Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

ich erkläre es Ihnen gleich; hören Sie einfach zu –, die es hauptsächlich auf Leistungen aus unserem Sozialsystem abgesehen haben, ohne natürlich eine Gegenleistung zu erbringen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich habe die Schnauze voll! Das hat doch schon System!)

Ich möchte das einmal ein wenig relativieren. Im Jahr 2014 sind rund 1,46 Millionen Personen nach Deutschland eingewandert, davon rund 630.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger. Im gleichen Zeitraum sind 914.000 Personen ausgewandert, und davon hatten 766.000 einen ausländischen Pass. Der tatsächliche sogenannte Wanderungsüberschuss beträgt also 550.000 Personen, und darunter waren etwa 312.000 Bürger aus der Europäischen Union, nämlich aus Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Italien, Spanien und Polen.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sollten wir eigentlich über den Zuzug von Menschen froh sein und ihm eher positiv begegnen; denn auch in 2014 sind mehr Menschen in unserem Land gestorben als geboren wurden.

Ihr Hinweis – ich zitiere –, das Bevölkerungswachstum durch EU-Binnenwanderung habe sich trotz der hohen Flüchtlingszahlen nicht abgeschwächt, dient doch wohl eher der Verwirrung als dass er einen Sinn ergibt.

In Ihrer Auflistung von Gerichtsurteilen – ich möchte beispielhaft nur auf eines dieser Urteile eingehen –, verweisen Sie darauf, dass Deutschland nach dem Urteil des EuGH von 2014 Sozialleistungen unter bestimmten Umständen verweigern dürfe. Mehr sagen Sie nicht. Sie vergessen dabei, zu erwähnen, dass hier kein allgemein gültiges Verfahren befürwortet wird, sondern dass der EuGH grundsätzlich auch die Einzelprüfung verlangt. Ich halte das in dem Zusammenhang durchaus für erwähnenswert.

Bei Ihrer Analyse zu der Frage, wer von den EUBürgerinnen und -Bürgern Leistungen nach dem SGB II erhält, beschränken Sie Ihre Aussagen nur noch auf Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Das Gleiche machen Sie, wenn Sie vom Anspruch auf Sozialhilfe und den daraus resultierenden Folgekosten für die Kommunen sprechen. Das ist billige Stimmungsmache. Oder wollen Sie tatsächlich insbesondere und ausschließlich Angehörige dieser Nationen vom Sozialrecht in Deutschland ausschließen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Der Antrag ist durchzogen von Unterstellungen. Sie behaupten zum Beispiel, dass Menschen zu uns kommen, die gar nicht arbeiten wollen oder die in unser Sozialsystem einwandern wollen. Das ist alles in allem recht dubios.

Ihre indirekte Forderung, das Land solle die Sozialhilfekosten der Kommunen tragen, kann nur abgelehnt werden. Ich verweise allerdings auf die Maßnahmen des Landes zur Unterstützung der von Neuzuwanderung insbesondere aus Südosteuropa betroffenen Kommunen. Hierfür stellt das Land bereits erhebliche Mittel zur Förderung von Maßnahmen im Gesundheits-, Schul- und Sozialbereich zur Verfügung. Das blenden Sie offenbar sehr gerne aus.

Schließlich wollen Sie den Landtag beschließen lassen, dass er zur Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb der EU steht. Ganz ehrlich: Dafür bedarf es keines Beschlusses, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Denn gerade in Zeiten wie diesen brauchen wir mehr und nicht weniger soziales Europa. Dazu gehört auch, dass die europäische Freizügigkeit sozial flankiert wird. Wenn Menschen monatelang ohne Grundsicherung Arbeit suchen müssen, ist das nicht nur sozialpolitisch äußerst problematisch, sondern es hebelt auch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union geradezu aus, und das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie eben gesagt haben.

Überlegenswert wäre, dass auch Arbeitsuchende aus der EU nach einem Aufenthalt von drei Monaten Grundsicherung nach dem SGB II beantragen können. Nur so können auch diese Personen alle Integrationsinstrumente wie Beratung, Vermittlung sowie berufliche und sprachliche Qualifizierung in Anspruch nehmen – Maßnahmen, die allgemein als Basis für eine erfolgreiche und langfristige Integrati

on in den Arbeitsmarkt und damit auch in die Gesellschaft gewertet werden.

Tatsächlich dürfen die bereits heute überlasteten Kommunen – hier gebe ich Ihnen recht –, die die Sozialhilfeleistungen nach SGB XII zu tragen haben, nicht noch mehr belastet werden. Die Unionsbürger nach einem Jahr sozusagen den Kommunen zuzuschieben, ist daher kontraproduktiv. Besser wäre es, wenn die Bundesregierung eine tragfähige Lösung im Rahmen des SGB II finden würde. Das würde sowohl den Menschen, die sich innerhalb der EU bewegen, als auch den Kommunen helfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, derart konstruktive Anträge bzw. Ansätze lassen Sie in Ihrem Antrag vermissen. Im Gegenteil: Ihr Antrag wirkt eher destruktiv und vor allen Dingen diskriminierend, und wir werden ihn deshalb ablehnen.

(Bündnis 90/Die Grünen – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Quatsch!)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Vor Ende Ihrer Redezeit hatte Herr Kollege Kerkhoff den Wunsch geäußert, Ihnen eine Frage stellen zu dürfen. Würden Sie den Wunsch erfüllen?

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich wollte erst bis zum Ende zuhören. Sie haben im Gegensatz zu dem Kollegen Garbrecht sehr sachlich vorgetragen und haben sich solche Unverschämtheiten, wie wir sie eben erlebt haben, verkniffen. Dennoch möchte ich Sie fragen: Sehen Sie denn nach dem Urteil keinen Korrekturbedarf in der Gesetzgebung und Gesetzanwendung? Schließlich sind die Probleme, die auf die Städte und Gemeinden zukommen, von ihnen auch entsprechend beschrieben worden.

Herr Kerkhoff, vielen Dank für die Frage. Ich denke, dazu habe ich eben bereits Ausführungen gemacht. Ich halte es schon für notwendig oder richtig, unsere Kommunen nicht noch mehr mit Sozialhilfeleistungen zu überfrachten, habe aber den Vorschlag unterbreitet, den meine Partei auch auf Bundesebene verfolgt, diesen Menschen, die zu uns kommen, die Möglichkeit zu geben, im Rahmen des SGB II Integrations- und Unterstützungsmaßnahmen zu beanspruchen. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. Sie per se von unseren Sozialleistungen auszuschließen, nur, weil sie aus Bulgarien und Rumänien kommen, ist schlichtweg diskriminierend, und das werden wir auf keinen Fall befürworten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Piratenfraktion erteile ich Frau Kollegin Brand das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich habe mir den Antrag aufmerksam durchgelesen und dabei festgestellt, dass darin die EU-Binnenwanderung zum wiederholten Male zu einer sogenannten Einwanderung in die Sozialsysteme stigmatisiert wird.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Herr Dr. Stamp hat es gerade noch einmal ausgeführt und sprach von einem großen Druck in den Kommunen. Dabei wird in dem Antrag selber das Ganze noch einmal auf die tatsächlichen Kosten heruntergebrochen, und bei den Kosten für die Großstädte ist ein sechsstelliger Betrag aufgeführt. Dann fragen Sie mal in Köln, wie viele Meter U-Bahn man davon bauen kann.

(Ralf Nettelstroth [CDU]: In Köln wird das mehr sein!)

Sie versuchen, mit einer oberflächlichen Zahlenspielerei die These zu rechtfertigen, dass wir eine massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme haben. Das ist erstens zu kurz gedacht und zweitens einfach falsch.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das lasse ich mir nicht unterstellen! Das steht hier nicht drin! – Gegenruf von Günter Garbrecht [SPD]: Na- türlich! – Jochen Ott [SPD]: Einfach mal den Antrag lesen! – Weitere Zurufe)

Es gibt Städte, in denen eine höhere Quote von Empfänger von Leistungen nach dem SGB II beobachtet wird. Aber in anderen Regionen gibt es dafür mehr Ärzte, Krankenpfleger und Fleischarbeiter.

Es ist nicht richtig – das ist auch klar –, dass nur Ärzte und Akademiker einwandern. Aber es ist genauso falsch, dass wir eine Einwanderung in die Sozialsysteme haben. Herr Garbrecht hat eben schon Bertelsmann mit Bertelsmann widerlegt – Stichwort: Studie von 2014. Die These ist auch an anderer Stelle widerlegt, nämlich in 2015. Denn uns allen liegt das Jahresgutachten „Deutschland im internationalen Vergleich“ vor. Die Sachverständigen, die an diesem Gutachten mitgewirkt haben, gelten als renommierte Quelle, etwa Frau Prof. Langenfeld, Herr Prof. D‘Amato oder auch Herr Prof. Uslucan. Ich will nicht alle aufzählen. Prof. Bauer – das wissen Sie – war auch bei uns im Integrationsausschuss. Und Ihre Quelle ist?

(Zuruf)

Ja, eben.

Das von mir gerade erwähnte Gutachten beleuchtet aktuelle Daten zu Transferleistungen im internationalen Vergleich. Das zentrale Ergebnis lautet – ich zitiere –:

„dass ein zuwandererspezifischer Effekt auf die Wahrscheinlichkeit eines Transferbezugs nicht besteht. Mit anderen Worten: Vergleicht man Personen aus der Mehrheits- und der

Zuwandererbevölkerung mit ähnlichen sozioökonomischen Merkmalen miteinander, gibt es in der Wahrscheinlichkeit des Transferbezugs

keine Unterschiede mehr.“

Es geht noch weiter; ich muss erneut zitieren: Es zeigt sich

„unter Berücksichtigung von Merkmalen wie Alter, Bildung und Familienzusammensetzung … das allgemeine Muster, dass Migranten im Verhältnis zu vergleichbaren Einheimischen geringere Unterstützungsleistungen erhalten“

Sie können das alle auf den Seiten 107 und 108 nachlesen.

Aber natürlich macht es Mühe, sich mit Fakten und Details zu beschäftigen.

(Heiterkeit von Torsten Sommer [PIRATEN])

Es ist anstrengend, immer wieder gegen rechtspopulistische Gerüchte und Vermutungen anzukämpfen. Aber das ist der einzige Weg, um rechte Demagogen zu entlarven.

Meine Damen und Herren, Sie nehmen gern die fleißigen Arbeitnehmer auf, die wir dann schlecht bezahlen, aber umso besser ausbeuten können.

(Ralf Nettelstroth [CDU]: Ui!)

Damit ist Deutschland groß geworden. Jedoch die soziale Verantwortung, die damit einhergeht, schieben wir gern wieder an die Länder zurück, die eh schon nichts haben.

(Widerspruch von Ralf Nettelstroth [CDU] – Lukas Lamla [PIRATEN]: Da fühlt sich die CDU getroffen! – Weitere Zurufe)

Also: Liebe Rumänen und Bulgaren, als Werkvertragsunternehmer dürft ihr gern unter unwürdigsten Bedingungen für billiges Fleisch in der Schlachtindustrie sorgen. Aber wehe, ihr werdet entlassen. Dann hat sich das mit der Freizügigkeit erledigt. Dann geht es wieder zurück.

Oder: Wo stünde das Gesundheitswesen in Deutschland und in NRW ohne die Tausende Pflegekräfte aus Südosteuropa? Wie sähe es in den Krankenhäusern ohne die über 2.500 Ärzte aus Rumänien aus?

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Sie werden nicht müde, immer wieder in gute und in schlechte Zuwanderer zu unterteilen, in Nützlinge und weniger nützliche.

Meine Damen und Herren, es reicht eben nicht, drei bis vier Zahlen zusammenschreiben, wie es die CDU tut, und daraus eine vermeintliche Wahrheit, die sogenannte Zuwanderung in die Sozialsysteme, zu verkünden.

Wir müssen immer die ganze Geschichte erzählen. Das ist zwar mühsam und bedarf einer gewissen Standfestigkeit, aber es zahlt sich in der Zukunft aus. – Ihren Antrag lehnen wir selbstverständlich ab.