Protokoll der Sitzung vom 03.03.2016

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt leider auch diejenigen, die gegen Recht und Gesetz verstoßen und das Angebot unseres Landes, hier friedlich und in Freiheit leben zu können, ausschlagen. Für unsere Teilhabe- und Integrationspolitik heißt das: Wir werden die Wertevermittlung als zentrale Aufgabe verankern. Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung erstellen wir aktuell als eine Grundlage für diese Aufgabe eine Broschüre zur Wertevermittlung, die als deutliches Hilfsmittel vor Ort benötigt wird.

Mit den gestern im eingebrachten Nachtragshaushalt dafür vorgesehenen Mitteln werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass vor Ort Maßnahmen zur Vermittlung der hier geltenden Regel des respektvollen Miteinanders durchgeführt werden können. Mit „Vermittlung“ meine ich ganz deutlich den persönlichen Kontakt, das direkte Gespräch zur Darlegung unserer Werte in der Bundesrepublik Deutschland und die intensive Erörterung derer, damit nicht nur ein Gesetz in Arabisch übergeben wird, sondern damit wir es den Menschen Face to Face vermitteln können, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind stolz auf das friedliche Miteinander von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein hohes Gut, und dieses Gut müssen wir gemeinsam mit Leidenschaft und Entschlossenheit verteidigen. Ich füge aber auch hinzu – das ist mir ganz wichtig –: Integration muss von den Zuwanderinnen und Zuwanderern auch gewollt werden. Sie müssen hierbei aktiv werden und

aktiv mitwirken. Das ist eine Voraussetzung für eine gelingende Integration.

Ohne Bildung und ohne Arbeit gibt es keine Integration. Die Bundesagentur für Arbeit und die Landesregierung hatten sehr frühzeitig das Programm „Early Intervention NRW+“ auf alle 30 Agenturbezirke in Nordrhein-Westfalen ausgedehnt – auch hier als erstes und lange Zeit auch als einziges Bundesland. Bei „Early Intervention NRW+“ wurde bereits vor der endgültigen Entscheidung über einen Asylantrag geprüft, welche Qualifikationen Flüchtlinge mit Bleibeperspektive mitbringen. Dieses Programm wurde inzwischen in die sogenannten Integration Points integriert, eine Initiative der Regionaldirektion NordrheinWestfalen der Bundesagentur für Arbeit, die von der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden maßgeblich unterstützt wird.

Asylsuchenden und Berechtigten wird auf diese Weise eine zentrale Anlaufstelle mit verschiedenen Behörden wie zum Beispiel der Arbeitsagentur, dem Jobcenter oder dem Ausländeramt angeboten. Der bundesweit erste Integration Point ist im September 2015 in Düsseldorf an den Start gegangen. Mittlerweile gibt es in jedem der 30 Agenturbezirke in Nordrhein-Westfalen mindestens einen Integration Point. Derzeit sind es 48, und weitere werden hinzukommen.

Auch diese Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bundesweit einmalig. Unser Ziel dabei ist: Integration durch Ausbildung und Arbeit, durch Teilhabe, durch das Erleben von Werten und Normen. Die Landesregierung flankiert diese arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen mit Basissprachkursen und zusätzlich mit alltagsorientierten Sprachkursen für die geflüchteten Menschen. Der gestern eingebrachte Nachtragshaushalt sieht weitere Plätze hierfür vor.

Alle unsere Initiativen und Maßnahmen dienen – das ist mir besonders wichtig – zwei gesellschaftlichen Zielen: erstens der Integration der Asylsuchenden mit Bleibeperspektive und der Asylberechtigten und zweitens der Sicherung des sozialen Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in unserem Land.

(Beifall von Ingrid Hack [SPD])

Wichtig ist mir aber auch der folgende Hinweis: Kein einheimischer Bürger und keine einheimische Bürgerin wird durch die Hilfen für Asylsuchende schlechtergestellt. Keinem Einheimischen geht etwas verloren, wenn wir Flüchtlingen helfen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Das müssen Sie Herrn Gabriel sagen! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: Der sagt das Gleiche wie wir hier!)

Im Gegenteil: Wir alle gewinnen dadurch, dass Kommunen, Nachbarschaften, Schulen, Kindergärten und andere Bildungseinrichtungen unterstützt werden. Wir stärken so die Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens.

Einzelne Gruppen der Bevölkerung dürfen nicht gegen andere ausgespielt werden. Eine Spaltung der Gesellschaft lassen wir nicht zu.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Christian Lindner [FDP]: Das muss an Sigmar Gabriel geschickt werden!)

Meine Damen und Herren, das Land tut viel. Klar ist aber auch: Die Länder insgesamt brauchen mehr Unterstützung durch den Bund. Das sehen übrigens alle Länder so. Auf den bisherigen Konferenzen der Regierungschefs und Regierungschefinnen der Länder wurde viel erreicht. Das ist aber noch nicht genug. Was wir nach dem Asylpaket I und dem Asylpaket II dringend benötigen, ist jetzt auch ein Integrationspaket für die Flüchtlinge, die hierbleiben werden.

Die Einigung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs über die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Integration von Flüchtlingen ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen. Um die Arbeit dieses Gremiums wirksam zu unterstützen, haben wir am vergangenen Freitag gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine Entschließung in den Bundesrat eingebracht, die denselben Titel trägt wie die heutige Unterrichtung.

Darin schlagen wir konkrete Verbesserungen vor, mit denen wir die Integration der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive weiter voranbringen können, und diese Initiative ist ausdrücklich als Unterstützung für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu sehen.

Eine Forderung unserer Entschließung vom vergangenen Freitag möchte ich besonders herausgreifen: die Verbesserung der Qualität und Quantität der Integrationskurse des Bundes. Wir setzen uns dafür ein, dass der jetzt 60 Stunden umfassende Orientierungskurs auf 100 Stunden erhöht wird. Das Bundesamt muss für die Integrations- und Orientierungskurse aber auch ausreichend Plätze zur Verfügung stellen. Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge derzeit immer noch wochenlang auf ihren Kurs warten müssen.

Ich werde dieses Problem der Integrationskurse auf der nächsten Konferenz der Integrationsminister am 16. und 17. März ansprechen, und ich bin davon überzeugt, dass zehn Jahre nach Einführung der verpflichtenden Integrationskurse durch das Zuwanderungsgesetz auf Bundesebene die Zusammenarbeit zwischen BAMF, Ländern und Kommunen noch deutlich verbessert werden kann und deutlich verbessert werden muss. Die Zahnräder greifen hier noch nicht optimal ineinander.

Ein weiterer Punkt unserer länderübergreifenden Initiative: Noch immer gibt es Benachteiligungen, Hindernisse und Förderungslücken, die nicht mehr in die Zeit passen. Es ist doch keinem Außenstehenden erklärbar, dass seit Oktober 2015 den Asylsuchenden mit guter Bleibeperspektive die frühzeitige Arbeitsförderung zugänglich ist, aber die Leistungen der Ausbildungsförderung, wie zum Beispiel das wichtige Instrument der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, erst nach fünf Jahren Aufenthalt eröffnet werden. Wenn doch klar ist, dass ein Flüchtling eine Bleibeperspektive hat, dass er zu uns, zu dieser Gesellschaft, gehören wird, dann sehe ich nicht ein, dass wir ihn schlechter behandeln als einheimische Auszubildende oder einheimische Studierende.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deswegen haben wir dieses Problem auch in der Bundesratsentschließung thematisiert.

Gleichzeitig wurde auf Initiative von Nordrhein-Westfalen die Aufenthaltserlaubnis für die Ausbildung, die sogenannte 3-plus-2-Regelung, seitens der Koalition in Berlin aufgenommen. Ich würde mich sehr freuen, Herr Kollege Laschet, wenn Sie in Berlin Einfluss in Ihrem Teil der Koalition darauf nehmen könnten, dass hier die Statusfragen eben keine Rolle spielen, sondern vielmehr die Umsetzung dieser einvernehmlichen Einigung auf Koalitionsebene im Sinne der jungen Flüchtlinge, aber auch ausdrücklich im Sinne der Wirtschaft erfolgen muss.

Wir müssen den begonnenen Perspektivwechsel konsequent weitergehen. Um es klar auszudrücken: Der Flüchtling in Ausbildung ist ein Auszubildender, die schutzsuchende Syrerin im Studium ist eine Studentin. Genau so sollten wir die Menschen auch sehen, und wir sollten sie auch so behandeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es geht also nach der Anerkennung um die möglichst vollständige Gleichstellung. Ich bin froh, dass der Bundesrat unserer gemeinsamen Initiative am vergangenen Freitag zugestimmt hat. Das zeigt, dass wir richtig liegen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nein, da lie- gen Sie nicht richtig!)

Aufgrund der stetig steigenden Zahl anerkannter Flüchtlinge und der Höhe der Kosten für die Unterbringung der Menschen droht den Kommunen das Aus. Sie leisten Erhebliches. Das Leistbare wird dadurch überstiegen. Deshalb hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, sich kurzfristig deutlich stärker als bisher an den Kosten der Unterkunft zu beteiligen.

Aber wir fordern ganz grundsätzlich, dass die dringend notwendigen zusätzlichen Leistungen, sprich Gelder, für Flüchtlinge in den betroffenen Ressorts nicht durch Umschichtungen im eigenen Etat zulasten bislang schon sozial benachteiligter Menschen erbracht werden müssen, etwa wenn notwendige Mittel für den Arbeitsmarkt laut Bundesfinanzminister aus dem eigenen Ressort zum Beispiel durch Kürzung der Mittel zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit finanziert werden sollen. Das wäre eine bundesfinanzpolitisch gesteuerte Spaltung der Menschen, und das muss verhindert werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jo- chen Ott [SPD]: So ist das!)

Die gesamtstaatliche Verantwortung für die Integration von Flüchtlingen muss sich auch in einem modernen Einwanderungsgesetz wiederfinden. Es muss dabei zu einer fairen Aufteilung der Aufgaben und der Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen.

Meine Damen und Herren, es gibt in NordrheinWestfalen die gute Tradition und Praxis der integrationspolitischen Zusammenarbeit. Das unterscheidet unser Land positiv von anderen. Einwanderungs- und Integrationsthemen eignen sich nicht für Populismus. Erkennbarer Ausdruck unserer Zusammenarbeit hier in Nordrhein-Westfalen sind die Integrationsoffensive von 2001, der Aktionsplan Integration von 2006 und das Teilhabe- und Integrationsgesetz, das ohne Gegenstimmen im Landtag verabschiedet wurde und am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist.

In ihrem Antrag „Gelingende Integration von Flüchtlingen“ …

Die Redezeit.

… verweisen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich auf diese gute Zusammenarbeit. Sie sprechen sich des Weiteren dafür aus, einen Integrationsplan für NordrheinWestfalen ins Leben zu rufen, der die bisherigen integrationspolitischen Maßnahmen ergänzt und auch entsprechend weiterentwickelt.

Ich halte dies für einen sinnvollen, für einen notwendigen Schritt zur zukunftsfesten Gestaltung des Einwanderungslandes Nordrhein-Westfalen. Und es ist auch sinnvoll, wenn das Parlament heute diesen Antrag in annähernd alle Fachausschüsse überweist. Damit ist die dezidierte Berücksichtigung aller fachpolitischen Aspekte gewährleistet, und das ist angesichts der Vielzahl und der Vielfalt der zu regelnden Aufgaben, wie sie in den fünf Handlungsfeldern definiert werden, dringend erforderlich.

Eine gute Grundlage für die Arbeit der Ausschüsse ist auch unser Teilhabe- und Integrationsbericht, den

wir derzeit aktuell im Integrationsausschuss behandeln. Für die spätere Umsetzung der Eckpunkte, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann entwickeln werden, haben wir mit der interministeriellen Arbeitsgruppe Integration das ressortübergreifende Gremium, das für die kompetente und zügige Umsetzung steht. Ich hoffe, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen nach den umfangreichen Beratungen in diesem Haus die breite Unterstützung erfährt, die er letztendlich auch verdient.

Lassen Sie uns ein Signal ins Land senden, das deutlich macht: Der Integrationskonsens in Nordrhein-Westfalen lebt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das heißt ja nicht, dass wir aufhören sollen, über den richtigen Weg zu streiten. Schließlich ist Streit grundsätzlich nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Er kann sehr produktiv sein. Aber wir müssen deutlich machen, dass wir uns in diesem Haus über das Ziel einig sind, mehr Teilhabe und mehr Integration zu fördern.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Abschluss einige Worte zum Entwurf des bayerischen Integrationsgesetzes, das vom dortigen Kabinett letzte Woche gebilligt wurde. Im bayerischen Gesetzentwurf ist viel die Rede – ich zitiere – „ von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen“, „von den in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen“, von der im Rahmen des „Gastrechts unabdingbaren Achtung der Leitkultur“. Meine Damen und Herren, als Westfale erlaube ich mir die zaghafte Kritik: Etwas weniger Barock und etwas mehr Weltoffenheit hätten hier nicht geschadet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

An unser nordrhein-westfälisches Teilhabe- und Integrationsgesetz reicht das bayerische Gesetz nicht heran. Das haben wir in Nordrhein-Westfalen besser hinbekommen. Das wollen wir auch künftig besser machen. Lassen Sie uns das gemeinsam tun, wie 2001 begonnen – für eine gute, für eine gelingende Integration hier bei uns in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit haben wir die Unterrichtung gehört und kommen zur Aussprache. Ich will Ihnen gerne mitteilen, dass der Minister seine Zeit zur Einbringung der Unterrichtung um 3:10 Minuten überzogen hat. Dies werden wir natürlich entsprechend bei der Aussprache berücksichtigen. – Nun spricht Frau Kollegin Altenkamp für die SPD-Fraktion.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine wirklich wichtige Debatte. NRW hat bislang etwa 200.000 Flüchtlinge aufgenommen. Rund 13.000 davon sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 80 % der Flüchtlinge sind unter 35 Jahre alt. NRW erfüllt damit seine Pflicht mehr als ausreichend.

Andererseits bedeuten diese Zahlen aber auch: Das ist eine Riesenchance für unser Land, aber ohne Zweifel auch eine sehr große Herausforderung. Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich es für wichtig halte, dass wir trotz der Menge an Menschen, die im Augenblick nach Deutschland und auch nach Nordrhein-Westfalen strömen, nicht vergessen, den Blick auf den Einzelnen zu lenken. Wir sollten versuchen, in der Debatte die Flüchtlinge aus dem Objektstatus in den Subjektstatus zu bringen. Das ist wichtig, um überhaupt über Integration sprechen zu können; denn es geht immer individuelle Lebenswege, um individuelle Zugangswege.

NRW fängt bei der Integration von Zuwanderern nicht bei null an. NRW hat große Erfahrungen bei der Integration – übrigens auch und vor allen Dingen bei der gelingenden Integration.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)