Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Jetzt würde ich gerne in der Rede fortfahren. Eben wurde von Herrn Voussem und von Herrn Rasche vorgetragen, wir hätten Uneinigkeit in der Koalition. Die sehe ich erst einmal nicht. Ich teile nur sozusagen die Euphorie nicht, die eben auch Herr Duin angesprochen hat. Es wäre ein grandioser Erfolg für Nordrhein-Westfalen. Die Euphorie teile ich nicht ganz. Ich möchte Ihnen erklären, warum.

Zukünftige Mobilität ist Multimodalität. Jeder Verkehrsplaner, jeder Verkehrswissenschaftler, egal, wo er steht, erklärt Ihnen das: Es geht um die Vernetzung der Verkehrsträger. Dieser Bundesverkehrswegeplan ist yesterday‘s world, 2016 aufgestellt, soll bis 2030 gelten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das, was in der modernen Mobilität eine wichtige Rolle spielt, nämlich die Verknüpfung der Verkehrsträger, auch die Fragen des Radverkehrs und der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität, spielt hier überhaupt keine Rolle.

Schauen Sie einmal nach Dänemark und in die Niederlande: rechtskonservative, rechtsliberale Regierungen. Das sind keine Grünen, die dort Verkehrsplanung machen. Die setzen genau das um. Wir sind doch mit dem Ausschuss extra dort hingefahren. Ich frage mich: Haben Sie da überhaupt nicht aufgepasst? In dem Bundesverkehrswegeplan spielt das überhaupt keine Rolle. Und in Ihrem Antrag spielt es erst recht keine Rolle. Deswegen werden wir den Antrag auch klar ablehnen.

Ich hätte mir gewünscht – das gebe ich offen zu –, dass das Ministerium in seiner Stellungnahme angesichts des vielen Richtigen, was angesprochen wurde, das auch berücksichtigt. Wir haben den Radschnellweg Ruhr, ein bundesweites Vorzeigeprojekt. Ich war gerade in der letzten Woche auf einem großen Verkehrskongress im Bundestag. Alle Verkehrsplaner – aus Bayern, Baden-Württemberg, Norddeutschland – loben diesen Radschnellweg Ruhr. Ich habe vor Kurzem beim FC-Spiel in Köln ein Mitglied

des Evonik-Vorstands getroffen, CDU-Mitglied, der mir gesagt hat: Herr Klocke, da haben wir uns geirrt. Dieser Radschnellweg Ruhr ist das spannende Vorzeigeprojekt für das Revier.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da wird sich der Verkehrswandel entsprechend vollziehen. Die Menschen kommen vernünftig zum Arbeitsplatz und sind pünktlich am Arbeitsplatz. Das ist ein Zukunftsprojekt.

All das ist im Bundesverkehrswegeplan nicht berücksichtig. Deswegen sage ich Ihnen als Grüner: Da ist viel Vernünftiges enthalten, was die Knoten, die Ausbesserung, die Frage von Spurverbreiterungen, die Netzverstärkung angeht. Das alles ist richtig. Aber es fehlen viele Aspekte nicht nur im Bahnbereich, sondern gerade in der Frage der Multimodalität.

Deswegen können wir als Grüne nicht sagen, toller Plan, alles prima. Wir haben ganz vernünftige Kritikpunkte, die wir hier vortragen und die wir auch in der Presse vorgetragen haben. Wir bitten das Land Nordrhein-Westfalen bei der Rückmeldung, die jetzt zu geben ist, entsprechend auf diese Punkte einzugehen.

Es ist nicht alles schwarz-weiß. Es steht viel Vernünftiges drin, aber es gibt auch Einiges nachzubessern. Unser Wunsch wäre, dass die Landesregierung das aufnimmt und formuliert. Dann hat es auch unsere grüne Unterstützung. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Klocke. – Für die Piratenfraktion erhält das Wort nun Herr Kollege Bayer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Menschen hier und unterwegs! Das bemerkenswerte Bekenntnis zu Beginn ist mir auch aufgefallen: Verkehrspolitik ist Wirtschaftspolitik. – Das ist nicht komplett falsch, aber Verkehrspolitik ist wohl ein kleines bisschen mehr. Vor allem sollte sie gerade in ökologischer und sozialer Hinsicht ein zentraler Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Landes sein. Der Begriff der giftigen Autoschlangen – dieses schöne Stichwort stammt von Herrn Voussem – bedient zumindest schon eine andere Kategorie.

Herr Voussem, Sie freuen sich auch über einen Bundesverkehrswegeplan, in dem NRW vermeintlich gut wegkommt. Ich habe den Antrag auch so gelesen wie Herr Becker. Darin steht das sehr schön. Herr Rasche hat den Antrag wahrscheinlich nicht so gut gelesen.

Es wird vor dem Hintergrund der gerade in diesem Land besonders belasteten Verkehrsinfrastruktur allerdings absehbar nicht reichen, einfach die vorgesehenen Projekte nach Liste anzustoßen und zu realisieren, zumal die Liste noch immer eine Wunschliste ist. Vielleicht fehlen darauf noch ein paar Wünsche, aber es ist immer noch eine Wunschliste.

Herr Rasche, zu Transparenz und Ortsumgehung – das muss ich Ihnen einmal sagen – gehört nicht, 50 Jahre lang Ortsumgehungen zu versprechen und dann zu sagen: Guckt mal, ich habe es jetzt geschafft, dass das auf dieser Wunschliste steht. – Man muss vielmehr ehrlich und transparent in Bezug auf das sein, was nicht umgesetzt werden kann; denn diese Versprechungen helfen gar nicht. Schließlich kann auch eine FDP in Alleinregierung in 100 Jahren nicht alle diese Ortsumgehungen umsetzen,

(Beifall von den PIRATEN und Jochen Ott [SPD])

selbst wenn der Bundesverkehrswegeplan ein Autostraßenplan bleibt und Schienenprojekte sowie überregional bedeutsame Verkehrswege dort nicht enthalten sind.

CDU und FDP haben natürlich kein Problem damit und reduzieren ihn in ihrem Antrag gleich auf Planungsverfahren im Bundesfernstraßenbau, also auf Pkw- und Lkw-Verkehre, wie Herr Klocke schon dargestellt hat. Man freut sich darüber, dass der Bundesverkehrswegeplan alle nordrhein-westfälischen Autobahnprojekte im „vordringlichen Bedarf“ – Zitat – belässt und verliert kein Wort darüber, dass dies zum Beispiel für die meisten Schienenprojekte tatsächlich nicht gilt.

Beteuerungen, wie wir sie gehört haben, die Prioritäten könnten sich mit der Zeit ändern, stehen leider den Erfahrungen gegenüber, dass ähnliche Beteuerungen in der Vergangenheit auch zu nichts geführt haben.

Was wir brauchen, und zwar immer noch und mehr denn je, ist eine fortschrittliche Verkehrspolitik, die sich als Mobilitätspolitik versteht und nicht als Autofernstraßenprojektbehörde. Außerdem brauchen wir auf allen Ebenen der Verkehrspolitik, also auch beim Bund, die Bereitschaft, die Verkehrswende auch im Bundesverkehrswegeplan anzulegen. Das bedeutet auch – aber nicht nur – weniger Verkehr auf der Straße, aber auch mehr auf der Schiene und auf dem Wasser sowie mehr Busse und Straßenbahnen und somit mehr Liegeplätze für Binnenschiffe. Es bedarf also ganz neuer Mobilitätsformen.

Jetzt sagen manche, das seien Dinge, die auf Landesebene geregelt werden müssten. Ja, aber eine integrierte Verkehrsplanung muss mit dem ÖPNV nicht nur rechnen, sondern auch etwas dafür tun. Die Zukunft der Mobilität ist die Multimodalität, sagte Herr Klocke gerade.

Ein ÖPNV, alle fünf Minuten getaktet und überall im Ruhrgebiet, käme dem Gesamtnetz natürlich auch zugute. Die Perspektive des Bundesverkehrswegeplans ist schließlich nicht 2030, wie dort steht – bis dann möchte man die Dinge realisiert haben –, sondern die Infrastruktur soll ja bis mindestens 2080 halten.

Der Bundesverkehrswegeplan plant allerdings noch wie 1980. Es sind Anfänge zu erkennen, dass die autogerechte Stadt zwar in den Köpfen, aber noch nicht in den Gesetzen und Prozessen verschwindet. Eine derart in die Zukunft gerichtete Politik steht aber leider den Üblichkeiten gegenüber, die man dann zurücklassen müsste, nämlich dass man Ortsumgehungen überall versprechen und sagen kann: Die stehen da jetzt, auch wenn sie längst nicht mehr gebraucht werden. Wir warten schließlich schon seit 30 Jahren darauf, deshalb sind wir jetzt an der Reihe. –

Das hört man, aber das funktioniert nicht. Es funktioniert nicht im alten System, und es funktioniert auch nicht im neuen System.

Ich möchte jetzt noch auf den Antrag zu sprechen kommen. Man stellt hier einen Masterplan vor und meint, einen Planungsvorrat anzulegen, also für den Schreibtisch zu planen, damit Baureife hergestellt werden kann und zufließende Mittel wirklich verbraucht werden können.

Allerdings verliert man kein Wort darüber, dass es die eigene schwarz-gelbe Landesregierung war, die den Landesbetrieb Straßen.NRW substanziell derart geschwächt hat, dass es überhaupt erst zu Planungsrückständen gekommen ist.

(Norbert Post [CDU]: Stimmt doch gar nicht! – Gegenruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Natürlich stimmt das!)

Natürlich können CDU und FDP hier mit einem ganz neuartigen und total innovativen Ansatz helfen: mehr Geld für Private. Das ist natürlich nicht wirklich neu und innovativ, aber ein Konzept – ich komme zum Schluss –: Erst lassen wir den Landesbetrieb ausbluten, sodass es zu Planungs- und Umsetzungsdefiziten kommt, und dann beschwert man sich darüber, dass die öffentliche Hand nicht planen, haushalten und ausführen kann. Die unvermeidliche Konsequenz daraus ist dann, öffentliches Geld in private Unternehmen zu stecken.

So sieht also die Verkehrspolitik und somit die Wirtschaftspolitik von CDU und FDP aus. Wir nennen das hier vielleicht noch Finanzpolitik. Viel kann man damit im Verkehrssektor sowieso nicht reißen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Bayer. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Groschek.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! In der Tat: Dieser Bundesverkehrswegeplan bleibt nicht nur ein Buch guter Nachrichten für Nordrhein-Westfalen, sondern ist auch ein erster großer Schritt in die richtige Richtung. Warum? – Weil das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ im Straßenbereich ganz konsequent ablesbar ist. Das heißt auf Deutsch bezogen auf Nordrhein-Westfalen: Dieser Bundesverkehrswegeplan ist eine Abkehr von schwarz-gelber Verkehrspolitik und eine Hinwendung zu rot-grüner Verkehrspolitik.

(Beifall von der SPD)

Das ist in der Tat eine Verkehrswende gemessen an den Ideologien, die Parteien getrennt haben

(Christof Rasche [FDP]: Wer hat denn den letzten aufgestellt?)

und die die Parteien sich selbst auferlegt haben.

Was die integrierte Mobilitätsplanung angeht, kann ich nur feststellen, dass Winnie Hermann aus BadenWürttemberg – Joachim, das ist auch ein Kumpel, aber da nicht – und ich uns im Vorfeld der Bundesverkehrswegeplanung nicht durchsetzen konnten, als wir gesagt haben, die Bundesverkehrswegeplanung müsse einen integrativen Schritt machen, um Mobilität und nicht spartenweise Verkehr zu planen. Das ist nicht gelungen, aber immerhin war es mit dieser Bundesregierung möglich, „Erhalt statt Neubau“ zu priorisieren, und das ist sehr gut.

Wir haben in einer Vielzahl von Veranstaltungen im Grunde konsensual zwischen allen Beteiligten festgestellt, wo noch Nachbesserungsbedarf besteht.

Bei den Autobahnen reduziert sich das im Wesentlichen auf die Priorisierung der neuen Rheinbrücke – Godorf oder Wesseling; je nachdem, wo man sie verortet –, und es konzentriert sich in der Tat auf notwendige Priorisierung für die Stadt und Borussia Mönchengladbach.

Ich habe mit dem Präsidenten gesprochen. Herr Zimkeit ist Fan. Hauptsache Borussia, lieber Stefan. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir Plausibilitätsprüfungen in Berlin vornehmen lassen. Diese werden zu dem Ergebnis führen, dass wir die Strecke wahrscheinlich besser ertüchtigen werden können, wenn wir das Kreuz außen vor halten. Das Problem haben wir wahrscheinlich gelöst.

Was die Godorfer Brücke angeht, bin ich auch sehr optimistisch, zumal aus der Region viel Zuspruch kommt.

Wir haben im Bereich Schiene große Erfolge verbucht. Neben dem RRX nenne ich die Ruhr-SiegStrecke. Wir haben die Betuwe endlich als abgehakt gesichert. Wir brauchen noch mehr im Bereich „Eiserner Rhein“, Stichwort „Dritter Weg“. Das hat Herr Ferlemann vorgestern auch zugestanden; insofern sind wir in guten fachlichen Gesprächen.

Und auch im Bereich Wasser ist klar, was wir brauchen. Beim Brückenhebungsprogramm sind wir auf einem pragmatischen Weg, unabhängig vom Bundesverkehrswegeplan ein Programm zu verabreden. Und wir wollen die Rheinvertiefung bis nach Köln und darüber hinaus und nicht nur bis Dormagen.

Es besteht bis auf viele kleinere Ortsumgehungen, die ein Sonderproblem darstellen, relativ breiter Konsens.

Wir sollten gemeinsam darauf stolz sein, dass wir mit der Wirtschaft und anderen Akteuren in Berlin eine Menge erreicht haben. Ich glaube, dieser Bundesverkehrswegeplan ist eine Gemeinschaftsleistung. Deswegen verstehe ich diese Neidhammelei nicht. Machen Sie doch einfach mit. Sagen Sie doch ganz einfach: Auch wir haben mitgewirkt und Gutes für NRW bewirkt.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: So ist das!)

Bei der Ersteinlassung von Herrn Laschet – sensationell! – dachte ich, Sie kriegen die Kurve. Aber jetzt sind Sie doch wieder in einer Sackgasse gelandet. Das brauchen Sie doch gar nicht.

Herr Voussem, Sie sind eigentlich auch schon ein Stück weit emanzipiert von der Tradition Ihrer Verkehrspolitik. Nutzen Sie den Schwung. Positionieren Sie sich neu. Je breiter die Mehrheiten für eine fortschrittliche Verkehrspolitik sind, desto besser ist es fürs Land.