Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

Schüler, Eltern, Lehrer, Verbände und Gewerkschaften sind über die schwarz-gelbe Bildungspolitik verärgert. Diese Kritik landet jeden Tag bei uns im Landtag. Sie versuchen – gestützt auf eine fragwürdige Studie einer noch fragwürdigeren Initiative –,

(Ralf Witzel [FDP]: Unverschämt!)

ein Bild der Schulpolitik im Land zu zeichnen, das sich bei genauerer Betrachtung als wenig realistisch erweist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Der Grund für Ihr Vorgehen liegt natürlich auf der Hand: Nach einer wahren Serie von Pleiten, Pech und Pannen in unseren Schulen, die durch Ihre Bildungspolitik ausgelöst worden ist,

(Lachen von Ralf Witzel [FDP] und Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

wollen Sie diese Studie als Befreiungsschlag nutzen.

(Beifall von der SPD)

Sie wollen aus der bildungspolitischen Defensive in die Offensive gehen und sich als Bildungsland Nummer eins präsentieren. Dabei ist Ihnen offensichtlich jedes Mittel recht. Doch Sie werden dabei ertappt. Ich habe auch einige Zeitungsartikel herausgesucht, die ich zitieren möchte. Anders als Herr Kaiser habe ich nicht nur die Überschriften gelesen, sondern auch in die Kommentare geschaut.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist für die Debatte wichtig. Ich möchte die „Neue Ruhr Zeitung“ vom 28. Mai 2008 zitieren. Dort heißt es im Kommentar:

„Doch was ist die Studie wert, die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstellt wurde?

Am ehesten erklärt, was nicht untersucht wurde: die gelebte Praxis an allgemeinbildenden Schulen, also der Ist-Zustand.

Die gestern vorgestellte Studie hat deswegen relativ wenig Bezug zur aktuellen bildungspolitischen Diskussion,“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

„in der die Probleme der Chancengerechtigkeit, die Bildungs-Bremsen durch das eiserne Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem und sozialen Benachteiligungen dominieren.“

(Lachen von der CDU)

Ebenso kritisch äußert sich der „Westfälische Anzeiger“ in seinem Kommentar unter der Überschrift „An der Realität vorbei“.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dort heißt es:

„Da wird sich mancher verwundert die Augen reiben. Denn seit Jahren bescheinigen sämtliche Pisa-Studien dem bevölkerungsreichsten Bundesland immer wieder Mittelmaß im Länder-Ranking. Worauf basiert also plötzlich so viel Lob?

Auftraggeber und Fragestellung lohnen einer näheren Betrachtung. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln erstellte den ‚PolitikCheck Schule’ im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Das ist eine von den Arbeitgeberverbänden Gesamtmetall ins Leben gerufene Organisation,“

hören Sie gut zu! –

„die den Auftrag hat, in der Bevölkerung eine positive Stimmung für wirtschaftsliberale Reformen zu verbreiten.“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

„… Auffällig ist aber, dass diese Studie die Realität in den Schulen ausblendet und nicht einmal ansatzweise untersucht.“

So der Kommentar. – Und auch der „Kölner StadtAnzeiger“schreibt:

„Mit Vorsicht zu genießen …

Für selbstgefälliges Schulterklopfen besteht jedenfalls kein Anlass. Denn die Studie stellt überwiegend auf die Ziele der Schulpolitik ab, nicht auf deren konkrete Umsetzung.“

(Beifall von der SPD)

Dieser letzte Kommentar gibt mir auch die Gelegenheit, eines deutlich zu machen: Diese Landesregierung startet hier ganz offensichtlich den Versuch, sich mit fremden Federn zu schmücken. Denn die in der Studie gelobten Ziele gehen in weiten Teilen auf die Bildungspolitik von Rot-Grün zurück:

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

individuelle Förderpläne, Schulprogramm, das Modell „Selbstständige Schule“

(Zurufe von CDU und FDP)

regen Sie sich nicht so auf; das ist alles festgehalten! –, Kernlernpläne, zentrale Abschlussprüfungen, Schulzeitverkürzung und die Schulin

spektionen. Das alles sind Projekte, die auf unser Konto gehen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es tut schon weh, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, jetzt mitzubekommen, wie Sie diese wichtigen Reformprojekte reihenweise an die Wand fahren. Jüngstes Beispiel ist das Projekt „Selbstständige Schule“. Die Anhörung dazu – da waren wir von den Oppositionsfraktionen fast unter uns; Sie hatten es ja nicht nötig, sich einmal sachkundig zu machen –

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

ist einmal mehr ein Beweis dafür, dass Sie es nicht können und auch wohlgemeinten Rat gar nicht erst annehmen wollen. Auf die Anhörung wird gleich Frau Schäfer noch näher eingehen.

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Schüler, Eltern und Lehrer Sturm laufen gegen die Bildungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung. Nur als Stichwort möchte ich beispielsweise das chaotische Zentralabitur und seine Umsetzung – ich sage nur: Würfel des Grauens – oder auch das Turbo-Abitur nennen.

Aber Sie stellen sich heute hier hin und malen sich die Welt so, wie Sie sie gerne hätten. Oder, um es mit Pippi Langstrumpf zu sagen, weil ich meine, dass man das auch etwas lustig bringen kann, denn so ernst sollte man diese Studie wirklich nicht nehmen:

„2 x 3 macht 4

Widdewiddewitt und Drei macht Neune!!

Ich mach’ mir die Welt

Widdewidde wie sie mir gefällt …“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur dreist. Das ist auch noch grob fahrlässig. Denn Sie schließen mit Ihrer Politik der Selektion und des Abschiebens junge Menschen von Bildungschancen aus.

Individuelle Förderung findet nach wie vor nicht statt – das wissen Sie genauso gut wie wir –, weil in den Schulen die notwendigen Ressourcen fehlen. Dies bestätigt übrigens ein Gutachten, das wir heute in der „Zeit“ lesen können, von führenden deutschen Bildungsforschern für die Kultusministerkonferenz, die mehr Hilfen für schwache Schüler fordern. In dem Gutachten wird an der Schulpolitik der Stadtstaaten, aber auch von Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Kritik geübt. Wie passt das denn mit den Jubelarien zusammen? – Ich bin gespannt, Frau Ministerin, ob

Sie dazu auch eine riesengroße Pressekonferenz veranstalten werden.

(Beifall von den GRÜNEN)