Protokoll der Sitzung vom 05.10.2016

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich gerade deutlich gesagt habe: „Wir sind ein fleißiges Parlament, und um 13 Uhr wollen wir pünktlich beginnen“, sollten die, die schon da sind, nicht unter denen leiden müssen, die noch abwesend sind. Mit dieser kleinen launigen Vorbemerkung darf ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 123. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen begrüßen. Mein Gruß gilt insbesondere den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich insgesamt 14 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einmal mit besonderer Freude und Herzlichkeit darauf hinweisen, dass wir auf der Besuchertribüne Ehrengäste zu verzeichnen haben: die Präsidentin und das Präsidium – Vizepräsidenten und Schriftführer – des Bayerischen Landtags. Herzlich willkommen, Frau Kollegin Stamm, herzlich willkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Dass Sie im Haus der Bürgerinnen und Bürger von Nordrhein-Westfalen gern gesehene Gäste und immer herzlich willkommen sind, haben wir in den letzten anderthalb Tagen mehrfach miteinander ausgetauscht. Das Präsidium und die Präsidentin sind nämlich schon seit gestern unsere Gäste, und wir haben über viele Fragen gesprochen, die uns gemeinsam berühren, beispielsweise über den Parlamentarismus, aber auch über so scheinbar profane Dinge wie die Organisation von Parlamentsarbeit. Unter anderem hat unser Besucherzentrum große Aufmerksamkeit erregt.

Wir haben also über viele Dinge miteinander gesprochen, und wir haben diesen Austausch in freundschaftlicher und vertrauensvoller Atmosphäre gepflegt. Wir sind uns sicher: Das ist der Beginn einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten. Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche Ihnen, weil Sie nicht mehr so lange an der Plenarsitzung teilnehmen können, im Anschluss eine gute Rückreise nach München oder zu Ihren Heimatorten. Wir freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Alles Gute, und nochmals herzlich willkommen!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vor Eintritt in die Tagesordnung gibt es noch weitere Hinweise:

Erstens. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Tagesordnung für heute, Mittwoch, um den Tagesordnungspunkt 12 – neu – „‚Haushaltsrechnung des Landes Nordrhein-Westfalen für das Rechnungsjahr 2014‘ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags auf Erteilung der Entlastung nach § 114 LHO Drucksache 16/10698, in Verbindung damit ‚Jahresbericht 2016 des Landesrechnungshofs NordrheinWestfalen über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2015‘ Unterrichtung durch den Landesrechnungshof Drucksache 16/12800“ zu erweitern. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte werden sich entsprechend verschieben. – Ich sehe hierzu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so und haben die Tagesordnung an dieser Stelle so geändert.

Zweitens. Ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen, dass sich ebenfalls alle fünf Fraktionen auf Wunsch der CDU-Fraktion darauf verständigt haben, am morgigen Donnerstag den Tagesordnungspunkt 3 von der Tagesordnung zu nehmen. Dabei handelt es sich um die Große Anfrage 19 der Fraktion der CDU Drucksache 16/11268 „Wie muss die Aufstellung und Ausstattung der Polizei NordrheinWestfalen für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung verbessert werden?“. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich am morgigen Donnerstag ebenfalls entsprechend. – Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann haben wir auch für den morgigen Donnerstag bereits so entschieden und werden so verfahren.

Mit diesen Vorbemerkungen treten wir in die Bearbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das

Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP Drucksache 16/12350

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses Drucksache 16/13041

zweite Lesung

und

dritte Lesung

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und anschließend in dritter Lesung die größte Änderung unserer Landesverfassung seit ihrem Inkrafttreten. Ich denke, es ist mehr als ein formaler Hinweis, dass sich diese Verfassung seit dem 28. Juni 1950 in überragender Art und Weise als belastbare Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Nordrhein-Westfalen bewährt hat. Unsere Landesverfassung beruht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung und bildet die Basis für das Funktionieren der demokratischen Prozesse in unserem Land.

Ich habe kurz überlegt, ob es ein historischer Zufall oder aber eine vorausschauende Regie ist, dass wir unmittelbar nach dem Festakt des Landtags zu seinem 70-jährigen Bestehen hier über die Landesverfassung beraten. Ich halte es auf jeden Fall für angemessen; denn schließlich geht es im Kern darum – salopp gesagt – das Betriebssystem der parlamentarischen Demokratie in Nordrhein-Westfalen behutsam anzupassen, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und heute in der zweiten Lesung in zwei wichtigen Punkten kleine, aber notwendige Änderungen vorzunehmen.

Angesichts dessen, was wir eben an Äußerungen zum 70-jährigen Bestehen des Landtages mit Applaus bedacht haben, möchte ich der Tendenz zur Bagatellisierung der Ergebnisse der Verfassungskommission entgegentreten.

Das, was ich im Folgenden als „behutsame Änderung“ bezeichnen will, ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass wir als Verfassungsgesetzgeber gut beraten sind, funktionierende Strukturen nicht infrage zu stellen. Dazu gehört sicherlich die repräsentative Demokratie, die in der Verfassung angelegt ist und ein Leitbild für unser Handeln darstellt. Darüber hinaus gibt es verschiedene Notwendigkeiten, und ich möchte hier nur eine hervorheben, die ein Indiz für diese behutsame Änderung darstellt, nämlich die Auflösung des Landtages im Jahre 2012.

Andererseits – das ist der Teil, den wir miteinander schon verschiedentlich erörtert haben – ist der Fakt, dass sich diese Änderung unserer Landesverfassung auch der Öffentlichkeit gegenüber eher als behutsam darstellt, auch der Tatsache geschuldet, dass es in wesentlichen weiteren Punkten zu keiner Einigung gekommen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich bedauere nach wie vor, dass es uns nicht gelungen ist, sich in dem so bezeichneten „politischen Korb“ auf einen Gesamtkompromiss zu verständigen. Das betrifft beispielsweise solche Aspekte wie die verbesserte Teilhabe der Menschen an politischen Prozessen, die Stellung der Kommunen innerhalb der Landesverfassung oder auch die Ausschöpfung von Spielräumen angesichts der Schuldenbremse im Grundgesetz. Ohne dass ich auf diese

Punkte noch einmal umfassend eingehen will, glaube ich, dass wir alle uns an dieser Stelle fragen müssen, ob wir diese Chance nicht hätten besser nutzen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich will noch einmal zwei Dinge ganz besonders hervorheben: Die tatsächliche Absenkung des Wahlalters kann dazu beitragen, die parlamentarische Ebene zu stärken. Und es ist nachgerade paradox, dass wir uns als Parlament insgesamt nicht einer solchen Stärkung verpflichtet gefühlt haben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Allen, die nach wie vor skeptisch sind, empfehle ich nur eine einzige Sache: Gehen Sie bitte hin und beschäftigen sich einmal mit den Ergebnissen des Jugendlandtages. Dann werden Sie sehen, dass gerade die jungen Menschen, die wir im Blick hatten, sich vehement und mit guten Argumenten – und zwar über alle hier im Landtag vertretenen Grenzen hinweg – für die Absenkung des Wahlalters ausgesprochen haben. Das sollte uns Ansporn sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch die Tatsache, dass es nicht gelungen ist, im Zusammenhang mit der Frage nach einem kommunalen Wahlrecht für Menschen, die seit Jahrzehnten in unserem Lande leben, auch nur im Ansatz einen Konsens zu finden, erfüllt mich mit einer gewissen Unzufriedenheit. Das Kommunalrecht für dauerhaft hier lebende Nicht-EU-Ausländer wird – das kann ich für meine Fraktion verbindlich und ausdrücklich zusagen – weiter auf unserer Agenda bleiben – gerade auch angesichts der Tatsache, dass die Rechtsprechung zu diesem Thema jetzt 26 Jahre alt ist; sie ist meiner Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß. Ich hätte mir viel mehr Mut von uns allen gemeinsam gewünscht, aus Nordrhein-Westfalen heraus ein starkes Signal auszusenden. Das war leider nicht möglich.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Lassen Sie mich trotz aller berechtigter Kritik noch einmal auf die wichtigen Änderungen insgesamt zu sprechen kommen, auf die wir uns in der Verfassungskommission im Ergebnis geeinigt haben. Die Themen „vorzeitige Beendigung der Wahlperiode“ und „Stellung eines Ständigen Ausschusses“ haben sich erübrigt. In Nordrhein-Westfalen werden wir es zu keinem Zeitpunkt mehr erleben, dass das Parlament außen vor ist. Ich finde, dies ist eine wesentliche Verbesserung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Darüber hinaus wird zukünftig das Amt eines Alterspräsidenten in der Landesverfassung verankert sein.

Dies ist nicht zuletzt auch der Beteiligung der Öffentlichkeit geschuldet.

In Anbetracht der wenigen Redezeit, die mir noch zur Verfügung steht, will ich im Hinblick auf die öffentliche Beteiligung meine kritischen Anmerkungen einmal herunterschlucken.

Für besonders wichtig halte ich die Verankerung von Parlamentsinformationsrechten in der Landesverfassung sowie die Tatsache, dass wir die zwischen den oberen Verfassungsorganen getroffene Vereinbarung zu unserem Maßstab erklärt haben. Das ist angemessen und belegt eindrucksvoll, dass Gewaltenteilung in unserem Lande nicht nur gelebt, sondern auch weiterentwickelt wird. Auch Beteiligungsrechte bei EU- und Bundesratsangelegenheiten sind für den Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen ein wichtiger Punkt.

Ohne aus unserer Verfassung ein Volkslesebuch zu machen, haben wir darüber hinaus an vielen Stellen Regelungen gefunden, die die Arbeitsweise und Funktion des Parlamentes in beschreibender Form zum Inhalt haben. Damit wollen wir unsere Verfassung auch für juristische Laien handhabbarer, lesbarer und lebbarer machen. Auf die einzelnen Bereiche, in denen uns das gelungen ist, will ich jetzt nicht näher eingehen.

Lassen Sie mich beispielhaft einen aus meiner Sicht äußerst wichtigen Punkt in den Fokus nehmen, nämlich die Eidesformel. Es ist erfreulich dass wir hier zu einer Änderung kommen. Die Verpflichtung der Landesregierung auf das Wohl des Landes NRW in der Eidesformel schließt selbstverständlich – für alle, die es nicht glauben wollen, sage ich es noch einmal – das Wohl des deutschen Volkes nicht aus; aber auch niemand sonst wird ausgeschlossen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Mi- chele Marsching [PIRATEN]: Rasender Ap- plaus bei der SPD!)

Wir verpflichten uns sozusagen gemeinschaftlich auf das Wohl aller Menschen in Nordrhein-Westfalen und knüpfen damit an hervorragende Eigenschaften unseres Bundeslandes an. Wir bewerten die durchaus schwierigen Reaktionen, die es zu diesem Thema gegeben hat, übrigens als Bestätigung dafür. Auch die Ewiggestrigen haben offensichtlich verstanden, was wir mit dieser Änderung bewirken wollten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Unglaublich, Sie haben die Eidesformel geändert!)

Darüber hinaus haben wir einige Relikte aus vordemokratischer Zeit aus unserer Verfassung entfernt – das bezieht sich auf eine ganze Reihe von Punkten – und eine uralte Forderung erfüllt, die jahrzehntelang von der Sozialdemokratie erhoben wurde – vorhin ist dankenswerterweise vom Bundestagspräsidenten

auf den Verfasser des ersten Entwurfs unserer Landesverfassung hingewiesen worden –, nämlich die Wahl aller Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs durch das Landesparlament.

Ich glaube, diese Änderung war längst überfällig. Das ist auch kein Eingriff in die Unabhängigkeit von Verfassungsorganen – ganz im Gegenteil: Es handelt sich um eine wichtige Änderung, die der Tatsache Rechnung trägt, dass alle Gewalt in NordrheinWestfalen vom Volke ausgeht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

In diesem Zusammenhang weise ich kurz darauf hin, dass die Amtszeiten der sogenannten geborenen Mitglieder nicht verkürzt werden. Alle amtierenden Verfassungsrichter bleiben im Amt; auch insoweit erledigen sich einige Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit erhoben worden sind.

Aus Gründen der Rechtssicherheit werden wir heute also zwei Dinge korrigieren, die uns anempfohlen worden sind.

Ich will damit schließen, dass ich mich ganz zufrieden zeige mit dem, was wir geschafft haben. Unabhängig jedoch von dem, was wir heute beschließen werden, werden wir als SPD-Fraktion die gerade von mir angesprochenen Ziele weiterverfolgen. Jeder in diesem Land kann, darf und muss damit rechnen: Wir wollen in den Kommunen nicht länger Menschen mit Migrationshintergrund von der demokratischen Mitverantwortung ausschließen.