Protokoll der Sitzung vom 15.05.2008

Diese Gesetzesänderung schützt auch diejenigen Unternehmen vor Lohndumping, die ohne sie von Billigkonkurrenten bedroht werden würden. Die Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringen ansonsten ab 2009, spätestens ab 2011, das Problem des Lohndumpings für deutsche Unternehmen mit sich. In Branchen, bei denen die Tarifbindung geringer als 50 % ist, wird das aktualisierte Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 angewendet. Damit werden Mindestlöhne auch in diesem Bereich möglich.

Das allein wird aber nicht ausreichen. Wir müssen Dumpinglöhne weiterhin verhindern. Deshalb wollen wir – dabei bleiben wir auch – in Zukunft einen gesetzlichen Mindestlohn. Durch ein Mindestlohngesetz wird die untere Lohnhöhe festgelegt. Dazu kann eine Lohnfindungskommission eingerichtet werden, in der unter anderem die Tarifparteien vertreten sind. Damit ist deren Beteiligung an der Festlegung von Mindestlöhnen gewährleistet. Einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundeslandes Rheinland-Pfalz haben wir hier im Parlament schon beraten. Die Koalition hat einer Unterstützung im Bundesrat die Zustimmung versagt.

Nicht nur die Erwerbsquote der Frauen in Deutschland ist im europäischen Vergleich völlig unzureichend. Auch die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen muss geschlossen werden. Erwerbstätigkeiten, die Frauen auf den Status von Hinzuverdienerinnen festlegen, sind ein wesentlicher Grund für Kinder- und Altersarmut. Frauen muss der Einstieg in existenzsichernde Einkommen mit staatlicher Unterstützung erleichtert werden, insbesondere aber durch die Unternehmen.

Dabei geht es vor allem um die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das Thema Leiharbeit haben wir hier im Hohen Hause bereits Anfang des Jahres am Beispiel Nokia disku

tiert. Wir werden es in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales weiter diskutieren. Die Plenardiskussion war hochinteressant. Es gab breite Übereinstimmung – fast schon natürlich mit Ausnahme der Herren Weisbrich und Romberg – in der Analyse, aber auch in Bezug auf die Zukunft.

Leiharbeit hat in den letzten beiden Jahren an Bedeutung zugenommen. So ist die jahresdurchschnittliche Zahl der Leiharbeitnehmer – wie im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dargestellt – deutlich angestiegen. Dabei ist deutlich erkennbar, dass der Anstieg der Leiharbeit nicht vollständig mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze gleichzusetzen ist. Wir wollen, dass Leiharbeit eine Brücke in ein reguläres Arbeitsverhältnis ist. Die Beschlussfassung unseres Antrages, den wir im Ausschuss noch beraten werden, wäre ein gutes Signal.

Es darf nicht zu Lohndumping oder zu der Umgehung von Tarifverträgen in den Betrieben kommen. Es wäre daher richtig, einen Mindestlohn für Leiharbeitnehmer über die Einbeziehung der Leiharbeitsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz einzuführen, so wie es Minister Laumann am 13. Februar 2008 anlässlich des IGZLandeskongresses in Dortmund unterstrich. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Fachmagazin „Zeitarbeit“, Heft 01/08:

„Höhepunkt der Tagung war der Besuch von NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Er sprach sich klar für einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche aus.“

Herr Kollege Tenhumberg, da hat er wieder einmal geredet. Aber sein Handeln war – das ist in der Plenardebatte deutlich geworden – ein anderes. Laumann spricht hü, und Laumann stimmt hott. Das war das Ergebnis. Von daher stimmt das, was Sie über Herrn Laumann gesagt haben – Erkennen und Handeln sei sein Prinzip –, nicht so ganz. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.

Wo in den Betrieben gleiche Arbeit geleistet wird, müssen die Löhne, die Arbeitsbedingungen, die Weiterbildungsmöglichkeiten und auch die Aufstiegsmöglichkeiten ebenfalls gleich sein. Leiharbeit ist aber nur vorübergehend und nur für den kleineren Teil der Belegschaft akzeptabel.

Unser Ziel ist es, dass die Beschäftigten in einem Betrieb zum Stammpersonal des Unternehmens zählen. Nur wenn die Beschäftigten eine planbare berufliche Perspektive haben, können sie für ihre Familien die Zukunft planen und auch gestalten.

Die notwendige Eingrenzung der prekären Beschäftigungsverhältnisse kann nur mit den Betriebsräten in den Unternehmen erreicht werden. Daher muss die betriebliche Mitbestimmung gestärkt und nicht, wie von CDU und FDP immer wieder gefordert, minimalisiert werden. Der im Antrag angesprochene Punkt „Arbeitnehmerrechte und Mindestarbeitsbedingungen“, der sich leider nicht in der Beschlussvorlage wiederfindet, muss weiter untermauert werden, haben wir doch im letzten Plenum über die Vorgänge bei Lidl debattiert und damit im Zusammenhang über eine Landesinitiative zur Veränderung des Arbeitsnehmerdatenschutzgesetzes beraten.

In der anschließenden Ausschusssitzung wurde durch die Landesbeauftragte für Datenschutz deutlich, dass es weitaus mehr Verfehlungen – und „Verfehlung“ ist eine wahrhaft freundliche Formulierung – im Land gibt, die das Bespitzeln von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern darlegen. So führte sie unter anderem aus, das alleine bei der Firma Tönnies 270 Überwachungskameras festgestellt wurden, und diese auch in Kantinen und Umkleidekabinen.

Unabhängig davon, was dies in Bezug auf die Würde der arbeitenden Menschen in solchen Betrieben bedeutet, zeigt es doch sehr deutlich, dass rechtliche Rahmenbedingungen sich den heutigen Gegebenheiten anpassen müssen. Die Beratung im Ausschuss hierzu war für die erste Runde kurz, aber relativ gut. Wir warten jetzt auf die zugesagten Nacharbeiten durch das Ministerium.

Klar wurde aber auch im Rahmen dieser Diskussion, dass gerade in der Behörde von Frau Sokol die Arbeit durch permanenten Stellenabbau seit 2006 erheblich erschwert wird, was nicht im Sinne von ordentlicher Arbeit beim Datenschutz der Menschen in unserem Land sein kann.

Der Ausschussvorsitzende Günter Garbrecht machte nicht ohne Grund darauf aufmerksam, dass Überwachung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsverfassungsgesetzes unterliege, was einmal mehr die Notwendigkeit von Betriebsräten in Unternehmen unterstreiche. Und weil Betriebsräte für gut funktionierende Unternehmen unverzichtbar sind – ich sage sogar: eine Bereicherung für die Unternehmen –, wird einmal mehr deutlich, wie wichtig die Arbeitnehmerrechte in unserem Land sind.

Zu guter Arbeit gehören Arbeitnehmerrechte. Die soziale Marktwirtschaft ist untrennbar mit der Teilhabe und Teilnahme von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbunden. Die Mitbestimmung, die Betriebsverfassung, die Tarifautonomie, Flä

chentarife, der Kündigungsschutz und moderner Arbeitsschutz gehören zu den unverzichtbaren Arbeitnehmerrechten. Und es bleibt dabei: Diese Rechte sind für Sozialdemokraten nicht verhandelbar.

Die SPD ist die Große Koalition in Berlin unter anderem eingegangen, weil nur so der Versuch von CDU/CSU und FDP abgewehrt werden konnte, Teile der Arbeitnehmerrechte drastisch zu beschränken. Wir wollen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Wirtschaft ist für die Menschen da, und nicht umgekehrt.

Die Arbeitnehmerrechte tragen entscheidend zur sozialen Balance im Land bei. Sie sind gut für den wirtschaftlichen Erfolg und für den sozialen Frieden. Gleichwohl lassen die Attacken marktradikaler Politiker, Funktionäre und Wissenschaftler, die den rechtlichen Rahmen für die Balance zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ändern wollen, nicht nach. Insbesondere vor dem Hindergrund der zunehmenden Europäisierung und der Globalisierung von Wirtschaftsprozessen müssen die Arbeitnehmerrechte nicht nur in Deutschland, sondern EU- und gar weltweit geregelt und gesichert werden.

Deshalb müssen wir weiter dafür eintreten, dass die guten Erfahrungen, die Deutschland mit einer so organisierten Arbeitnehmerschaft und einer starken Gewerkschaftsbewegung gemacht hat, als vorbildhaft anerkannt werden. Die Integration Europas darf nicht zu einem Abbau von Sozialstandards führen. Vor diesem Hindergrund begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich die verstärkten Anstrengungen der Gewerkschaften, sich in der EU und weltweit schlagkräftig zu organisieren.

Mitbestimmung ist ein wesentliches Element unserer Vorstellung von Wirtschaftsdemokratie, und sie hat sich bewährt. Mitbestimmung schafft Voraussetzung für demokratische Kontrolle von Unternehmensführung und schränkt Machtmissbrauch ein. Sie ist ein Beitrag für sozialen Frieden, gutes Betriebsklima und höhere Produktivität. Europa liefert keine Begründung, das Niveau der deutschen Unternehmensmitbestimmung abzusenken.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Niedriglohnbereich, Mindestlohn, Zeit- und Leiharbeit, Arbeitnehmerrechte – all dies sind wichtige Schlagworte rund um die Arbeitsmarktpolitik, wie sie auch im Antrag der Grünen zu finden sind. Aber über all diese Punkte dürfen wir nicht vergessen, dass es

auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Zur guten Arbeit gehört die familienfreundliche Ausgestaltung der Arbeitswelt. Flexible Arbeitszeitmodelle, erreichbare und verlässliche Betreuungseinrichtungen sind hier wichtig. Wenn die Fachkräfte weniger werden, dann können wir es uns nicht leisten, auf Kompetenzen und Begabung zu verzichten, weil es keine ausreichende Infrastruktur zum Beispiel zur Kinderbetreuung gibt.

Sozialdemokraten haben in der Berliner Koalition das Elterngeld auf die Tagesordnung gesetzt und ihm zum Durchbruch verholfen. Schon in der rotgrünen Regierungszeit haben wir mit der finanziellen Förderung von Ganztagsgrundschulen, der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, dem Gesetz zum Ausbau von Kindertagesstätten und der jährlichen Förderung von 1,5 Milliarden € für den Ausbau von Krippenplätzen unser Konzept Schritt für Schritt umgesetzt. Damit werden die Voraussetzungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich verbessert.

Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, dass so viele Frauen mit kleinen und heranwachsenden Kindern arbeitslos und am Arbeitsmarkt nur schwer integrierbar sind. Wir wollen, dass die Vermittlung dieser Frauen noch einmal intensiviert wird. Dabei müssen die Unternehmen mitmachen und sich auf die besonderen Zeitbedürfnisse dieser Frauen, gerade der alleinerziehenden Frauen, intensiver einstellen. Das hilft vor allem auch, Kinderarmut zu vermeiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Anlass, über die detaillierten verschiedenen Punkte im vorliegenden Antrag im Ausschuss ausführlich zu beraten. Auf diese Beratung freue ich mich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP erhält jetzt das Wort Herr Abgeordneter Dr. Romberg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was uns die Grünen hier vorgelegt haben, erinnert ein wenig an einen schlecht sortierten Gemischtwarenladen in Antragsform. Da wird beherzt alles Mögliche, was der Arbeitsmarkt an Themen so hergibt, mit einem Schuss düsterer Farbe angemalt und gemixt. Darin sind die Grünen wirklich unschlagbar.

(Beifall von der FDP)

Auffällig ist, dass ein Antrag der Grünen zum wiederholten Male gerade mal durch eine einsame grüne Abgeordnete unterstützt wird. Ich frage mich schon, ob das an der fehlenden Wertschätzung der Grünen für ihre sozial- und arbeitsmarktpolitischen Ideen liegt.

(Beifall von der FDP)

Die FDP-Fraktion ist jedenfalls auch personell bei Arbeitnehmerfragen stark engagiert.

(Lachen von Barbara Steffens [GRÜNE])

Da können Sie gerne lachen. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen nehmen das anders wahr.

Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entgeht den Grünen leider völlig. So ging die Zahl der Arbeitslosen in NRW im April auf 782.440 zurück. Sie sank damit im Vergleich zum Vorjahr um 12,5 %. Seit der Regierungsübernahme von CDU und FDP sind in diesem Land mehr als 250.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden.

Trotz dieser erfreulichen Entwicklung überhören wir keineswegs die Warnungen aus der Wirtschaft, wonach sich die Konjunktur bald wieder abschwächen könnte. Aus diesem Grund sind die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass mehr Mittel für Investitionen in der Wirtschaft zur Verfügung stehen müssen, um Wirtschaftsimpulse entfalten zu können. Dies ist nach Ansicht der FDP nun einmal das beste Mittel, um Arbeitsplätze zu schaffen beziehungsweise deren Abbau zu verhindern.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Aber natürlich müssen eben auch die Rahmenbedingungen stimmen. Es gibt Arbeitsbedingungen, die untragbar sind, wie der Skandal um die Bespitzelungspraxis in einigen Unternehmen in jüngster Zeit gezeigt hat.

Es stellt sich allerdings die Frage, welche Mittel sich wirklich eignen, um diese Verwerfungen welcher Art auch immer zu verhindern. Politik mit der Moralkeule führt häufig dazu, dass sich vor allem die Macher gut fühlen, die Betroffenen aber nichts davon haben oder sich die Situation sogar noch verschlechtert.

Über den Niedriglohnbereich haben wir schon häufig debattiert. Er unterliegt dem besonders scharfen Wettbewerb mit ausländischen Anbietern. Das hat dazu geführt, dass schon viele Arbeitsplätze ins Ausland verlagert worden sind.

(Günter Garbrecht [SPD]: Welche denn? Nennen Sie Ross und Reiter!)

Zum anderen ist jedem klar, dass es gerade für gering qualifizierte Menschen kaum eine andere Chance gibt, Arbeit außerhalb des Niedriglohnsektors zu finden. Bei der Entlohnung existiert häufig ein kausaler Zusammenhang mit den Anforderungen einer Tätigkeit, die natürlich wiederum etwas mit der Qualifikation zu tun haben.

Darüber hinaus entscheidet der Markt über die Löhne und Gehälter. Wenn der Kunde nicht bereit ist, für eine bestimmte Dienstleistung oder ein bestimmtes Produkt einen höheren Preis zu zahlen, können in diesem Bereich auch nur Löhne in bestimmter Höhe erwirtschaftet werden.

(Beifall von der FDP)

Außerdem ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass sich gerade die Mitarbeiter im Niedriglohnbereich weiterqualifizieren. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind gleichermaßen gefragt. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Bildungsschecks erinnern, mit denen die Landesregierung gezeigt hat, wie man mit vereinten Kräften etwas erreichen kann, von dem letztlich alle profitieren.

Am vernünftigsten ist es natürlich, mit der Bildung früh anzufangen, damit eine möglichst hohe Qualifikation als Ausgangsbasis erreicht werden kann. Allmählich gehört es zur Normalität, häufiger als in früheren Jahren den Arbeitsplatz oder eben auch die Art der Tätigkeit, also den Aufgabenbereich, zu wechseln. Die Gründe sind komplexer Natur. Die Flexibilität ist nicht immer nur frei gewählt. Auf jeden Fall ist man mit einer guten lebensbegleitenden Bildung, die nicht nur beim Wissen, sondern auch bei Instrumenten zur Wissensaneignung ansetzt, für die Wandlungen des modernen Arbeitslebens am besten gerüstet.

Nicht zuletzt kommt der niedrige Lohn auch dadurch zustande, dass den Menschen von ihrem Bruttogehalt viel zu wenig übrig bleibt.

(Beifall von der FDP)