Protokoll der Sitzung vom 07.07.2016

Er gibt erst recht keinen Anlass zu der Annahme, dass man innerhalb einer Organisation nicht für schlechte Zeiten vorsorgen und deswegen etwas zurücklegen dürfe. Das ist von allen, die mit dieser Thematik befasst waren, ausdrücklich deutlich gemacht worden.

Herr Krückel, es tut mir leid; aber wenn man sich die Schlagzeilen der letzten Tage anschaut, kann man auch auf die Idee kommen, dass versucht wird, ein bisschen Unruhe bei der Wohlfahrtspflege zu verursachen, um dann sagen zu können: Guckt mal, wir machen mehr für euch als die anderen.

Auch Frau Gebhard hat es bereits gesagt: Die Wohlfahrtsverbände sind bisher – und zwar zu Recht – gar nicht auf die Idee gekommen, den Anlass für die Verunsicherung in Nordrhein-Westfalen zu suchen, weil sie wissen, dass das mit dem Bundesfinanzministerium zu klären ist. Der Parlamentarische Staatssekretär Ihrer Partei hat dazu eine klare Aussage gemacht.

Das gilt alles vor dem Hintergrund, den wir gemeinsam haben, nämlich dass die Arbeit der Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege ein unschätzbarer

Wert in unserem Land ist und dass wir sie nicht behindern wollen. Das muss ganz klar sein. Dazu steht hier jeder. Das spreche ich auch niemandem von der Opposition ab. Die jetzt gefundene Regelung wird diesem Anspruch unserer Auffassung nach aber gerecht.

Ich sage Ihnen jedoch: Wenn wir von den Verbänden einmal in konkreten Fragen mitgeteilt bekommen sollten, wo denn ein Problem liegen könnte – bislang ist das rein theoretischer Natur –, würde man sich aufgrund der Auslegung und der Formulierung, weil das eben neu ist, überlegen, ob es da irgendwo ein Problem geben kann. Dann würden wir das natürlich auch von Nordrhein-Westfalen aus in diese gemeinsame Debatte einbringen und für eine Klärung sorgen.

Im Moment ist es aber dort, wo es ist, richtig aufgehoben, nämlich beim Bundesfinanzministerium. Das Bundesfinanzministerium hat diesen Änderungsbedarf bislang nicht gesehen. Rein von der Auslegung und von der Absicht aller Beteiligten her kann ich diese Entscheidung des Bundesfinanzministeriums auch nachvollziehen. Sollte es in konkreten Situationen anders gelagerte Fälle geben, werden wir sie sicher ansprechen.

Einen Anlass, jetzt einen solchen Antrag zu stellen und ihn auf der parlamentarischen Ebene zu verabschieden, sehe ich derzeit, ehrlich gesagt, nicht. Aber das wird dieser Landtag selbst entscheiden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Finanzminister. So wird es sein. Jetzt wird entscheiden, und zwar in direkter Abstimmung. So hat es die CDU beantragt.

Wir kommen also zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/12343. Wer stimmt diesem Antrag zu? – CDU und FDP stimmen ihm zu. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD und Grüne stimmen gegen diesen Antrag. Wer enthält sich? – Es enthalten sich die Piraten und Herr Schwerd, fraktionslos. Damit ist der Antrag Drucksache 16/12343 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich für das Protokoll ein Abstimmungsergebnis der gestrigen Plenarsitzung deklaratorisch feststellen.

Der zu TOP 14 gestellte Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/12373 wurde mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen eine Stimme bei der Fraktion der Piraten bei Enthaltung der Fraktion der CDU und der

FDP sowie der restlichen Gruppe der Fraktion der Piraten angenommen. – Dies deklaratorisch so zu Protokoll.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir kommen jetzt zu:

8 Rechtsverschärfungen des SGB II im Bundes

rat stoppen – ein sanktionsfreies Existenzminimum sichern!

Antrag des Abg. Schwerd (fraktionslos) Drucksache 16/12335

In Verbindung mit:

Ungerechtigkeiten für Alleinerziehende im SGB-II-Bezug beseitigen – Umgangsmehrbedarf realisieren!

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/12360

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Schwerd, fraktionslos, das Wort, um seinen Antrag hier zu begründen. Bitte schön, Herr Kollege Schwerd.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Minimum – das ist der niedrigstmögliche Wert. So definiert es Webster’s Dictionary. Der Duden nennt als Synonym für „Minimum“ den Begriff „Mindestmaß“. In der Mathematik ist das Minimum der untere Extremwert. Nur unser Sozialstaat bringt es fertig, Minima auch noch zu unterschreiten, nämlich das Existenzminimum und damit auch das Mindestmaß an Menschenwürde.

Derzeit ist es nämlich so, dass für Fehlverhalten der Leistungsberechtigten seitens der Agenturen Sanktionen verhängt werden können, die den Bezug bis unter das Existenzminimum drücken können. Sanktionen können so zum Beispiel direkt in die Obdachlosigkeit führen. Sie verursachen Hunger und existenzielle Not.

Dass ich Sanktionen grundsätzlich für ungeeignet halte, um Leistungsberechtigte zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, sei am Rande erwähnt. Jedenfalls widerspricht diese Art der Bestrafung der Menschenwürde. Damit erniedrigt und entmündigt man erwachsene Menschen. Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein werden damit jedenfalls torpediert und nicht ermutigt oder gestärkt.

Das derzeitige Niveau der sozialen Sicherung im SGB II ermöglicht schon jetzt nicht eine würdige Existenz oder eine angemessene Teilhabe. Welche Teilhabe an Bildung können 1,54 € im Monat überhaupt ermöglichen? Davon kann man sich nicht mal ein einziges Buch oder eine einzige Zeitschrift kaufen. Kann man sich von 25,45 € für Transport und Verkehr überhaupt ein Monatsticket leisten, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können? Selbst das Sozialticket in unserem Bundesland ist schon 10 € teurer, und damit sind lediglich Nahverkehrsfahrten möglich. Mit 8 € ein Restaurant zu besuchen, ermöglicht allenfalls einen kleinen Salat und ein Wasser.

Ein solcher Regelsatz ist staatlich verordnete Armut. Das ist unwürdig. Hartz IV muss weg!

Wenigstens dieser Regelsatz, wenigstens das Geringe, das man sich da zusammengerechnet hat, sollte doch als Sofortmaßnahme bitte sanktionsfrei gestellt sein und anschließend ein angemessener Beitrag sichergestellt werden. Alles andere ist menschenunwürdig. Ich möchte nicht immer an Art. 1 des Grundgesetzes erinnern müssen.

Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat im Juni dieses Jahres ein Gesetz zu sogenannten Rechtsvereinfachungen im SGB II beschlossen. Von Vereinfachungen kann man aber nicht sprechen – jedenfalls nicht aus der Sicht der Leistungsberechtigten. Ganz im Gegenteil! Deren Rechte bleiben reduziert. Sie sind kompliziert zu erlangen, und die Berechnungen sind auch intransparent.

Es spricht ja nichts gegen einen Abbau von Verwaltungsoverhead und Vereinfachungen im Leistungsbezug. Aber warum fragt man nicht Betroffene, Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände oder Gewerkschaften, also diejenigen, die tatsächlich tagtäglich mit den Problemen konfrontiert werden?

Anlässlich des Änderungsgesetzes gibt es zum Beispiel einen detaillierten Vorschlag vom Wuppertaler Sozialhilfeverein „Tacheles e.V.“, initiiert von Harald Thomé. Warum hört man diese Fachleute, diese Verbände nicht an?

Ein weiteres Problem möchte ich auch noch ansprechen: Im SGB II gibt es Fristverkürzungen zulasten der Leistungsberechtigten, die deutlich unterhalb der üblichen Fristen im Sozialgesetzbuch liegen. Das führt zum Beispiel dazu, dass Bescheide nach einem Jahr Bestandskraft erhalten, selbst wenn sich später gerichtlich deren Rechtswidrigkeit zeigt. Sind nun alle Menschen vor dem Gericht gleich? Oder sind die SGB-II-Bezugsberechtigten Bürger zweiter Klasse mit minderen Rechten? Hier muss bitte auch dringend Gerechtigkeit hergestellt werden.

Es freut mich sehr, dass wir heute gemeinsam mit meinem Antrag einen Antrag von SPD und Bündnis

90/Die Grünen behandeln, der ebenfalls eine Ungerechtigkeit im SGB-II-Bezug thematisiert. Dort geht es um Umgangsmehrbedarf, den Alleinerziehende mit Kindern haben. Auch die regierungstragenden Fraktionen haben hier also einen dringenden Verbesserungsbedarf festgestellt.

Dann möge doch die Regierung dieses Landes diesen Verbesserungsbedarf im Bundesrat aufgreifen und sich für eine echte Rechtsvereinfachung auch aus Sicht der Leistungsberechtigten einsetzen. Die sogenannte Rechtsvereinfachung wird nämlich im Bundesrat bereits an diesem Freitag behandelt. Sie haben in Ihrem Antrag nur einen kleinen Punkt aufgegriffen, aber es gibt noch so viel mehr zu beanstanden. Das müssen Sie doch auch sehen!

Bei dieser Gelegenheit: Machen Sie sich ehrlich! Schaffen Sie ein echtes, sanktionsfreies Existenz- und Teilhabeminimum, und beseitigen Sie das Sonderrecht vor den Sozialgerichten! Sie sitzen da am Drücker – drücken Sie sich nicht! – Vielen herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schwerd. – Und nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Jansen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“ – Mit Erlaubnis des Präsidenten habe ich hier Kurt Tucholsky zitiert. Die Rechtsvereinfachungen im SGB II, die morgen im Bundesrat abschließend behandelt werden, sind dem Grunde nach auch gut.

Gut für Leistungsbeziehende: verlängerte Bewilligungszeiträume; das heißt, nicht jedes halbe Jahr einen neuen Wust von Formularen auszufüllen; längere Fördermöglichkeiten und bessere Unterstützung für Langzeitarbeitslose; außerdem Erleichterungen für alle, die eine Ausbildung beginnen möchten. Sie können zukünftig aufstockend Arbeitslosengeld II erhalten.

Gut auch für Job-Center: In Zukunft werden Leistungsempfänger, die neben Arbeitslosengeld II auch Arbeitslosengeld-II-Aufstockung bekommen, von

den Agenturen für Arbeit betreut. Das bedeutet eine Entlastung für die Jobcenter-Mitarbeiter.

Gute Neuigkeiten zum Teil auch für Alleinerziehende: Die Möglichkeit, neben einer Ausbildung, die gerne auch in Teilzeit sein darf, Arbeitslosengeld II zu bekommen, eröffnet neue Möglichkeiten, gerade für Alleinerziehende.

Aber, meine Damen und Herren, das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint. Da existiert eine Regelung,

nach der es zwei zeitlich sich ausschließende temporäre Bedarfsgemeinschaften gibt. Das bedeutet, es müsste eigentlich eine stundenweise Aufteilung und eine Abrechnung erfolgen, wann ein Kind bei Mutter oder Vater lebt. Diese Regelung ist allerdings so kompliziert, dass sie von der Mehrzahl der Jobcenter bislang nicht angewendet worden ist.

Es gab eine neue Regelung, die eine zumindest tageweise Aufteilung zur Folge gehabt hätte – dies aber meist auf Kosten der alleinerziehenden Mutter; denn die Tage, die das Kind beim Vater verbringt, werden der Mutter vom Sozialgeld abgezogen.

Ich bitte Sie, sich das einmal vorzustellen: Da sind getrennt lebende Eltern, bei denen noch Wut und Schmerz über die Trennung herrscht. Und da werden noch sehr viele Diskussionen darüber geführt, bei wem das Kind eigentlich welche Zeit verbringen darf und wie lange – und zwar nicht deshalb, weil die Mutter, bei der das Kind in der Mehrheit der Fälle lebt, das Kind seinem Vater vorenthalten will, sondern weil sie es sich schlicht nicht leisten könnte, das Kind häufiger als zum üblichen Wochenende zum Vater zu bringen.

Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal und erhöht den Druck auf das Kind ungemein.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Der ursprüngliche Plan sah eine Kürzung des Sozialgeldes für ein Kind von sechs bis 14 Jahren von 9 € pro Tag vor. Gerade in den Ferien hätte das für eine Gruppe von vornehmlich Frauen, die es ohnehin schwer haben, faktisch eine Kürzung des Existenzminimums bedeutet. Ich darf Sie da vielleicht auf die Presseberichterstattung von heute verweisen, nach der noch einmal deutlich wird, dass Alleinerziehende überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind.