Ein solcher Mensch war der aus Prag stammende Medienphilosoph Vilém Flusser, ein Jude, der auch die Außensicht hatte und sich von Brasilien aus die Entwicklungen in Europa angesehen hat. Er hat die These aufgestellt, dass in den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts der Nationalismus in Rückzugsgefechte gerät.
Diese Einschätzung sollte uns eigentlich Mut geben. Die nationalistischen Thesen kennen wir ja von den entsprechenden Vertretern vom rechten Rand.
Er hat die Hoffnung ausgesprochen, dass sich auf der anderen Seite die Regionen neu zu einem übergeordneten Gebilde organisieren.
Darüber sollte man einmal nachdenken – Stichwort AdR, Ausschuss der Regionen. Vielleicht vermittelt man ihm mehr Kompetenz in Brüssel. Das würde Sinn machen.
Ein dritter ganz wesentlicher Punkt, der jetzt nicht positiv, sondern in der Argumentation negativ zu Buche
schlagen wird, ist die Einschätzung von Manuel Castells in seinem 1998 geschriebenen Werk „Das Informationszeitalter“. Er hat gesagt, er sehe die Gefahr, dass in der Zukunft im 21. Jahrhundert die Menschen wesentlich mehr Entscheidungen auf der Basis dessen treffen, was sie glauben oder glauben zu wissen, als auf der Basis dessen, was man nachschlagen und nachlesen kann.
Ein vierter Punkt: Ich habe letzte Woche – ich mache das schon mal – die „Dienstagspost“ gelesen. Das ist ein Newsletter der NRW-SPD.
Ja. – Da sprang mir ein Satz von Hannelore Kraft ins Auge – Herr Minister Lersch-Mense hat diesen ganz einfachen Satz gerade auch noch einmal gesagt –: „Europa muss sozialer werden.“ Dem kann man nur zustimmen.
Damit ist nicht alles gesagt. Man kann sich natürlich in sozialphilosophischen Seminaren jetzt ein Jahr lang damit beschäftigen und über den Satz meditieren. Es müssen diesem Satz ganz dringend Handlungen folgen.
Wir brauchen – ich sage es noch einmal – ein Systemupdate für Europa. An die Adresse all derjenigen, die Europa für parteipolitisches Kalkül benutzen, füge ich hinzu: Mit unserem Europa zockt man nicht. – Vielen Dank.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung zu Beginn: Der Abgeordnete Hegemann ist jetzt nicht da. Vorhin saß er direkt hinter Herrn Laschet. Herr Hegemann hat gestern hier gestanden und eine Rede gehalten, die sich insbesondere mit den Piraten auseinandersetzte.
Er hat nicht davon ablassen können, einen der Abgeordneten der Piraten so persönlich anzugehen, dass sogar der Präsident, Herr Papke, dann eingreifen musste.
noch einmal erklären, Herr Laschet –, der Landtag – liebe Piraten, Sie hatten einen Antrag gestellt, in dem es um eine Bundesratsinitiative ging – solle sich gefälligst nur mit seinen originären Landesaufgaben befassen und nicht immer über Bundes- oder Europapolitik reden.
Das Gegenteil ist richtig, finde ich. Es ist gut und richtig, dass wir heute auch hier über diese europäische Frage sprechen.
Ich habe das schon im Wirtschaftsausschuss in der vergangenen Woche auch ohne Aufforderung gleich zu Beginn der Tagesordnung gemacht und habe zum Ausdruck gebracht, wie sehr wir als Landesregierung – wir haben heute in der Debatte gehört: sehr breit getragen – bedauern, dass Großbritannien den Weg des Brexit gehen will, dass diese Entscheidung durch die Bevölkerung mit knapper Mehrheit getroffen wurde und dass das ein schwerer Schlag für Europa insgesamt, aber vor allen Dingen natürlich für Großbritannien ist.
Ich will, weil das in der Debatte alles schon Erwähnung gefunden hat, gar nicht auf die Zahlen eingehen, um noch einmal darzustellen, wie eng Großbritannien und Nordrhein-Westfalen miteinander verflochten sind. Die Zahlen sind alle genannt worden und lassen sich entsprechend nachlesen.
Diese intensiven Verflechtungen haben natürlich ganz entscheidend mit der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU zu tun gehabt. Freizügigkeit des Warenverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs und des Kapitalverkehrs sowie Arbeitnehmerfreizügigkeit – alles das hat entscheidend dazu beigetragen.
Deswegen müssen wir uns auch klarmachen, dass mit der Entscheidung des Referendums über den Austritt aus der EU diese Rahmenbedingungen nicht sofort aufgehoben sind – auch darauf ist schon hingewiesen worden –, sondern dass das einen Zeitplan voraussetzt: nach Antragstellung dann innerhalb von zwei Jahren.
Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen. Es gab keinen Black Friday oder so etwas, wie wir es nach der Lehman-Krise mit den daraus folgenden Auswirkungen bis tief in die Realwirtschaft hinein erlebt haben.
Dann ist kritisiert worden, ich hätte gesagt, das sei beherrschbar usw., und das sei alles nicht richtig; auch deswegen wolle man hier heute diskutieren.
Ich will Ihnen einfach nur einmal die Ersteinschätzung der Unternehmen in Deutschland zum Brexit, herausgegeben vom DIHK, zur Kenntnis geben, Herr Laschet. Das ist also nicht irgendwie parteipolitisch eingefärbt.
In der IHK-Blitzumfrage „Ersteinschätzung der Unternehmen in Deutschland zum Brexit“ heißt es auf Seite 1:
„Die unmittelbaren Auswirkungen des Brexit auf die Investitionen der Unternehmen in Deutschland sind überschaubar: …“
„Die Auswirkungen werden vielmehr langfristig von den Ergebnissen der Austrittsverhandlungen bestimmt.“
„Signal für eine Verschiebung von Geschäftsschwerpunkten von der britischen Insel in die Mitgliedsländer der EU – und somit auch nach Deutschland.“
Uns beide verbindet in diesem Raum – ich sage nicht „in diesem Haus“, weil ich nicht Mitglied des Landtags bin – etwas, was die anderen nicht haben. Wir beide waren nämlich Mitglieder des Europäischen Parlaments und haben uns immer wieder intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie man Vertiefung und Erweiterung der EU eigentlich gestalten kann. Darauf wird es entscheidend ankommen.
Als Professor Hänsch an der Spitze derjenigen war, die darüber nachgedacht haben, wie denn eine Vertragsveränderung – „Verfassungsänderung“ durfte man in England ja schon gar nicht sagen –, ist auch immer über das Thema „Austritt“ gesprochen worden und darüber nachgedacht worden, welche Alternativen es dann gebe.
Das muss man in diesem Zusammenhang auch noch einmal erwähnen. Natürlich wird es nicht ein schwarzes Loch sein, in das Großbritannien dann hineinfällt. Vielmehr wird es vielleicht so etwas sein wie jetzt mit Norwegen. Es wird vielleicht so etwas sein wie jetzt mit der Schweiz, was nicht identisch ist, sondern etwas anders konstruiert. Im schlimmsten Fall wird es nach den Freihandelsregeln der WTO gehen. Das wäre aus meiner Sicht die schlechteste aller denkbaren Varianten. Aber es wird eben kein schwarzes Loch sein.
Auch das spricht dafür, dass wir auch in Zukunft, auch nach einem tatsächlichen Austritt, funktionierende wirtschaftliche Beziehungen zu Großbritannien und den dort ansässigen Unternehmen haben werden.
Jetzt komme ich zu den Fragen, die auch Herr Lindner gestellt hat. Wir alle wissen, dass wir der attraktivste Standort für ausländische Direktinvestitionen
Herr Lindner hat gefragt: Was machen Sie denn jetzt konkret? – Ich werde Ihnen, weil gerade in diesen Dingen manches eben idealerweise nicht gleich auf dem Marktplatz gemacht wird, nicht jedes Detail, aber doch einige Beispiele dafür nennen, was wir ganz konkret in den nächsten Tagen tun werden und schon getan haben und auf den Weg gebracht haben.
Wir werden gemeinsam mit unserer Gesellschaft NRW.INVEST ein sehr umfangreiches Engagement zeigen, um in Großbritannien für den Standort Nordrhein-Westfalen zu werben. Schon im September dieses Jahres wird es ein Investorenseminar in London geben. Wir stehen in engem Kontakt – auch ich selbst – mit den Verantwortlichen von Headquarters japanischer und chinesischer Unternehmen, die ihre Europazentralen in London haben, weil wir wissen, wie attraktiv wir hier in Nordrhein-Westfalen gerade für diese aus dem asiatischen Raum kommenden Unternehmen mittlerweile geworden sind.
Schon für Juli dieses Jahres steht ein Treffen mit dem CEO von Vodafone in meinem Kalender. Das, was wir als roten Teppich bezeichnet haben, ist also tatsächlich ausgerollt.
Ich füge hinzu – denn auch diese Debatte habe ich schon erlebt –: Es geht bei Vodafone natürlich um Düsseldorf. Aber wir werben für alle Standorte in Nordrhein-Westfalen. Es geht nicht darum, dass sich die Landesregierung hier nur auf einen Standort konzentrieren würde. Aber auch diese Argumente sind in den letzten Tagen schon von Oberbürgermeistern oder Wirtschaftsförderer an mich herangetragen worden. Deswegen will ich das auch an dieser Stelle ganz klar festhalten.
Abschließend möchte ich – wie ich es im Wirtschaftsausschuss schon getan habe – hier gerne noch einmal aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 25. Juni 2016 zitieren:
„des Brexit [sitzen] nicht in Deutschland, … Sie leben in Großbritannien. Europa kann, wirtschaftlich betrachtet, gelassen bleiben.“