Dem haben wir als FDP von vornherein entgegengestanden. Anlass- und verdachtslose flächendeckende Überwachungsmaßnahmen wie Mautdatenerfassung, Vorratsdatenspeicherung und Videoscreening haben wir eine Absage erteilt. Auch im Bereich der Videoüberwachung haben wir die Bürgerrechte hochgehalten und eine Ausweitung verhindert.
Gleichwohl war allen Verantwortlichen unstreitig klar, dass Veränderungen im Kommunikationsfeld stattgefunden haben. Internationale terroristische Netzwerke und inländische Extremisten nutzten und nutzen die Möglichkeiten des Internets als Propagandamittel und Aktionsforum zur Kommunikation sowie für logistische Zwecke und Anschlagsplanungen. Dabei bedienen sie sich insbesondere der Internettelefonie.
Wir standen auch in der FDP in NordrheinWestfalen und in der Koalition von CDU und FDP vor der Frage und Schwierigkeit, wie dem angesichts der konkreten asymmetrischen Bedrohungslage zum Schutz der Bürger angemessen zu begegnen ist.
„Der Staat hat nicht nur das verfassungsrechtlich verankerte Recht, sondern die grundgesetzlich festgeschriebene Pflicht, überragend wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben und Freiheit der Person sowie Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen und den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, mit geeigneten rechtsstaatlichen Mitteln zu schützen.“
Unsere Koalition von CDU und FDP hat insofern, beseelt von dem festen Willen, eine rechtsstaatliche Grundlage zu schaffen, bei den Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes NordrheinWestfalen zur Gefahrenabwehr Neuland für die gesamte Innen- und Rechtspolitik Deutschlands betreten; denn auf neue Kommunikationsformen,
wie die der Internettelefonie, hatten die Sicherheitskräfte in Deutschland zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens keinen gesetzlich legitimierten Zugriff.
Dieser Zustand dauert an. Es gab einen rechtlichen Streit über das Ob und Wie der Zulässigkeit solcher Maßnahmen. Zugegeben, alle anderen Länder und der Bund haben taktisch und dankend zugleich auf die Entscheidung aus Karlsruhe gewartet, ohne selbst einen eigenen, vermeintlich besseren Vorschlag vorzulegen. Dass es diesbezüglich auch innerhalb der Bürgerrechtspartei FDP kontroverse Diskussionen und unterschiedliche Bewertungen gab, unterstreicht die Schwierigkeit und die Brisanz des Themas.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben als FDP-Fraktion und als Rechtstaatspartei die Ansicht vertreten, dass es über die Tatsache keinen Streit geben darf, dass generell alle Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen nur aufgrund von Gesetzen tätig werden dürfen, insbesondere bei Grundrechtseingriffen.
Dies unterscheidet uns in ganz entscheidender Weise von den Verhältnissen, die zum Beispiel im Bund herrschen. Ich habe das eingangs erwähnt. Dort haben SPD- und CDU-Innenminister dem Bundesamt für Verfassungsschutz per Dienstanweisung, nach Gutdünken, einfach so, erlaubt, Online-Durchsuchungen durchzuführen – Herr Schäuble hat sich zuletzt quasi selbst erwischt –, und zwar ohne jegliche gesetzliche Grundlage.
Wie ich sagte, haben sich die Grünen unter Herrn Schily in der Furche weggeduckt. Dieses Verhalten hielt und hält die FDP für völlig inakzeptabel und für rechtsstaatlich nicht vertretbar.
Deshalb konnte die Frage nur lauten, ganz auf dieses Instrument zu verzichten oder aber eine gesetzgeberische Lücke durch die gesetzliche Anpassung an den technischen Fortschritt in der Kommunikationstechnologie zu schließen. Damit sollte den bis dahin bestehenden rechtlichen Grauzonen begegnet werden.
Unser Innenminister hat darüber hinaus im Vorfeld vehement – letztlich vergeblich – versucht, dies bundesweit über die IMK zu erreichen. Nach damaliger juristischer Sichtweise – darauf ist Herr Kollege Biesenbach eben dezidiert eingegangen, ich wiederhole es aber – bewegten sich die im Verfassungsschutz geänderten präventiven Befugnisse schwerpunktmäßig im Rahmen des
Art. 10 GG. Durch die Verweisungstechnik auf das G10-Gesetz inklusive des Vorbehalts der G10-Kommission sollten Eingriffsanlass, Zweck und Grenzen ausreichend klar und eng definiert werden.
Karlsruhe sah den Hauptanknüpfungspunkt jedoch nicht an den bestehenden Grundrechten nach Art. 10 GG, erkannte zudem die Gefahr einer zu weiten Auslegung, leitete stattdessen ein neues Computergrundrecht ab und forderte, dieser Logik folgend, spezielle Eingriffsermächtigungen, einen generellen Richtervorbehalt und enge Verfahrensvorschriften.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es wurde ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme geschaffen, das sogenannte neue Computergrundrecht.
Was bleibt zu tun? – Urteil und Begründung sind zu evaluieren, nicht mehr und nicht weniger. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Innenminister Dr. Wolf das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf die versuchten Provokationen der Opposition sage ich nur: Sachkenntnis Fehlanzeige, Anstand Fehlanzeige.
Wir sehen natürlich, dass die Fraktionen das Recht haben, Anträge zu stellen. Aber die heutigen Anträge entbehren jeglicher sachlichen Notwendigkeit.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir dieses Urteil sorgfältig prüfen, und es wäre gut, wenn Sie diese Prüfungsfragen bei den Materien, die Sie zu verantworten haben, genauso intensiv ansetzten.
Die Kollegen, die vor mir geredet haben, haben schon angesprochen, welch fulminante Gesetzestechnik Sie zu verantworten haben. Ich erinnere nur daran, dass die Grünen das Flugzeugabschussgesetz in Berlin mitgetragen haben,
das es erlaubte, Flugzeuge mit unschuldigen Menschen darin durch einen Abschuss vom Himmel zu holen.
Sie haben die Wohnraumüberwachung durch die Strafverfolgungsbehörden für verfassungswidrig erklärt bekommen. Die Telekommunikationsüberwachung des Zollkriminalamts, der europäische Haftbefehl – all das ist vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ebenso wie die Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium in NRW.
Dabei habe ich irgendwie die flächendeckenden Rücktritte vermisst. Deshalb lassen Sie uns zur Sache zurückkommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die plumpen, parteipolitisch motivierten Angriffe einmal beiseite lassen, sollten wir uns fragen: Was ist der Kern der Debatte?
Das Bundesverfassungsgericht hat, wie wir es getan haben, eine Internetaufklärung für Extremfälle – auch das haben wir immer nur so gesagt – zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht hat wie wir sehr hohe Verdachtshürden – bei schwerwiegenden Straftaten – aufgebaut.
Damit ist völlig klar, was wir immer gesagt haben: Wir wollen keinen Generalverdacht gegen alle. Wir wollen auch keine flächendeckende PCÜberwachung, anders als die Autokennzeichenüberwachung, die gestern vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, an der, Herr Dr. Rudolph, jede Menge SPDInnenminister beteiligt sind. Sie sollten vielleicht etwas vorsichtiger sein. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, meine Damen und Herren.
Anders als wir – das ist das Neuland, das betreten wurde – hat das Bundesverfassungsgericht ein völlig neues Rechtskonstrukt in Zusammenhang mit der Internetüberwachung gewählt. Während
wir uns – das ist durch die Beiträge der Koalitionsabgeordneten im Gesetzgebungsverfahren sehr deutlich geworden – auf das gestützt haben, was lege artis möglich war, nämlich auf Art. 10, 2, 1, hat das Bundesverfassungsgericht nun ein neues Grundrecht aus den Artikeln 2 und 1 abgeleitet. Das ist in der Tat neu, meine Damen und Herren. Das ist so neu
wie im Jahre 1983, als das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kreiert hat, was bis dato auch niemand kannte und was damals das Volkszählungsgesetz hat nichtig werden lassen, dem damals übrigens auch alle im Bundestag vertretenen Parteien zugestimmt haben, also auch da eine Überraschung.
Wie wir, aber anders abgeleitet hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Wir brauchen einen Richtervorbehalt, wir brauchen eine richterliche Anordnung, wobei interessanterweise – Kollege Biesenbach hat darauf hingewiesen – jetzt auch in der Urteilsergänzung dann noch einmal darauf abgehoben wurde, dass auch eine G10-Kontrolle möglich sein soll.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in der Systematik des Grundgesetzes bewegt. Herr Biesenbach hat es zutreffend gesagt. Es gab die Möglichkeit, aus Art. 10 abzuleiten oder aus Art. 13 – Wohnraum.
Frau Düker, weil Sie so freundlich lächeln: Sie selber haben das in der Landtagsdebatte auf Art. 13 gestützt.
Doch, ich kann es Ihnen im Protokoll nachweisen. Sie haben gesagt – ich zitiere aus dem Plenarprotokoll 14/36 –, dass dann, wenn der Angriff auf Daten eines PC erfolgt, ein Eingriff in Art. 13 vorliegt. Das sind Ihre Worte im Plenarprotokoll. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht widerlegt, meine Damen und Herren.
Alles Gerede von einem staatlich organisierten Hausfriedensbruch ist damit in sich zusammengebrochen.