Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Vor diesem Hintergrund müssen wir den dieses Land beutelnden Strukturwandel nicht als Entschuldigung, sondern auch als Chance begreifen. Da ich hier als Opposition mein Geld verdiene, kann ich die Landesregierung natürlich nicht loben. Ich bin mir allerdings relativ sicher, sie hätte mehr getan, wenn mehr Kohle zur Verfügung gestanden hätte.

(Heiterkeit von der CDU)

Es stellt sich natürlich die Frage, woran das liegt.

(Zurufe von der CDU)

Auf jeden Fall sind wir in Nordrhein-Westfalen im Krisenmodus angekommen. Es steigt auch so ein bisschen die Panik. Alle wissen: Eine mausgraue Wirtschaftspolitik fällt nicht auf, solange die Konjunktur läuft. Aber spätestens jetzt wird allen klar: Der Landesregierung gebricht es an Ideen und Gestaltungswillen, wie eine effektive Wirtschaftspolitik aussehen könnte, die tatsächlich allen Menschen in unserem Land zugutekommt.

Was wir also brauchen, ist eine ehrliche Analyse. Der Krisenmodus ist allerdings kein guter Ratgeber für ehrliche Analysen. Zu diesem Fazit muss man auch kommen, wenn man sich die Erklärungsversuche der Landesregierung anschaut, warum Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich stagniert. Da werden alle mögli

chen Interpretationen angeboten, und die Landesregierung hätte damit nichts zu tun. Doch, sie hat etwas damit zu tun. Denn auch mit dem Geld, das zur Verfügung steht, kann man die Weichen richtig stellen.

Letzte Woche waren die Stahlarbeiter in Duisburg auf der Straße, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu demonstrieren. Das ist absolut legitim und nachvollziehbar. Aber dass sie das tun, liegt auch daran, dass bis heute keine ausreichenden wirtschaftlichen Alternativen vorliegen. Daran ist die Landesregierung nicht ganz unschuldig.

Die Landesregierung muss diesbezüglich endlich raus aus der comfort zone. Sie muss dahin, wo es wehtut. Dazu gehören die schmerzhaften Einsichten: Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Nordrhein-Westfalen ist also nicht mehr das Herzland der Industrie. Das muss man einmal auf sich wirken lassen. Ich glaube nicht, dass die meisten das hier nachvollzogen haben.

Bei der Energiewende gibt man sich immer noch mit den Illusionen ab, der Braunkohleabbau hätte noch eine gewisse Zukunft vor sich. Dabei wissen wir alle doch längst, dass der Ausstieg schneller kommt, ja schneller kommen muss, als manchem lieb ist. Statt den Bürgern die unschöne Wahrheit zu sagen, ihnen reinen Wein einzuschenken, wird einfach weitergemacht. Aber die Zeiten ändern sich.

Es geht auch um Vertrauen. Welches Vertrauen sollen die Bürgerinnen und Bürger in die Gestaltungsfähigkeit der Politik haben, wenn schon der alte Strukturwandel zu Massenarbeitslosigkeit geführt hat? Mit diesem Ergebnis wirbt man nicht für den neuen Strukturwandel und das damit Anpacken, wie Herr Laschet das so schön mit seinem „Mondfahrtprogramm“ gerade gesagt hat. Ich hatte einiges vergessen. Die Geschichtsvorlesung war schon beeindruckend.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Man braucht Vertrauen. Dieses Vertrauen muss erst wieder erarbeitet werden. Das hat die Landesregierung zurzeit nicht. Das muss man einfach konstatieren, wenn man mit den Menschen draußen spricht.

Die Gründungsquote von Start-ups in NordrheinWestfalen ist unterdurchschnittlich. Das ist auch ein Stück weit in der Verantwortung der Landesregierung. Die Leute wollen wissen, wie es weitergeht. Was gilt es zu tun? Brauchen wir etwa mehr angebotsorientierte Wirtschaftspolitik? Müssen der Umweltschutz zurückgeschraubt, Standards gesenkt und Unternehmen entlastet werden, damit es in Nordrhein-Westfalen wieder gut geht?

(Zuruf von der FDP: Genau!)

Ich möchte von Ihnen einmal eine Rechnung haben. Rechnen wir einmal das Tariftreuevergabegesetz in

Wirtschaftswachstumspunkte um. Die Rechnung will ich von Ihnen sehen.

(Zurufe)

Das ist Klein-Klein aus dem 19. Jahrhundert, was ihr da macht. Das ist auch nicht zukunftsfähig. Das geht völlig an der Realität vorbei.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben zurzeit gute Rahmenbedingungen. Die Zinsen sind niedrig, der Ölpreis auch. Woran es mangelt, sind Investitionen und nicht zuletzt öffentliche. Zu diesem Ergebnis kommen auch unter anderem die OECD und das Bundeswirtschaftsministerium. Es war ein Fehler der letzten zwei Jahrzehnte, von der Substanz zu leben und den Fokus allein auf die Staatsverschuldung zu richten, statt die kaputtgehende Infrastruktur als Schulden für die nächsten Generationen nicht mit in die Rechnung einzubeziehen. An dieser Rechnung ist Schwarz-Gelb nicht unbeteiligt.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der FDP)

Es gibt viele Beispiele für volkswirtschaftliche lohnende Investitionen; Herr Sundermann hat es in seiner Rede kurz angerissen, die Bildung zum Beispiel. Nicht zuletzt Schulen, auch berufsbildende Schulen sowie Hochschulen sind fit für die Informationsrevolution zu machen.

Aber auch eine wirkliche Investitionsoffensive in Glasfasernetze bringt das Land voran. Da die geförderten Netze in kommunaler Hand verbleiben, können sie verpachtet werden und würden in der Zukunft Einnahmen abwerfen. So geht vorausschauende Wirtschaftspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Kommunen leiden jetzt, weil sie Anteile an STEAG und RWE und den überholten Kohlegeschäften übernommen haben, die inzwischen kaum mehr Dividenden abwerfen. Das ist natürlich ein Problem.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Gar keine mehr!)

Gar keine mehr? Oh! Damit verringert sich natürlich auch der kommunale Spielraum für Zukunftsinvestitionen. Statt aber vorauszuschauen und die Energiewende ernst zu nehmen, wird hier von, ich glaube, fast vier Fraktionen wieder in den alten Strukturen des 19. Jahrhunderts gedacht. Und das wird katastrophale Folgen zeitigen.

(Zuruf von der CDU: Des 18. Jahrhunderts!)

De facto ist das Land immer noch auf der Suche nach Alternativen zu Kohle und Stahl.

Was wir brauchen, sind ein paar kräftige und zugfähige Zukunftsvisionen. Warum eigentlich wird der Tesla nicht in Nordrhein-Westfalen gebaut?

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Das Land und die Menschen haben ein irrsinniges Potenzial. Ich werde in meinem zweiten Beitrag nachher noch etwas dazu ausführen. Schließlich soll man am Ende immer konstruktiv sein. – Zunächst vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Priggen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Christian Lindner hat recht gehabt, als er gesagt hat, wir kennen uns jetzt fast 17 Jahre, die wir hier im Landtag sind. Man weiß zwar ungefähr, was der andere sagt, aber ich bin immer wieder überrascht, wenn von ihm dann Sprüche wie „Wachstum hebt wie die Flut alle Boote“ und Ähnliches kommen.

Wenn man so lange hier im Landtag ist, so lange Landespolitik macht, sich wirklich Gedanken über dieses starke solidarische Land und die strukturellen Probleme macht und es dann auf eine so flapsige Art serviert bekommt, wie Sie das getan haben, dann kann ich das nicht verstehen. Das zeigt doch, dass Sie gar nicht hier in die Verantwortung, sondern eigentlich nach Berlin wollen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber, Armin Laschet, auch was du gemacht hast, habe ich nicht verstanden. Ich habe nicht verstanden, was das mit dem Sputnik-Projekt und der Raumfahrt soll und wen du auf den Mond schießen willst.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Zuruf von Ralf Wit- zel [FDP])

Du hast gesagt, das Erste sei eine schonungslose Analyse, das Zweite die Vision und das Dritte die Konzentration. Wenn man aber einmal die Rede durchgeht – das Gleiche haben wir vor gut zehn Tagen im Wirtschaftsausschuss thematisiert –, dann ist davon in dem Beitrag hier – das gilt auch für den Beitrag im Wirtschaftsausschuss – nichts übrig. Aus eurer Sicht sind das Tariftreue- und Vergabegesetz, die Klimaschutzvorgaben oder der Landesentwicklungsplan für die Strukturschwäche verantwortlich.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Herr Remmel ist verantwortlich! Die Entwicklungsbremse sitzt dort!)

Es glaubt doch niemand von euch daran, dass es diese Punkte sind, die die strukturellen Probleme des Landes ausmachen. Niemand glaubt das.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das macht ihr ja präventiv. Wirtschaftsminister Duin hat das am 31. März schon richtig benannt; so alt ist dieses Thema schon. Von wegen Aktuelle Stunde! Ihr hättet einen Antrag stellen können und auf den Tisch legen können, was eure Vorstellung dazu ist.

(Armin Laschet [CDU]: Genau!)

Wenn man Ministerpräsident werden will, wird das eigentlich erwartet. Nichts ist gekommen,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

sondern nur ein billiger, dürrer Antrag für eine Aktuelle Stunde.

Der Wirtschaftsminister hat es doch richtig benannt. Er hat sich nicht davor gedrückt, sondern hat gesagt: Die Zahlen sind nicht erfreulich, aber wenn man ein Stück weit analysiert, was im Land los ist, dann ist damit zu rechnen. Dann muss man die Punkte in der Analyse auch benennen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, das stimmt wohl!)