Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

(Beifall von der SPD)

Von „handwerklichen Fehlern“ spricht das „Handelsblatt“, und es wird angemerkt - ich zitiere -:

Vor allem in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sind keine Akzente sichtbar.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ stellt fest:

Bisher hat sich die Hoffnung nicht erfüllt, dass mit dem Machtwechsel der Stimmungswechsel zu einem Aufschwung führt.

Die „Neue Westfälische“ schlägt in die gleiche Kerbe:

Von Wirtschaftsaufschwung und Sanierung der Finanzen ist in NRW nichts zu sehen.

Im gleichen Artikel wird auch Ihr Wortbruch bei den Studiengebühren kritisiert.

Die „Westfalenpost“ sieht einen Nackenschlag, den Sie bei der Bundestagswahl erhalten haben.

Und in der „NRZ“ heißt es schließlich, dass sich Ihre sorgsam gehegte Anfangseuphorie im Alltag verflüchtigt habe.

Sie haben nichts in Bewegung gesetzt. Das Gegenteil ist der Fall: Schulden steigen und Personal wird aufgestockt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Und Ihre Pläne zum Personalabbau seien - das ist in der Zeitung auch noch zu lesen - nebulös.

Das ist die öffentliche Wahrnehmung, Herr Stahl: Nicht die SPD leidet unter Realitätsverlust - Sie haben offensichtlich Wahrnehmungsstörungen!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wer angesichts dieses Echos in der Öffentlichkeit von einem „glänzenden Start“ spricht, hat den Kontakt zur Realität schon längst verloren, lieber Herr Kollege Stahl.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Medien haben Recht: Die Bilanz von Schwarz-Gelb ist mager. Wenn man genau hinsieht, lassen sich gerade einmal zehn konkrete

Maßnahmen finden, die Ihre Regierung, Herr Ministerpräsident, in diesen 100 Tagen tatsächlich durchgeführt hat. Angekündigt wurde von einigen Ministern aber außerordentlich viel.

(Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Jetzt kommt die Bilanz!)

Vom 200-Tage-Programm der CDU, von Ihnen, Herr Rüttgers, als Spitzenkandidat am 30. April großartig verkündet, sind bisher ganze drei von 21 Punkten erfüllt. Damit haben Sie damals um die Wählerinnen und Wähler geworben. Für die Realisierung der fehlenden 18 Punkte haben Sie jetzt noch 100 Tage Zeit. Ich bin gespannt.

Deutlich erfolgreicher sind Sie und Ihre Regierung dagegen in einer anderen Disziplin: Im Räumen von Positionen, im Zurückrudern, im „Versprochen - Gebrochen“.

Der Schuldenabbau - Frau Löhrmann hat es bereits erwähnt - war eines Ihrer wichtigsten Wahlversprechen.

Um es deutlich zu sagen, Herr Stahl - Sie haben meine Pressekonferenz wahrscheinlich nicht verfolgen können -: Die 2,2 Milliarden € lasten wir nicht vollständig Ihnen an. Wir haben vielmehr sehr genau danach differenziert, was auf unser Konto geht - das lassen wir uns auch zurechnen -, und dem, was wir auch gemacht hätten. Darunter fällt beispielsweise die Schaffung von 1.000 Lehrerstellen, weil man damit eine gesetzliche Verpflichtung aus dem Schulgesetz erfüllt hätte.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Lachen von CDU und FDP)

Was fällt nun unter die Aktionen, die wir für überhaupt nicht für erforderlich halten? - Darunter fällt, dass Sie sich bei den Landesgesellschaften einen Sparstrumpf in Höhe von 1,2 Milliarden € anlegen, indem Sie so tun, als wären diese, was die Finanzierung angeht, bedürftig. - Das sind sie aber nicht. Und diesen Sparstrumpf nehmen Ihnen die Menschen draußen auch nicht ab!

(Beifall von der SPD)

Sie stellen rund 100 neue Leute ein. Versprochen hatten Sie einen Personalabbau von 1,5 % pro Jahr; Herr Dr. Linssen hatte das in der letzten Plenarsitzung schon auf 2010 verschoben. Vielleicht gibt es dazu noch einmal eine Klarstellung von Ihrer Seite. Sie bauen in diesem Jahr keine einzige Stelle ab. Stattdessen kommen rund 100 Parteigänger mehr in die Ministerien. Früher hätten Sie an dieser Stelle laut „Filz“ geschrieen. Das wäre Ihre Argumentationslinie gewesen.

(Beifall von der SPD)

Herr Dr. Papke, Sie haben ja völlig Recht: Die entscheidenden Probleme dieses Landes liegen woanders.

Sie, Herr Ministerpräsident, haben es sich persönlich zugetraut - und dies auch gesagt -, die Voraussetzungen für rund 1 Million neuer Jobs zu schaffen. Das war vor der Wahl.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Das stimmt nicht! Das ist gelogen!)

-Das ist nicht gelogen. - Herr Stahl, die Kernprobleme liegen auf der Hand, aber Sie haben in den ersten 100 Tagen nichts Messbares in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zustande gebracht - absolut gar nichts!

(Beifall von der SPD)

Ich muss schon schmunzeln, wenn Sie sich jetzt auch noch den wirtschaftlichen Aufschwung dieses Landes, der sich auf das erste Halbjahr bezieht, zurechnen wollen. - Entschuldigung: 97 % davon gehört Rot-Grün und nicht der neuen Landesregierung!

(Beifall von der SPD)

Dann machen Sie auch noch, weil Ihre Bilanz in diesem Bereich nur weiße Flecken ausweist, neue Versprechungen: „Wir begeben uns auf den Weg - zentrale Punkte der nächsten Wochen“, und kommen dann mit dem Kraftwerksinvestitionsprogramm. - Entschuldigung, aber diese Investitionsentscheidungen sind auch schon vorher gefallen.

(Beifall von der SPD)

Was aber gerade passiert, ist, dass die CDU im Rheinland die Planung für ein weiteres BoAKraftwerk am Standort Niederaußem blockiert. Das ist die Realität in diesem Land.

Genauso, wie Sie die Menschen bei diesem Thema täuschen, täuschen Sie sie auch beim Thema Schulschließung. Sie erklären, die Schulen würden massenhaft geschlossen, weil das im Schulgesetz stände. - Fakt ist: Ihre Ministerin Frau Sommer hat gesagt - ich zitiere aus dem letzten Plenarprotokoll -:

Wenn Eltern nun die Grundschule frei wählen können, erhalten wir Anhaltspunkte dafür, welche Grundschulen attraktiv sind und gute Arbeit leisten und welche nicht. Dies erleichtert Schulträgern und Schulaufsicht die Entscheidung darüber, welche Schulen erhaltenswert sind.

Das ist die Diktion Ihrer Ministerin.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Jetzt, Herr Ministerpräsident, kommen wir zu den Tatsachen. Sie hätten einmal ins Schulgesetz schauen sollen. Dort steht in § 82 Abs. 2, dass die Grundschulen nur eine Klasse pro Jahrgang haben müssen. Und in den Erläuterungen heißt es, dass es Zwergschulen geben darf und dafür eine Schülerzahl von 36 ausreichend ist. - Das ist die Realität. Sie bauen einen Popanz auf, um diesen Popanz dann hinterher politisch zu bekämpfen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Um es deutlich zu formulieren: Niemand außer Ihrer eigenen Ministerin will Schulen schließen, Herr Ministerpräsident. Pfeifen Sie sie zurück, anstatt hier eine große Kampagne gegen einen selbst aufgebauten Popanz zu beginnen. Sie wollen sich aus der 100-Tage-Bilanz herausstehlen und stellen daher diese Schlagzeilen in den Mittelpunkt.

(Beifall von der SPD)

Sie haben Ihre Bilanz mit dem Satz begonnen: Dem Land geht es besser. - Ich sage: Diesem Land ist es nie so schlecht gegangen, wie Sie es immer schlecht geredet haben. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von der SPD - Beifall von den GRÜNEN - Zurufe von der SPD: Bravo! Sehr gut!)

Danke schön, Frau Kraft. - Das Wort hat jetzt Ministerpräsident Dr. Rüttgers.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die neue Landesregierung, die morgen 100 Tage im Amt ist, arbeitet vorzüglich.