Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

Was im Augenblick stattfindet, ist der Feinschliff im Deutschen Bundestag wie aber auch im Bundesrat. Dabei gilt es natürlich auch, die Feinheiten im Auge zu behalten.

Zum Ersten: Uns bleibt wichtig, dass die Eins-zueins-Umsetzung der europäischen Vorgaben aus der Seveso-III-Richtlinie in nationales Recht gewährleistet ist.

Zum Zweiten: Die neu eingefügte UVP-Pflicht bei Störfallrisiko ist aus unserer Sicht zu streichen, da sie EU-rechtlich nicht gefordert wurde und erhebliche bürokratische Beeinträchtigungen bei Infrastrukturmaßnahmen durch diese drohen würden.

Zum Dritten: Das neu eingeführte Anzeigeverfahren für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen in § 23a Bundes-Immissionsschutzgesetz muss gestrichen

werden. Es ist EU-rechtlich ebenso nicht geboten und führt zu Verfahrensverzögerungen sowie zu zusätzlichen Kosten.

Diese drei Aspekte können erhebliche Auswirkungen auf die Genehmigungsfähigkeit von Industrieanlagen haben bzw. Investitionen behindern. Wir wollen deswegen insbesondere eine klare und zukunftsfähige Bestandsschutzregelung im Gesetz verankert wissen. Dies soll der Eckpfeiler einer tragfähigen Industriepolitik bleiben. Diese Anliegen der Industrie halten wir für sehr gerechtfertigt, und wir werden sie in weiteren Gesetzgebungsverfahren nachdrücklich unterstützen. – Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Nun spricht für die CDUFraktion Herr Kollege Kerkhoff.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege van den Berg hat richtig ausgeführt, dass der Bund aktuell die SevesoIII-Richtlinie in nationales Recht umsetzen muss. Diese Richtlinie regelt Anforderungen an Betriebe, von denen bei Unfällen mit gefährlichen Stoffen erhebliche Gefahren ausgehen können. Die Richtlinie hat daher eine besondere Bedeutung für die chemische Industrie und damit für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen.

Als wir unseren Antrag im November letzten Jahres eingebracht haben, befürchteten Kommunen und Industrie, dass Bundesumweltministerin Hendricks, obwohl selbst aus Nordrhein-Westfalen stammend, einmal mehr Politik gegen die Interessen des Industrielandes Nordrhein-Westfalen machen könnte. Mit unserem Antrag wollten wir daher ein Signal in Richtung Berlin setzen, dass bei der Umsetzung der Richtlinie die Interessen unseres Landes berücksichtigt werden sollen.

(Beifall von der CDU)

Ende April dieses Jahres hatte Ministerin Hendricks ihren Gesetzentwurf vorgelegt. Wer diesen Entwurf gelesen hat, kann feststellen: Das Signal ist in Berlin nicht nur angekommen, es hat auch Wirkung gezeigt. Das Bundesumweltministerium hat einen Entwurf vorgelegt, der Kommunen und Industrie in Nordrhein-Westfalen Entwicklungsperspektive und Planungssicherheit gibt.

Meine Damen und Herren, unser Antrag könnte daher eigentlich überflüssig sein – die Betonung liegt auf „könnte“ –, gäbe es da nicht diese Landesregierung, die trotz aller wiederkehrender Lippenbekenntnisse zum Industriestandort immer wieder die Axt an denselben legen würde.

In der vergangenen Woche hat Umweltminister Remmel für die Landesregierung eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf in den Umweltausschuss des Bundesrates eingebracht. So will die Landesregierung beispielsweise den Kreis der einwendungsberechtigten Personen erweitern. Dies wird nicht nur die Dauer von Genehmigungsverfahren verlängern, sondern auch die Fehleranfälligkeit von Genehmigungsverfahren und damit das Klagerisiko weiter erhöhen.

Auch will die Landesregierung den Genehmigungsbehörden die Möglichkeit einräumen, von der im Gesetz bzw. in der dazugehörigen Verordnung vorgesehenen Abstandsregelung im Einzelfall durch die Erstellung von Gutachten abzuweichen. In der Verwaltungspraxis wird das dazu führen, dass jede Genehmigungsbehörde zur Absicherung ihrer Entscheidung vom Antragsteller die Erbringung eines Gutachtens fordern wird.

Das wird nicht nur die Genehmigungskosten in die Höhe treiben – bereits kleine Gutachten kosten im Schnitt bis zu 15.000 € –, sondern wird zugleich die Dauer von Genehmigungsverfahren verlängern und die Fehleranfälligkeit sowie das Klagerisiko erhöhen. Das alles trägt nicht dazu bei, mehr Investitionen am Standort Nordrhein-Westfalen auszulösen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Gegenteil: Es steht zu befürchten, dass zukünftig noch mehr Investitionsentscheidungen gegen den Standort Nordrhein-Westfalen getroffen werden. Da frage ich: Was ist das für eine Nummer? – Da legt der Wirtschaftsminister industriepolitische Leitlinien vor, und der Umweltminister wirft ihm im Bundesrat Knüppel zwischen die Beine.

Die Folgen dieser Politik sind verheerend. Wir erleben eine rasante Beschleunigung der Deindustrialisierung unseres Landes durch Desinvestitionen. Lediglich in Mecklenburg-Vorpommern und SchleswigHolstein wird weniger im verarbeitenden Gewerbe investiert als in NRW. In Bayern ist die Investitionsquote um 25 %, in Baden-Württemberg sogar um 45 % höher. Dadurch ist der Anteil der industriellen Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung in Nordrhein-Westfalen auf nur noch 19,5 % abgerutscht – das sind 12 % weniger als im Bundesdurchschnitt.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

In Baden-Württemberg liegt der Anteil dagegen um 45 % über dem Bundesdurchschnitt, in Bayern um 20 %.

Seit Antritt der Regierung Kraft hat Nordrhein-Westfalen fast 3.500 ha Industrie- und Gewerbefläche ersatzlos verloren. Und während das verarbeitende Gewerbe 2015 bundesweit um 1,7 % wachsen konnte, schrumpfte es in Nordrhein-Westfalen um 2,1 %. Die Folgen sind bekannt: letzter Platz beim

Wirtschaftswachstum, fehlende Arbeitsplätze, jährliche Steuerausfälle in Höhe von 3 Milliarden €.

Deshalb ist es höchste Zeit für einen Politikwechsel. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns heute gemeinsam ein Signal Richtung Landesregierung setzen: Wir brauchen mehr Investitionen, weniger Hemmnisse. Darum bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Danke schön, Herr Kerkhoff. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Dr. Beisheim.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kerkhoff, in der Chemie-Enquete haben wir uns eigentlich gut verstanden. Deshalb bin ich nach Ihrem Debattenbeitrag jetzt etwas ratlos.

Hier liegt ein Antrag von Ihnen vor, der eine relativ komplizierte Rechtsmaterie beschreibt. Es ist aber nicht die Landesregierung, die die Verspätung verschuldet hat, sondern es war die Bundesregierung, die letzten Endes eine längst überfällige Anpassung der europäischen Chemikalienverordnung versäumt.

Wie Sie bestimmt wissen, ist ein Vertragsverletzungsverfahren auf dem Weg. Sicherlich braucht es die Fachlichkeit zweier Ressorts, um daran mitzuwirken, dass am Ende keine rechtlichen Unklarheiten mehr im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf bestehen. Er ist aus meiner Sicht viel zu spät vorgelegt worden.

Von diesem Gesetzentwurf sind unterschiedliche Parteien tangiert: Das ist zum einen die Bevölkerung, die durch die Gefahren betroffen ist. Wir müssen ihr den Schutz vor Gefahren gewähren, die sich aus den Störfällen bei Betrieben ergeben, die mit gefährlichen Stoffen umgehen. Auf der anderen Seite brauchen auch Behörden und Betriebe selber Klarheit im Genehmigungsverfahren.

Ich denke, an dieser Stelle sind wir uns einig. Wenn Sie wie ich in der Kommunalpolitik verortet sind, wissen auch Sie, dass Gebühren für Abwasser, für Müll – sehr beliebt sind auch Gebühren für Straßenreinigung – am Ende durch Gerichtsurteile ermittelt werden. Das darf uns hier nicht passieren. Deshalb ist es wichtig, dass alle daran arbeiten, am Ende der Strecke zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch die Landesregierung ihren Beitrag dazu leistet, eine gute Lösung für Nordrhein-Westfalen zu finden.

Bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit oder der Öffentlichkeitsbeteiligung ganz allgemein kann ich nur sagen: Es ist für die Betreiber höchste Zeit, von sich aus aktiv zu werden, ohne immer wieder erst durch

Gesetzeslagen aufgefordert zu werden, frühzeitig die Öffentlichkeit herzustellen und die Menschen, die im Umfeld wohnen, mit einzubeziehen. Das schützt im Genehmigungsverfahren vor aufwendigen Einsprüchen seitens Dritter. Aus meiner Region kann ich Ihnen genügend gute Beispiele nennen, wo durch frühzeitige, freiwillige Öffentlichkeitsbeteiligung allen Beteiligten in dem Verfahren die Prozesse erleichtert worden sind.

Gerade hier in Nordrhein-Westfalen, wo Wohnbebauung, historisch gewachsen, nahe an die Betriebe heranreicht bzw. wo die Wohnbebauung ganz bewusst in unmittelbarer Nähe zu Betrieben errichtet worden ist, sind die Gründe für diese Anordnung sehr vielfältig. Schließlich darf man nicht vergessen, dass auch eigene kommunale Fehlplanungen am Ende zu dieser Anordnung geführt haben.

Dieser Gesetzentwurf liegt jetzt zur Beratung auf dem Tisch. Die Landesregierung arbeitet sehr gut daran, gemeinsam zu einer guten Lösung für Nordrhein-Westfalen zu kommen. Der Antrag hat damals wichtige Fragen aufgeworfen. Er bringt uns aber leider an jetzt nicht weiter. Wir hatten ja ein Angebot gemacht, den Antrag gemeinsam zu ergänzen bzw. zu verändern. Das Angebot haben Sie nicht angenommen.

Deshalb kann ich nur sagen: Dieser Antrag taugt nicht für eine allgemeine wirtschaftspolitische Debatte. Wir werden ihn ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Brockes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner von SPD und Grünen haben soeben betont, dass sie diesen Antrag zur Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie für überflüssig und unnötig halten. Um es klar zu sagen: Die FDP wird diesem Antrag der CDU zustimmen.

Aber ich gebe Ihnen insofern recht, als wir uns die heutige Diskussion eigentlich sparen könnten. Denn die Mehrheit von SPD, CDU und FDP in diesem Hohen Hause ist sich einig: Die Seveso-III-Richtlinie muss eins zu eins umgesetzt werden, damit weiterhin städtebauliche Entwicklungen und zugleich Ansiedlungen und Erweiterungen von Industriebetrieben möglich sind – das ist eine zentrale Position für Nordrhein-Westfalen als das am dichtesten besiedelte Flächenland und zugleich Industrieland Nummer eins. Zu Verschärfungen, die über die Richtlinie hinausgehen, darf es nicht kommen.

Es ist, ehrlich gesagt, schon misslich genug, dass die deutsche Trennung von Städtebau- und Planungsrecht einerseits und dem Anlagenzulassungsrecht andererseits nur bedingt mit der EU-Richtlinie kompatibel ist. All das wurde schon ausgeführt.

Aber der eigentliche Grund für die heutige Debatte, die nicht obsolet ist, ist folgender: Es sind wieder einmal die Grünen, die mit ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik Investitionen und Aufschwung in NordrheinWestfalen verhindern wollen – allen voran, wie immer, Herr Johannes Remmel, unser Umweltminister. Während sich Wirtschaftsminister Duin für die vom Bund geplante Umsetzung stark macht, ist es sein Amtskollege Remmel, der mit wirtschaftsfeindlichen Änderungsanträgen alles hintertreibt, so wie wir es letzte Woche im Bundesrat wieder sehen durften.

(Zuruf von den PIRATEN)

So schafft Rot-Grün keine Planungs- und Investitionssicherheit. Mit Stillstand und Stagnation kommen wir nicht voran. Da Nordrhein-Westfalen beim Wirtschaftswachstum bundesweit Schlusslicht ist, ist ein Kurswechsel in der nordrhein-westfälischen Wirtschaftspolitik längst überfällig.

Festzuhalten bleibt: kein Wachstum der Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr, letzter Platz unter allen Bundesländern in Deutschland, letzter Platz auch bei den Investitionen des Staates und letzter Platz bei den Investitionen der Industrie.

Meine Damen und Herren, wenn die Wirtschaft stagniert, ist das nicht nur schlecht für die Wirtschaft, sondern für alle Menschen in unserem Land. NordrheinWestfalen hat als Flächenland nach wie vor die höchste Arbeitslosigkeit im Westen. Die Zahl der Beschäftigten in der Industrie nimmt seit Jahren ab. Die Löhne steigen in anderen Ländern deutlich stärker als bei uns. Und diese Landesregierung hat nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig Beinchen zu stellen. Das ist traurig; das muss aufhören; das ist schlecht für dieses Land.

Deshalb stimmen wir dem Antrag der CDU zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Danke schön, Herr Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) : Vielen

Dank. – Herr Präsident! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion kritisiert, dass durch die Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie die Erweiterung bestehender Betriebe oder die Ansiedlung neuer Betriebe schwieriger werden könnte. Auch die Entwicklung