Protokoll der Sitzung vom 14.05.2008

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bollenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir von der SPD begrüßen den vorliegenden, mühsam auf den Weg gebrachten Antrag und freuen uns, dass dieser interfraktionelle Antrag heute zur Abstimmung kommt.

Nach einem solchen Tag, an dem es in diesem Landtag viele politische Differenzen auszutragen galt, ist es sicherlich schön, wenn wir den Tag mit einem gemeinsamen Antrag abschließen können und damit auch unsere gemeinsame Verantwortung gegenüber der einen Welt insgesamt zum Ausdruck bringen.

Dennoch finde ich persönlich es bedauerlich – das möchte ich an dieser Stelle auch bemerken –, dass ein derart bedeutender Antrag erst zu so später Stunde auf der Tagesordnung steht. Ich hoffe sehr, dass damit nicht zugleich die Einschätzung der Wichtigkeit dieses Themas zum Ausdruck kommt.

Insgesamt geht es bei der Global-MarshallplanInitiative darum, dass ein gemeinsamer Weg zu einer gerechteren Welt und zu einer nachhaltigeren Entwicklung gefunden wird; denn wenn uns das nicht gelingt, wird dieser Planet ein ungemütlicher Ort werden. Diese globale Entwicklung wird dann auch Nordrhein-Westfalen einholen.

In diesem Sinne sind wir nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Kein Teil der Welt kann ohne den anderen Teil auskommen. Das vergessen wir leider allzu oft.

Wer von uns 1950 zur Welt kam, wurde in einer Welt mit 2,5 Milliarden Menschen geboren. Heute leben 6,5 Milliarden Menschen auf der Erde. In weiteren 50 Jahren werden es 10 Milliarden Menschen sein. Europa, Nordamerika und Japan haben in dieser Zeit ihren Wasserverbrauch verdreifacht, den Ausstoß von CO2 vervierfacht und betreiben fünfmal so viel Fischfang. Die Güterpro

duktion wird sich in dieser Zeit weltweit um das Siebenfache erhöht haben. Die ökologische Basis dafür ist aber deutlich geringer geworden.

Durch Transport, durch Kommunikationswege und durch die Entwicklung neuer Technologien ist unsere Lebensweise in der Zwischenzeit Vorbild in vielen anderen Ländern geworden.

Täglich sterben 30.000 Kinder an Hunger, an den Folgen schmutzigen Wassers oder an vermeidbaren Krankheiten.

Der Vermögenszuwachs der etwa 800 DollarMilliardäre beträgt pro Jahr 300 bis 400 Milliarden US-Dollar. Die vier reichsten Menschen der Welt besitzen mehr Geld als eine Milliarde der ärmsten Menschen dieser Welt zusammen.

Für Entwicklungszusammenarbeit stehen weltweit weniger als 100 Milliarden US-Dollar bereit. Für Rüstungsausgaben werden jedoch jährlich 1.000 Milliarden US-Dollar ausgegeben.

Der ökologische Fußabdruck ist dramatisch und zu groß. Das heißt: Unser Ressourcenverbrauch ist eigentlich unverantwortlich gegenüber der nachfolgenden Generation.

Dazu muss Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe von vielen Politikfeldern begriffen werden: Agrar-, Energie- und Umweltpolitik, Außenpolitik und Wirtschaftspolitik. Entwicklungszusammenarbeit ist eben nicht nur eine humanitäre Verpflichtung, sondern bedeutet, dass eine solidarische Außenwirtschaftspolitik den Menschen im Norden und im Süden gleichermaßen nutzt.

Der vorliegende Antrag fordert die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele wie Abbau von Hunger, Grundschulbildung, Gleichstellung der Geschlechter und Senkung der Kindersterblichkeit. Diese von der UN beschlossenen Ziele sollen bis 2015 umgesetzt sein.

Wir selber können durch Bildungsarbeit und durch zivilgesellschaftliches Engagement ein verändertes Bewusstsein in unserer Bevölkerung herbeiführen. Deshalb ist Bildungsarbeit ein wichtiger Teil eines verantwortlichen globalen Denkens und Handelns.

Verantwortung für die eine Welt ist die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander zwischen den Ländern und den Menschen der Welt. Deshalb gilt es, meine Damen und Herren, die entwicklungspolitische Bildungsarbeit fortzusetzen, das zivilgesellschaftliche Engagement zu unterstützen. Die Politik kann dabei alleine nicht genügend ausrichten. Menschen, Städte, Kirchengemeinden und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen müssen

sich engagieren. Wir sollten andere Institutionen ermuntern, sich mit ihrem Know-how ebenfalls für Entwicklungspolitik zu interessieren.

Nordrhein-Westfalen ist der einzige UN-Standort in Deutschland. Uns kommt eine besondere Bedeutung zu. Es wäre wünschenswert, dass es zukünftig eine verbesserte Zusammenarbeit der Länder gibt. Der geplante Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz zur Entwicklungspolitik gibt Anlass zur Hoffnung, dass wir es hier mit einem Anfang zu tun haben. – Ich bedanke mich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die FDP-Fraktion hat Kollege Lindner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag beschreibt heute nach meiner Erinnerung erstmals gemeinsame entwicklungspolitische Grundüberzeugungen. Vorausgegangen waren Gespräche mit den Initiatoren eines Global-Marshallplans. Wir haben uns nicht alle Forderungen zu eigen machen können, aber den Anlass genutzt, zu dieser gemeinsamen Positionsbestimmung zu finden.

An einem solchen Tag können wir durchaus auch einmal Bilanz ziehen, wie sich Entwicklungsunterschiede auf unserem Planeten heute tatsächlich darstellen. Das können wir heute mit einem gewissen Selbstbewusstsein tun, weil sich unsere westlichen Werte und unsere westliche Wirtschaftsordnung als die erfolgreichsten Instrumente gegen die Armutsbekämpfung erwiesen haben.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

In den letzten zehn bis 15 Jahren sind quer über den Planeten große und größte Fortschritte bei der Steigerung der Lebenserwartung, der Einkommen, bei der Verbesserung der Gesundheits- und Bildungssituation erzielt worden. Während man früher davon hat sprechen müssen, dass eine Milliarde Menschen in Wohlstand lebt und der Rest nicht, können wir heute sagen: Eine Milliarde Menschen leidet heute unter großen Entwicklungsdefiziten, die Lebenssituation des Restes hat sich gebessert.

Hier haben sich also die Vorzeichen verändert. Globalisierung und offene Märkte sind keine Gefährdung der Entwicklungschancen von Ländern. Ganz im Gegenteil haben sie für Hunderte von Millionen Menschen die Lebenschancen verbessert.

(Beifall von der FDP)

Deshalb können wir mit großer Genugtuung sagen: Unsere westlichen Werte haben sich als erfolgreich erwiesen. Gleichwohl gibt es eine ganze Menge zu tun. Gerade wenn wir nach Birma schauen, müssen wir feststellen, dass für die Entwicklung gute Regierungsführung entscheidend ist. Die aktuelle Weltlage zeigt uns: Wenn es um Entwicklungschancen und um Lebenschancen von Menschen geht, ist nichts so wichtig wie gute Regierungsführung.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das sagen Sie mal Herrn Wolf!)

Es helfen keine noch so frommen Absichtserklärungen, keine noch so wohlfeilen Appelle aus Deutschland, wenn sie nicht von den Menschen gehört werden und es keine Regierung gibt, die in der Lage ist, Hilfe zu organisieren, Hilfe von außen anzunehmen und ihren Menschen Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Gute Regierungsführung in Ländern in Afrika und in Asien ist deshalb das Kernziel einer aufgeklärten Entwicklungspolitik.

(Beifall von der FDP)

Das zweite Ziel muss sein, Märkte zu öffnen und bestehende Marktverzerrungen zu überwinden. Wenn etwa aus Europa Geflügelabfälle für einen Spottpreis von Nordwestafrika importiert werden können, darf man sich nicht wundern, dass die einheimische Fleischproduktion dort völlig am Boden liegt und zerstört wird und damit auch die Kräfte der Selbsthilfe beschädigt werden. Offene Märkte und eine kluge Entwicklungspolitik – eine kluge Hilfe, die zur Selbsthilfe anregt – sind deshalb viel wichtiger als das Schielen darauf, ob die Entwicklungsausgaben in den Länderhaushalten und im Bundeshaushalt tatsächlich steigen.

Darüber hinaus geht es um Bildungschancen, mit denen zusammenhängt, dass Menschen Zugang zu Informationen bekommen, in ihren Ländern auch in der Breite etwa lesen und schreiben können, und dass es gute und günstige Produkte gibt, die ihnen die Nutzung von Technologie eröffnen. Gerade der technologische Fortschritt erlaubt es, dass Menschen in Kontakt mit der Welt kommen und Entwicklungsstufen überspringen können – über die Industriegesellschaft hinweg direkt in die Wissensgesellschaft. Durch die erneuerbaren Energien braucht man keine großen Netze mehr; durch die mobile Telefonie muss man keine Leitungen mehr legen; durch das Internet kann man auch in entfernten Gegenden am internationalen Bildungsfortschritt partizipieren.

Bangalore hat gezeigt, wie das gelingt. Das müssen wir ermöglichen. Das muss das dritte Ziel,

das dritte Schwerpunktthema einer aufgeklärten, erfolgreichen und verantwortungsbewussten Entwicklungspolitik sein.

In diesem Sinne wollen wir die Global-MarshallplanInitiative zum Anlass nehmen, in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen unsere entwicklungspolitischen Bemühungen zu verstärken. – Schönen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Asch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade weil in den Redebeiträgen noch einmal die jeweils unterschiedliche Positionierung der Fraktionen zu diesem großen Bereich Eine-Welt-Politik und Entwicklungszusammenarbeit deutlich geworden ist, halte ich es für ein durchaus außergewöhnliches Ereignis, dass wir zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind. Sonst dominieren in der Tat die Unterschiede zwischen Regierungsfraktionen und der Opposition, insbesondere der kleinen Regierungsfraktion der FDP.

Dass wir zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind, liegt vielleicht auch daran, dass die Geburtsurkunde des Global-Marshallplans von den verschiedenen Parteien unterzeichnet wurde, unter anderem auch von Hans-Dietrich Genscher, der ein bekannter Freidemokrat ist. In der Stuttgarter Erklärung vom 11. Oktober 2003 – das ist die Grundlage für die Idee des GlobalMarshallplans – wird betont, dass alle politischen Ebenen globale Mitverantwortung tragen. Damit trägt auch das Land Nordrhein-Westfalen globale Mitverantwortung, der wir uns gemeinsam mit diesem Antrag stellen.

Mich würde es freuen, wenn sich dieser Geist auf alle Mitglieder des Landtags ausweiten würde; unser Antrag ist sicher ein guter Start dafür.

Hauptziel – das wurde eben schon erwähnt – des Global-Marshallplans ist die Überwindung der Armut in der Welt. Vorbild hierfür ist der GlobalMarshallplan für das Nachkriegsdeutschland.

Wie akut diese Themen sind, das sehen wir im Moment an den Hungerrevolten, die in den letzten Wochen in vielen Ländern der Erde ausgebrochen sind. Armut kommt nicht von ungefähr, Armut hat Ursachen, an denen wir in den westlichen Ländern unmittelbar beteiligt sind.

Ich möchte vier Punkte nennen:

Erstens. Beinahe die Hälfte der weltweiten Getreideproduktion wird inzwischen als Viehfutter verwendet. Dadurch entstehen sogenannte Veredelungsverluste. Wenn 100 Kalorien als Getreide verfüttert werden, bleiben nur zehn Kalorien als Fleisch zurück. Das heißt, 90 % der geernteten Nahrungskalorien gehen durch den Fleischkonsum verloren.

Zweitens. Durch den Klimawandel verschieben sich die Klimazonen. Das führt immer häufiger zu Missernten.

Drittens. Die Preise für landwirtschaftliche Güter werden immer mehr durch Spekulanten bestimmt. Ihre Markterwartungen treiben dann die Preise hoch.

Viertens. Europa und die USA subventionieren ihre Landwirtschaft mit Milliardensummen. Die Überschüsse exportieren sie in die Entwicklungsländer. Dort werden die Produkte dann sehr billig verkauft, sodass die einheimischen Kleinbauern nicht mithalten können und die heimischen Märkte kaputtgehen.

Die Global-Marshallplan-Initiative ist nicht die einzige Initiative, die sich für Armutsbekämpfung und für die Umsetzung der Millennium Development Goals engagiert. Wir sollten heute auch die Arbeit der 3.000 Eine-Welt-Gruppen in NordrheinWestfalen würdigen, die sich lange vor der Global-Marshallplan-Initiative in der konkreten Entwicklungsarbeit, in der Eine-Welt-Arbeit, in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit ehrenamtlich engagiert haben.

Wir sollten natürlich auch nicht die wertvolle Arbeit der Eine-Welt-Promotoren und -Promotorinnen, die ihre Arbeit mit der finanziellen Unterstützung des Landes leisten, vergessen.