Protokoll der Sitzung vom 01.12.2016

(Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])

Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Nun spricht für die SPDFraktion Frau Kollegin Warden.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte haben wir gerade schon einige Ausführungen zur Bertelsmann Stiftung und ihren Tochtergesellschaften gehört. Ich möchte trotzdem einige Punkte ergänzen und noch einmal hervorheben.

In NRW haben wir im Moment ungefähr 3.780 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Diese sind nach unserer Auffassung unverzichtbar für unsere Demokratie und helfen im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten Subsidiaritätsprinzips, gemeinnützige Projekte zum Beispiel im Sozial-, Kultur- und Umweltbereich durchzuführen. Sie unterstützen auch Wissenschaft und Forschung.

Die Gründung einer solchen Stiftung richtet sich nach dem Stiftungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, nach dem zur Entstehung einer Stiftung das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes – hier ist es die Bezirksregierung – erforderlich sind. Dies ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Alle Stiftungen, so auch die Bertelsmann Stiftung, unterliegen der Rechtsaufsicht des Landes, der sogenannten Stiftungsaufsicht. Deren Aufgabe ist es, zu überwachen und sicherzustellen, dass das Stiftungsgeschäft und die Satzung durch die Organe der Stiftungen eingehalten werden. Die Stiftungsaufsicht kann, wenn sie es für erforderlich hält, Anordnungen treffen, damit der Wille der Stifter beachtet wird und im Stiftungshandeln seinen Niederschlag findet. Die Politik hat darauf im Rahmen der bestehenden Gesetze keinen Einfluss.

Dieser Hinweis ist wichtig, da Sie in Ihrer Anfrage unter anderem auch den Stiftungszweck der Bertelsmann Stiftung infrage stellen.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass durch die zuständige Stiftungsaufsicht Zweifel an der satzungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben bestehen.

Das muss aus meiner Sicht vor dem Hintergrund des Tenors Ihrer Großen Anfragen deutlich hervorgehoben werden, auch wenn ich nicht immer alle Inhalte der Studien und der Ausführungen der Bertelsmann Stiftung teile.

Ihre Große Anfrage impliziert durch die Art der von Ihnen gestellten Fragen, die Stiftung bzw. die Unternehmensgruppe nehme einen einseitigen Einfluss auf die Arbeit von Landesregierung bzw. nachgeordneten Behörden – das haben meine Vorredner gerade schon ausgeführt –, und sie arbeite nicht streng wissenschaftlich.

Ich darf aus Ihrer Anfrage zitieren:

„Über die Meinungsmacht der Bertelsmann-Unternehmensgruppe hinaus übt Bertelsmann über die Stiftung eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht.“

Deshalb möchte ich für meine Fraktion klar und deutlich sagen: Sie geben damit der Bertelsmann Stiftung bzw. der Unternehmensgruppe eine Bedeutung, die diese im Alltag nicht hat.

Wir begeben uns mitten in das Thema des sogenannten Lobbyismus und kommen damit zu der Frage der Abgrenzung einseitiger und von der Durchsetzung eigener Interessen bestimmter Einflussnahme und der Frage: Wie können fachkundiger Rat und externe Überlegungen eingeholt werden? Denn die Bürgerinnen und Bürger erwarten natürlich zu Recht, dass sich Entscheidungen allein an der Sache orientieren.

Um das zu gewährleisten, nutzen wir als Parlamentarier, aber auch die Landesregierung und alle nachgeordneten Behörden externe Beratung und Information. Viele Sachverständige und Experten leisten hierbei eine wichtige Rolle, weil sie durch Expertenwissen eine Meinungsvielfalt eröffnen, die dazu beiträgt, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

Unsere Aufgabe liegt darin, ausgewogen zwischen unterschiedlichen Interessen zu entscheiden: Wo geht es mir um Einzelinteressen? Und wo steht das Gemeinwohl im Vordergrund?

Die Landesregierungen – unabhängig von der jeweiligen Koalition – verhalten sich ähnlich, wobei sie – das wird ja auch in der Antwort der Regierung dargestellt – genau wie alle anderen Behörden das Vergaberecht zu beachten haben. Das gilt selbstverständlich auch bei der Vergabe von Projektaufträgen, Gutachten und Ähnlichem.

Einen wichtigen Aspekt möchte ich noch hinzufügen. Stiftungen und andere zivilgesellschaftliche Akteure helfen, einen externen Blick auf gesellschaftliche Prozesse, auf Veränderungen im Land und auf das Handeln von Politik und Regierung zu erhalten. Nicht

nur die Bertelsmann Stiftung, sondern auch andere namhafte Stiftungen wie die Hans-Böckler-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-AdenauerStiftung oder die Stiftung Mercator

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Die ge- hören zu keinem Unternehmensverbund!)

beraten und begleiten Politik, Regierung und auch unsere Kommunen.

Dabei ist es unsere Aufgabe, als verantwortlich Handelnde abzuwägen, wie wir mit den Empfehlungen einer Stiftung umgehen und welches Gewicht wir diesen geben.

Auch die Landesverwaltung betont in ihrer Antwort deutlich, dass sie auf qualifiziertes Personal in den Fachbereichen zurückgreift und auch die wissenschaftliche Qualität der zurate gezogenen Studien oder deren Sachverstand prüft.

Abschließen möchte ich mit einem Dank an Sie als Piratenfraktion für die Anfrage und für die Möglichkeit zur Diskussion, aber auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesregierung, die immerhin gut 42 Fragen rückwirkend über zehn Jahre beantworten mussten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Warden. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache und stelle fest, dass die Große Anfrage 21 der Piratenfraktion erledigt ist.

Wir kommen zu:

5 Tihange abschalten

Eilantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP Drucksache 16/13612 – 2. Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktionen der SPD das Wort. Es spricht unser Kollege Schultheis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst bei allen Fraktionen, die diesen Eilantrag unterstützen, dafür bedanken, dass sie dies als gemeinschaftliches Anliegen ansehen, um gerade auch die Bemühungen der Städteregion Aachen zu unterstützen, wie es im Antrag zum Ausdruck gebracht wird. Es ist ein wichtiger

Punkt, dass die Landesregierung und der Landtag den Akteuren vor Ort Rückendeckung bieten, um dafür zu sorgen, dass der Atommeiler Tihange 2 und die weiteren Problemmeiler, die es darüber hinaus noch gibt, so schnell wie möglich abgeschaltet werden.

Den Appell zur politischen Einflussnahme, der ja ebenfalls damit verbunden ist, möchte ich auch ein Stück weit an die Kolleginnen und Kollegen richten und sie bitten, die Möglichkeiten zu nutzen, auch mit ihren flämischen und wallonischen Schwesterparteien Kontakt aufzunehmen, um hier den entsprechenden Nachdruck aufzubauen. Wir haben dies seitens der SPD bereits getan und mit den sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in Belgien gesprochen, um im Föderalen Parlament auch Unterstützung für unser Anliegen zu finden.

Was ist der Anlass dieses gemeinsamen Antrags? Anlass sind die öffentlichen Äußerungen der belgischen Atomaufsicht FANC zu den gravierenden technischen und auch organisatorischen Mängeln, die man lange Zeit bestritten hat. Es ist höchst interessant, dass es sogar dieselbe Person ist, die vorher beim Betreiber des Atomkraftwerks Verantwortung getragen hat und jetzt die Mängel in der Öffentlichkeit feststellt.

In diesem Kontext fehlt allerdings – das wird in unserem Antrag auch deutlich –, dass die Atomaufsicht entsprechende Konsequenzen zieht. Deshalb ist unser heutiger Antrag auch so wichtig; denn er macht deutlich: Wir erwarten Konsequenzen seitens der Atomaufsicht und fordern die Bundesregierung deshalb auf, uns bei diesem Anliegen entsprechend zu unterstützen, damit der Atommeiler Tihange 2 nun auch schnellstmöglich stillgelegt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um nicht weniger als die Gesundheit und das Leben der Menschen in Belgien, in den Niederlanden, in Luxemburg, in Frankreich und nicht zuletzt natürlich auch in Nordrhein-Westfalen.

Deshalb fordern wir neben den Punkten, die in diesem Antrag aufgeführt sind, eine energiepolitische und energiewirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen, den Benelux-Staaten und Nordfrankreich.

Ich schließe Nordfrankreich bewusst mit ein. In der vergangenen Woche waren wir mit der Parlamentariergruppe bei unseren Kolleginnen und Kollegen in der Region Hauts-de-France, wie sie jetzt heißt; das ist die Picardie mit Nord-Pas-de-Calais. Dort wird auch darauf hingewiesen, dass man diese Zusammenarbeit für unbedingt erforderlich hält, um die Versorgungssicherheit in Sachen Energie herzustellen weiter zu gewährleisten.

Wir unterstützen die proaktive Notfallplanung und wollen alles tun, um nie in diesen Notfall eintreten zu

müssen. Deshalb stellen wir folgende Forderungen, die ich hier ergänzen möchte:

Wir fordern die sofortige Einsetzung einer Expertenkommission unter Beteiligung der Netzbetreiber. Diese Kommission soll Lösungen zur Herstellung der Versorgungssicherheit der Energieversorgung in Belgien bei sofortiger Abschaltung von Tihange 2 erarbeiten.

Schlussendlich fordern wir den beschleunigten Aufbau von Netzverbindungen nach Nordrhein-Westfalen über die geplante Verbindung ALEGrO 1, die ja 2019/2020 auch realisiert sein soll. Darüber hinaus sind weitere Verbindungen zu schaffen, die eine Netzverknüpfung gerade nach Deutschland über Nordrhein-Westfalen herstellen, um dem immer wieder an zentraler Stelle vorgebrachten Argument, die Versorgungssicherheit sei nicht gewährleistet, entgegenzutreten.

Das sehen wir nicht als eine Bevormundung der Behörden oder der Bürgerinnen und Bürger Belgiens an, sondern als einen Beitrag zu guter nachbarschaftlicher Zusammenarbeit.

Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen. Dann werden wir es auch schaffen, schnellstmöglich die Abschaltung von Tihange 2, aber auch von Doel 3 zu erreichen. Das steht auf der Tagesordnung. Hier müssen schnelle Entscheidungen getroffen werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und Dietmar Brockes [FDP])

Vielen Dank, Herr Schultheis. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Markert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben vor einigen Tagen sicherlich die Bilder gesehen, wie dieses Monstrum, dieser neue Sarkophag über den – wie man so schön euphemistisch sagt – havarierten Atomreaktor in Tschernobyl gefahren wurde. Das Ereignis von Tschernobyl ist in diesem Jahr 30 Jahre her und für viele von uns, die wir hier heute Politik machen, sicherlich auch ein Anlass, in die Politik einzusteigen. 30 Jahre später muss man darüber einen Sarkophag bauen, weil man weiß, dass wir hier auf Jahrzehnte, auf Jahrhunderte eine nukleare Last zu tragen haben, und wir haben ein unkalkulierbares gesundheitliches und ökologisches Risiko, was mit dieser Technik verbunden ist.

Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 – eine Technik, die nicht beherrschbar ist, ist politisch auch nicht verantwortbar. Ich habe das oft gesagt. Zum Glück hat Deutschland spät – hoffent

lich nicht zu spät – die richtigen Konsequenzen gezogen und ist aus der atomaren Verstromung ausgestiegen.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Bitte was?)

Das ist gut so. Allerdings ist für uns Grüne der Atomausstieg nach wie vor nicht vollendet. Bei uns hier in Nordrhein-Westfalen – auch das ist aus Anlass der heutigen Debatte ein Appell an die Bundesregierung – ist der Atomausstieg erst dann vollendet, wenn auch die Brennstoffkette endgültig beendet ist und wenn nicht länger der nukleare Brennstoff beispielsweise in Gronau produziert wird, der unter anderem ja auch in vielen europäischen Atomanlagen nach wie vor zum Einsatz kommt.