sich bundesgesetzlich und landesrechtlich als Konsequenz daraus eine Menge ändern kann.

(Britta Altenkamp [SPD]: Wollen Sie sagen, das war Absicht?)

Wenn Sie sagen, unser Gesetz sei so katastrophal, ist die Frage, ob Sie auch den Rücktritt von Frau Zypries verlangen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ganz simpel: All das, was in unserem Gesetz vom Bundesverfassungsgericht bemängelt wurde, gilt gleichermaßen für die entsprechenden Bestimmungen auf der Bundesebene. – Warum ist das so? – Zu dem Zeitpunkt, als die Gesetze erlassen wurden, war die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht bekannt.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Da gibt es kein verabschiedetes Gesetz!)

Es gab noch keine entsprechende Rechtsprechung.

(Monika Düker [GRÜNE]: Dafür haben sie es ja auch nicht verabschiedet, im Gegensatz zu Ihnen!)

Frau Düker, zuhören – auch dem Gegner – hilft manchmal.

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Infiltration informationstechnischer Systeme zur Terrorismusbekämpfung nicht nur erforderlich, sondern auch geeignet ist. Das ist doch wegtragend. All das, was wir als Instru

ment angeboten haben, ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geeignet und erforderlich. Worüber wir uns nicht einigen konnten, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit.

Sie behaupten, alle Experten hätten das prophezeit. – Das muss ich verneinen. Lesen Sie noch einmal all die Bestimmungen durch, die in der Anhörung genannt wurden. Die Experten haben sich auf Art. 10, auf Art. 13 und auf weitere Grundrechtsartikel gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat immer gesagt: Das reicht nicht. Die Begründungen der Experten, die uns nicht überzeugten, haben auch das Bundesverfassungsgericht nicht überzeugt.

Das Bundesverfassungsgericht sah sich gezwungen, ein völlig neues Institut zu schaffen. Es wurde mit einem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen gesetzt.

Bis dahin war davon weder etwas zu hören noch zu sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt mögen Sie fordern: Wir erwarten von der Landesregierung aber, dass sie prophetisch begabt ist. – Ich hätte Sie einmal hören mögen, wenn wir mit einem solchen Gedanken gekommen wären.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Auf dem Bo- den der Verfassung sollt Ihr stehen!)

Lieber Herr Remmel, meine Großmutter sagte immer schon: Wer schreit, hat unrecht. – Darüber haben wir uns schon mehrfach unterhalten.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist doch Juristengeplänkel!)

Das Bundesverfassungsgericht sah sich noch an einer anderen Stelle gezwungen, zu einem Kunstgriff zu greifen. Warum? Die Fragen konnten mit den bisherigen Instrumenten nicht geklärt werden. Erstmalig gibt es einen verfassungsrechtlichen Gefahrenbegriff. Das ist historisch. Den kannten wir in der Jurisprudenz bisher überhaupt nicht – weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung.

Ich weiß, Sie würden gern mit Ihrer Forderung durchdringen.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Sie sollten sich dann aber Anlässe aussuchen, die berechtigt sind, einen Innenminister zum Rücktritt zu fordern.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Welche denn sonst noch? – Weitere Zurufe von den GRÜ- NEN)

Wir haben das erlebt, was Sie mehrfach erlebt haben. Wir wollen die in Münster gefällten Urteile gar nicht aufzählen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Jetzt wird es aller- dings langsam ulkig, Herr Biesenbach!)

Ich nenne ein simples Beispiel: All Ihre Propheten und Prognostiker lagen in ihren Begründungen komplett daneben. – Jetzt sagen Sie sogar, man hätte das Gesetz weiter konkretisieren können. Natürlich hätte man das. Es gab aber zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts, eines aus dem Jahre 2004 und eines aus dem Jahr 2005. Beide haben die Verweise gehalten, die das Verfassungsgericht jetzt verworfen hat. Das soll berechenbar und absehbar gewesen sein? – Das ist Unsinn. Was 2004 noch galt, kann auch 2007 noch gelten. Was im Jahr 2005 noch galt, kann auch 2007 noch gelten.

Das Bundesverfassungsgericht hat um eine Präzisierung, um Grenzen gebeten. – Einverstanden!

In der anschließenden Zeit haben Sie immer so stark getönt, die Regierung und die Koalitionsparteien hätten doch zumindest den Richtervorbehalt erkennen können. Herr Kollege Rudolph, Sie haben heute auch noch einmal deutlich auf den Richtervorbehalt hingewiesen.

Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben, dass das Bundesverfassungsgericht seine Begründung nachgebessert hat. Im Urteil vom 27. Februar 2008 war es dem Gericht nicht deutlich genug formuliert. Mit Schreiben vom 5. März 2008 wurde die Urteilsbegründung nachgebessert. Daraus ergibt sich, dass eine vorbeugende Kontrolle, wie wir sie gesehen haben – etwa durch die G10Kommission –, beim Verfassungsschutz durchaus aus gleichwertig angesehen werden kann. Das haben Sie alle nicht zur Kenntnis genommen. Das ist dann eine Schlamperei, bei der Sie auch fragen müssen: Hat das für uns Konsequenzen?

Müssen die Richter in Karlsruhe jetzt vielleicht auch zurücktreten, weil sie das Argument in der ersten Begründung des Urteils nicht aufgenommen hatten? Ich meine diese Frage scherzhaft. – Sie merken, alleine der Gedanke ist abstrus. Deshalb sagen Sie doch bitte nicht, alles das hättet ihr wissen müssen. Hätten wir es wissen müssen? Wer hat es denn gewusst? Einer Ihrer Experten? – Nicht ein einziger!

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Sie sagen: Das Urteil ist wunderschön klar und praktikabel. – Lieber Herr Kollege Dr. Rudolph, dieses Urteil wird eine Folge von weiteren Verfahren nach sich ziehen, denn der Gefahrenbegriff,

der im Urteil steht, hilft uns gegenwärtig nicht weiter, weil er nicht präzise ist. Das Urteil gewährt dem Verfassungsschutz weiterhin die Möglichkeit, vorbeugend tätig zu sein – auch mit der Infiltration datentechnischer Systeme.

Nun geht es darum, wie eine Gefahr aussehen muss, um tätig zu werden. Ist, wenn jemand aus einem Trainingslager in Pakistan zurückkommt, dann die Gefahr schon so real, dass daraus ein Schaden entstehen kann? Das ist zu diskutieren.

Ich mache weiter: Reicht es, wenn derjenige, der aus Pakistan zurückkommt, in Ulm zu einem der bekannten Hassprediger, zu einem der Imame geht, die Sympathie für den Dschihad erkennen lassen, aus, um zu sagen, die Gefahr wird fassbarer?

Ich gehe noch ein Stück weiter: Derselbe Mensch, der in Pakistan war und zu dem Imam gegangen ist – ich mache das an dem Fall der drei Sauerländer deutlich –, trifft sich nun mit zwei anderen Kollegen. Einer der anderen Kollegen späht amerikanische Einrichtungen aus. Ist jetzt die Gefahr ein Stückchen konkretisierbarer? Wann sollen wir denn damit anfangen?

Bezüglich des Kernbereichsschutzes sagt das Bundesverfassungsgericht: Wenn es in den Kernbereich hineingeht, dann müsst ihr, wenn ihr schon überwachen dürft, die Geräte abschalten. – Ich erinnere nun an den Fall der drei Sauerländer. Die drei Menschen überlegen, wie sie ihre Chemikalien einkochen, und sprechen darüber, wie sie vorgehen wollen. Zwei unterhalten sich darüber, wie sie vorgehen wollen, und der dritte sagt, er wolle jetzt beten. Unstreitig gehört das Beten zum Kernbereich. Wie sieht es denn nun aus? Muss unser Dienst, wenn er da zuhört, nun abschalten? Mit diesen Fragen werden wir uns in der Praxis auseinandersetzen müssen. Hier hilft alles das, was Sie anbieten, überhaupt nicht.

Ich möchte noch an einer anderen Stelle deutlich machen, warum ich mir von Ihnen wünsche, eine dogmatische Antwort zu erhalten.

Sie wissen, dass wir alle über Liechtenstein und die erworbene CD, die auf gestohlenen Daten basiert, diskutieren. Steuerdaten sind höchst individuelle und höchst sensible Daten. Ich frage Sie, wie Sie, wenn Sie auf diesen Fall dieselben Maßstäbe wie bei der Terrorismusüberwachung anwenden, damit umgehen. Wenn man Ihren Maßstab anlegt, müsste man sagen: Alles Datenschutz! – Wir kommen damit klar. Wir sind der Meinung, auch Steuerflüchtlinge müssen verfolgt werden. Wir wollen aber auch Terroristen verfolgen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir wollen verhindern, dass hier Anschläge stattfinden. Deswegen suchen wir einen Weg und werden ihn auch finden, das verfassungsrechtlich sauber umzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat geholfen, die Maßstäbe zu setzen.

Und wenn Sie der Meinung sind, das sei alles so klar gewesen gewesen – niemand weiß, wie die Konsequenz aus der Rechtsprechung aussehen wird –: Sie haben vor Monaten hier getönt, wir würden die akustische Wohnraumüberwachung rechtlich nicht hinbekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Verfahren genutzt, um den Weg freizumachen, und hat deutlich gesagt, mit welchen Maßstäben es geht. Das alles werden wir umsetzen, und wir werden die rechtsstaatlichen Konsequenzen daraus ziehen. Es wäre schön, wenn Sie uns dabei helfen würden, aber bitte dogmatisch sauber und auf der Basis rechtsstaatlicher Überlegungen und nicht mit blindem Populismus.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Engel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, es ist wirklich unglaublich, dass Sie sich hier als grüne Pharisäerin hinstellen.

(Beifall von FDP und CDU)

Sie haben unter dem Ex-Bundesinnenminister Schily, einem Ex-Grünen, mitgemacht, als es darum ging, Bürger- und Freiheitsrechte mit Füßen zu treten. Da war von Ihnen nichts zu hören.

(Beifall von der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie kennen mich eigentlich als sachlichen Redner. Von daher möchte ich auf die Fakten zu sprechen kommen.

Im Nachgang zu dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008, in dem erstmals ein sogenanntes Computergrundrecht definiert wurde, werden die wesentlichen Aussagen und vermeintlichen Folgen deutschlandweit diskutiert, so auch schon im Innenausschuss des Landtags. Ich möchte in meinem Beitrag für die FDP-Landtagsfraktion zunächst kurz auf die sicherheitspolitische Ausgangslage in Deutschland zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens eingehen.

Seit 2000 hat es mehr als ein halbes Dutzend vereitelter oder fehlgeschlagener Anschläge auf Ziele in Deutschland bzw. unter Beteiligung in Deutschland lebender islamistischer Extremisten gegeben. Das Bild der Kofferbomber auf dem Kölner Hauptbahnhof hat sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt. Beinahe wie immer, quasi reflexartig, haben Politiker und Politikerinnen bundesweit in einer Art Wettbewerb um schärfere Sicherheitsgesetze zulasten von Bürger- und Freiheitsrechten agiert.

Dem haben wir als FDP von vornherein entgegengestanden. Anlass- und verdachtslose flächendeckende Überwachungsmaßnahmen wie Mautdatenerfassung, Vorratsdatenspeicherung und Videoscreening haben wir eine Absage erteilt. Auch im Bereich der Videoüberwachung haben wir die Bürgerrechte hochgehalten und eine Ausweitung verhindert.