Protokoll der Sitzung vom 07.07.2016

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 118. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 14 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir haben heute gemeinsam die große Freude, gleich zwei Kolleginnen zu ihrem Geburtstag gratulieren zu dürfen: aus der CDU-Fraktion Frau Kollegin Güler und aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Dr. Seidl. Ihnen beiden die allerherzlichsten Glückwünsche des Hohen Hauses!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Wir freuen uns darüber, dass wir heute Ihren Geburtstag hier mit Ihnen feiern dürfen. Aufgrund von Veränderungen der Tagesordnung haben wir Ihnen gemeinsam die Chance eröffnet, nicht bis ganz in die Nacht hinein mit uns zu tagen, sondern vielleicht auch noch mit Ihrer Familie und Ihren Freunden den Geburtstag genießen zu können. Alles Gute und herzliche Glückwünsche!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen noch drei Hinweise geben:

Erstens. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP „Verfassungsschutzbericht belegt bedrohliche Entwicklung des Extremismus in Nordrhein-Westfalen – Landesregierung muss wirksames Konzept zur Terrorismusbekämpfung vorlegen“ heute als Tagesordnungspunkt 1 zu beraten. Das hatte ich Ihnen gestern bereits mitgeteilt. Aber der guten Ordnung halber müssen wir das auch vor Eintritt in die heutige Tagesordnung noch einmal offiziell mitteilen.

Demzufolge werden die Aktuellen Stunden zum Thema „Brexit“ – ich verkürze die Titel jetzt auf das Schlagwort „Brexit“ –, zum einen von der Fraktion der CDU und zum anderen gemeinsam von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragt, morgen verbunden als Tagesordnungspunkt 1 behandelt.

Zweitens. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich ebenfalls in der Zwischenzeit darauf verständigt, den Antrag der Fraktion der CDU „Bundesverkehrswegeplan 2030 ermöglicht den ‚Aufbau West‘ – Landesregierung muss in der Verkehrspolitik schnell zu einer gemeinsamen Linie finden und sich

im Rahmen der bundespolitischen Beratungen für die Interessen Nordrhein-Westfalens einsetzen!“ nicht heute als Tagesordnungspunkt 3, sondern erst morgen als Tagesordnungspunkt 3 zu beraten.

Dafür wird der ursprünglich für morgen vorgesehene Tagesordnungspunkt 3, der Antrag der CDUFraktion „Erbschaftssteuerreform – Landesregierung darf Kompromiss nicht blockieren!“, bereits heute als Tagesordnungspunkt 3 beraten.

Drittens. Der letzte Hinweis bezieht sich auf den ursprünglich gestern vorgesehenen Tagesordnungspunkt 23, die Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags „Wahl der Mitglieder des WDR

Rundfunkrats gemäß § 15 Abs. 4 WDR-Gesetz“ Drucksache 16/12377. Zwischen den Fraktionen ist einvernehmlich vereinbart worden, diesen gestern geschobenen Tagesordnungspunkt 23 heute als Tagesordnungspunkt 18 zu behandeln.

Mit diesen Änderungen, die sich auch alle in der aktualisierten Tagesordnung im Internet wiederfinden, treten wir in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Verfassungsschutzbericht belegt bedrohliche

Entwicklung des Extremismus in NRW – Landesregierung muss wirksames Konzept zur Terrorismusbekämpfung vorlegen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/12420

Diese Aktuelle Stunde, mit der wir uns, wie eben mitgeteilt, jetzt befassen, wurde entsprechend unserer Geschäftsordnung fristgemäß von der FDP-Fraktion beantragt.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP hat Herr Kollege Dr. Stamp das Wort.

Vielen Dank. – Guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen über ein ernstes Thema sprechen, nämlich die Situation des Extremismus in Nordrhein-Westfalen, der sich besorgniserregend entwickelt. Im Vergleich zu 2014 gab es insgesamt 28 % mehr politisch motivierte Straftaten. Wir erleben Zuwachs in allen Bereichen – im Rechtextremismus, im Linksextremismus und im Islamismus.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ehrlich: Da wir eine solche zunehmende Bedrohung hier haben, hätte ich erwartet, dass es dazu eine Unterrichtung der Landesregierung gibt. Sie ist ausgeblieben. Ihnen waren die längst abgefrühstückten Berichte

über die Wasserstraßen in Nordrhein-Westfalen offensichtlich wichtiger als der Zuwachs des Extremismus in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein fatales Signal, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Stattdessen gab es nur eine Pressekonferenz des Innenministers. Aber dieses Thema – der Extremismus und der Zuwachs – gehört hier ins Plenum, weil wir alle davon betroffen sind und weil wir alle bedroht sind. Die Bilanz des Verfassungsschutzberichtes zeigt ja, dass die innere Sicherheit auch in diesem Bereich in Nordrhein-Westfalen nicht in guter Ordnung ist.

Meine Damen und Herren, ich sage es deutlich: Es wäre billig und unredlich, wenn wir allein dem Innenminister und dieser Landesregierung die Schuld dafür gäben.

(Sven Wolf [SPD]: Hört, hört!)

Es ist aber ebenso billig und unredlich, so zu tun, als hätte der Innenminister mit dieser ganzen Entwicklung gar nichts zu tun.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deswegen ist es auch nicht hilfreich, wenn sich in dieser Woche die Debatte nur um den Begriff „Turboradikalisierung“ dreht. Das war der Schwerpunkt, der auch in der Pressekonferenz dargestellt worden ist. Es geht jetzt auf einmal um das angeblich ganz neue Phänomen „Turboradikalisierung“.

Ja, meine Damen und Herren, wir wissen: Es gibt Wutbürger, die sich auch aufgrund der neuen Medien schneller radikalisieren. Es gibt auch Jugendliche, die in wenigen Monaten radikal werden. Es ist aber doch ein durchsichtiger Versuch, hier den Begriff „Turboradikalisierung“ in die Debatte zu werfen und das als angeblich neues Phänomen darzustellen, um davon abzulenken, dass in anderen Bereichen der inneren Sicherheit versagt wurde.

(Beifall von der FDP und der CDU)

„Turboradikalisierung“ hat es immer gegeben. Historisch haben wir das in den 70er-Jahren im Zusammenhang mit der RAF und Anfang der 90er-Jahre bei der damaligen Asyldebatte erlebt. Natürlich bringen die neuen Medien neue Herausforderungen. Den öffentlichen Diskurs darauf zu reduzieren, ist aber eine Nebelkerze. Das lassen wir Ihnen hier nicht durchgehen, Herr Innenminister.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es ist ein erkennbares Muster, das wir erleben. Immer, wenn die Sicherheitsarchitektur in NordrheinWestfalen versagt, gibt es bei Innenminister Jäger genau zwei Erklärungsmuster. Entweder sind die anderen schuld – vornehmlich unsere Polizistinnen und Polizisten –, oder aber wir haben es mit einem ganz neuen Phänomen zu tun, auf das man ja noch gar

nicht vorbereitet sein konnte. Das sind immer die typischen Erklärungsmuster.

Das war bei den islamistischen Exzessen 2012 in Bonn so. Auch bei HoGeSa war das so. Damals hatte ich im Innenausschuss am Donnerstag vorher noch gefragt: Sind wir denn auf diese Mischung vorbereitet, die da kommt, auf diese neue Konstellation von Hooligans, Rechtsextremisten und HardcoreNeonazis? – Ja, man sei gut vorbereitet, wurde uns gesagt. Ergebnis: 50 Polizisten im Krankenhaus. Anschließend sprach der Innenminister im Frühstücksfernsehen von einem gelungenen Polizeieinsatz.

Meine Damen und Herren, so dürfen wir mit den Polizistinnen und Polizisten in Nordrhein-Westfalen nicht umgehen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Anschließendes Erklärungsmuster: Ja, es war ja ein völlig neues Phänomen.

Das war dann auch bei der Scharia-Polizei der Fall. Da hat uns hier der Innenminister coram publico angekündigt, sich ganz persönlich darum zu kümmern. Was ist passiert? Ein Mitglied der Scharia-Polizei war danach noch wochenlang in der Lage, Zugang zu sicherheitsrelevanten Bereichen im Düsseldorfer Flughafen zu haben.

Zuletzt haben wir es bei dem Anschlag auf den SikhTempel erlebt. Auch hier ist jetzt wieder ein ganz neues Phänomen, dass diejenigen ja so jung sind. Dabei bleibt aber unerwähnt, dass die Mutter die Sicherheitsbehörden vorher geradezu angefleht hat, sich mit der Radikalisierung ihres Sohnes zu beschäftigen. So können wir das hier nicht weiter gestalten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Innenminister, das sind nur ein paar prominente Beispiele, bei denen die Verantwortung immer weggeschoben wird.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir würden Ihnen – da kann ich jedenfalls für unsere Fraktion sprechen – ja Fehler verzeihen. Aber das Verzeihen von Fehlern setzt auch voraus, dass es überhaupt einmal ein Eingeständnis von Fehlern gibt.

(Beifall von der FDP, der CDU und Michele Marsching [PIRATEN])

Denn das Eingeständnis von Fehlern ist die Voraussetzung dafür, dass man auch aus Fehlern lernt, zu einer vernünftigen Analyse kommt und dann die entsprechenden Konzepte auf den Weg bringt.

Sie haben es mit dieser Haltung „Es ist etwas ganz Neues, oder aber die anderen sind schuld“ geschafft, weiter im Amt zu bleiben. Aber Sie haben das Vertrauen Ihrer eigenen Polizei bis aufs Letzte verspielt.

Sie haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land verspielt und geben damit den Populisten – leider Gottes – Auftrieb.

Herr Innenminister, wir erwarten von Ihnen, dass Sie nicht nur Probleme benennen und die üblichen Erklärungsmuster vortragen, sondern wir wollen, dass Sie uns hier und heute konkret sagen, wie Sie diesem aufwachsenden Extremismus begegnen, wie Sie Flüchtlinge schützen, wie Sie die Bedrohung des Islamismus zurückdrängen und wie Sie auch den Linksextremismus in den Griff bekommen wollen. Gerade erleben wir ja im Braunkohletagebau, wie Mitarbeiter und Polizisten mit Zwillen beschossen werden.

Die Redezeit.