Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Drucksache 14/6963

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Becker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, wir hatten eben schon gleichsam den Aufschlag für die jetzt folgende Debatte. Ich will ganz deutlich machen, dass wir sehr aktuell sind: Während wir debattieren, tagt auch das Bundeskabinett und berät über die Frage, wie sich die LKW-Maut verändern soll und ob bzw. wie sie erhöht werden soll.

Zunächst will ich ganz deutlich sagen: Es gibt die positive Tendenz, dass die LKW-Maut, jedenfalls in Bezug auf die Schadstoffklassen, deutlich mehr gespreizt werden soll. Euro 5 soll im Verhältnis zu Euro 1 und 2 deutlich bevorteilt werden. Die Klassen Euro 1 und 2 sollen in den nächsten Jahren 29 Cent pro Kilometer bezahlen. Das ist die erfreuliche Tendenz, aber ich möchte direkt eine Einschränkung machen. Wenn man diese Lenkungseffekte mit Erfolg angeht und erzielt, sinken in der Folge selbstverständlich die Einnahmen, sodass die Wegekosten nicht in voller Höhe abgegolten werden.

Die tatsächlichen Wegekosten setzen sich nicht nur aus Autobahnschäden, aus Sanierungen der Autobahnen, sondern auch aus ganz erheblichen Kosten für die Sanierung der Brücken aufgrund des Schwerlastverkehrs zusammen. Deswegen müsste die Maut ausweislich aller Wegekostengutachten im Durchschnitt jetzt schon bei mindestens 17 Cent pro Kilometer für die LKW liegen. Wenn es schon eine Maut für Bundesstraßen gäbe, betrüge sie 26 Cent.

Meine Damen und Herren, der Entwurf des Bundeskabinetts erfüllt an dieser Stelle jedenfalls nicht die Bedingungen für einen klimafreundlichen Güterverkehr, die ich gerade formuliert habe. Die Europäische Union – ich hatte das vorhin angesprochen – ist dabei deutlich weiter; sie führt im Übrigen eine intensive Debatte über die externen Kosten des Güterverkehrs wie Unfallkosten oder Umweltkosten, die in die Rechnung einbezogen werden müssen.

Meine Damen und Herren, der Landesverkehrsminister Wittke hat sich vor einiger Zeit sehr medienwirksam aus dem Fenster gelehnt und im April dieses Jahres Folgendes gesagt: Die Maut für LKW müsse für stark befahrene Autobahnen

„drastisch erhöht“ werden. Mit der Maut müssten endlich Verkehrslenkungen betrieben werden. Bislang handele es sich lediglich um eine „Abkassier-Maut“.

Meine Damen und Herren, wer lenken will, muss andere Spreizungen vornehmen. Erstens müssen wir eine Spreizung nach Tag und Nacht, also nach den Verkehrszeiten haben. Zweitens müssen wir insbesondere im Berufsverkehr eine Spreizung haben. Drittens müssen wir eine progressive transportweitenabhängige Maut bekommen, sodass vor allem der Transitverkehr erheblich mehr belastet wird als die heimische Wirtschaft, weil dieser hier lange Strecken in Anspruch nimmt. Mit dem, was jetzt beabsichtigt ist, bleiben wir deutlich hinter diesen Anforderungen zurück.

Wir legen heute dem Landtag einen Antrag vor, der sich sehr konkret mit der Maut und der zukünftigen Bemautung auseinandersetzt. Wir wollen, dass die gutachterlich zu ermittelnden Schäden und die gutachterlich zu ermittelnden externen Kosten – ich habe eben auf die EU verwiesen – endlich in die Maut mit integriert werden. Das wäre ein vernünftiger Weg. Dieser Weg schadet im Übrigen nicht der Wirtschaft, wie hier immer wieder irrtümlich vorgetragen wird, sondern er nutzt faktisch der Wirtschaft. Denn selbstverständlich ist es so, dass in der Vergangenheit die heimische Wirtschaft und die Arbeitsplätze ein Stück weit darunter gelitten haben und der Transport zu billig war, sodass es sich gelohnt hat, aufgrund kleiner Lohnunterschiede immer wieder die Produktion ins Ausland zu verlagern und dann hinterher für billiges Geld für den Transport zurückzuexportieren. Das ist wirtschaftsschädlich und übrigens auch schädlich für Arbeitsplätze gewesen. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Lehne das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch dieser Antrag zeigt wieder einmal, wie die Grünen tatsächlich ticken. Ohne die Sache objektiv abzuwägen, wird eine unverhältnismäßige Mauterhöhung gefordert,

(Horst Becker [GRÜNE]: Unverhältnismä- ßig?)

die unmittelbar auf die Kosten der Verkehrsunternehmen und mittelbar beim Verbraucher landen.

Zunächst zur Situation: Das deutsche Autobahnnetz ist in vielen Teilbereichen sanierungsbedürftig und muss aufgrund der zu erwartenden Verkehrsmehrbelastungen ausgebaut werden. Nordrhein-Westfalen ist eine Logistikdrehscheibe im europäischen und internationalen Warenverkehr.

Die Bedeutung des Gewerbes für NordrheinWestfalen wird aus einer kürzlich vorgestellten Erhebung des Bundesamtes für Güterverkehr zur Struktur der Unternehmen des gewerblichen Güterverkehrs und des Werkverkehrs deutlich. Daraus geht hervor, dass von den 54.211 in Deutschland ansässigen Straßengüterverkehrsunternehmen 19 % in Nordrhein-Westfalen angesiedelt sind. Im bundesweiten Vergleich nimmt Nordrhein-Westfalen damit den Spitzenplatz vor Bayern und Baden-Württemberg ein.

Ganz wichtig ist dabei, dass 56 % der Unternehmen fünf und weniger Beschäftigte haben. Lediglich 4 % der Unternehmen beschäftigen 50 und mehr Angestellte. Dies zeigt eindrucksvoll, dass neben wenigen sehr großen Speditionen die Branche vor allen Dingen klein- und mittelständisch aufgestellt ist. Allein deshalb ist der verantwortungsvolle Umgang mit einer Mauterhöhung unbedingt angezeigt und nur unter der Maßgabe vertretbar, dass ein angemessener Teil im Interesse der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen verwendet wird.

Ganz wesentlich muss aus Sicht NordrheinWestfalens daher sein, dass das Mautharmonisierungsprogramm, das aus Steuerentlastungen für die Unternehmen besteht, durch den Bund im zugesagten Umfang von 600 Millionen € sichergestellt wird. Das Programm besteht aus Entlastungen bei der Kfz-Steuer und in einem Anreizprogramm, das über die KfW-Bank abgewickelt wird und die Beschaffung neuer sparsamer und schadstoffeffizienter LKW unterstützt, die bereits heute die noch nicht in Kraft gesetzten Emissionsgrenzen nach der geplanten Euro-VI-Norm erfüllen. Das Projekt ist ein großer Erfolg und verdient fortgesetzt zu werden. Auch deshalb wäre eine angemessene Anhebung der Maut vertretbar, denn an einer Modernisierung der LKWBestände im Interesse des Klimaschutzes muss uns allen gelegen sein, Herr Becker.

Wiewohl die Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Bahn anzustreben ist, sollten die Einnahmen aus der Maut dem Bundesfernstraßenbau zufließen. Der Sanierungs- und Ausbaustau auf den Autobahnen erfordert dringend eine Mittelaufstockung.

Herr Kollege Lehne, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Becker?

Das Bundeskabinett wird heute eine Anhebung der Autobahnmaut auf durchschnittlich 16,2 Cent beschließen. Die Autobahnmaut steht in Abhängigkeit von der Anzahl der Achsen und der Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge. Diese Regelung soll Bestandteil des zweiten Energie- und Klimapakets sein, das die Große Koalition in Berlin heute verabschieden will. Bundesverkehrsminister Tiefensee hat angekündigt, die daraus zu erwartenden Mehreinnahmen in Höhe von 850 Millionen € in den Verkehrsetat einfließen zu lassen. So muss es auch sein.

Die Grünen kritisieren in ihrem Antrag die vorgesehene leichte Anhebung der Mautsätze auf deutschen Autobahnen, wie sie derzeit vom Bundesverkehrsministerium vorgesehen ist. Die Grünen fordern eine weit höhere progressive aufgestockte Anpassung. Die von den Grünen vorgesehene Regelung ist unverhältnismäßig, da sie nur auf die gefahrenen Kilometer abstellt.

In ihrem Antrag beziehen sich die Grünen weiterhin auf Landesverkehrsminister Wittke, der Ende April eine drastische Anhebung der Mautsätze sowie eine Spreizung zur Verkehrslenkung gefordert hat. Den Widerspruch zwischen den moderaten Anhebungsplänen des Bundesministers und den offensichtlich deutlichen Wünschen nach Spreizung der Maut nehmen die Grünen zum Anlass für ihren Antrag und die damit verbundenen Forderungen.

Das Verständnis darüber, was eine Mautspreizung meint, geht dabei zwischen den Grünen und dem Minister stark auseinander. Während die Grünen der Auffassung sind, dass die Maut mit der Zahl der gefahrenen Kilometer ansteigen muss, stellt sich unser Verkehrsminister Wittke nach Tageszeiten bzw. Hauptbelastungszeiten gestaffelte Beträge vor, um unter anderem eine verkehrsregulierende Wirkung zu erreichen.

Die Grünen wollen nicht den richtigen Weg gehen. Sie wollen eine übermäßige Belastung der Transportunternehmen und damit der Verbraucher. Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Dieselpreise hat das Speditionsgewerbe bereits in den vergangenen Wochen angekündigt, seine Preise um bis zu 10 % anzuheben.

Eine vernünftige Lösung kann nur in einem vernünftigen Miteinander bestehen. Dies bedeutet,

dass die Belastung der Verbraucher und der Transportunternehmen nicht zu hoch sein darf und tragfähig sein muss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lehne. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Jung das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lehne, der Beschluss ist bereits heute gefasst worden, denn heute Morgen hat sich das Bundeskabinett damit beschäftigt und das Merseburger Klimaschutz-Paket 2 beschlossen. Nach Vorstellungen der SPD im Bund soll ein Bestandteil dieses Paketes die Anpassung der LKW-Maut sein.

Die Erhöhung der Mautsätze beruht auf folgenden Elementen: stärkere Spreizung der Mautsätze nach Emissionsklassen – bisher 50 % plus neu 100 % –, Berücksichtigung der Nachrüstung von Partikelminderungssystemen bei der Mauthöhe – das heißt: Einführung einer vierten Mautkategorie – und Neufestsetzung der Maut auf Basis des Wegekostengutachtens 2007.

Durch die Anpassung der Maut an die aktualisierten Wegekosten werden von 2009 bis 2012 durchschnittlich ca. 740 Millionen € Mehreinnahmen erzielt. Diese Mittel sollen für Investitionen in den Straßen-, Schienen- und Wasserstraßenbau verwendet werden. Diese Mehreinnahmen gehen zu 100 % in zusätzliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.

(Christof Rasche [FDP]: Wo steht das denn?)

Dabei werden die im Wegekostengutachten 2007 ermittelten Wegekosten annähernd vollständig angelastet.

Herr Rasche, man kann sich darüber streiten, welche Wertsteigerungen für Grundstücke anzurechnen sind. Man kann sich auch darüber streiten, welcher Zinssatz zugrunde gelegt wird. Bei Letzterem haben wir uns an das gehalten, was wir schon 2002 mit den Grünen vereinbart haben. Man kann sich ferner darüber streiten, ob die Planungskosten mit 15 oder 18 % angesetzt werden. Wir haben uns für den höheren Satz entschieden.

In der Konsequenz heißt dies: Die Mautsätze orientieren sich weitestgehend, wie von den Grünen gefordert, an den Wegekosten auf Bundesfernstraßen. Forderung 1 des Antrags von Bünd

nis 90/Die Grünen ist somit schon erfüllt, Herr Becker.

Nun kommen wir zu Punkt 2 der von den Grünen aufgestellten Forderungen. Ich persönlich halte eine Mauterhöhung für LKWs ab 3,5 t für ziemlich problematisch. Gerade die Nutzer der kleinen LKWs, die in der Regel ohnehin eher kürzere Strecken zurücklegen, könnten die Maut in großem Umfang zum Anlass nehmen, Ausweichstrecken zu benutzen und so die Städte zusätzlich zu belasten. Die Konsequenz, die eine solche Maut für die Praxis hätte, könnte also durchaus kontraproduktiv sein.

Zu Punkt 3: Die Forderung nach einer progressiv transportweitenabhängigen Maut halte ich für durchaus richtig und auch prüfenswert. Immerhin soll mit der Maut ja auch das politische Ziel verfolgt werden, mehr Verkehr auf die Schiene zu holen – und das macht bei langen Strecken am meisten Sinn. Doch auch hier muss geschaut werden, wie sich diese Forderung innerhalb des bisherigen Mautsystems umsetzen lässt.

Zu Punkt 4, dem letzten Punkt, Ihrer Forderung nach Ausdehnung der Mauterfassung auf das gesamte Straßennetz: In meinen Augen sollte die Maut immer dazu dienen, Güterverkehre auf die Schiene zu holen. Die Schiene ist aber gar nicht in der Lage, jeden Betrieb, jeden Großmarkt und jede Baustelle anzuschließen. Daher erscheint mir diese Forderung wenig sinnvoll – es sei denn, dass man zukünftig für alle Fahrzeuge, also auch für private PKWs, eine Maut einführt. Dann würde die Logistik wieder stimmen. Aber wollen Sie das wirklich?

(Horst Becker [GRÜNE]: Das hat auch keiner gesagt!)

Wie sollte das zu realisieren sein? Daher können wir dem nicht zustimmen, Herr Becker.

Noch letzte Woche, am Montag, 9. Juni 2008, verkündete Dr. Hans-Peter Friedrichs, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSUBundestagsfraktion, in einer Presseerklärung – ich zitiere –:

„Dramatische Lage im Transportgewerbe – kein Spielraum für Mauterhöhung

… In der Union gibt es deshalb Überlegungen, die Erhöhung der LKW-Maut, die der Bundesverkehrsminister aufgrund eines neuen Wegekostengutachtens plant, zu verschieben.“

Hier hat die Klima-Kanzlerin einiges an Arbeit geleistet; denn das ist ja mit dem heutigen Beschluss rückgängig gemacht worden.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sind wir froh über das Erreichte und stolz auf die sozialdemokratische Handschrift beim vorliegenden Kabinettsbeschluss.

Lassen Sie mich auch noch einmal deutlich machen, was wir mit der Mautverordnung bereits erreicht haben. Die Maut hat dazu beigetragen, dass in großem Umfang LKWs auf die Euronorm 5 umgerüstet worden sind. Waren im ersten Jahr nach Einführung der Mautverordnung lediglich 1 % der LKWs auf Euro 5 umgerüstet, sind es im Jahre 2007 bereits 21 %. Die Anreizwirkung ist so gut, dass man davon ausgehen kann, dass im Jahr 2010 ca. 70 % der LKWs auf Euro 5 umgerüstet sein werden.

Herr Becker, wir wissen, dass Ihr Antrag im Wesentlichen aus einer Resolution der Allianz pro Schiene vom 12. Dezember 2007 mit dem Titel „LKW-Maut muss Wegkosten decken“ abgeschrieben ist. Das macht ja nichts. An der einen oder anderen Stelle ist es aber auch sinnvoll, zu schauen, was derzeit schon passiert und was auch bereits unter Rot-Grün im Bund erreicht worden ist.