Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Auch vor Ort in den Kommunen wird GenderMainstreaming nicht außen vor gelassen. Über die kommunalen Gesundheitskonferenzen ist die geschlechterspezifische Betrachtungsweise in die gesundheitlichen und sozialen Hilfeplanungen eingeflossen.

Die Landesregierung hat sich bemüht, schon in der Großen Anfrage 16 aus dem vergangenen Jahr alle Frage, auch zu der geschlechterspezifischen Drogenpolitik, zu beantworten. Dass Sie ihr nun vorwerfen, in Bezug auf Gender-Mainstreaming unzureichende Antworten gegeben zu haben, und dann die

gleichen Fragen noch einmal stellen, halte ich für wenig hilfreich.

Gerade weil die Drogen- und Suchthilfe in die Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen fällt, ist es schwierig, die Gesamtsituation genau zu erfassen und daraus gesicherte Erkenntnisse zu ziehen.

Detaillierte trägerbezogene Angaben liegen derzeit nicht vor. Die Situation gilt es nachhaltig zu verbessern. Dazu erwarten wir die Landessuchthilfestatistik, die in den kommenden Jahren mit maßgeblicher Beteiligung von Kommunen und freier Wohlfahrtspflege aufgebaut werden soll. Vielleicht reichen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dann ja die dritte Große Anfrage zu diesem Thema ein. Sie haben es ja schon angekündigt; wir werden sie erwarten.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja klar!)

Darauf werden wir sicherlich noch einmal zu sprechen kommen, Frau Steffens.

Ich will zum Schluss kommen. Seien Sie versichert, dass wir auch künftig darauf achten, dass die Gesundheitspolitik und hier speziell die Drogen- und Suchtpolitik geschlechterspezifisch ausgerichtet wird.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ist sie aber nicht!)

Dabei handelt es sich allerdings um einen langfristigen Prozess, Frau Steffens, der sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Denn Suchtbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und lässt sich nur im Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte bewältigen.

Ich glaube, dass sich Nordrhein-Westfalen hier auf einem sehr guten Weg befindet. – Ich bedanke mich, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Brakelmann. – Für SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Veldhues.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es drängte sich gerade der Eindruck auf, dass es verschiedene Exemplare des Antwortkatalogs gibt. Unser Fazit sieht diametral anders aus als das von meinem Vorredner.

Unwidersprochen in diesem Raum ist, dass gerade in der Suchtprävention ein wichtiges Kriterium neben der Zielgruppenorientierung die Geschlechtssensibilität ist. Das muss Beachtung finden bei Konzepten, Plänen und Perspektiven. Nur so können wir die Ressourcen, die ja derbe gekürzt worden

sind – da kann man nicht von Konsolidierung sprechen; das ist Etikettenschwindel –, effizient einsetzen.

(Beifall von der SPD)

Aufgabe aller Beteiligten ist es daher, die notwendige Sensibilität für eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung zu entwickeln.

Auch Suchtverhalten ist geschlechtsspezifisch. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob hier die Unterschiede zwischen Männern und Frauen so gewaltig sind, dass es einer gesonderten Betrachtung bedarf – keiner Parallelstruktur, aber einer gesonderten Betrachtung. Die Antwort darauf ist ein klares Ja. Es gilt heute als fachlich unumstritten, dass Suchterkrankungen bei Frauen und Männern sehr viele Unterschiede in den Ursachen, in der Ausprägung und in den Verläufen aufweisen.

Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ein Drittel der alkoholabhängigen Menschen sind Frauen. Die Alkoholabhängigkeit von Männern und Frauen wird gesellschaftlich unterschiedlich gewertet. Bei Frauen wird Alkoholabhängigkeit noch immer nicht als Krankheit, sondern als moralisches Versagen gesehen und entsprechend von der Gesellschaft sanktioniert.

Frauen verheimlichen oft ihre Sucht. Sie trinken allein, meistens in den eigenen vier Wänden und bleiben daher sozial lange unauffällig. Das führt dazu, dass sie meistens erst sehr spät und bereits mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein Therapieangebot in Anspruch nehmen. Diese Frauen leiden unter starken Schuldgefühlen. Sie fühlen sich als Versagerin in der Rolle als Partnerin, als Mutter oder auch als Tochter. Frauen stehen unter dem Druck, dass sich der Partner von ihnen trennt und sie die Kinder verlieren.

Ähnlich erleben drogenabhängige Frauen ihre Situation. Auch sie leben mit der großen Angst, dass sie das Sorgerecht für die Kinder verlieren. Für Medikamentenabhängigkeit zum Beispiel gilt auch als frauenspezifisches Suchtverhalten, dass sich auch diese Form der Sucht leichter verbergen lässt.

Wenn also die Unterschiede so sind, wie sie sind, müssen die Konzepte entsprechend unterschiedlich sein.

Meine Damen und Herren, geschlechtsspezifische Suchtarbeit ist aber nicht nur mit frauengerechten Angeboten gleichzusetzen.

(Britta Altenkamp [SPD]: So ist es!)

Unter Beachtung des Gedankens des GenderMainstreaming muss Suchtarbeit frauen- und männerspezifische Angebote berücksichtigen. Themen wie Aggression, Gewaltimpulse, Einsamkeit werden in gemischtgeschlechtlichen Behandlungssettings häufig tabuisiert. Durch geschlechtergerechte Suchtarbeit wird auch für Männer der Zugang zu

Hilfsangeboten und präventiven Maßnahmen geebnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Juni dieses Jahres haben wir einen Antrag aller Fraktionen hier im Hause mit dem Titel „Präventionskonzept für den Gesundheitsbereich in NordrheinWestfalen angemessen geschlechtergerecht gestalten“ beraten. Einvernehmlich haben alle Sprecher der Fraktionen erklärt: Die Notwendigkeit wird gesehen und es wird umgesetzt.

Herr Minister Laumann zog unter Beifall des ganzen Hauses folgendes Fazit: Was man gut macht, kann man immer noch besser machen. Darin lassen wir uns aber von niemandem übertreffen. – Daher hat unsere Fraktion, Herr Minister, mit Spannung auf die Beantwortung der jetzt vorliegenden Großen Anfrage gewartet.

Nach mehrmaliger Lektüre bleibt für mich nur als Fazit der Antworten: Wissen wir nicht! Dazu haben wir keine Zahlen. – Also Fehlanzeige! – Als nach Angeboten für Frauen und Männer gefragt wird, wörtlich:

Eine geschlechtsgetrennte Darstellung bringt deshalb keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Auch widersprechen sich die Antworten aus Ihrem Haus. Einmal wird nach den Nutzern von Drogenkonsumräumen gefragt. Wörtlich:

… ergeben sich hieraus keine Informationen, die eine weitergehende geschlechtsdifferenzierte Darstellung zuließen. Eine noch detailliertere Datenerhebung kann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern … nicht zugemutet werden, deren vorrangige Aufgabe es ist, sich um die vielfältigen Belange der hilfebedürftigen Nutzerinnen und Nutzer zu kümmern.

Also eine K.-o.-Argumentation!

Gleichzeitig kündigen Sie an, eine Landessuchthilfestatistik aufzubauen. Ja, dann brauchen Sie doch eine Datenerhebung. Von selbst bekommen Sie die Zahlen auch nicht in den PC. Auch kündigen Sie an, dass sich der Fokus verstärkt auf die ausgewogene Berücksichtigung beider Geschlechter konzentrieren soll. – Und das soll jetzt bei einem Zauberwerk passieren?

In allen Verhandlungen im Plenum wird immer davon geredet, das Landesdrogenprogramm fortzuführen. Meine Damen und Herren, darauf warten wir. Das Landesdrogenprogramm ist 1998 verabschiedet worden und 2005 ausgelaufen. Die weitere Fortführung bedarf dringend einer Vorlage und einer Beratung im Ausschuss.

Wenn wir fortschreiben wollen, dann müssen wir die vorhandenen Angebote doch kennen. Wir müssen die Differenzierung kennen, und wir müssen Defizite benennen können. Nur so können Sie fortschreiben und dann Angebote anbieten.

Aber wie schon bei der Beratung im Februar dieses Jahres angemerkt: Ankündigung, aber keine Taten. Im Gegenteil – die Vorredner haben es betont –: Die Mittel und damit die Aufgabe ist weitestgehend kommunalisiert worden, ohne dass vorher mit den kommunalen Spitzenverbänden Ziele, Aufgaben und Qualitätsmerkmale vereinbart wurden. Jetzt kann die Landesregierung nicht den Kommunen auch noch die Verantwortung für diesen Politikbereich zuschreiben.

Herr Minister, wir nehmen Ihre Ankündigung ernst und fordern Sie gleichzeitig auf: Lassen Sie Ihren Ankündigungen endlich Taten folgen! Wir fordern, dass sich die Drogen- und Suchtpolitik unseres Landes weiterhin an den Problemlagen der Menschen, Frauen und Männer, orientiert. Dazu benötigen wir eine Politik, die Verantwortung wahrnimmt, nicht eine bloße Ankündigungspolitik.

Die jetzt vorgelegten Antworten werden den Herausforderungen und Ihren Ankündigungen nicht gerecht. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Veldhues. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Dr. Romberg.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Geschlechtsspezifische Fragen für die Prävention und Behandlung von Suchterkrankungen haben einen hohen Stellenwert. Das sieht natürlich auch unsere Landesregierung und handelt entsprechend. Beispielsweise sind die Landesgesundheitsberichte geschlechtsspezifisch ausgerichtet. Unterschiede zwischen den Geschlechtern spielen auch bei der Umsetzung von Ziel 4 der zehn Gesundheitsziele von Nordrhein-Westfalen, nämlich den Konzepten zur Bewältigung von Suchterkrankungen, eine wichtige Rolle.

Es lassen sich noch viele weitere Beispiele dafür finden, dass die Botschaft, die die Grünen so vehement verkünden, in vielen Bereichen der Gesundheitspolitik längst angekommen ist. Das gilt etwa für das Programm zur Rauchentwöhnung, das die unterschiedlichen Bedarfe der Geschlechter berücksichtigt. Trotzdem schadet es natürlich nicht, wenn man immer wieder auf die Bedeutung des GenderAnsatzes hinweist. CDU und FDP haben dies zuletzt in ihrem Antrag zur Cannabis-Prävention getan. Klar ist, dass Alkohol- und Glücksspielsucht eher ein Jungen- und Männerphänomen ist, während es sich bei Medikamentenmissbrauch um eine typisch weibliche Variante der Abhängigkeit handelt.

Aber nicht nur die Formen von Sucht sind wichtig, sondern auch deren Entstehungshintergrund: Bei süchtigen Frauen spielen beispielsweise Ohnmachtserfahrungen, Passivität und eine Neigung zur Opferhaltung als Suchtursache eine Rolle. Bei

Männern ist es der Mangel an männlichen Bezugspersonen, das Gefühl des Machtzuwachses in alkoholisiertem Zustand und risikoreiches Gesundheitsverhalten.

Es gibt jedoch eine Reihe von Ursachen, die bei beiden Geschlechtern identisch sind. Zu nennen sind Gewalterfahrungen und Sucht innerhalb der Herkunftsfamilien, ein niedriges Bildungsniveau, ein geringes Selbstwertgefühl, eine mangelnde Geschlechtsidentität. Diese Probleme müssen wir viel stärker zur Kenntnis nehmen. Sie sind jedoch nicht primär eine Frage nach bestimmten Strukturen im Suchthilfebereich, sondern zeigen, wie hoch komplex Suchtentstehung und somit Suchtprävention und -entwöhnung sind.

Das Geschlecht spielt zwar eine wichtige Rolle, ist aber nicht alles. Sucht hat immer eine Geschichte – so lautet bezeichnenderweise der Name der Landesinitiative. Man könnte auch ergänzen: Sucht hat immer eine persönliche, individuelle Geschichte. Deshalb wäre es nicht sehr hilfreich, in der vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage ins Kleinklein abzudriften und alle Suchterscheinungsformen getrennt nach Altersgruppen, Religionszugehörigkeit, präventiven Maßnahmen und therapeutischen Angeboten abzufragen. Die Landesregierung hat darauf hingewiesen, dass gerade in diesem Bereich vorrangig die Kommunen zuständig sind und sich der Erkenntnisgewinn einer detaillierten Datenabfrage, die auf den Gender-Aspekt fokussiert, im Verhältnis zum Aufwand sehr in Grenzen hält. Einen schonenden Umgang mit Ressourcen, wie ihn die Grünen doch sonst immer wünschen, stelle ich mir anders vor.

Ich möchte hinzufügen, dass geschlechtsspezifische Aspekte auch in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik bedeutsam sind. Es gibt nach wie vor Bereiche, in denen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch außerhalb von Suchtpolitik deutlich zu kurz kommen. Das erkennt man an vielen Beispielen, etwa der Datenlage in der Arzneimittelversorgung.

Man tut der Sache aber keinen Gefallen, wenn man derart penetrant einfach nur darauf herumreitet, wie die Grünen es machen. Man könnte fast schon meinen, die Grünen versuchten, suchtkranke Menschen zu entwerten, indem Sie sie nur in die beiden Kisten „Männer“ und „Frauen“ stecken. Das wäre wirklich viel zu kurz gedacht. Wir dürfen die anderen Parameter wie Bildung und kulturelle Prägung auf keinen Fall unterschätzen. Auch wenn der Begriff der Ganzheitlichkeit durch seinen inflationären Gebrauch etwas gelitten hat, ist er trotzdem eine Zielorientierung für die Gesundheits- und Sozialpolitik.

Die beste Versorgung ist aus Sicht der Freien Demokraten ohnehin diejenige, die sich wirklich auf den Bedarf des einzelnen Menschen unter Berücksichtigung seiner gesellschaftlichen Bezüge kon