Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Auf 5 Milliarden € ist dieser Investitions- und Sanierungsstau beziffert worden. Die Universitätsklinika kommen noch hinzu. Wir müssen uns jetzt der Mühe unterziehen, diesen Berg in den nächsten Jahren langsam, aber mit großer Entschlossenheit abzuarbeiten. Ich bin dankbar dafür, dass dieser Schwerpunkt mit Eingang in die Unterrichtung und Planungen der Landesregierung gefunden hat.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss meines Beitrags. – Man kann sehr klar sehen, was uns von Ihnen unterscheidet.

(Karl Schultheis [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Sie haben zusätzliche Kapazitäten immer in günstigen Fächern eingerichtet, selbst wenn die Berufsperspektiven danach nicht optimal waren.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Herr Schultheis, Zwischenrufe sind ja gut, aber es gibt auch Zwischenfragen. Eine dritte Zwischenfrage – es wäre die letzte Zwischenfrage, die ich zulassen würde – hat jetzt Frau Schäfer. Wollen Sie diese gestatten?

Nein. Ich meine, es ist genug miteinander gestritten worden. Sie hatten Ihre Gelegenheit. Sie müssen Ihr Pulver für weitere Gelegenheiten noch ein bisschen trocken halten.

Was uns unterscheidet, ist Folgendes: Sie haben in der Vergangenheit vor allen Dingen auch bei

der Neugründung von Hochschulen Kapazitäten in günstigen Fächern geschaffen, selbst wenn das nicht in jedem Fall die besten Entscheidungen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die individuellen Lebensperspektiven gewesen sind.

(Karl Schultheis [SPD]: Absoluter Quatsch!)

Sie haben uns in Nordrhein-Westfalen einen Vermögensschaden hinterlassen, weil Sie – übrigens auch im Straßenbau und in anderen Feldern – öffentliche Infrastrukturen nicht gepflegt haben. Darüber hinaus haben Sie dafür gesorgt, dass die Kapazitäten, die wir haben, nicht in vernünftiger Weise genutzt worden sind, weil in NordrheinWestfalen das Studium aufgrund der schlechten Lehrbedingungen unkalkulierbar war und es – im Durchschnitt ein Semester – länger gedauert hat als zum Beispiel in Baden-Württemberg. Auch dadurch sind Kapazitäten belegt worden.

Wir haben das verändert. Das Studium in Nordrhein-Westfalen ist schneller und besser geworden. Die Hochschulen sind freier, eigene Schwerpunkte zu setzen. Wir finanzieren zusätzliche Studienkapazitäten und räumen die Trümmer weg, die Sie uns im Bereich des Hochschulbaus hinterlassen haben. Das ist die neue Wissenschafts-, die neue Innovationspolitik in NordrheinWestfalen.

Für die FDP-Fraktion sichere ich der Landesregierung, auch was die haushaltspolitischen Fragen angeht, die volle Unterstützung zu. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhält Frau Dr. Seidl das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausbau von Studienplätzen bis zum Jahr 2020 ist in der Tat die zentrale Aufgabe, die diese Landesregierung im Hochschulbereich zu bewältigen hat. Ich bin froh, dass diese Erkenntnis nun auch die FDP erreicht hat, auch wenn Herr Lindner offensichtlich den Zusammenhang mit der Schulzeitverkürzung und dem umstrittenen Schulgesetz noch immer nicht verstanden hat.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Aber nicht in dieser Form, Herr Lindner. – Für Herrn Minister Pinkwart ist das ohne Zweifel eine große Herausforderung, wenn man sich die De

mografie vor Augen führt. Wenn uns die Hochschulrektorenkonferenz sagt, dass der jetzige Hochschulpakt nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, dann frage ich mich, wie Sie mit einer solchen Planung auf den Ansturm von Studierenden reagieren wollen, den uns der doppelte Abiturjahrgang im Jahr 2013 bescheren wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Denn nach Schätzungen der Hochschulrektorenkonferenz sind bis zum Jahr 2020 etwa 6 Milliarden € nötig, um die notwendigen Studienplätze in ausreichender Qualität zu schaffen. In Ihrem Topf – das haben Sie eben selber gesagt – sind aber bislang nur 450 Millionen €, die bis 2013 reichen sollen.

Da nützt es eben auch nicht, dass Sie jetzt Nebelkerzen zünden und mit der Verteilung von 10.000 oder 11.000 Studienplätzen im Fachhochschulbereich so tun, als ob das Problem damit gelöst sei. Der Aufstand der Fachhochschulen und deren Kritik an Ihrem Konzept waren ja im Übrigen deutlich.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Aufstand?)

Ja, die Briefe sind ja überallhin verschickt worden. Auch Sie haben einen bekommen, Herr Kuhmichel. – Ich kann den Rektoren nur zustimmen: Die Gründung neuer Fachhochschulen ist nichts anderes als pure Leuchtturmpolitik. Ich kann ja verstehen, dass der Ministerpräsident ein hohes Interesse daran hat, kurz vor den Kommunalwahlen im Ruhrgebiet noch einige Wahlkampfgeschenke zu verteilen. Aber ich halte es für unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, das auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlen zu machen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Denn Neugründungen sind die mit Abstand teuerste Form der Erweiterung des Hochschulbereichs. Das sagt auch die LRK der Fachhochschulen. Das ist nun wahrlich keine Glaubensfrage. Mit dem Geld, das Sie hier symbolträchtig in neue Vorzeigeprojekte schießen, könnte man an bestehenden Standorten ein Vielfaches der jetzt versprochenen 10.000 oder 11.000 Studienplätze schaffen.

Sie loben hier einen Wettbewerb aus, Herr Minister Pinkwart, und wecken damit in ganz Nordrhein-Westfalen Begehrlichkeiten und Hoffnungen. Dass Sie die alle erfüllen können, glauben Sie doch selber nicht. So eine Politik ist nichts anderes als unredlich und populistisch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Natürlich unterstützen auch wir Grüne den Ausbau des Hochschulsystems, gerade in den strukturschwachen Regionen in NRW, aber statt neue Einrichtungen auf die grüne Wiese zu setzen, wäre eine Flexibilisierung der vorhandenen Strukturen angesagt. Die Etablierung von Allianzen und Netzwerken zwischen den zahlreich vorhandenen Hochschulen – wir haben nun einmal das dichteste Hochschulnetz in Europa – und Hochschulabteilungen steckt immer noch in den Kinderschuhen. Eine solche Kooperation würde die vorhandenen Ressourcen viel besser ausschöpfen. Ich zitiere:

„Neue Studienplätze an vorhandenen Standorten, die konzeptionell auf das Entstehen und die Stärkung von solchen Netzwerken ausgerichtet sind, entsprächen aktuellen Erfordernissen.“

Dies sagt die LKR der Fachhochschulen.

„Im Hinblick auf die Strukturförderung mache es viel mehr Sinn, statt neuer Hochschulen Transfereinrichtungen und Einrichtungen für angewandte Forschung und Entwicklung gezielt in strukturschwachen Gebieten zu etablieren, die an gut funktionierende Fachhochschulen angebunden sind.“

Genau so ist das!

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Studienplatzfrage wird das entscheidende hochschulpolitische Thema der nächsten zehn Jahre werden. Einerseits werden wir genug davon schaffen müssen, damit es für viele Schülerinnen und Schüler nach dem Abitur und nach der Fachhochschulreife kein böses Erwachen gibt.

Andererseits werden wir diese Studienplätze qualitativ gut ausstatten müssen. Denn die in den letzten Jahren auf den Weg gebrachten Reformen – insbesondere die Umstellung auf das konsekutive Bachelor-/Mastersystem – ziehen einen zusätzlichen Kapazitätsbedarf nach sich. Dieser wird im Gegensatz zum mittelfristig vorübergehenden Mehrbedarf, den wir jetzt durch die steigenden Studienanfängerzahlen aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge haben, langfristig bestehen. Es geht um die Verbesserung der Betreuung und um die Qualität der Lehre.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Minister Pinkwart, die Summe von 4.262 €, die Sie im Hochschulpakt für einen neugeschaffenen Studienplatz ansetzen, liegt weit unter den tatsächlichen Kosten. Zum Vergleich: Ein Stu

dienplatz in Aachen kostet 10.533 €, an der Uni Bochum 7.942 €. Im Mittel aller Hochschulen kostet ein Studienplatz in Nordrhein-Westfalen 9.108 €. Das ist quasi das Doppelte der von Ihnen angesetzten Summe. Das, womit Sie jetzt Reklame machen, sind Billigstudienplätze. Diese Summe wollen Sie insbesondere für die MINT-Fächer ausgeben, die bekanntlich – siehe Hochschule Aachen – viel teurer sind.

Wahrscheinlich gehen Sie folgendermaßen vor: Ich habe soundso viel Geld, brauche soundso viele Studienplätze, und das passt dann schon. Was nicht passt, wird passend gemacht. Herr Pinkwart, Sie sind hier nicht auf einem Basar!

Wenn ich mich recht erinnere, war es erklärtes Ziel, die Abbrecherquote in den neuen Studiengängen zu senken und die Qualität der Lehre zu verbessern. Im Augenblick sieht die Welt an den Hochschulen allerdings anders aus – auch nach drei Jahren schwarz-gelber Regierungszeit. Seminarplätze werden aufgelöst, Sprechstunden finden nicht statt, und die Studierenden sitzen in überfüllten Hörsälen auf der Fensterbank. Um das Raumproblem zu lösen, entstehen neuerdings aus Studiengebühren finanzierte Seminargebäude, zum Beispiel auf dem Bonner Venusberg.

Zu Recht wird immer wieder die Frage gestellt, Herr Minister Pinkwart: Müssen ausgerechnet die Studierenden die Unterfinanzierung der Hochschulen ausbügeln? – Dass dies der Fall ist, kritisiert sogar das wirtschaftsliberale Centrum für Hochschulentwicklung. Ich zitiere eine Aussage von Herrn Müller-Böling aus einem Artikel der „TAZ“ vom 6. Mai 2008:

„Wer Gebühren bezahlt, sollte sofort eine Verbesserung spüren.“

Ein nicht unerheblicher Teil der Gebührengelder fließt in den Ausfallfonds zur Absicherung der Studienkredite und in die Bürokratie. Das eigentliche Ziel – die Verbesserung der Lehre – bleibt aber auf der Strecke.

All dem schaut diese Landesregierung tatenlos zu. Statt hier zu handeln, sieht sich der Wissenschaftsminister als eine Art Ombudsmann der Studierenden. Ich zitiere noch einmal aus dem Artikel der „TAZ“ vom 6. Mai 2008, in dem Herr Minister Pinkwart sagt:

„Wo jemand einen Missbrauch sieht, da soll er ihn melden.“

In den Ohren der Studierenden wird das äußerst zynisch klingen.

Von der Politik wird verständlicherweise erwartet, dass sie Verantwortung übernimmt. Dazu gehört, dass endlich klare Kriterien, wofür die Gebühren verwendet werden sollen, aufgestellt werden. Wenn das Geld der Studierenden nicht ausschließlich für definierte Zwecke der Lehre verwendet werden muss, dann wird es immer wieder im System versickern.

Ihre Privat-vor-Staat-Ideologie ist eine Politik der Verantwortungslosigkeit, Herr Minister Pinkwart. Wenn es darauf ankommt, können Sie sich natürlich immer wunderbar auf die Hochschulfreiheit zurückziehen. Aber die Studierenden und die Menschen im Land werden Sie an den Ergebnissen messen.