Protokoll der Sitzung vom 24.02.2011

Herr Krautscheid hat gestern vor seinem Abgang nach Berlin ein bemerkenswertes Verhältnis zwischen mir und dem 1. Mai hergestellt. Dazu will ich an dieser Stelle sagen: Der schönste Mai seit Jahren war für mich der Mai 2010.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Am 9. Mai 2010 haben wir zwar noch keine Gestaltungsmehrheit, aber eine Verhinderungsmehrheit im Bundesrat erzielt.

(Zuruf von der CDU: Verhinderer!)

Wir haben in der Tat Schlimmes verhindert. Gestalten kann man manchmal auch über Verhindern, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Die Bundesregierung hat die angesprochenen Verhandlungen viel zu spät eingeleitet, schlechte oder falsche Berechnungen auf den Tisch gelegt und damit auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorhandenen Kompromisslinien genährt. Wenn sich herausstellen sollte, dass die erzielten Kompromisse nicht verfassungsfest sind, so ist dies einzig und allein die Verantwortung der Bundesregierung und der verehrten Bundesarbeitsministerin. Einzig und allein! Hier gibt es auch eine große Übereinstimmung zwischen den Bundesländern.

Meine Damen und Herren, nach dem Abbruch der Verhandlungen durch die Bundesregierung haben

die Bundesländer die Initiative ergriffen und sehr schnell das eigentlich zum Scheitern verurteilte Vermittlungsverfahren über entsprechende Beschlüsse im Bundesrat wieder aufgenommen. Ich denke, dies war sehr wichtig, um die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Politik zu erhalten. Niemand in dieser Republik hätte es verstanden, wenn diese Auseinandersetzungen fortgeführt worden wären.

Nun zu den Ergebnissen.

Zur Regelsatzbemessung. Die Regelsätze steigen um 8 € in zwei Stufen. Zum 1. Januar 2011 steigen sie um 5 € und zum 1. Januar 2012 um weitere 3 €. Das schon vorhandene Verfahren zur Anpassung der Regelsätze an die Preis- und Lohnentwicklung wird selbstverständlich beibehalten. Es gibt eine Prüfung der Regelbedarfsstufe 3, um Behinderte ab dem 25sten Lebensjahr in den vollen Regelsatz zu integrieren. Auch dies ist ein wichtiger Punkt.

Was bedeutet dies für Nordrhein-Westfalen? Es bedeutet Verbesserungen für 837.000 Bedarfsgemeinschaften und für knapp 1,2 Millionen Bezieher von SGB-II-Leistungen sowie 400.000 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie zum Beispiel Kinder und Kranke. Dass für ehrenamtliche Tätigkeiten eine Aufwandsentschädigung von bis zu 175 € zukünftig nicht auf den Regelsatz angerechnet wird, ist auch Bestandteil dieser Lösung.

Zum Mindestlohn. Meine Damen und Herren, viele fragen sich, was Mindestlohn und Leiharbeit mit unserem Thema zu tun haben. Sehr viel! Wir, auch die rot-grüne Landesregierung, nehmen das Lohnabstandsgebot sehr ernst.

(Beifall von Sören Link [SPD])

Diejenigen, die arbeiten, sollen mehr haben als diejenigen, die nicht arbeiten.

(Beifall von der SPD)

Aber wir sehen die Realisierung des Lohnabstandsgebots etwas anders als zum Beispiel der verehrte Bundesaußenminister, der in diesem Zusammenhang noch vor einigen Monaten von spätrömischer Dekadenz gesprochen hat. Nicht die Sozialleistungen sind zu hoch, meine Damen und Herren – da hat das Verfassungsgericht ja aus guten Gründen interveniert –, nein, die Löhne sind zu niedrig.

(Beifall von der SPD)

Und wenn das so ist, dann brauchen wir einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Dann brauchen wir für bestimmte Erwerbstätigengruppen wie zum Beispiel die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer die Durchsetzung des Prinzips „Equal Pay“: gleiches Geld für gleiche Arbeit.

In diesen Zusammenhängen ist ebenfalls ein Kompromiss zustande gekommen. Natürlich wurden die Positionen, die ich eben beschrieben habe, von der Bundesregierung und den B-Ländern nicht ohne

Weiteres akzeptiert. Ich setze hier in der Zukunft auf mehr Sachverstand. Aber es wird Mindestlöhne für das Wach- und Sicherheitsgewerbe geben. Es wird Mindestlöhne für die Weiterbildungs- und Ausbildungsbranche geben. Dies ist auch für NordrheinWestfalen ein großer Erfolg. Allerdings wird es in der Zeit- und Leiharbeit keine Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz geben, sondern nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Finanzkontrolle soll ebenso wie beim Entsendegesetz über den Zoll stattfinden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls wird damit befasst.

Meine Damen und Herren, für Nordrhein-Westfalen bedeutet dies einen relativen Erfolg. Wir werden über die Realisierung dieser Themen 230.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich in den Mindestlohn bekommen. Wir haben aber 1,4 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Deshalb werden wir weiterhin für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn streiten. Es gibt dazu keine Alternative.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Ich bitte Karl-Josef Laumann eindringlich, diese Einsicht auch bei der FDP verstärkt zu vermitteln. Es gibt hier erste Ansätze. Die Arbeitnehmergruppe in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist zumindest teilweise für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Und es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn man diese sozialpolitische Notwendigkeit nicht auch der FDP vermitteln könnte.

(Zurufe von der CDU)

Wie bitte? – Versuchen Sie es doch noch mal, Herr Laumann! Wir können ja eine sozialpolitische Schule aufmachen, vielleicht auch eine sozialpolitische Gemeinschaftsschule für die FDP.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Auch hier ist längeres gemeinsames Lernen sehr positiv zu betrachten. Warum denn nicht?

Meine Damen und Herren, „Equal Pay“ ist nach wie vor angesagt. Wir können es uns nicht leisten, dass die immer größer werdende Zahl von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern schlechter bezahlt wird als andere – bei gleichartiger Leistung und Qualifizierung.

Ich komme nun zum Bildungs- und Teilhabepaket. Hier hat NRW sozialpolitisch Großes vollbracht. Wir können stolz darauf sein, dass die Kinder von Wohngeldempfängerinnen und -empfängern zusätzlich in das Paket einbezogen sind. Wir können stolz darauf sein, dass Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horteinrichtungen bis 2013 mit insgesamt 400 Millionen € finanziert werden. Das Gesamtvolumen für diesen Bereich der Regelung liegt bei 1,6 Milliarden € – wahrlich kein Pappenstiel.

Ich sage es noch einmal: Hier ist im Rahmen der Kräfteverhältnisse, die in Berlin herrschen, Vorbildliches für die Kinder in Nordrhein-Westfalen erreicht worden. Es werden rund 770.000 Kinder dieses Landes vom Bildungs- und Teilhabepaket profitieren.

Einige Bemerkungen zu den Auswirkungen des Erreichten auf die Kommunen. Wir haben sehr hart kämpfen müssen, um weitere Belastungen für die Kommunen abzuwehren. Bis gestern dauerten die Auseinandersetzungen an. Die Frau Bundesarbeitsministerin wollte auch hier wieder sehr trickreich ihre Kasse und die Kasse des Bundes zulasten der Kommunen schützen. Es wird nun eine spitze Abrechnung geben. Das heißt, die Istkosten, die bei den Kommunen anfallen, werden vom Bund erstattet. Es wird – das ist Ihnen sicherlich schon bekannt – eine Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII zumindest bis 2014 geben. – Die Kommunen stehen nach diesen sehr schwierigen Verhandlungen also gut da.

Mein Fazit: Das jetzt vorliegende Bildungs- und Teilhabepaket erfüllt natürlich nicht alle Forderungen der A-Länder und damit auch des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir haben aber gerade im Interesse der betroffenen Kinder große Fortschritte gemacht. Wir werden nicht ruhen, bis Mindestlohn und „Equal Pay“ in der Leiharbeit durchgesetzt sind.

Zum Abschluss ein Zitat:

„Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn. Das gilt auch für Frauen und Jugendliche.“

Das ist kein Zitat aus dem Kommunistischen Manifest, wie mancher aus der Opposition wahrscheinlich annehmen würde, sondern steht in Art. 24 unserer Landesverfassung.

(Beifall von der SPD, von den GRÜNEN und von der LINKEN)

Diese Regierung ist verfassungstreu und wird auch in diesem Punkt die Verfassung durchsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schneider, für die Unterrichtung. – Bevor wir in die Aussprache zur Unterrichtung eintreten, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam machen, dass zwischenzeitlich zwei weitere Entschließungsanträge eingegangen sind: ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1392 und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke Drucksache 15/1393. Sie werden in der Aussprache mitbehandelt und am Ende ebenfalls zur Abstimmung gestellt.

Hiermit eröffne ich die Aussprache. Für die CDU hat der Herr Kollege Löttgen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Was war das denn für eine Unterrichtung der Landesregierung,

(Beifall von der CDU)

in der noch nicht einmal klipp und klar gesagt wird, wie morgen das Abstimmungsverhalten im Bundesrat sein wird? Ich kann nur sagen, Andreas Krautscheid hatte gestern wirklich recht: Heute ist erkennbar nicht der 1. Mai, und es handelte sich um einen der 364 schlechten Tage von Minister Schneider.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich wenigstens über das sprechen, was Herr Minister Schneider fast gar nicht, maximal am Rande erwähnt hat.

(Serdar Yüksel [SPD]: Zur Sache!)

In einer Verhandlungsrunde in der Nacht zum Montag, gestern in der zweiten Fortsetzung der 10. Sitzung durch den Vermittlungsausschuss bestätigt, haben Union und FDP mit der SPD ein Ergebnis vereinbart, das die notleidenden Kommunen in Nordrhein-Westfalen erheblich entlastet.

(Beifall von der CDU und von der FDP)

Der Bund stellt im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets für 2011, 2012 und 2013 zusätzlich 400 Millionen € pro Jahr für Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horten zur Verfügung.

(Ulrich Hahnen [SPD]: Auf Druck der SPD!)