Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

(Beifall von den GRÜNEN)

Bis heute sind Sie uns den Beweis dazu schuldig geblieben, wie viele Schüler denn nun im Laufe eines Schuljahres dank Ihrer neuen Schulgesetzgebung tatsächlich von der Hauptschule zur Realschule oder zum Gymnasium gewechselt sind.

(Beifall von der SPD)

Durchlässigkeit bedeutet in unserem Schulsystem nach wie vor Durchlässigkeit von oben nach unten und nicht umgekehrt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das kann ja nicht ge- hen!)

Aber unbeirrt setzt diese Landesregierung ihre Symbolpolitik fort und lehnt sich mithilfe dieser Studie bequem zurück. Das – das prophezeie ich Ihnen – wird noch schlimme Folgen haben. Dessen bin ich mir sicher. Die nächste PISA-Studie kommt bestimmt. Dann werden wir sehen, wie Ihre Schulgesetzgebung greift. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Stotz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Löhrmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es zeigt der Beifall, es zeigt die Präsenz – und ich frage mich: Was ist eigentlich in Sie gefahren, diese Aktuelle Stunde für heute zu beantragen?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Offensichtlich wollen sich CDU und FDP mal wieder selbst feiern. – Daraus wird nichts.

(Achim Tüttenberg [SPD]: Einsames Feiern!)

Denn Sie feiern sich heute für eine Fata Morgana. Glauben Sie eigentlich selbst an dieses Trugbild oder tun Sie nur so? – Ich bin überzeugt – und das macht es noch schlimmer –: Sie wissen es besser. Sie laufen wissentlich einer Fata Morgana hinterher, weil sich in Ihrer tristen Bildungswüste schlicht keine Oase findet, für die Sie sich feiern lassen könnten.

(Lachen von der FDP)

Wissen Sie, meine Damen und Herren, wie man jemanden nennt, der sich für etwas feiert, wofür er nichts kann? – Einen Hochstapler. Was Sie mit Ihrer Bildungspolitik liefern, ist eine Mischung aus

Reformverweigerung, Stümperei und Hochstapelei, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Aber schauen wir uns die Fakten dieser Studie an. NRW hat für seine schulpolitischen Weichenstellungen seit dem ersten PISA-Schock eine gute Note bekommen. Gut. Das sieht offensichtlich auch unsere Schulministerin so. Laut „Westfalenpost“ vom 28. Mai 2008 sagt sie:

„Ich bin stolz auf die Anerkennung für die nordrhein-westfälische Reformpolitik der letzten drei Jahre.“

Da hat sie offenbar etwas falsch verstanden. Die Studie bewertet die Zeit seit dem ersten PISASchock. Das war 2000. Das sind, wenn ich kurz rechnen darf – 2000 bis 2008 –, neun Jahre, Frau Ministerin Sommer, nicht drei, kein Dreieck, knapp am Oktaeder vorbei, Frau Ministerin Sommer.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dass Ihre Matheaufgaben beim Abitur unlösbar waren, wundert uns wirklich nicht mehr. Doch Scherz beiseite, zum Abi-Desaster kommen wir ja heute noch.

Meine Damen und Herren, es wäre ja immerhin möglich gewesen, dass sechs Jahre lang nichts und in drei Jahren alles passiert ist. Deswegen wage ich einen genaueren Blick auf die Bewertungsgrundlagen der Studie.

Warum hat Nordrhein-Westfalen so gut abgeschnitten? – Qualitätssicherung und Evaluation, flexible Einschulung, Schulzeitverkürzung, teilzentrale Prüfungen, Kerncurricula und Kompetenzorientierung! Ja, das ist gut und lobenswert, wenn die Umsetzung in die Praxis gelingt.

All das ist im Schulgesetz verankert, aber nicht in Ihrem Schulgesetz, sondern in unserem Schulgesetz aus der vorausgegangenen Legislaturperiode, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Lachen von der CDU)

Die Schulinspektionen wurden von Rot-Grün eingeführt. Die Vermeidung von Sitzenbleiben ist ein grünes Anliegen, das CDU und FDP jahrelange verteufelt und bekämpft haben. Das ist doch die Realität.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Nun zum in der Studie als K.-o.-Kriterium für die Bestnote genannten Thema Selbstständigkeit der Schulen. Die „Selbstständige Schule“ wurde von Rot-Grün eingeführt, aber dieses Modell wird ge

rade durch Ihr neustes Technokratengesetz ruiniert, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ralf Witzel [FDP]: Albern!)

Wenn die Autoren der Studie auch das noch hätten berücksichtigen können, dann wäre die Bestnote auch schon wieder dahin gewesen.

Liebe Frau Sommer, wer also genau hinguckt und rechnen kann, der weiß, wen und was diese Studie wirklich lobt. Da bleibt Ihnen eigentlich nur noch der Sprachtest für Vierjährige. Ja, dieses Lob gönne ich Ihnen. Das ist eine gute Sache, findet auch der „General-Anzeiger“ vom 28. Mai. Aber der schränkt das Lob gleich wieder ein. Denn die im Grundsatz sehr sinnvollen Sprachtests für Vierjährige seien – ich zitiere – äußerst holprig und vorschnell auf den Weg gebracht.

Liebe Frau Ministerin Sommer, das ist viel Lob für uns – gar nicht bestellt – und ein kleines bisschen auch für Sie. Es ist schon erstaunlich, dass die Sie tragenden Fraktionen eine Aktuelle Stunde beantragt haben, die die Vorgängerregierung in ein so gutes Licht stellt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, warum haben wir die Aktuelle Stunde nicht selbst beantragt?

(Dr. Jens Petersen [CDU]: Weil Sie so be- scheiden sind!)

Das liegt an dem, was mich in der Schulpolitik umtreibt. Mich interessiert nur am Rande, wie schulpolitische Weichenstellungen durch eine interessengeleitete Organisation bewertet werden. Mich interessieren die konkrete Arbeit in den Schulen und die ganz konkreten Ergebnisse vor Ort. Theorie und Praxis gehören nämlich zusammen.

Und was interessiert die Schülerinnen und Schüler? – Wenn einer sitzen bleibt, dann interessiert den nicht, ob im Gesetz steht, dass das seltener passieren soll. Wenn ganze Klasse jetzt AbiKurse wiederholen müssen,

(Zurufe von der CDU: Ah!)

dann nutzt denen Ihr schönes Gerede nichts.

(Dr. Jens Petersen [CDU]: Verleumdung!)

Und was interessiert die Lehrerinnen und Lehrer? – Wenn eine Lehrerin vor 35 Kindern steht und den gleichen Stoff in erheblich kürzerer Zeit durchpauken muss, dann hat sie nichts davon, dass im Gesetz „individuelle Förderung“ steht, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zurufe von der CDU)

Und was ist mit den Eltern, deren Kinder keine Zeit mehr für Hobbys haben, die viel Geld für Nachhilfe ausgeben müssen, deren Kinder unlösbare Abituraufgaben gestellt bekommen und schon mit zehn Jahren aussortiert werden? Glauben Sie wirklich, diese Eltern in NordrheinWestfalen interessiert das Ergebnis dieser Studie, auf dem Sie sich hier ausruhen?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich weise außerdem auch noch mal auf die Zitate hin, die den Charakter der Studie deutlich machen und ihre Bewertungen einschränken:

„Allerdings leistet der Reformmonitor eines nicht: Er sagt nichts über die tatsächlich erreichte Leistungsfähigkeit und über die Qualität eines Bildungssystems aus.“

Anders ausgedrückt: Das beschreibt nicht die Praxis. Das beschreibt nicht die konkrete Schulrealität in Nordrhein-Westfalen. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie hätten besser mal das Kleingedruckte und nicht nur die Überschriften gelesen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dass Sie das möglichst niedrig hängen sollten, hat Frau Stotz schon gesagt.