Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und im Stream! Herr Stotko, spielen Sie bitte nicht den Scheinheiligen.
Im letzten Plenum haben Sie noch die flächendeckende Videoüberwachung in Bus und Bahn gutgeheißen. So weit weg von der CDU sehe ich Sie bei dem Thema, ehrlich gesagt, nicht.
(Daniel Sieveke [CDU]: Die CDU aber schon! – Heiterkeit von Thomas Stotko [SPD] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Die CDU weg von Stotko! Möchten wir nicht!)
Eine Sache enttäuscht mich sehr. Dass wir nämlich diesen Antrag hier und heute an einem sehr besonderen Tag besprechen, hat niemand von Ihnen erwähnt. Denn exakt heute vor 67 Jahren, am 8. Juni 1949, wurde in London der Roman „1984“ von George Orwell das erste Mal veröffentlicht.
In dem Roman wird ein totalitärer Präventions- und Überwachungsstaat beschrieben. Ich hoffe sehr, dass Sie ihn alle gelesen haben – vor allen Dingen auch die Kollegen der CDU.
Sie meinen, das kann uns nicht passieren? Wenn man dazu die aktuellen Entwürfe der nächsten Anti-TerrorGesetze und das Gesetz zur Reform des BND betrachtet, die gerade in diesen Tagen in Berlin öffentlich geworden sind, sieht man: Dabei geht es um nicht mehr und nicht weniger als um den Generalzugriff auf alle Daten im Netz – Zitat aus dem Gesetz –: „… um frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der BRD erkennen und diesen begegnen zu können …“
Aus diesem Grund soll also ein Geheimdienst alles kontrollieren und überwachen. Genauso hat der Große Bruder im Roman 1984 auch argumentiert: Das sei alles nur zu unserem Besten. – Aber wir sagen dazu Nein.
Wir wollen keine Terror- und Angstpolitik der Sicherheitsbehörden mit einem schleichenden Weg zur vollständigen Überwachung. Diese Behörden haben
eigentlich die Aufgaben, unsere Rechte und unsere Freiheit zu schützen. „Freiheit statt Angst“ sollte für sie der Wahl- und Leitspruch sein, meine Damen und Herren, und nichts anderes.
Jetzt komme ich zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU: Mit Ihrem Antrag wollen Sie Ihren Beitrag zu weniger Recht auf Freiheit und stattdessen zu mehr Überwachung leisten.
So muss man Ihren Antrag verstehen, wenn Sie direkt zu Beginn – das ist auch Kollegen aufgefallen – mehr Videoüberwachung mit mehr Sicherheit gleichsetzen.
Stattdessen kommen Sie wieder mit Umfragen. Ich empfehle, dazu die Suchmaschine Ihrer Wahl mit den Begriffen „Umfrage“ und „Videoüberwachung“ zu füttern. Sie bekommen einen Riesenhaufen Meldungen. Mal sind es 82 %, mal 90 %, mal 74 % und mal nur die Hälfte aller Befragten.
Die älteste Umfrage, die ich gefunden habe, war von 2002. Aber es gibt sicherlich noch ältere. Interessant ist immer der Begleittext. Da steht nämlich: „nach dem Anschlag“, „nach dem Anschlagsversuch“, „nach den jüngsten Terroranschlägen spricht sich eine Mehrheit …“. Und so weiter, und so fort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solchen Umfragen Politik zu machen, ist blanker Populismus. Wo sind Ihre Argumente und Fakten, dass Videoüberwachung tatsächlich Nutzen bringt?
In London zum Beispiel wird jeder Mensch täglich von 300 Videokameras erfasst. Diese massive Videoüberwachung hat da die Kriminalitätsrate überhaupt nicht gesenkt.
Interessant ist übrigens eine ganz neue Entwicklung in London. Ich dachte, das hätte Ihre Aufmerksamkeit erregt; das war aber wohl nicht der Fall: Der Stadtrat von London hat am Montag dieser Woche beschlossen, das Netzwerk der Überwachungskameras im Regierungsviertel abzuschalten! Es gab
Zum anderen argumentiert der Stadtrat, dass gerade die mit Videokameras überwachten Bereiche attraktiv für Terroristen seien, denn sie würden damit die Öffentlichkeit erreichen, wenn sie in diesen Bereichen Anschläge verübten.
Ich finde, das ist eine sehr bemerkenswerte Argumentation. Sie sollten wir im Ausschuss auf jeden Fall genauer betrachten.
Meine Damen und Herren, einmal mehr ist klar: Videoüberwachung ist ein untaugliches Instrument, um mehr Sicherheit zu schaffen. Sie auszuweiten, macht daher keinen Sinn. Tatsächlich ist sie ein vergleichsweise billiges Mittel um den Menschen im Land Aktivität und Handlungsfähigkeit vorzugaukeln.
Wirkliche Prävention ist komplex und vielschichtig. Das fängt bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen an, bei der Schaffung von echten Perspektiven und Möglichkeiten der Teilhabe bis hin zu einfachen Dingen wie Beleuchtung und Raumgestaltung.
Der Vandalismus in den S-Bahnlinien ist zum Beispiel nicht aufgrund der Videoüberwachung zurückgegangen, sondern wegen der durchgehenden und hellen Innenraumgestaltung, sagen die Fachleute.
Jeden einzelnen Ihrer Feststellungspunkte kann ich Ihnen widerlegen. Die Zeit dafür habe ich hier aber leider nicht. Das können wir dann gerne im Ausschuss machen. Insofern werden wir der Überweisung natürlich zustimmen. –
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Scheinbar prallen bei dem Thema „Videobeobachtung“ zwei Extreme aufeinander. Von Herrn Herrmann haben wir gerade gehört, das sei alles Teufelszeug, und bei der CDU haben sie den Heiligen Gral entdeckt.
Ich meine, dass wir sehr abgewogen darüber diskutieren sollten und dieses Thema von dem hohen Podest, auf dem es überhöht steht, herunterholen soll
ten und darüber reden sollten, wann und wo Videobeobachtung Sinn macht und wie zwei Grundrechte abgewogen werden.
Ich bin der festen Überzeugung, Videobeobachtung macht nur dort Sinn, wo sie als ein weiterer Baustein für gute polizeiliche Arbeit ergänzend wirksam ist.
So wie Sie es hier vorgetragen haben im Rahmen Ihres Antrages, Herr Sieveke, empfinde ich Ihre Begründung wirklich als gefährlich, weil der Antrag suggeriert, jede Kamera zu wenig gefährde die Sicherheit.
Richtig ist dagegen, dass man es so den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land nicht verkaufen sollte, sondern dass wir die Sorgen der Menschen tatsächlich ernst nehmen sollten, ihnen begegnen sollten und Lösungsansätze präsentieren sollten, wie beispielsweise die Einstellung von mehr Polizei und mehr polizeiliche Präsenz auf der Straße.
Das suggeriert sonst eine Scheinsicherheit, eine Illusion und Videobeobachtung kann zu Verdrängungseffekten führen, was polizeiliche Arbeit nicht einfacher, sondern im Gegenteil noch schwieriger macht.
Herr Dr. Stamp, ich gebe Ihnen nicht immer Recht, aber ich gebe Ihnen wirklich in diesem Punkt Recht, dass wir bei einem solchen Thema in der Tat immer die Grundrechte informationelle Freiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuwägen haben.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns im Ausschuss darüber unterhalten, wie man dieses Instrument der Videobeobachtung nutzen kann. Aber man sollte auf keinen Fall sinnlos irgendwo Kameras aufstellen und dann Polizeibeamte, die eigentlich Dienst auf der Straße tun, hinter diesen Monitoren platzieren, damit sie gucken, was da geschieht, um möglicherweise – dann zu spät – handeln zu können. Im Gegenteil, wir brauchen diese Polizeibeamtinnen und -beamten auf der Straße, um insbesondere das individuelle Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum zu erhöhen.
Sie zitieren in dem Antrag – Herr Sieveke, da ist Ihnen ein kleiner Fehler unterlaufen – den Staatsrechtler Siegel. Der kommt in seinem Gutachten aus dem Jahre 2011 – das haben Sie nicht zitiert – zu dem richtigen Schluss, dass eine flächendeckende Videobeobachtung in Deutschland aufgrund der gängigen Rechtsprechung nicht eingesetzt werden darf. Sie hätten Herrn Siegel vollständig zitieren sollen.