Protokoll der Sitzung vom 15.05.2008

Genau. Warten Sie es doch auch bitte ab! Ich habe mich gefreut, dass Sie im Zuge Ihrer Rede – das sage ich direkt vorab – einige Konkretisierungen zu Sachverhalten vorgebracht haben – darauf komme ich noch zu sprechen –, die uns im Antrag wirklich schmerzlich fehlen.

(Beifall von der SPD)

Seien Sie versichert, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen: Auch wir sind völlig beseelt von der Arbeit der Enquetekommission „Chancen für Kinder“, die wir seit mehr als zwei Jahren gemeinsam mit mehr oder weniger großen Bemühungen um Konsens leisten. Denn – da sind wir völlig einer Meinung – wir stellen bei unserer Arbeit in dieser Kommission das Kind in den Mittelpunkt und eben nicht parteipolitische Schaukämpfe. Auch wir können es kaum erwarten, die Ergebnisse zu veröffentlichen und gemeinsam endlich ans Werk zu gehen, diese in politisches Handeln für Kinder in Nordrhein-Westfalen umzusetzen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Die SPD-Fraktion respektiert die Arbeit der Enquetekommission. Sie hingegen konnten den Zeitpunkt der Veröffentlichung offenkundig nicht abwarten und bringen nun diesen Antrag ein: eine Ansammlung von Stichworten, von Plänen, von Begonnenem und – lassen Sie uns das nicht vergessen – von Initiativen der Regierung, die nicht nur in diesem Haus bereits Gegenstand heftiger und kritischer Debatten waren und sicher noch sein werden.

Sie erwähnen die Arbeit in Kindertageseinrichtungen, und Sie erwähnen das Kinderbildungsgesetz. Die Auseinandersetzungen hierüber liegen noch nicht allzu lange zurück. Die Auswirkungen, die bereits jetzt für die Träger, besonders für die

Kommunen, deutlich sind, deuten wir anders als Sie. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern.

Nur ein Beispiel: Die finanziell unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Bereitschaft von Kommunen im Bereich der frühen Bildung beispielsweise für Elternbeiträge hat für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nichts mit dem von Ihnen gewünschten Markt und Wettbewerb zu tun. Landesweit aber zeichnet sich das ab.

(Beifall von der SPD)

Wir betrachten Bildung, egal, in welcher Lebensphase, nicht unter Wettbewerbsgesichtspunkten. Ich sagte: Diese schon sichtbaren Auswirkungen Ihrer Gesetzgebung bleiben aus unserer Sicht umstritten.

Sie erwähnen die Familienzentren, über die wir uns hier bereits trefflich gestritten haben – wohlgemerkt über die Methode der Einführung und über ihre Ausstattung, nicht über die Zielsetzung.

Sie erwähnen die Sprachförderung, deren Entstehungsprozess wahrhaftig nicht von Einigkeit geprägt war und bei der sich – wie Sie schreiben – die „Bemühungen der verschiedenen Ressorts der Landesregierung“ zunächst vor allem „verschieden“ bemerkbar machten und aus unserer Sicht so gar nicht am Kind orientiert waren.

(Beifall von der SPD)

Bei der Lektüre Ihres Antrags habe ich die ganze Zeit gedacht: Wann wird es denn nun konkret? Mit welchen Instrumenten sollen alle diese, vordergründig betrachtet, richtigen Forderungen umgesetzt werden? Wir lesen viel von Verzahnen und Verbinden, von Unterstützen und Begleiten, von Verbessern und Stärken, von Sicherstellen und konsequent Fortführen. Nur als Fußnote: Wir wissen auch um die Bedeutung des gesellschaftlichen Klimas, in dem Kinder und ihre Belange erst wahrgenommen werden. Aber dies muss durch substanzielle Maßnahmen erzeugt werden. Darüber sagt Ihr Antrag nicht viel aus.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Verbinden und Vernetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, findet bereits an vielen Stellen statt, besonders in den Kommunen. Aus unserer Sicht jedoch noch völlig unzulänglich sind größere Verbindlichkeiten, feste Zuständigkeiten, klare Regelungen, deren Nichteinhalten dann auch Konsequenzen zeitigt. Bei allem Respekt vor kommunaler und Trägerautonomie: Sie stellen zu diesem Thema keine Forderung auf. Welche Akteure verpflichten Sie zu was? Wie sollen beispielsweise

Jugend- und Gesundheitsämter verbindlich zusammenarbeiten? Haben Sie dazu eine Idee? Wie soll denn, wie Sie schreiben, die Qualität der Arbeit in den Kitas verbessert werden?

Kein Wort lesen wir zum Personal, zu notwendiger Fortbildung und zu notwendiger Änderung der Ausbildung. Ja, Sie haben die Fortbildungsverpflichtung in das KiBiz hineingeschrieben, aber – auch das sage ich zum wiederholten Male – ohne entsprechende finanzielle Ressourcen. Dies gilt übrigens für alle Ihre Punkte in diesem Antrag. Über Finanzen lassen Sie sich nicht aus.

Wie soll denn der Abbau sozialer Benachteiligungen, wie Sie schreiben, in und mit den Kommunen vor sich gehen? Wie berücksichtigen Ihre Verzahnungsappelle die Akteure vor Ort, die kommunalen Ämter, die Träger, zum Beispiel Migrantenorganisationen, zum Beispiel Wohnungsgesellschaften? Und vor allem, wie unterstützen Sie die? Welche konkreten Pläne zur Umsetzung von sozialräumlicher zugehender Arbeit und zur Beteiligung der Menschen an diesen Prozessen haben Sie denn? Vielleicht haben Sie eine Vorstellung davon. Dann haben Sie uns die hier vorenthalten.

Die erwähnten Familienpaten und ihre Tätigkeit führen Sie leider nicht näher aus. Vielleicht hören wir dazu noch etwas. Ich erwähnte es eingangs: Die Enquetekommission erarbeitet gerade auf fundierter Grundlage konkrete Hinweise. Das erfordert viel Arbeit und auch Kompromissbereitschaft, bringt uns alle, vor allem die Kinder in NordrheinWestfalen – da bin ich sehr optimistisch – sehr viel weiter als Ihr offenkundig schnell zusammengezimmerter Antrag.

Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz der Kollegin Kastner in Erinnerung rufen, den sie am 15. September 2005 hier aussprach: „Für uns gilt der Grundsatz Qualität vor Schnelligkeit. Schaufensteranträge wie der Ihrige bringen uns nicht aus diesem Konzept.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hack. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Asch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Um es gleich vorweg sehr deutlich zu sagen: Ich finde solche Art Anträge, wie sie von CDU und FDP vorgelegt wurden, ärgerlich und überflüssig. Ich finde sie überflüssig, weil Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken, Sie hätten

ein Bewusstsein oder gar Handlungskonzepte für Problembereiche unseres Landes. Aber letztendlich begnügen Sie sich in diesem Antrag damit, die Probleme nur anzureißen und Allgemeinplätze aneinanderzureihen.

Der Antrag ist ärgerlich und auch schädlich, weil er in einer unsäglichen Oberflächlichkeit massive Probleme, die Familien in unserem Land haben, mal soeben antippt und Sie noch nicht einmal den Versuch unternehmen – vielleicht sind Sie dazu auch nicht in der Lage –, die Zustände gründlich zu analysieren, vom Vorstellen von Lösungen ganz zu schweigen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, was Sie hier machen, ist doppelt ärgerlich: Sie versuchen, den Enquetebericht in sehr verkürzter, rudimentärer Form vorwegzunehmen. Wir alle wissen: Diese Enquete ist noch nicht beendet. An dem Abschlussbericht wird intensiv gearbeitet. So ist es doppelt ärgerlich, wenn Sie hier alle möglichen Themen, die wir in der Enquetekommission gemeinsam behandeln, mal eben präsentieren.

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

Auf zwei mageren Seiten streifen Sie mal so eben alle Problembereiche, die Familien in unserem Land belasten, die Kindern einen guten Start ins Leben verwehren und die damit auch eine schwere Hypothek für die Zukunft unseres Landes darstellen. Da kommt mal eben das Problem von Kindesvernachlässigung. Das ist eine schwierige Frage, um die alle politischen Ebenen, Kinderschutzverbände und Familienverbände ringen, die sehr viele umtreibt. Bei Ihnen wird das mal eben mit einem Satz abgehandelt. Danach kommt in einer unzulässigen Verkettung ein Satz über Kinderarmut.

Meine Damen und Herren, so wird man den Problemen, die Familien und Kinder in diesem Land haben, nicht gerecht. Das bleibt beliebig. Diesen Vorwurf muss man Ihnen machen: Das ist keine ernsthafte Auseinandersetzung mit Problemen dieses Landes.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Als Beispiel möchte ich Ihnen einen Satz aus dem Antrag nicht vorenthalten – ich zitiere –:

„Die Zahl der Kinder, die in Armut leben müssen und die es schwer haben, ihre Teilhabe an den Chancen der Bildungsförderung zu erreichen, ist gewachsen.“

Meine Damen und Herren, nicht alles, was sich zu einem Satz verbinden lässt, macht einen Sinn. Solch ein Satz ist inhaltsleer und noch nicht einmal grammatikalisch richtig.

Statt eigene Konzepte gegen die drückende Kinderarmut zu entwickeln, beschreiben Sie das, was schon vorhanden ist. Sie entblöden sich noch nicht einmal, die Maßnahme „Ein Instrument für jedes Kind“ als eine gegen Kinderarmut zu verkaufen.

(Zuruf von Walter Kern [CDU])

Haben Sie überhaupt schon einmal evaluiert, Herr Kern, wie viele arme Kinder, wie viele Kinder aus Hartz-IV-Familien oder den unteren Einkommensgruppen an diesem Programm teilnehmen können?

(Beifall von den GRÜNEN)

Weil es so wenig sind, ist jetzt nachgebessert worden. Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Ich habe die Erfahrung in den Schulen meines Wahlkreises gemacht; mein Sohn nimmt selber an dem Programm teil. Die bildungsfernen Familien haben oft keinen Zugang zum Lernen eines Instrumentes. Wenn sie den Zugang haben, dann wissen sie, dass, wenn ihr Kind Spaß daran hat, ein Instrument zu erlernen, sie es sich nach Abschluss des Programms nicht leisten können, den Privatunterricht selber zu bezahlen und das teure Instrument, das sich das Kind wünscht, anzuschaffen. Dieses Problem haben wir mit dem Programm.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie Folgeprogramme auflegen, um sicherzustellen, dass auch über die vierte Klasse hinaus der Unterricht erteilt und das Instrument angeschafft werden kann, dann ist es gut. Aber so, wie Sie es im Moment ausgestaltet haben, ist es rudimentär, und es ist keine Maßnahme gegen Kinderarmut.

(Marie-Theres Kastner [CDU]: Gegen Bil- dungsarmut!)

In dem Antrag haben Sie ganz lapidar formuliert:

„Der Landtag unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der verschiedenen Ressorts der Landesregierung, die gezielte Förderung benachteiligter Kinder zu verbessern und auszubauen.“

Was soll denn diese Formulierung? Das ist eine leere Floskel. Das ist hohl, inhaltsleer und damit überflüssig.

Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich ernsthaft und seriös mit dem Thema Kinderarmut auseinander! Das, was Sie hier produziert haben, bleibt rein auf der Ebene von Leerformeln. Es fehlt jede Substanz.

Gestern hätten Sie die Chance gehabt, etwas gegen Kinderarmut und Bildungsferne zu tun. Sie hätten nämlich unserem grünen Antrag zustimmen können, in dem wir die Lehrmittelfreiheit für die Hartz-IV-Familien gefordert haben. Das ist ein drängendes Problem. Mit 5 Millionen € hätten Sie damit das Problem beseitigt, dass die Hartz-IVFamilien

(Beifall von den GRÜNEN)

keinen Anspruch haben, die Schulbücher ihrer Kinder finanziert zu bekommen. Aber solch konkrete Maßnahmen sind Ihnen fern. Da legen Sie lieber Floskeln vor, die überhaupt keinen Einfluss auf die Wirklichkeit haben.

Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie die vielen Anträge zur Kinderarmut, die wir als grüne Fraktion eingebracht haben. In jedem einzelnen Antrag ist mehr Substanz als in dem Antrag, den Sie heute vorgelegt haben.