Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

Ich möchte Ihnen zum Abschluss noch etwas erzählen, was mich vor einigen Jahren – 2001 war das, glaube ich – sehr beeindruckt hat: ein Essay von Thomas Kleine-Brockhoff mit dem für mich etwas unglücklich klingenden Titel „Wenn Rassenruhe ausbricht“. Er schildert dort eine Vorstadtsiedlung in einer größeren Stadt, in der Menschen aus 177 Herkunftsländern friedlich zusammenleben. Die Fragen sind: Was sind die Voraussetzungen dafür? Was muss passieren, damit so etwas geht?

Ich hatte es gesagt, und ich möchte es noch einmal verstärken: Diesen Menschen gemein sind unter

schiedliche Identitäten, die zu Kreativität führen, sowie eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit und Bildung. – Es handelt sich bei dieser Vorstadtsiedlung übrigens um einen Vorort von San José im Silicon Valley. Das Silicon Valley kann man aus anderen Gründen sicherlich kritisieren, aber wir können nicht bestreiten, dass dort Innovation entsteht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz grundsätzlich gilt, dass jede Gründung eines Unternehmens ein Zeichen ist für Optimismus, für wirtschaftliche Dynamik, für Selbstvertrauen, auch in die eigene Stärke und für Mut. Denn Gründerinnen und Gründer schaffen Arbeit und gehen häufig ein hohes eigenes Risiko ein. Sie würden das aber nicht tun, wenn sie kein Vertrauen in die Chancen hätten.

Sehr geehrter Herr Dr. Paul, das ist jetzt das dritte oder vierte Mal hintereinander, dass ich in meinen Reden direkt Bezug auf Sie nehme, weil Sie es nicht unterlassen können, in den paar Minuten, in denen Sie hier reden, auch kluge Sachen zu sagen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ist das jetzt ein Vorwurf?)

Ich wollte Sie in Ihrer Fraktion diskreditieren.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Aber im Ernst: Sie haben etwas ganz Wichtiges gesagt, nämlich dass es um Qualität und nicht um Quantität gehe. Das bringt mich zu dem Thema der wirtschaftlich – das ist der Fachterminus dazu – bedeutenden Gründungen. Wir können einerseits zählen, wer irgendetwas macht. Wir können andererseits aber auch zählen, was wirtschaftlich bedeutend ist. Das heißt nach der fachlichen Auslegung, dass mindestens ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz geschaffen wird oder dass eine Eintragung im Handelsregister oder in der Handwerksrolle vorgenommen wird.

Hier konnten wir in Nordrhein-Westfalen 2014 an Rhein und Ruhr einen Zuwachs um 2,1 % verzeichnen. Das sagt an sich noch nichts aus. Man muss es erst in Relation zu anderen setzen. Im Bundesdurchschnitt war für den gleichen Zeitraum bei den wirtschaftlich bedeutsamen Gründungen ein Rückgang um 2,3 % zu verzeichnen. Weil hier häufig Bezug auf südlichere Bundesländer genommen wird, möchte

ich hervorheben: Die Zahl der wirtschaftlich bedeutsamen Gründungen in Baden-Württemberg ging um 2,6 % zurück, in Bayern sogar um 5,6 %.

Wenn wir uns den von Ihnen gemachten Grundsatz zu eigen machen, dass es um Qualität und nicht um Quantität gehe, darf man nicht alle Gründungen betrachten, sondern muss die wirtschaftlich bedeutsamen betrachten. Da können wir mit Fug und Recht behaupten und nachweisen, dass Nordrhein-Westfalen mit Blick auf diese wirtschaftlich bedeutsamen Gründungen ein erfolgreiches Land ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist dann, wie in jeder dieser Debatten, auch noch einmal das große Thema „Bürokratiemonster“ hervorgehoben worden. Die letzte Debatte war unter diesem Gesichtspunkt übrigens deshalb so interessant, weil der damalige Redner der FDP auf die Nachfrage der Kollegin Müller-Witt kein konkretes Beispiel nennen konnte. Das ist uns gut in Erinnerung geblieben.

Es kommt übrigens auch nicht von ungefähr – ich bin der Erste, der sagt, dass wir sehr genau hinsehen müssen, was wir alles tun können, um Bürokratie abzubauen –, dass der von uns nicht beeinflusste Normenkontrollrat der Bundesregierung und des Bundes in seinem letzten Jahresbericht ein einziges Bundesland erwähnt, in dem mit dem Thema „Bürokratieabbau“ ernstgemacht wird, nämlich Nordrhein-Westfalen. Das sollten wir alle gemeinsam zur Kenntnis nehmen, auf diesem Weg sollten wir weitergehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Weil Sie in dieser Debatte noch das Tariftreue- und Vergabegesetz in die Diskussion gebracht haben, haben wir Ihnen dazu in dieser Woche eine entsprechende Vorlage geliefert.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Zurück zu Ihrem eigentlichen Antrag „Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund“: Sie spielen in der Tat – das ist schon von vielen Rednern gesagt worden – eine immer größere Rolle. Inzwischen gehen mehr als 40 % aller Unternehmensgründungen auf Migrantinnen und Migranten zurück. Im Ruhrgebiet ist jedes zehnte Unternehmen in der Hand von Menschen ausländischer Herkunft. Der Anstieg betrug seit 2008 fast 50 %.

Viele Migranten der ersten Generation – die damaligen sogenannten Gastarbeitern – investierten in der Rezession der 90er-Jahre zum Beispiel ihre Abfindung in die Gründung von Kleinbetrieben, die sich oft unter Einsatz der ganzen Familie an der Existenzgrenze durchschlugen.

Seit dem Jahr 2000 gründen oft Migranten aus Osteuropa bei uns Betriebe. In den letzten Jahren beobachten wir allerdings einen ganz neuen Gründer

typ. Es sind Männer und Frauen der zweiten und dritten Generation der damaligen sogenannten Gastarbeiter.

Sie sind häufig deutlich qualifizierter als ihre Eltern, haben oft einen viel besseren Zugang zu Fremdkapital und besitzen durchaus eine klare Vorstellung von Produkt-, Vertriebs- und Marketingideen.

Man kann das hier zwar so pauschal gerne mal in den Raum stellen, aber es ist grundlegend falsch, wenn gesagt wird, wir bräuchten keine Spezialbetrachtung dieses Themas, weil es eigentlich nur um Sprache und die Anerkennung von Berufsqualifikationen ginge. Gerade wenn wir über die zweite und dritte Generation sprechen, geht es sicher um alles Mögliche, aber es geht nicht um Sprache und nicht um die Anerkennung von Berufsqualifikationen.

Es ging komplett am Thema vorbei,

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der FDP)

was Herr Hafke hier gerade gesagt hat, denn genau diese Gruppe ist davon nicht betroffen. Im Gegenteil, sie profitieren – Frau Güler hat zu Recht darauf hingewiesen – von ihrer multikulturellen Herkunft. Sie profitieren von ihrer Mehrsprachigkeit. Sie profitieren von ihrer Vernetzung und nutzen die Zugänge zur eigenen Community – wenn man das so sagen will –, aber auch zu den Deutschen. Sie nutzen ihre Verbindung in die Herkunftsländer, und sie sind deswegen aus unserer Wirtschaft überhaupt nicht mehr wegzudenken. Das begrüßen wir sehr.

Dieser Erfolg fällt jedoch nicht vom Himmel. Das gilt natürlich für alle Betriebe, aber migrantengeführte Unternehmen haben eben noch einmal besondere Probleme, die man auch nicht einfach wegdiskutieren kann, indem man sagt, das würde für alle gelten. Da gibt es spezielle Probleme. Das Klischee von der Dönerbude – es wurde hier bereits zitiert – stimmt eben überhaupt nicht mehr.

Viele Betriebe, vor allem im Handel und bei den Dienstleistungen, entsprechen den Wünschen ihrer Kunden sehr genau. Wenn ich mit Unternehmensverbänden von Migranten spreche, ist es immer wieder erfreulich, festzustellen, mit welchem Schwung und welcher Kreativität diese Unternehmen mit oft geringer Man- oder Womanpower die vielfältigsten Aufgaben stemmen und sehr einzigartige Produkte oder Dienstleistungen anbieten.

Ich höre aber auch immer wieder Berichte von zu geringem Eigenkapital, von zu viel operativem Handel und zu wenig langfristigen Strategien zur Unternehmensentwicklung sowie manchmal auch von zu geringen Kenntnissen über Unterstützungsmöglichkeiten oder behördliche Auflagen bzw. Verfahrensabläufe. Da geht der Antrag genau in richtige Richtung, die speziellen Punkte, die von den Verbänden der migrantischen Unternehmen vorgetragen werden,

hier entsprechend aufzugreifen. Darum ist der Antrag von SPD und Bündnis 90/Grüne auch so wertvoll.

Der Antrag beinhaltet auch dank der Hinweise des angesehenen Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn sehr gut begründete Vorschläge, wie Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund besser als bisher wirtschaften können. Ganz wesentlich ist dabei die Zusammenarbeit mit Partnern in den Unternehmensverbänden und Kammern, aber auch den Migrantenorganisationen, den regionalen Kompetenzzentren Frau und Beruf sowie den Verbänden der Entwicklungsarbeit.

Wir richten dabei ein besonderes Augenmerk auf Gruppen, die bisher – auch das wird in allen Gesprächen immer wieder bestätigt – nicht im Vordergrund migrantengeführter Gründungen stehen, und zwar Frauen und Flüchtlinge. Der Frauenanteil liegt bei gewerblichen Gründungen von Ausländern in Nordrhein-Westfalen mit 24 % weit niedriger als bei dem von Deutschen mit 33 %. Hier gibt es daher deutlich Luft nach oben, und die verstärkten Fördermaßnahmen sind angebracht.

Bei den Flüchtlingen haben wir gerade einen sehr wichtigen Schritt gemacht. Die NRW.BANK hat erst vor wenigen Tagen den Zugang zu ihren bewährten NRW/EU.Mikrodarlehen auch für anerkannte Flüchtlinge geöffnet. Das ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Unterstützung.

Der Antrag beinhaltet eine Reihe von konkreten Punkten. Es geht um Finanzierungs- und Unterstützungsangebote, die aber eben passgenau für migrantische Gründerinnen und Gründer sein müssen. Das wird in den Startercentern in der Tat schon bearbeitet, allerdings geht es noch um einige Punkte mehr. Es geht um den erleichterten Zugang für Gründungsfinanzierungen. Diesbezüglich hat gerade in den letzten Tagen auch der Bundeswirtschaftsminister einen ganz wichtigen Impuls gegeben.

Wir wollen aber auch gemeinsam mit den Wirtschafts- und Migrantenverbänden überlegen, wie sie in den Kammern stärker vertreten werden. Sie können mit jedem Kammerpräsidenten der 16 IHKs oder der sieben Handwerkskammern sprechen: Die Repräsentanz von Migranten in der Vollversammlung und in den weiteren Gremien ist ausgesprochen unterdurchschnittlich und entspricht überhaupt nicht dem Anteil an vorhandenen Unternehmen. Deshalb ist das ein wichtiges Thema, das wir mit ihnen gemeinsam diskutieren wollen. Das ist auch deren Erwartung.

Wir wollen mit Hilfe der Kammern darüber hinaus ein Fortbildungsprogramm auflegen, das Gründern gerade in der Anfangsphase bei ihren Herausforderungen hilft. Wir wollen zielgruppenspezifische Angebote kommunaler und regionaler Wirtschaftsförderer für migrantische Gründer anregen und mit den regio

nalen Kompetenzzentren Frau und Beruf die Angebote für migrantische Gründerinnen, aber auch für Gründer, ausbauen.

Es gibt in der Tat daher Herausforderungen, die für alle Gründerinnen und Gründer gleich sind, aber es gibt auch – darauf nimmt der Antrag zu Recht Bezug – spezifische Herausforderungen. Eines will ich dabei noch einmal hervorheben: Die ehemalige Mittelstandspartei FDP sagt hier in dieser Debatte, wir bräuchten hier kein Sonderprogramm. Ich greife nur einmal einen Punkt heraus, der in dem Antrag auch hervorgehoben wird,

(Zuruf von der FDP: Von der ehemaligen Volkspartei! – Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

der von besonderer Bedeutung ist.

(Zurufe)

Herr Hafke, meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, das können wir an anderer Stelle vertieft diskutieren. Wichtig ist ja, dass man miteinander spricht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nicht übereinan- der! – Zuruf von der FDP)

Manchmal will man ja nicht miteinander, habe ich gehört. – Zurück zum eigentlichen Thema: die Unternehmensübergabe. Wenn Sie mit den Experten darüber sprechen, werden Sie überall die Bestätigung erhalten, dass es nahezu keine interkulturellen Unternehmensübergaben gibt. Es gilt, sich näher anzusehen, woran das eigentlich liegt, warum es nicht es nicht funktioniert, dass der deutsche Malermeister seinen Betrieb – weil er in der eigenen Familie keinen Nachfolger hat und von seinen Gesellinnen und Gesellen vielleicht auch keiner will – nicht an den ausgebildeten türkischstämmigen Maler übergibt,

(Zuruf von den PIRATEN: Meistens sind es Polen!)

oder warum der türkische Bäcker keinen deutschen Nachfolger findet. Diese interkulturelle Übergabe findet nicht statt.

Das Thema Übergabe, Nachfolge ist ja ohnehin extrem relevant. Warum funktioniert es nicht – in allen Untersuchungen kann man nachlesen, dass das so ist –, sich mit diesen Fragestellungen zu beschäftigen? Diese Frage in dem Antrag hier zu einem Thema zu machen, halte ich für einen wichtigen Punkt.

(Zurufe)