Protokoll der Sitzung vom 08.07.2016

Scherzhaft denke ich bei Ihnen also immer an Ihr Beispiel mit dem Umsatz der Pommesbuden. Deswegen bin ich nicht ganz sicher. Ich glaube aber, Sie haben verstanden, dass das B in BRICS nicht Britannien heißt. Und dann wollen Sie uns ernsthaft erzählen, dass man das eine mit dem anderen in der Dimension vergleichen oder eben nicht vergleichen könne?

Noch einmal zur Erinnerung: Britannien ist der drittgrößte Handelspartner, einer der stärksten europäischen Partner – 14 Milliarden € Ausfuhren. Da kann man schon einen Unterschied zu den BRICSStaaten machen.

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben in der De- batte nie das Gegenteil behauptet!)

Diesen Unterschied sollten wir auch machen. Wir sollten ihn ob dieser Bedeutung im Übrigen auch auf anderer Ebene machen – in Anwesenheit und durch einen Beitrag der Ministerpräsidentin.

Das dann zu vergleichen, es durcheinanderzuwirbeln und zu sagen: „Weil ihr das eine wichtig findet, ist das andere gleich zu behandeln“, ist der Sache nicht angemessen.

Jetzt einmal zu den wirtschaftspolitischen Implikationen: Wenn man auf Vodafone schielt, dann darf man bitte nicht nur wahrnehmen, dass Düsseldorf ein Standort von Vodafone ist. Vodafone hat auch Standorte in Amsterdam und in Luxemburg. Jetzt stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Da sitzen die Herren in London und vergleichen diese Standorte – Düsseldorf, die Stadt, die wir ja alle mögen, weil wir regelmäßig hier sitzen, sowie Amsterdam und Luxemburg, die wahrscheinlich wirtschaftlich nicht minder attraktiv sind.

Jetzt frage ich Sie einmal: Glauben Sie, dass Initiativen wie die Initiative zur Einführung des Unternehmensstrafrechts – noch neben der Managerstrafbarkeit als Person – unseren Standort in Deutschland attraktiver machen? Das ist eine Initiative Ihrer Landesregierung. Ich erinnere Sie ungerne daran. Sie kamen hier mit dem Unternehmensstrafrecht um die Kurve.

Wenn man sich dann mit den landeseigenen Themen auseinandersetzt und zu diesem ganzen furchtbar lästigen Ballast – wir reden heute noch einmal darüber – wie zum Beispiel dem Tariftreue- und Vergabegesetz kommt: Versuchen Sie es doch einmal einem britischen Manager oder in England sitzenden Manager als Standortvorteil zu verkaufen, dass Sie auf ein kompliziertes deutsches Vergaberecht hier noch ein eigenes landesweites obendrauf gesetzt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin mir 100%ig sicher, dass Wirtschaftsminister Duin mindestens aus seiner Zeit als Europaabgeordneter in der Lage ist, zum Beispiel in englischer oder französischer Sprache für diesen Standort zu werben.

Aber in der Substanz ist es wohl unerlässlich, dass man sich, was die Wirtschaftspolitik angeht, dann auch einmal einem internationalen Standort-Benchmarking stellt und uns einmal mit den Augen derer betrachtet, um die es da jetzt geht. Da sind schon allein diese beiden Beispiele, Ihre Initiative zum Unternehmensstrafrecht und das Tariftreue- und Vergabegesetz, sicherlich keine Punkte, mit denen man in Hochglanzbroschüren in englischer Sprache die Leute in London dazu bringt, hierher zu kommen.

Lassen Sie mich die verbleibende Redezeit noch für einen anderen Punkt nutzen. Hier knüpfe ich an meinen Vorredner an. Ich will es einmal umdrehen. Wir können aus dieser schlechten Situation auch etwas machen. Ich glaube, dass es in Europa über die ganzen politischen Spektren hinaus inzwischen eine Öffentlichkeit gibt, die erkennt – man muss nur den Wert des Pfundes oder genau diese Standortverlagerungsdebatten in England betrachten –, dass es mit einem populistischen Nein nicht getan ist.

Ob es die PiS in Polen, die Freunde von Herrn Wilders in den Niederlanden oder Frau Le Pen in Frankreich sind: Ich glaube, dass sie in den letzten Tagen deutlich an Attraktivität verloren haben; wahrscheinlich nicht bei ihrer Kernklientel – die glauben eh nur noch, was sie selber glauben wollen –, aber bei allen, die mit ihnen liebäugeln und die vielleicht noch einen Restfunken von europäischem Gefühlsleben, um an Zeus anzuknüpfen, oder einen Rest von ökonomischem Verstand haben.

Deswegen stimme ich Herrn Engstfeld durchaus zu. Auf die Plätze in Düsseldorf zu gehen, ist das eine. Aber darüber hinaus auch wieder selbstbewusst zu werben und eben nicht das zu tun, was ich am Anfang gemacht habe, könnte uns auch etwas leichter fallen, weil wir in den letzten Tagen zusätzliche Argumente bekommen haben.

Ich fordere Sie alle dazu auf, das zu tun, und zwar nicht nur im Kreis derjenigen, die heute hier sein können, sondern auch von der Landesregierung aus in Europa dafür zu werben, dass das, was jetzt in London zwangsläufig passieren muss, nicht auch an anderen Stellen passiert – zum Wohle der Menschen in Europa und zum Wohle der europäischen Idee. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Grünen spricht der Kollege Engstfeld.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, um auch noch einmal auf den Kollegen Lindner einzugehen. – Herr Lindner, Sie haben die Rolle der Großen Koalition in Ihrem Wortbeitrag noch einmal beleuchtet. Ehrlich gesagt, sehe ich es derzeit auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie sie mit diesem Ergebnis umgeht.

Ich sehe es mit einem lachenden Auge, weil ich es eigentlich gut finde, dass man nach dieser Entscheidung in Großbritannien endlich einmal anfängt, sich ernsthaft darüber zu streiten, wo wir in Europa hinwollen. Ich begrüße es, dass man das nicht nur in Sonntagsreden tut, sondern sich wirklich einmal damit auseinandersetzt und überlegt, wie es weitergehen kann. So habe ich die Beiträge von Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel auch verstanden.

Ich sehe es aber mit einem weinenden Auge, weil beide Vorschläge nicht tauglich sind. Ich halte das Vorgehen von Wolfgang Schäuble, jetzt wieder aufs Intergouvernementale zu setzen und von der Gemeinschaftsmethode wegzugehen, für nicht zielführend. Das war während der Finanzkrise schon so. Das halte ich nicht für den tauglichen Weg, den wir

weitergehen sollten. Ich finde das Vorgehen von Sigmar Gabriel aber auch nicht ganz ausreichend.

Herr Lindner, in Ihrer Rede fand ich aber sehr witzig, dass Sie gesagt haben, bei dieser Großen Koalition und dieser Bundesregierung würde es jetzt nicht um Europa gehen, sondern um eine Profilierung für die Bundestagswahl. Dass Sie – wie soll ich das sagen? – ein spezielles Verhältnis zur Profilierung haben: Geschenkt. Aber wer, bitte schön, hat in London werbewirksam diesen Transporter mit dem FDPLogo

(Christian Lindner [FDP]: Gut, oder?)

und der Aussage „Keep calm“ auf die Straße gejagt und dafür geworben, dass Start-ups nach Berlin gehen?

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Schade; leider nicht nach Düsseldorf; sie hätten besser nach Düsseldorf gehen sollen. Aber wer um alles in der Welt hat sich denn für die Bundestagswahl profiliert? Die FDP. Dann können Sie doch hier nicht sagen, bei der Großen Koalition ist das eine Profilierung. So geht es natürlich nicht.

(Christian Lindner [FDP]: Natürlich geht das so!)

Sich selber zu profilieren und den anderen das vorzuwerfen, ist doch aberwitzig. Das ist doch ein Schuss ins eigene Knie.

Herr Wüst, Vodafone hat ja nun einmal hier – das ist ja die Besonderheit an Düsseldorf – den größten Sitz außerhalb Großbritanniens. Es kann in NordrheinWestfalen ja nicht so schlimm sein, wenn sie das gemacht haben. Sie haben ja investiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich irgendwann für den größten Standort außerhalb Großbritanniens entscheiden, ist natürlich relativ hoch.

Der Wirtschaftsminister hat das auch deutlich gemacht, der Europaminister auch und die Ministerpräsidentin auch. Wir werden natürlich auch alles dafür tun, damit wir, wenn eine solche Unternehmensentscheidung dann getroffen wird, darauf vorbereitet sind und Vodafone hier natürlich mit offenen Armen empfangen wird.

Herr Lindner, Sie haben noch einmal etwas zu der Schnelligkeit und dem erhobenen Zeigefinger gegenüber den Briten gesagt. Das ist natürlich ein schwieriges Koordinatensystem, in dem wir uns befinden, weil wir alle genau wissen, dass wir nicht in irgendeiner Art und Weise Einfluss darauf haben, wann Großbritannien und die britische Regierung den Art. 50 zieht und den entsprechenden Antrag bei der EU einreicht. Das wissen wir alle nicht. Das können wir auch alle nicht beeinflussen. Da können wir uns alle auf den Kopf stellen. Es liegt nun einmal in der Hand der britischen Regierung, wann sie das tut.

Es geht aber nicht – deswegen bin ich da eigentlich auf der Seite der SPD und habe gesagt, dass man da auch Tempo machen muss; Sie haben ja auch einen Fokus auf die ökonomischen Auswirkungen gelegt, die es haben könnte –, diese Phase der Unsicherheit und der Unklarheit jetzt lange so zu belassen.

Natürlich muss man an die britische Regierung appellieren, sich jetzt schnell zu entscheiden und auch Fakten zu schaffen. Natürlich brauchen die Investoren jetzt Klarheit und Planbarkeit, wie dieser Prozess denn aussehen soll.

Insofern haben Sie an dieser Stelle meines Erachtens überhaupt nicht recht. Natürlich muss man ihnen auch sagen, dass es jetzt aber auch schneller gehen muss, damit diese ökonomischen Verwerfungen gar nicht erst riesig groß entstehen können.

Diese Unsicherheit ist gerade Gift. Wir sehen das doch. Das Britische Pfund war seit 30 Jahren nie so niedrig. Das schadet natürlich uns.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

(Christian Lindner [FDP]: Das fällt den Briten selber gar nicht auf!)

Das wird ihnen schon auffallen. Uns wird es auffallen, weil wir exportieren. Natürlich sind unsere Produkte dann teurer. Denken Sie an die ganzen KfzZulieferungen, die chemische Industrie und den Maschinenbau. Natürlich merken wir das dann. Aber die Britinnen und Briten werden diesen Werteverfall des Britischen Pfundes natürlich auch irgendwann merken.

(Christian Lindner [FDP]: Also kommen sie von selber auf die Idee, dass sie schnell Klar- heit schaffen müssen! Sie brauchen Sie, Herr Engstfeld, gar nicht dazu!)

Das würde ich anders sehen. Ich glaube, dass es schon Wirkungen hat, wenn wir alle den Freundinnen und Freunden in Großbritannien sagen: Wir erwarten, dass da jetzt eine Klarheit herbeigeführt wird. – Ich glaube schon, dass das gehört wird und nicht völlig untergeht. Es ist auch richtig, wenn der Präsident des Europäischen Parlamentes das tut. Da habe ich also auch noch einmal eine andere Ansicht.

Ich wünsche mir, dass das nicht die letzte Debatte zur Fortentwicklung der Europäischen Union und dazu, wie wir in Nordrhein-Westfalen damit umgehen, war. – Meine Redezeit ist vorbei.

Ich habe es im ersten Teil gesagt und sage es auch im zweiten Teil: Es ist jetzt die Zeit, darüber zu diskutieren. Im nächsten halben Jahr, spätestens bis zur Bundestagswahl, müssen wir Klarheit haben, wie wir uns unser Europa hier vorstellen. Ich stelle es mir natürlich mit sozialen und ökologischen Leitplanken

vor. Sie haben wahrscheinlich andere Vorstellungen. Aber das ist der Prozess, in den wir jetzt alle gehen müssen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Vielen Dank. – Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Stefan Engstfeld, ich kann dir versichern: Es geht weiter. Wir werden uns hier weiter intensiv über Europa Gedanken machen und Handlungskonzepte entwickeln.

Erstens einmal eine kleine Replik an Herrn Lindner, der mehr oder weniger erfolgreich immer wieder versucht, mich beim Reden durcheinanderzubringen: Einen Supranationalismus, den Sie wahrscheinlich angesprochen haben, in der Form, dass das Europäische Parlament allein über große Abkommen entscheidet, kann natürlich niemand wollen. Das bringt mich aber zu der Frage, wie wir denn die Entscheidungsmodi für solche überregionalen Dinge in Zukunft organisieren.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Herr Laschet, ich komme gleich zum zweiten Punkt. Es ist manchmal hilfreich, sich Leute anzusehen und zu Gemüte zu führen, die in der Vergangenheit mit ihren Einschätzungen der Zukunft richtiggelegen haben. Wenn sie Einschätzungen für die weitere Zukunft vorgebracht haben, dann macht es Sinn, sich das einmal anzusehen und wenigstens darüber nachzudenken.

Ein solcher Mensch war der aus Prag stammende Medienphilosoph Vilém Flusser, ein Jude, der auch die Außensicht hatte und sich von Brasilien aus die Entwicklungen in Europa angesehen hat. Er hat die These aufgestellt, dass in den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts der Nationalismus in Rückzugsgefechte gerät.