Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

In Ihrem Antrag bemerken Sie: Aufgaben der Schulen haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Das ist richtig. Aber genau hier haben wir doch schon angesetzt: mehr Freiräume für innovative schulische Vorhaben, wie zum Beispiel im Bereich der medienpädagogischen Förderung. Hier wurde bereits ein gemeinsamer Antrag, wie Sie sich erinnern, Frau Beer, erstellt: Initiative Kinder- und Jugendmedienschutz 2007. Er greift die gewünschte Medienerziehung in der Ausbildung von Erziehern und Lehrkräften auf.

Frau Doppmeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Beer?

Nein, ich möchte erst im Zusammenhang vortragen.

Nein.

Auch in anderen Bereichen bekommen die Schulen die Möglichkeit, in Zukunft selbst zu bestimmen, welche Schwerpunkte sie setzen. Das ist der Unterschied zwi

schen Ihnen und uns. Wir sagen nicht, wir wollen das Schulsystem von oben her qualitativ fortentwickeln, sondern von unten, von der Basis her. Wir wollen die Lehrer, Eltern und Schüler mitnehmen. Das ist uns wichtig.

(Beifall von CDU und FDP)

Denn für uns gilt: Vor Ort wissen die Schulen im Bereich der Gewaltprävention am besten, was auf dem Schulhof passiert. Hier haben wir den Schulen mehr Eigenverantwortlichkeit gegeben. Aber wir lassen sie nicht alleine. Das Schulministerium hat nach den Vorfällen von Erfurt, Emsdetten und Köln ein entsprechendes Programm zur Gewaltprävention und zum Krisenmanagement im Ernstfall erarbeitet. Dazu gehört eine enge Zusammenarbeit zwischen Schulen und Polizei vor Ort. Auch das fordern Sie, aber das ist bereits im Programm enthalten.

Wir kommen zur Betreuung durch Schulpsychologinnen und -psychologen: Natürlich ist das wichtig für die Schulen. Aber wer hat denn neue Schulpsychologen an die Schulen gebracht? Im Schuljahr 2007/2008 waren es von der Landesregierung aus 50. Das ist seit über 20 Jahren das erste Mal, dass die Anzahl erhöht wurde. Sie müssen doch auch mal überlegen: Was haben Sie getan? Was haben wir getan? Daran sehen Sie, wir lassen die Schulen nicht allein, sondern wir helfen ihnen vor Ort.

Im November 2006 haben wir ein 20-PunkteProgramm gegen Jugend- und Kinderkriminalität beschlossen. Auch hier sehen Sie, dass die CDU vorangeht.

Wir haben die Ganztagsbetreuung ausgeweitet. Auch auf diesem Feld ist in Ihrer Regierungszeit kaum etwas passiert.

Sie können also immer gut fordern. Aber diese Probleme existieren nicht erst seit diesem Jahr, sondern die Gewaltprobleme haben sich mit den Jahren gesteigert.

(Beifall von Bernhard Recker [CDU])

Deshalb sind die Aufgaben von uns in Angriff genommen worden.

Das bedeutet aber auch – darauf will ich noch einmal besonders hinweisen –, Gewalt an Schulen ist kein strukturelles Problem. Gewalt pauschal auf Leistungserbringung und Leistungsbenotung zurückzuführen,

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

ist ein Unsinn sondergleichen. Das ist sehr fragwürdig, und da können wir Ihnen in keiner Weise zustimmen.

(Beifall von CDU und Ralf Witzel [FDP])

Sehen Sie sich das einmal an! Bereits im März dieses Jahres gab es einen 20-seitigen Bericht des Schulministeriums, in dem eine Menge Maßnahmen aufgelistet wurden: die Beschäftigung von zusätzlichen Sozialpädagogen, Einrichtung von 54 regionalen Fortbildungskompetenzteams, Projekte zur Gewaltprävention. Sie sehen, eine ganze Menge ist getan worden.

(Sören Link [SPD]: Eine ganze Menge Pa- pier ist bedruckt worden, Frau Doppmeier, das ist ein Unterschied!)

Somit ist ganz klar, Ihr Antrag ist nur ein Anhängen an Aktionen, Initiativen, die wir bereits ergriffen haben. Somit entblößt er sich selber, und wir können ihm natürlich nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Doppmeier. – Für die SPD-Fraktion erhält Frau Kollegin Tillmann das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit und angesichts der Tatsache, dass dieser Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bereits im Schulausschuss niedergestimmt worden ist, bemühe ich mich darum, mich etwas kürzer zu fassen.

Sternstunden parlamentarischer Arbeit sehen anders aus. Das bezieht sich nicht auf den Inhalt des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen, sondern auf die Arbeitsweise unseres Parlaments.

(Beifall von der SPD)

Alle Fraktionen dieses Landtags waren tief erschüttert über die Ereignisse in Emsdetten und die Vorkommnisse am Kölner Georg-BüchnerGymnasium. Alle Fraktionen waren und sind sich einig, dass die Themen „Gewalt und Sicherheit an Schulen“, „Gewaltprävention“, „Krisenintervention“ und in diesem Zusammenhang auch „Elternarbeit und Elterninformationen“ – ein nur kleines Themenfeld in diesem Bereich – von zentraler Bedeutung für die Schullandschaft sind.

Frau Doppmeier hat eben schon einige Maßnahmen genannt, die mittlerweile von der Landesregierung ins Leben gerufen worden sind. Umso bedauerlicher finde ich es aber, dass es trotz ge

meinsamer Bemühungen nicht gelungen ist, zu einem gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Antrag zu kommen. Ich gehe davon aus, dass die Bemühungen ernsthaft waren. Das Thema „Gewalt an Schulen“ ist absolut ungeeignet für parteipolitisches Geklappere.

(Beifall von SPD, CDU und FDP)

Von daher erspare ich es mir, eine Schuldzuschreibung vorzunehmen, an welcher Fraktion es gelegen hat, dass dieser Antrag nicht zustande gekommen ist. Ich finde Ihre Einlassung, Frau Doppmeier, vollkommen daneben, weil Sie wieder parteipolitisches Geklappere hineingebracht haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Festzuhalten bleibt aber: Es ist uns allen nicht gelungen – ich schließe da keine Fraktion und keine Partei aus –, einen gemeinsamen Antrag hinzukriegen. Ein gemeinsamer Antrag aller vier Landtagsfraktionen zu dem Themenkomplex „Gewalt an Schulen“ hätte ein Zeichen von parteiübergreifender Vernunft setzen können. Es wäre ein gutes Zeichen für Schülerinnen und Schüler, für Lehrerinnen und Lehrer, für Eltern, für alle an Schulen tätigen Menschen gewesen, wenn wir es bei einem so wichtigen Thema zusammen hinbekommen hätten, einen rein sach- und inhaltsbezogenen Antrag auf die Beine zu stellen. Diese Chance ist vertan worden. Ich stimme dem verstorbenen belgischen Politiker Spaak zu, der sagte: Für verlorene Gelegenheiten in der Politik gibt es kein Fundbüro. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Tillmann. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Witzel das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die FDP-Landtagsfraktion ausdrücklich unser Bedauern äußern, dass es nicht zu einer gemeinsamen Verständigung gekommen ist.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Denn alle demokratischen Kräfte, die zu dem Rechtsstaat stehen, können nur gemeinsam aufs Allerschärfste rohe Gewalt und Fehlverhalten ablehnen und bekämpfen.

(Beifall von der FDP)

Aber, Frau Beer, es gibt eben eine strukturell unterschiedliche Auffassung. Obwohl natürlich jeder Einzelne einer zu viel ist, sind es zum Glück eini

ge wenige, die die Freiheit und die Rechte der Masse insgesamt bedrohen. Wenn es sich um einige wenige Phänomene handelt, stellt sich die Frage, ob man eher den Ansatz hat, sich den Einzelnen zu widmen, die die Allgemeinheit in ihrem friedlichen Zusammenleben bedrohen, oder ob man den Schwerpunkt darauf legt, sich über strukturelle Gewaltfragen, über Systemfragen, Gedanken zu machen, weil man nicht in der Lage und bereit ist, Fehlverhalten Einzelner auch als solches zu benennen, sondern lieber die Verantwortung und Schuld beim großen allgemeinen Kollektiv verankert. Das halten wir nicht für den richtigen Ansatz. Das muss noch einmal herausgearbeitet werden.

Wir sind keine Anhänger des Marxismus, in dem immer das System schuld ist und der Einzelne unschuldig. Wir sind Anhänger eines Freiheitsverständnisses. Deshalb sagen wir: Wer die Freiheit aufgibt, weil er absolute Sicherheit will, wird im Ergebnis mit Sicherheit beide Ziele verfehlen.

Die noch recht aktuellen Ereignisse von Emsdetten und Köln haben uns alle schockiert und uns allen gemeinsam verdeutlicht, dass auch die Welt der Schule leider kein Ort ist, der vor Gewalt und vor Bedrohung durch gewalttätiges, rohes Verhalten vollständig geschützt ist. Auch Schulen können sich leider nicht von der Gesellschaft separieren, denn sie sind ein Teil der Gesellschaft und sollen es ausdrücklich auch sein.

Absolute Sicherheit kann es in einer freien Gesellschaft deshalb leider nicht geben. Dennoch müssen wir versuchen, das Mögliche zu tun, um solche Taten wie die beschriebenen zu verhindern, die uns alle betroffen machen und schockieren.

Aber auch diese Bemühungen dürfen nicht dazu führen, dass wir es einigen Schulen im Ausland gleichtun und unsere Schulen fast schon zu Hochsicherheitstrakten mit Metalldetektoren machen und sie mit mehr einsperrenden, als schützenden Zäunen umgeben. Eine Schule ist kein Hochsicherheitstrakt und soll es auch zukünftig nicht werden.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wer sagt das denn?)

Aber wir schulden allen Schülern, Eltern und Lehrern die Abwägung, wie wir bestmögliche Sicherheit bei zugleich größtmöglicher Freiheit und gesellschaftlicher Offenheit gewährleisten können in einer toleranten Gesellschaft. Hier müssen vor allem die Eltern ihren erzieherischen Auftrag wahrnehmen. Wir brauchen eine neue Verantwortungskultur, eine Kultur des Hinsehens. Es ist

wichtig, dass Gewalt wahrgenommen, thematisiert und nicht verschwiegen wird.

Deshalb ist es richtig, dass wir eine Vielzahl von Maßnahmen im Land ergriffen haben, deren Bestandskraft sich natürlich erst in der praktischen Bewährung der nächsten Jahre erweisen muss. Das zeigt auch, dass es der richtige Ansatz war, dass wir Schule und Innenpolitik zusammengebracht haben. Es ist richtig, dass wir im Rahmen der allgemeinen personellen Aufwüchse für bessere Betreuungs- und Erziehungsrelationen in unseren Schulen die Einstellung zusätzlicher Schulpsychologen ermöglicht haben. Denn wir brauchen mehr Prävention, aber auch Hilfen für Opfer von Mobbing und Gewalt.

Durch den neuen Runderlass der Landesregierung „Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität“ wurde die Kooperation zwischen Schulen, Jugendhilfe, Polizei und weiteren Behörden neu problemorientiert geregelt und das Zusammenwirken auf eine neue zukunftsfeste Basis gestellt. Diesen Ansatz halten wir ausdrücklich für richtig. Polizeiliche Präventionsarbeit und schulische Pädagogik gehören in fairer Kooperation zusammen an einen Tisch.

Bei allen Einzelmaßnahmen muss uns jedoch bewusst sein, dass es sich um ein Geflecht von vielen Faktoren handelt, die eng ineinandergreifen. Es gibt viele Punkte, die miteinander korrespondieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir insgesamt eine Handlungsstrategie entwickeln, die sich auch mit den sozialen Situationen junger Menschen beschäftigt.