Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

Jetzt gibt es an vielen Stellen die Argumentation, die insbesondere die Kolleginnen von der CDU gerne aufbringen: Dann sollen die sich doch einbürgern lassen.

Ich will jetzt mal die ganze Diskussion um die Doppelstaatlichkeit außen vor lassen, weil ich nicht mehr so viel Zeit habe. Die Frage der Einbürgerung ist ja nicht ganz einfach. An dieser Stelle möchte ich einen CDU-Kollegen zitieren, der in einer Veranstaltung – da ging es um die Rechte und die Partizipation von Migrantinnen und Migranten – zur Frage der Einbürgerung gesagt hat, dass er – er lebte für längere Zeit in der Türkei – auf keinen Fall auf seinen deutschen Pass verzichten würde.

Das zeigt doch, wie schwierig es ist, die Einbürgerungsdebatte nach vorne zu bringen. Unter den vielen Resolutionen, die die Verfassungskommission erreicht haben, gab auch solche, die von allen Ratsfraktionen unterschrieben waren, auch CDU und FDP-Ratsfraktionen.

Herr Wolf, die schönste Rede zum kommunalen Wahlrecht und dazu, dass wir es nun endlich einführen sollten, habe ich von meinem FDP-Ratskollegen in Remscheid gehört, der sich für die freiheitlichen Werte der FDP in diesem Zusammenhang sehr intensiv starkgemacht und für das kommunale Wahlrecht geworben hat.

(Michael Hübner [SPD]: Was?)

Deswegen freue ich mich auf die Diskussion. Ich glaube, wir müssen sie dringend führen. Ich bin gespannt, wie die Argumente demnächst noch gelebt werden. Der Überweisung stimmen wir zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die dritte antragstellende Fraktion, die der Piraten, spricht Herr Kollege Sommer.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen hier im Saal und auch im Livestream! Das kommunale Ausländerwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer – das hört sich komplex an, ist es aber gar nicht – wird hier schon lange diskutiert, eigentlich viel zu lange. Wir müssten es schon längst umgesetzt haben. Es geht schließlich um das Vorenthalten von Rechten, die unseren Mitbürgern selbstverständlich zustehen müssten.

Genauso wie unsere Mitmenschen von unserer Gesetzgebung betroffen sind oder auch von den Regelungen, die die kommunalen Räte und Bezirksvertretungen vereinbaren, genauso wie sie hier Steuern zu zahlen haben und sich an alles halten müssen, müssten sie eigentlich auch die entsprechenden Rechte bekommen. Die bekommen sie aber nicht, noch nicht einmal im Kommunalen, wo es sie direkt und sehr konkret betrifft.

Der Kollege Dr. Bovermann hat eben lang und breit aufgezählt, wer inzwischen alles zugestimmt hat. Kollegin Velte hat das noch einmal genauer gefasst und darauf hingewiesen, dass inzwischen auch Räte zugestimmt haben. Auf der Kommunalebene wird schon fast nicht mehr verstanden, warum wir die Regelung nicht mal langsam treffen.

Dann haben wir uns in der Verfassungskommission des Themas angenommen und eine sehr gut besuchte Anhörung dazu gemacht. Das ist auch im Nachgang noch viel abgerufen worden. Dort wurden all die Fragen gestellt, die gleich von Ihnen wieder aufgerufen werden: Was hindert uns denn formal? Es scheint mir fast so, als würden Sie nicht einen Weg zur Umsetzung suchen, sondern Gründe, das eben nicht zu tun. In der Anhörung haben Sie wirklich jeden Experten, auch die, die Sie selber eingeladen hatten, gefragt: Was hindert uns jetzt daran? Die Antwort lautete: Nichts. – Wir können es also machen.

Das gipfelte darin, dass einer der Sachverständigen gesagt hat: Das liegt in Ihrem eigenen Ermessen.

Seien Sie mutig! – Wenn ich mir so etwas von externen Experten sagen lassen muss, dann frage ich mich, was uns tatsächlich noch hindert. Wir könnten es einfach machen.

Schauen wir mal ein bisschen in die Geschichte. Was passiert, wenn man zu lange wartet, bevor man etwas macht? Hier möchte ich gerne auf die amerikanische Geschichte verweisen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Oh, Vorsicht!)

Jeder von Ihnen kann gerne unter #“…Geschichte“ nachschauen, also nicht unter dem Geschichtchen, das jetzt gerade läuft, das schlimm ist. Aber vielleicht wäre auch das besser gelaufen, hätten sie dort ein Ausländerwahlrecht gehabt. Ich denke, schon.

(Beifall von den PIRATEN)

Schauen wir uns an, was läuft, wenn ich Rechte vorenthalte und nur Pflichten aufbürde. Das läuft unter dem Stichwortsatz: No taxation without representation. Das hat schon mal zu wirklich üblen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt. Das hat im Endeffekt zur Abspaltung Nordamerikas vom britischen Königreich geführt. Manche wollen das zurückhaben; das kann ja noch kommen. Das war auf jeden Fall für die dortige Gesellschaft richtig schlimm. Dazu dürfen wir es doch erst gar nicht kommen lassen. Wir müssen die Menschen mitnehmen.

(Zuruf: Wohin denn?)

Wohin? – In die Mitbestimmung der Gesellschaft. Wir müssen doch die Menschen, die hier leben, auch an der Gesellschaft teilhaben lassen – sowohl bei Abstimmungen wie auch bei Wahlen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen wir uns noch mal die formalen Gründe an! Vielfach wird gesagt: Das wird nicht explizit im Grundgesetz genannt und findet in unseren Rechtsnormen nicht statt. – Dazu hat Kollege Bovermann eben schon etwas gesagt, nämlich dass Verfassungsgerichtsurteile heute vielleicht nicht mehr so ausfallen würden wie vor 30 Jahren.

Nehmen wir doch mal eine Rechtsnorm, die schon gilt. Nehmen wir mal unser Parteiengesetz: Sind Ausländer per se von der Willensbildung in den Parteien ausgenommen? – Nein, im Parteiengesetz sind sie explizit genannt; sie dürfen bei der Willensbildung mitmachen.

Und wir suchen immer noch weiter nach Gründen. Das hat weder die Anhörung noch die eigene Betrachtung noch die Betrachtung der kommunal Verantwortlichen ergeben. Worauf warten Sie noch? Ich schließe mich Herrn Bovermann an: Seien Sie mutig! Stimmen Sie mit! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD – Ver- einzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Güler das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es vielleicht nicht ganz so spannend. Die CDU-Fraktion ist für Punkt C des Antrags, also für die Beibehaltung der bisherigen Regelung. Natürlich werden wir in den Ausschüssen ausführlich darüber beraten. Aber ich will Ihnen gerne die Gründe dafür nennen, warum es richtig ist, die jetzige Rechtslage beizubehalten.

Erstens. Der CDU-Fraktion geht es darum, dass Menschen, die politisch teilhaben möchten und eine Zuwanderungsgeschichte haben, an allen Wahlen unseres Landes – nicht nur auf kommunaler Ebene – teilnehmen können. Das heißt, sie sollten nicht nur den Bürgermeister der Stadt, sondern auch die Landes- oder Bundesregierung wählen.

Wir setzen deshalb vor allem auf das Thema „Einbürgerung“. Ja, Frau Velte, darauf sind Sie eingegangen. Sie haben auf all das aufmerksam gemacht, was dem Ihrer Meinung nach im Wege steht. Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft angesprochen.

Wenn wir uns jedoch die aktuellen Zahlen zur Einbürgerung in Nordrhein-Westfalen anschauen, stellen wir fest: Die Einbürgerungszahlen in NordrheinWestfalen gehen seit Jahren zurück, während sie in Baden-Württemberg oder Hamburg steigen, obwohl dort das gleiche Recht gilt wie bei uns: Ein Türkeistämmiger darf auch in Baden-Württemberg oder Hamburg seinen türkischen Pass nicht behalten. Dennoch haben diese Länder mehr Einbürgerungen als wir. Woran liegt das?

Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass die Landesregierung die angekündigte Einbürgerungsoffensive von 2013 nicht wirklich mit Herzblut und Engagement verfolgt hat, wie es versprochen wurde.

(Beifall von der CDU)

Ich nenne Ihnen eine Zahl: Seit 2012 hat diese Landesregierung sage und schreibe 32.000 € für diese Offensive ausgegeben. Nur nebenbei erwähnt: Die Hochglanzbroschüren des Umweltministeriums sind teurer.

(Zuruf von Alexander Vogt [SPD])

Zweitens. Sie haben viel von politischer Partizipation gesprochen. Für uns als CDU ist die politische Partizipation der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ebenso ein Anliegen. Sie ist aber kein Gradmesser der Integration. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:

Sie sagten, in anderen europäischen Ländern sei es möglich, dass Drittstaatsangehörige an den Kommunalwahlen teilnehmen. Belgien wird da immer wieder als Beispiel genannt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Aufgrund der letzten Ereignisse ist Belgien für mich

ganz sicher kein Beispiel, an dem ich mich integrationspolitisch messe.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das bedeutet, dass die Teilnahme an einer Kommunalwahl kein Gradmesser für Integration ist. Das müssen Sie anerkennen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das andere Beispiel bin ich selbst. Ich habe mich vor sechs Jahren – im Alter von 30 – einbürgern lassen. Jetzt möchte ich mal den Kollegen sehen, der hier sagt: 30 Jahre – da war aber mit deiner Integration in Deutschland irgendetwas nicht in Ordnung. – Völliger Humbug! Natürlich war ich auch vorher in diesem Land integriert, ohne dass ich eingebürgert war und an Wahlen teilnehmen konnte. Deshalb: Werfen Sie die Teilnahme an einer Wahl und die Integration nicht auf diese Weise in einen Topf!

(Beifall von der CDU)

Frau Kollegin Güler, Herr Kollege Körfges …

Serap Güler (CDU: Ich möchte gerne fortfahren. Er kann gerne zum Schluss, wenn dafür Zeit übrig ist, eine Zwischenfrage stellen oder eine kurze Intervention anmelden. Ich würde aber jetzt gerne den dritten Punkt vortragen.

Drittens. Wenn alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, wie es in Art. 20 unseres Grundgesetzes heißt, und diese Staatsgewalt in erster Linie durch Wahlen ausgeübt wird, ist dieses Wahlrecht nichts, was man einfach so verschenkt. Das ist an dieser Stelle ganz klar unsere Position.

Und erst recht sollte man damit keinen Wahlkampf machen; das geht insbesondere in Richtung Rot und Grün. Sie haben in den letzten 20 Jahren den Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – egal zu welcher Landtagswahl, zu welcher Kommunalwahl und zu welcher Bundestagswahl – immer wieder das Wahlrecht versprochen.

Viertens. Dieser Punkt ist entscheidend, was uns hier in Nordrhein-Westfalen betrifft. Sie haben die ganze Zeit gesagt, Herr Kollege von den Piraten,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Sommer heißt der!)

dass wir es einfach machen sollten, und gefragt, was uns daran hindert. Ich sage Ihnen, was uns daran hindert. Wir als Landesparlament können das gar nicht entscheiden.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ach, Sie waren nicht bei der Anhörung!)