Protokoll der Sitzung vom 12.05.2016

Herr Kollege, bitte gestatten Sie mir, Sie für einen kurzen Moment zu unterbrechen. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie wichtige Gespräche führen müssen, führen Sie diese bitte außerhalb des Plenums, weil das sonst den Ablauf der Plenarsitzung sehr stört.

Die Briten sind nicht nur Geburtshelfer unseres Landes, sie sind auch wichtige Partner und Freunde in der Europäischen Union.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Großbritannien spielt in der nun bald 70-jährigen Geschichte unseres Landes eine wichtige Rolle. Die Entscheidung, die alte preußische Provinz Westfalen mit dem nördlichen Rheinland zusammenzulegen, geht auf eine Entscheidung der britischen Besatzungsmacht zurück. 1947 kam das Land Lippe hinzu. Seit dieser Zeit sind Nordrhein-Westfalen und Großbritannien freundschaftlich verbunden. Deshalb feiern wir in diesem Sommer den 70. Landesgeburtstag.

Zahlreiche Schul- und Städtepartnerschaften sind in den vergangenen 70 Jahren begründet worden. Noch immer zählt für viele Schülerinnen und Schüler ein Aufenthalt in Großbritannien zur ersten eigenen Auslandserfahrung. Auch für Studenten ist der Aufenthalt auf der Insel oft Teil ihres Studiums. Durch die Präsenz britischer Militärangehöriger in NordrheinWestfalen sind zahlreiche Kontakte und Freundschaften entstanden.

Auch wirtschaftlich gibt es enge Verflechtungen zwischen Nordrhein-Westfalen und der drittgrößten Volkswirtschaft Europas. 2.500 deutsche Unternehmen in Großbritannien beschäftigen 370.000 Menschen. Viele britische Firmen hängen am unbeschränkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt.

Deshalb befürchten viele zu Recht, dass sich ein Austritt negativ auf die Investitionsbereitschaft auswirken würde. Genau zu beziffern, welche wirtschaftlichen Folgen und Wechselwirkungen auf beiden Seiten entstehen würden, ist schwierig. Aber niemand geht davon aus, dass es positive Effekte sein würden. Deshalb warnen Wirtschaftsexperten auf beiden Seiten des Ärmelkanals vor einem Brexit.

Daher gehört es zur Verantwortung dieses Parlaments, im Interesse derjenigen, deren Arbeitsplätze bei uns vom freien Handel auch mit Großbritannien abhängen, für den Verbleib Großbritanniens in der EU und im europäischen Binnenmarkt zu werben, weil es uns im Interesse der Menschen und des Landes eben nicht egal sein kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch aus handfesten politischen Gründen sind wir der Überzeugung, dass es besser ist, wenn Großbritannien Teil der EU bleibt. Es ist besser für Großbritannien, es ist besser für Deutschland, und es ist besser für Europa.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: So ist es!)

Alle Herausforderungen, vor denen Europa steht, alle Probleme, die wir auf der Welt sehen, sind einfacher anzugehen mit Großbritannien als Mitglied in der Europäischen Union. Als weltpolitischer Akteur mit einer Jahrhunderte alten Tradition und globalem Einfluss ist das Vereinigte Königreich auch ein Stück

weit Türöffner. Das ist für die Europäische Union wichtig.

Großbritannien ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Europäischen Union. Ein Ausscheiden wäre ein Rückschlag für Großbritannien, für Europa und für Deutschland. Ohne die mitunter auch kritische Haltung der Briten würde ein Antrieb für Reformen fehlen.

Jörg Asmussen, ehemaliges Mitglied im Direktorium der EZB, bezeichnet es so:

„Das übrige Europa braucht die britische Liberalität, sein Freihandelsdenken, die Disziplin in Haushaltsberatungen und seine Schlagkraft in der Außenpolitik.“

Das stimmt. Gerade Deutschland braucht Partner wie Großbritannien in Europa, die sich pragmatisch für Lösungen einsetzen, die weniger staatsgläubig sind als viele andere und denen bewusst ist, dass auch in Europa Erwirtschaften vor Verteilen kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass sich SPD, Grüne und FDP unserer Intention angeschlossen haben, aus Nordrhein-Westfalen heraus für einen Verbleib Großbritanniens in der EU zu werben. So ist es ein weitgehend geschlossenes Signal, das dieses Parlament heute sendet.

Es ist auch keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Volksabstimmungen leben davon, dass sich Personen und Institutionen positionieren und ihre Argumente vortragen.

Genau das macht der Landtag mit diesem Antrag. Wir äußern heute aus nordrhein-westfälischer Perspektive den berechtigten Wunsch, dass das Vereinigte Königreich auch künftig Teil der Europäischen Union bleibt – Teil einer Europäischen Union, von der Tony Blair am 23. Juni 2005, also exakt elf Jahre vor dem Datum der Volksabstimmung, sagte:

„This is a union of values, of solidarity between nations and people, of not just a common market in which we trade but a common political space in which we live as citizens. It always will be.“

In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zum vorliegenden Antrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Töns.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Großbritannien ist – das kann man wohl ohne Zweifel sagen – wichtig für Nordrhein-Westfalen, schon allein aufgrund unserer Ge

schichte. Dieses Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen, wie es manchmal despektierlich genannt wird, ist ein schönes Land. Ohne die Briten wäre es so nicht zustande gekommen. Das muss man an dieser Stelle auch einmal erwähnen. Ich halte das auch für wichtig.

Großbritannien gehört aus Sicht der Sozialdemokraten zu Europa. Großbritannien gehört somit auch zur Europäischen Union. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, den man erwähnen muss.

Ich will am Anfang sagen, dass wir uns heute mit diesem Antrag nicht in die inneren Angelegenheiten Großbritanniens und nicht in die inneren Angelegenheiten der Briten in der Frage einmischen, wie sie sich denn entscheiden. Ich hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger eine schlaue Entscheidung treffen werden. Das halte ich für wichtig.

Der sogenannte Brexit, der im Raum steht, birgt viele Gefahren – nicht nur für Nordrhein-Westfalen, für Deutschland und für die EU, sondern ganz besonders für die Briten. Das muss man so sagen.

Lassen Sie mich erst noch einmal zu der Europäischen Union zurückgehen. Wir stecken derzeit in einer der größten Krisen der Europäischen Union. Sie hat mit der Finanzkrise begonnen und ist noch lange nicht beendet. Wir haben eine Flüchtlingskrise. Innerhalb dieser Europäischen Union haben wir viele unterschiedliche Krisenherde. Wir haben sie nicht im Griff.

Es könnte ein Rutschbahneffekt entstehen, wenn die britische Bevölkerung sagt: Nein, wir wollen nicht mehr zu Europa gehören. – Und dieser Rutschbahneffekt für andere Staaten bringt die Europäische Union in Gefahr, bringt unsere Vorstellung in Deutschland davon, wie wir uns Europa vorstellen, in Gefahr. Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür auch werben. Ich halte das für richtig.

Aber es sind viele Fragen ungeklärt in diesem ganzen Prozess, gerade auch für die Briten. Was passiert beispielsweise in Schottland? Was werden die Schotten machen, die sich eindeutig in ihrem Referendum dazu bekannt haben, in Großbritannien zu bleiben? Was machen die Menschen in Wales oder in Nordirland? Nordirland, ein ganz spannendes Thema. Wir haben endlich eine friedliche Situation. Was passiert, wenn Großbritannien aus der EU austritt und die Nordiren das nicht gut finden? Ich glaube, das sind Fragen, die unbeantwortet sind.

Was bedeutet es für die wirtschaftlichen Beziehungen, die nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern ganz Deutschland zu Großbritannien hat, die die Europäische Union hat, die wichtig sind? Was bedeutet das – und das ist noch viel wichtiger – für die Beziehungen der europäischen Staaten untereinander? Wie sollen die zukünftig dann aussehen?

Am Ende steht dann eigentlich noch die wichtigste Frage: Wie kann denn so etwas überhaupt funktionieren? Ich will mir das gar nicht vorstellen. Ich wüsste nicht, wie es funktioniert. Es gibt keine rechtlichen Rahmenbedingungen und Regeln, wie ein Staat aus der Europäischen Union austreten kann. Was das bedeuten würde, was das anrichtet, das möchte ich mir nicht vorstellen. Deshalb werbe ich darum, dass Großbritannien dabei bleibt.

Aber es gibt natürlich auch einige Kritikpunkte, die kann man einfach nicht verschweigen. Das, was bei dem europäischen Gipfel im Februar vereinbart wurde, birgt Gefahren, auch für uns. Es birgt die Gefahr des Endes einer Kohäsionspolitik in Europa. Ich glaube, diese Gefahr muss man beim Namen nennen.

Deshalb ist es wichtig, wenn Großbritannien dabei bliebe, wobei ich sehr dafür werbe, dass man hierüber noch einmal spricht. Das ist der Ausstieg aus gemeinsamen Politiken auf europäischer Ebene. Das können wir nicht gut finden. Dahin müssen wir zurück, denn mehr gemeinsame europäische Politiken ist die Zukunft Europas – nicht weniger. Das ist doch der Punkt, um den es hier geht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Trotz dieser Kritik, die ich jetzt geäußert habe, will ich sagen: Great Britain gehört zu NRW, gehört zu Deutschland, gehört zu Europa. Ich finde, es gehört ganz besonders zur Europäischen Union. Wir sollten alles dafür tun, dass das auch so bleibt. Aber entscheiden werden am Ende die britischen Bürgerinnen und Bürger. Ich habe große Hoffnung, dass sie eine gute Entscheidung treffen. Somit: Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Töns. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn erst einmal bei der CDU-Fraktion bedanken. Die CDU-Fraktion hatte einen Antrag ins Verfahren eingebracht – der Inhalt ist ja beschrieben worden –, in dem wir uns dafür aussprechen, dass sich Nordrhein-Westfalen dafür ausspricht, dass das Vereinigte Königsreich in der Europäischen Union bleibt. Der Antrag wäre für uns so nicht zustimmungsfähig gewesen.

Wir haben daraufhin bei der CDU-Fraktion angeklopft und gefragt, ob es nicht möglich ist, einen interfraktionellen Antrag daraus zu machen. Ich bin sehr dankbar, dass die CDU-Fraktion es zugelassen hat, dass da einige wesentliche Änderungen auch erfolgt sind. Jetzt ist es ein interfraktioneller Antrag, alle

sind beteiligt außer den Piraten. Ich weiß nicht, warum ihr da jetzt nicht mitgegangen seid.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN) : Erkläre ich gleich!)

Das werden wir gleich hören. Ich bin sehr froh, dass jetzt ein Antrag da ist, der für uns auch zustimmungsfähig ist, und dass die CDU-Fraktion das auch mitgemacht hat. Deswegen der Dank am Anfang.

Inhaltlich ist von meinen beiden Vorrednern eigentlich alles gesagt: die besondere historische Verflechtung, die wir mit dem Vereinigten Königreich aus unserer Geschichte heraus haben. Wir werden ja Ende August 70 Jahre Nordrhein-Westfalen, den Geburtstag, mit einem großen dreitägigen Fest feiern – 70 Jahre Landeshauptstadt Düsseldorf gemeinsam. Ich freue mich, dann viele von Ihnen hier zu sehen in der wunderschönen Landeshauptstadt Düsseldorf. Es wird hoffentlich ein tolles Geburtstagsfest.

Das war die Geburtsstunde. Ohne die britische Besatzungsmacht wäre das überhaupt nicht möglich gewesen.

Beide Vorredner haben die wirtschaftlichen Verflechtungen die wir haben, die zivilgesellschaftlichen Verflechtungen, die wir haben, dargestellt. Ich würde gerade die kulturellen Verflechtungen hinzufügen, die wir zu Großbritannien haben.

Ich persönlich möchte anmerken: Allein im musikalischen Bereich wüsste ich gar nicht, wo ich heute wäre, hätte ich früher nicht die Möglichkeit gehabt, auch unter dem Einfluss der britischen Musik groß werden zu können.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich habe zwar immer gerne auf WDR 2 Mal Sandock’s Hitparade als Jugendlicher gehört. Ich war sehr dankbar, dass ich bei BFBS auch immer die britischen Charts hören durfte. Danke für solche kulturellen Bereicherungen.

Zum Schluss habe ich einen einzigen Punkt als Idee anzubringen. Wir haben in dem Antrag dargelegt – das ist schon eine beeindruckende Zahl –: Wir haben ungefähr 400 Schulpartnerschaften und rund 140 Städtepartnerschaften mit dem Vereinigten Königreich. Das ist wirklich eine ganze Menge.

Meine Idee, meine Anregung an Sie, an die Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch an die Landesregierung: Überlegen Sie mal, es besteht vielleicht die Möglichkeit, jetzt noch vor dem Referendum Briefe aus einer Schulpartnerschaft, aus einer Städtepartnerschaft heraus zu schreiben, sich auch für den Verbleib Großbritanniens auszusprechen und vielleicht die Anregung mit auf den Weg zu geben, dass sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien an diesem Referendum beteiligen. Solch ein kleines direktes partnerschaftliches Signal ist vielleicht eine Überlegung wert. Das ist, glaube ich, der