Protokoll der Sitzung vom 15.05.2008

Auch im Rahmen der Diskussion über den Sozialbericht Nordrhein-Westfalen, der eine negative Abschlussbilanz der alten rot-grünen Regierungszeit darstellt, haben wir die Themen besprochen. Selbstverständlich sind wir gerne bereit, erneut in eine Diskussion einzusteigen. Ich sage aber auch: Wir diskutieren nicht nur, wir handeln.

(Beifall von der CDU)

Das hat unser zuständiger Minister Karl-Josef Laumann bereits mehrfach bewiesen; das unterscheidet uns von der früheren Regierung. Erkennen und Handeln, das ist unser Prinzip.

Meine Damen und Herren, gerne nenne ich hier einige unserer Grundgedanken: Die menschliche Arbeit ist nicht wie eine Ware zu betrachten. Deshalb darf sich eine Bezahlung menschlicher Arbeit nicht nur nach Nachfrage und Angebot richten. Erwerbsarbeit muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften. Der Lohn muss so bemessen sein, dass der Arbeitnehmer sein materielles, soziales, kulturelles und spirituelles Dasein angemessen gestalten kann.

Die prekären Arbeitsverhältnisse und der Niedriglohnsektor unterstützen diesen Ansatz nicht. Sie setzen folglich den ethischen Anspruch von gerechter Entlohnung nicht oder nur spärlich um. Nur in einem gerechten Arbeitslohn für die geleistete Arbeit zeigt sich die Gerechtigkeit im Verhältnis zum Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Die kirchliche Soziallehre verlangt nach gerechten Gehältern in einer gerechten Wirtschaftsordnung. Wiederholt verweist sie in diesem Zusammenhang auf die Familie als Lebensgemeinschaft mit der Forderung nach existenzsichernden Löhnen. Die gerechte Entlohnung für die Arbeit eines Erwachsenen, der Verantwortung für eine Familie trägt, muss einschließlich der staatlichen Transferleistungen die materielle Grundlage bilden, um Familie hinreichend zu versorgen.

Die Europäische Union hat 1989 die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verabschiedet, die in Art. 4 ebenfalls ein gerechtes Entgelt für jede Beschäftigung festhält, welches nach den jeweiligen Gegebenheiten des Landes einen angemessenen Lebensstandard zu sichern hat.

Die Internationale Arbeitsorganisation, IAO, hat gefordert, in allen Staaten ein nationales Mindestlohnsystem als Schutz gegen unangemessene Niedriglöhne einzuführen. Dies soll jedoch im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber- und dem Arbeitnehmerverband geschehen. Das ist für uns entscheidend; denn staatliche Eingriffe in die Lohngestaltung können in Deutschland die Tarifautonomie nicht ersetzen. Wir können die tariflichen Vereinbarungen dazu nutzen, in ausgeschlossenen Bereichen existenzsichernde Löhne allgemein durchzusetzen. Wir wollen nicht zulassen, dass sich inländische und ausländische Betriebe durch schlecht bezahlte Erwerbsarbeit Wettbewerbsvorteile gegenüber solchen Betrieben verschaffen, die tarifvertragliche und existenzsichernde Löhne zahlen.

Meine Damen und Herren, unser Arbeitsminister unterstützt die Bemühungen der Tarifpartner und hat deshalb zum Schutz vor sittenwidrigen Löhnen bereits mehrere Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt.

Das Tarifvertragsgesetz und die Entsenderichtlinie der EU bieten genug Möglichkeiten, sittenwidrige Lohnentwicklungen zu stoppen. Sie von der Opposition hatten jahrelang Gelegenheit, die prekären Situationen zu vermeiden. Sie haben aber nichts getan. Wir tun etwas und schützen die Menschen vor sittenwidrigen Löhnen.

(Beifall von der CDU)

In Nordrhein-Westfalen zumindest klappt die Sozialpartnerschaft. Deshalb werden wir auch in Zukunft Erfolge bei der Verhinderung von Ausbeutung haben.

Meine Damen und Herren, die Opposition fordert immer wieder einen gesetzlich verordneten Mindestlohn.

(Rainer Schmeltzer [SPD] und Barbara Stef- fens [GRÜNE]: Ja!)

Ein Mindestlohn ist ein in der Höhe durch den Staat oder durch einen Tarifvertrag festgeschriebenes Arbeitsentgelt, das Arbeitnehmern als Minimum zusteht. Seine Höhe kann als Monatslohn für eine Vollzeitstelle oder als Mindeststundenlohn festgelegt werden. In einigen europäischen Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In den meisten! – Barbara Steffens [GRÜNE]: In fast allen!)

in anderen wird dagegen großer Wert auf die Tarifautonomie gelegt – wie bei uns in NordrheinWestfalen.

Das Lohngefüge in Deutschland und Europa ist regional sehr unterschiedlich. So würde zum Beispiel ein Mindestlohn, der in einigen Teilen der neuen Bundesländer angemessen ist, unter Umständen in Nordrhein-Westfalen keine Regelungswirkung entfalten, weil das Lohnniveau hier insgesamt höher liegt. Umgekehrt könnte ein für Nordrhein-Westfalen angemessener Mindestlohn in den genannten Regionen sogar zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen etwa durch Abwanderung von Unternehmen führen.

Wir sind gegen den gesetzlich verordneten Mindestlohn. Wir setzen auf Sozialpartnerschaft und auf die Möglichkeit der Entsenderichtlinie der EU. Das bringt uns voran. Wir haben damit nachweislich Erfolg.

Den europäischen Gewerkschaften kommt die besondere Rolle zu, den Arbeitnehmerinteressen und den Interessen der Arbeitsuchenden Geltung zu verschaffen. Durch eine europäische Mindestlohnpolitik, die die sektoralen und regionalen Gegebenheiten berücksichtigt, werden die Gewerkschaften nicht geschwächt, sondern in ihrer Funktion als Interessenvertreter der lohnabhängig Beschäftigten gestärkt.

Meine Damen und Herren, Ihre Forderung unter Punkt 1 f – Wohngeld – ist bereits seit Anfang April 2008 erfüllt. Denn mit der Entscheidung der unionsgeführten Bundesregierung wurde eine echte Leistungsverbesserung beim Wohngeld auf den Weg gebracht. Sie wird für Geringverdiener eine spürbare Entlastungswirkung haben.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Das reicht nicht!)

Um durchschnittlich 60 € steigt die monatliche Wohngeldleistung ab 2009. Die Zahl der möglichen Empfängerhaushalte steigt um ca. 150.000 bundesweit.

Vor allem die dramatisch gestiegenen Energiekosten und die deutliche allgemeine Preissteigerung haben in den letzten Jahren zu einer schleichenden Entwertung der Wohngeldleistungen geführt. Auch dort setzt die Leistungsnovelle an und schafft mit der Einführung einer Heizkostenkomponente eine neue Berechnungsgrundlage für das Wohngeld. Erstmals werden die Heizkosten bei der Ermittlung von Wohngeldansprüchen berücksichtigt. Das System behält jedoch seine Anreizwirkung für jene, die sich um sparsames Heizen bemühen.

Bezüglich der Forderung unter Punkt 1 g Ihres Antrags – Kinderzuschlag – ist ebenfalls bereits seit März dieses Jahres einiges auf den Weg gebracht worden.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja, aber das ist immer noch nichts!)

Mit der Veränderung des Kinderzuschlages können wir zum 1. Oktober dieses Jahres weitere 150.000 Kinder bundesweit aus dem drohenden Arbeitslosengeld-II-Bezug holen. Der Kinderzuschlag wird an Berufstätige gezahlt, die zwar genug verdienen, um ihren eigenen Mindestbedarf zu decken, nicht jedoch den ihrer Kinder. Die Betroffenen können auch in Zukunft maximal 140 € pro Kind in Anspruch nehmen. Die Mindesteinkommensgrenze wird auf 900 € für Paarhaushalte und auf 600 € für Alleinerziehende gesenkt. Damit werden 250.000 Kinder erreicht, 150.000 mehr als bisher.

Mit der Flexibilisierung des Kinderzuschlages und einer Ausweitung des Berechtigtenkreises wird materielle Kinderarmut intensiver bekämpft. Der Kinderzuschlag vermeidet die Stigmatisierung der Betroffenen als Arbeitslosengeldempfänger.

Bei der Arbeitnehmerüberlassung – auch Leiharbeit, Personalleasing und Zeitarbeit genannt – gibt es eine klare gesetzliche Regelung. Die gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern unterliegt in Deutschland besonderen Vorschriften und ist erlaubnispflichtig. Rund 750.000 Beschäftigte gibt es in der Zeitarbeitsbranche zurzeit. Die Branche boomt. Die Gefahr, dass es gerade in dieser Branche zu unbefriedigenden Kostenverlagerungen zulasten der öffentlichen und privaten Haushalte kommt und gleichzeitig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vieles zugemutet wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

Zur Verbesserung der Situation wünschen wir uns, dass sich die Tarifpartner auf ein einheitliches Vertragswerk verständigen. Denn nur dann können wir über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung einen ausreichenden Schutz gegen sittenwidrige Löhne erreichen. Die Arbeitnehmerüberlassung muss auch aufgrund der internationalen Verflechtungen und des möglichen Lohndumpings besonders kritisch beobachtet werden.

In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von den Grünen, wird gefordert, reguläre und existenzsichernde Beschäftigung im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen zu stärken. Das Thema ist alt.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja, es ist ja noch nichts passiert!)

Bereits 1996 haben wir hier intensiv darüber gesprochen.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja, und nichts getan!)

Viel ist von der alten Regierung nicht umgesetzt worden.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Sie haben nichts getan! – Günter Garbrecht [SPD]: Das kann man der Kollegin Steffens nun wirklich nicht vorwerfen!)

Hoffen wir, dass Sie, die heute in der Opposition sind, Ihre Sichtweise zu haushaltsnahen Dienstleistungen geändert haben. Nur dann kommen wir weiter.

Wir stimmen der Überweisung im Ausschuss natürlich zu und können einiges noch vertiefen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion redet jetzt der Abgeordnete Schmeltzer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es freut mich, dass wir heute einen so umfangreichen Antrag zur Arbeitsmarktpolitik erstmalig beraten, wenngleich ich der Auffassung bin, dass auch hier weniger mehr sein kann. Das meine ich nicht despektierlich, sondern vielmehr darauf bezogen, dass in diesem Antrag eine Vielzahl verschiedener Themen vermengt wird und das Beschlussergebnis somit schon fast absehbar ist.

Aber ich will die Gelegenheit nutzen, die Vielfältigkeit aufzugreifen, so wie wir es schon auf unse

rem Bundesparteitag in Hamburg in einem Beschluss mit dem Namen „Gute Arbeit“ getan haben, der von Hannelore Kraft maßgeblich formuliert wurde.

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt – das wissen wir alle – ist derzeit erfreulich. Seit geraumer Zeit verbessert sich die Lage am Arbeitsmarkt zusehends. Auch die Älteren und die Jungen haben erkennbar bessere Chancen. Dabei wächst die Zahl sozialversicherungspflichtiger, solider Arbeitsverhältnisse deutlich, zum Teil aber auch die Leiharbeit und die befristete Beschäftigung.

Die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt hat mehrere Gründe. Die Steuerreform der SPD-geführten Bundesregierung und verschiedene Maßnahmen der „Agenda 2010“ sowie die Tarifpolitik haben einen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft geleistet. Die Förderung öffentlicher und privater Investitionen hat dazu beigetragen, dass auch die Binnennachfrage angesprungen ist. Die Maßnahmen der großen Arbeitsmarktreformen aus Berlin beginnen endlich zu wirken. Um eine Verstetigung des Wachstums zu erreichen, bedarf es auch einer Steigerung der privaten Nachfrage. Die Tarifabschlüsse in diesem Jahr leisten dazu bereits einen wesentlichen Beitrag.

Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie bleibt unangetastet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer entscheiden in Deutschland in eigener Zuständigkeit über die Lohnhöhe sowie über viele andere Arbeitsbedingungen. Allerdings müssen wir feststellen, dass immer weniger Unternehmen in tariffähigen Arbeitgeberverbänden sind, ja geradezu daraus flüchten. Im Kfz-Gewerbe mussten wir kürzlich leidvoll feststellen, dass die Arbeitgeber ihren Verband sogar während laufender Tarifverhandlungen aufgelöst haben. So viel, Herr Kollege Tenhumberg, zu anständigen Unternehmen hier im Lande.

Auch dass immer weniger Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert sind, ist bedenklich, wenngleich sich mittlerweile eine Kehrtwende verzeichnen lässt. Immer mehr Arbeitsverhältnisse sind leider tariffrei. Auch aufgrund dieser Entwicklung hat sich eine starke Lohnspreizung entwickelt. Der Niedriglohnbereich hat sich verbreitert, und immer mehr Löhne liegen zum Teil weit unterhalb des Existenzminimums.

Davon sind insbesondere Frauen betroffen. Das wollen wir ändern. Wer voll arbeitet, muss von seinem Arbeitseinkommen leben können. Mindestlöhne sind eine Frage der Würde, und Mindestlöhne entsprechen den Prinzipien der sozia

len Marktwirtschaft. Sie sind existenzsichernd und garantieren, dass diejenigen, die arbeiten, davon auch einen Vorteil haben.

Unser Ziel ist es, Lohndumping zu beseitigen. Mit der Einbeziehung möglichst aller Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz soll sichergestellt werden, dass tariflich vereinbarte Mindestlöhne durch Regierungsverordnung für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Darauf setzt auch die CDU, wie ich gerade von Herrn Tenhumberg gehört habe. Nur stimmen die Taten diesbezüglich nicht mit den Worten überein. Da muss mehr kommen als nur Worte am Rednerpult, Herr Kollege Tenhumberg.

Diese Gesetzesänderung schützt auch diejenigen Unternehmen vor Lohndumping, die ohne sie von Billigkonkurrenten bedroht werden würden. Die Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringen ansonsten ab 2009, spätestens ab 2011, das Problem des Lohndumpings für deutsche Unternehmen mit sich. In Branchen, bei denen die Tarifbindung geringer als 50 % ist, wird das aktualisierte Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 angewendet. Damit werden Mindestlöhne auch in diesem Bereich möglich.