Protokoll der Sitzung vom 27.08.2008

Meine Damen und Herren, die staatlichen Zusatzlasten auf den Strompreis sind in diesem Zeitraum der rot-grünen Koalition auf Bundesebene von 2,3 auf 11,8 Milliarden € oder mehr als 500 % angestiegen. Wollen Sie jetzt, wo für die Bürger die Schmerzgrenze erreicht ist, das eigene Unrecht mit Steuernachlässen korrigieren? Nein, Sie fordern von den Unternehmen Sozialtarife. Dabei sind die Kosten für Stromerzeugung – das ist hoch interessant –, Transport und Vertrieb, der Unternehmensanteil also, von 1998 bis 2005, bis die Einpreisung des Zertifikatehandels kam, um 12 % gesunken. Der Unternehmensanteil am Strompreis ist um 12 % gesunken. Was dagegen explodiert ist, ist der von Ihnen verursachte staatliche Kostenanteil.

(Beifall von CDU und FDP)

Vor diesem Hintergrund wäre eine Streichung der Ökosteuer, eventuell verbunden mit einer Senkung der Mehrwertsteuer – wie man das von Ihnen auch schon hin und wieder hört – auf Haushaltsstrom, aus Sicht der Verbraucher viel rascher und nachhaltiger wirksam als jeder Sozialtarif mit einer Freiverbrauchsmenge von – das habe ich bisher von Ihnen so gehört – 250 bis 500 Kilowattstunden pro Jahr. Das wären einmal gerade 50 € bis 100 € pro Jahr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie unterschlagen die Wahrheit aber nicht nur an dieser Stelle. Sie tun so, als könnten nur mit einem Sozialtarif für Strom sämtliche Energieprobleme der Bezieher niedriger Einkommen gelöst werden. Das – das wissen Sie selbst – ist Unsinn.

Sie wissen genau, dass 90 % des Energiebedarfs in privaten Haushalten auf Raumheizung und Warmwasserbereitung entfallen. Dafür werden bekanntermaßen Öl, Gas, Kohle oder Holz eingesetzt, kaum aber Strom. Und die Betreiber von Nachtstromspeicherheizungen, die Strom dennoch einsetzen, sind schon gar nicht die Bezieher niedrigster Einkommen. Damit hat Ihr dramatisches Bild von Eisblumen an den Fenstern und von vor Kälte zitternden Kindern nichts, aber auch gar nichts mit Stromtarifen zu tun.

Wir als CDU – und auch die FDP, denke ich – fordern selbst eine Ausweitung der Energieberatung. Wir fordern selbst den beschleunigten Einsatz energiesparender Haushaltsgeräte. Aber wir sagen: Finger weg von staatlichen Kalkulationsvorschriften zulasten privater Unternehmen oder zulasten einzelner Kundengruppen!

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Die Verwirklichung sozialer Ziele ist nicht Aufgabe der Energiepolitik.

(Christian Lindner [FDP]: Richtig!)

Die Verwirklichung sozialer Ziele ist Aufgabe der Sozialpolitik. Der Markt als Institution kann soziale Aspekte nicht berücksichtigen. Da sind wir völlig einig. Deshalb werden im Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft den Empfängern von Transferleistungen die Kosten für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe vollumfänglich vom Staat erstattet, und die Kosten für Strom und Warmwasserbereitung sind im Regelsatz enthalten.

Deshalb brauchen die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen keine Sozialtarife. Was sie brauchen, ist eine zeitnahe und sachgerechte Anhebung der Regelsätze. Darüber kann man diskutieren, aber nicht über die Tarifpolitik.

Menschen mit selbst verdientem niedrigem Einkommen, also eine noch sehr viel größere Anzahl, brauchen ebenfalls keine Sozialtarife, sondern eine Anpassung des Wohngelds. Bereits im März 2008 hat der Bundestag die Erhöhung des Wohngeldes zum 1. Januar 2009 um nahezu 70 % beschlossen, hat also diesen Ansatz aufgenommen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie mir nicht glauben, zum Kronzeugen für diese Einschätzung möchte ich Christian Uhde, den sozialdemokratischen Oberbürgermeister und Präsidenten des Deutschen Städtetages aufrufen. Herr Uhde, OB von München, hat am 20. Juli 2008 eindringlich vor Sozialtarifen und dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand gewarnt. Er sagt: Entweder müssten die Sozialverwaltungen ihre Erkenntnis

se dem Energieversorger übermitteln, oder aber die Energieversorger müssten selbst jeweils eine Art Sozialamt für die Prüfung der Bedürftigkeit einrichten. Beides sei nicht nur aus Datenschutzgründen hoch problematisch.

Er sagt dann weiter: Die Frage, warum andere Produkte wie Benzin oder Lebensmittel nicht ebenfalls sozial gestaffelt werden sollten, sei nicht plausibel zu beantworten. Und wenn die Entlastung der Stromkunden durch Preisnachlässe bei einem bestimmten Stromkontingent pro Haushalt erreicht werden solle, dann stelle sich die Frage nach der weit überwiegenden Zahl der unerwünschten Mitnahmeeffekte. Es bestehe – so Uhde – die realistische Gefahr, dass eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern voll in die Progression gerate, während ein Spitzenverdiener mit Singlehaushalt vielleicht mit dem verbilligten Kontingent auskomme.

Uhde appelliert deshalb an den Bundesgesetzgeber, marktwirtschaftkonform zu agieren und Versuche staatlicher Preisregulierung in Detailbereichen zu unterlassen. In der Praxis werde sich sehr bald erweisen, dass insbesondere ausländische Großunternehmen keine nationalen Preisvorschriften akzeptierten und dass sich der Erwartungsdruck auf soziale Ermäßigungen allein auf die kommunalen Unternehmen konzentrieren werde, was für diese ein gewichtiger Wettbewerbsnachteil wäre.

Meine Damen und Herren, zu dieser scharfsichtigen Argumentation kann man Herrn Uhde nur gratulieren. Gleichzeitig muss man ihn auch beglückwünschen, dass er nicht Mitglied der SPD in Nordrhein-Westfalen ist. Denn sonst liefe er Gefahr, für seine klare Aussage aus der Partei ausgeschlossen zu werden – so wie Wolfgang Clement.

(Svenja Schulze [SPD]: Das ist doch Un- sinn!)

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Kollege Weisbrich. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Priggen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Weisbrich – ganz ehrlich gesagt, Sie haben völlig am Thema vorbei geredet.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich weiß, dass das Thema etwas komplexer ist – nach dem, was Seehofer gesagt hat, und nach dem, was der SPD-Kollege gesagt hat. Es geht nicht um Sozialtarife. Da würde ich Ihnen ja zustimmen. Horst Seehofer hat Energiespartarife vorgeschlagen. Das ist etwas grundsätzlich anderes, um es ganz klar zu sagen.

Energiespartarife sind eine Umstrukturierung der Stromtarife, wobei keiner sagen muss „Ich bin arm, ich bin bedürftig“, sondern sie gelten für alle. Es ist ganz wichtig, in der Diskussion festzuhalten, dass nicht nur diejenigen, die staatliche Transferleistungen erhalten, davon betroffen sind, sondern auch alle diejenigen, die nicht viel Geld verdienen.

Erstens. Zur grundsätzlichen Umstrukturierung ist der Vorschlag von Seehofer vernünftig, die Grundgebühr wegfallen zu lassen, die eine Belohnung für Energieverbrauch ist, und einen Eingangsbereich pro Kopf festzusetzen, in dem der Strom nicht umsonst gegeben wird, aber günstiger ist. Bei Mehrverbräuchen. wird dementsprechend höher bezahlt.

Dies berücksichtigt genau die soziale Komponente: Eine Familie mit drei Kindern – Horst Seehofer spricht von 500 kw/h pro Person – bekommt für fünf Personen fünfmal den Betrag. Davon reden Sie gar nicht. Sie reden nur von Sozialtarifen, aber überhaupt nicht über die Baustelle, um die es hier geht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Für mich ist Folgendes erstaunlich – man verfolgt ja sorgfältig, wie Sie arbeiten –: In der Woche, in der wir mit dem Wirtschaftsausschuss unterwegs waren, haben Sie zum 50jährigen Jubiläum der Verbraucherzentrale eine Pressemitteilung abgesetzt. Am 14. August äußerte sich die CDU zu Tarifen wie folgt:

Die CDU-Landtagsfraktion wird die Situation der Bezieher geringer und mittlerer Einkommen nicht aus den Augen verlieren. Dazu sollten die Stromanbieter neue Tarife entwickeln, die Stromsparen nicht durch eine hohe Grundgebühr bestrafen, sondern durch einen linearen oder progressiven Verlauf begünstigen.

Wenn das keine Energiespartarife sind!

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Das ist Ihre Aussage. Jetzt kann man sich hier doch nicht hinstellen und nun, wenn wir dieses Thema aufgreifen …

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Entschuldigen Sie bitte, die Aktuelle Stunde ist auf der Grundlage von Horst Seehofers richtigem Vorstoß zu Energiespartarifen beantragt worden. Ihre Aussage – ich will gar nicht unvollständig zitieren – geht folgendermaßen weiter:

Staatlich subventionierte Sozialtarife lehnt die CDU-Landtagsfraktion ab.

Damit gehe ich d’accord; das ist doch gar nicht das Problem.

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU] – Ge- genruf von Horst Becker [GRÜNE]: Das müssen Sie mal lesen! Lesen bildet!)

Wir reden über Seehofers Vorstoß. Nichts anderes haben die sozialdemokratischen Kollegen auch getan.

Herr Kollege Weisbrich, in der letzten Woche gab die CDU eine Pressemitteilung heraus, in der sie genau das inhaltlich fordert, was wir aufgreifen und was Horst Seehofer aufgegriffen hat. Hier aber erzählen Sie in Ihrer langatmigen Art ganz viele Dinge – zu der Steuerproblematik werde ich gleich noch kommen –, reden aber an dem vorbei, was Sie in der letzten Woche veröffentlicht haben. Das ist doch unglaubwürdig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mich stört an dem, was Sie machen, Folgendes: Ich habe die CDU-Pressemitteilung gelesen und gedacht, Donnerwetter, da bewegt sich etwas. Mich stört aber der Appell an die Unternehmen. Dazu sage ich Ihnen: Wir Politiker dürfen uns nicht darauf beschränken, nur an die Unternehmen zu appellieren. Ich habe nichts gegen einen Appell. Aber die Antwort von RWE ist ja postwendend gekommen, und wie nicht anders zu erwarten, lehnt RWE das alles ab. Die Frage ist, wie wir als Politik damit umgehen, dass tatsächlich eine schwierige Situation für die Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen auftritt, weil – damit haben Sie völlig Recht – die Strom-, die Gas- und die Ölpreise auf breiter Front steigen.

Der Ministerpräsident hat – aus meiner Sicht nicht ohne Grund – von Rezession gesprochen. Davon ist Strom nur ein Teil; da gebe ich Ihnen Recht. Aber man kann doch nicht mit der Aussage, Strom sei nur ein Teil, Gas und Öl seien auch problematisch, die Diskussion über den Stromteil als Unfug bezeichnen. Natürlich müssen wir auch über die anderen Sachen reden; dies tun wir auch. Aber diese Debatte hier ist ebenfalls richtig.

Aus meiner Sicht ist ebenfalls völlig falsch, dass Sie Rot-Grün Preistreiberei in der Vergangenheit vorwerfen. Sie wissen ganz genau, dass die Öko

steuer vor fünf Jahren zum letzten Mal erhöht worden ist. Die entscheidenden, dramatischen Preissprünge sind jetzt gekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn irgendetwas in der letzten Zeit gewirkt hat, dann war es die Mehrwertsteuererhöhung um 3 %, die Ihre Partei im Bund zusammen mit den sozialdemokratischen Kollegen beschlossen hat.

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU] – Ge- genruf von Horst Becker [GRÜNE]: Wir wa- ren doch nicht dabei!)

Herr Weisbrich, Sie haben es eben so leichtfertig abgetan. Was mich daran stört, ist: Wir alle wissen, dass der Staat Steuereinnahmen braucht, um viele Aufgaben zu erfüllen. Wir alle wissen, dass weder Sie noch die roten Kollegen noch wir, wenn wir in der Bundesregierung wären und eine Mehrheit hätten, tatsächlich in der Lage wären, zum Beispiel die Ökosteuer in ihrer alten Wirkung – 20 Milliarden € Einnahmen für die Rentenkassen – einfach irgendwie zu ersetzen. Insofern ist es ein Stück weit Heuchelei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dass Guido Westerwille das ständig macht, leuchtet mir ja ein; von ihm erwarte ich nichts anderes. Aber man muss ein bisschen seriöser damit umgehen, gerade wenn man selbst in der Bundesregierung ist. Sie wissen auch, dass Frau Merkel und die Kollegen nicht den Raum haben, um bei den Energiesteuern maßgeblich herunterzugehen.