Frau Ministerpräsidentin, meiner Meinung nach haben Sie heute eine Chance verpasst. Sie hätten Herrn Minister Jäger entlassen können. Sie hätten sich von einem Klotz am Bein befreien können, Sie hätten Ballast loswerden können. Gerade jetzt im
Wahlkampf wird Ihnen das anhängen. Ich sage Ihnen: Da haben Sie die größte Chance verpasst, die Sie in dieser Legislaturperiode hatten, den Unsicherheitsminister vor die Tür zu setzen.
Ja, ich gebe zu, Herr Minister Jäger, Frau Ministerpräsidentin: Ein Innenminister trägt keine persönliche Verantwortung für das, was passiert. Aber er trägt eine politische Verantwortung. Und Herr Minister Jäger geht immer wieder nach dem gleichen Muster vor: Probleme werden weggeschoben. Es sind keine Fehler passiert. – In diesem Zusammenhang muss ich den Ausspruch vom 5. Januar dieses Jahres noch einmal zitieren:
„Alle Behörden wussten alles. Es gab keine Informationslücken. Es war nicht so, dass jemand über Sachverhalte keine Kenntnisse hatte, der in irgendeiner Weise an dem Fall Amri beteiligt gewesen ist.“
Zitat Ende. – Das ist einfach falsch, wenn wir jetzt wissen, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg beim LKA Nordrhein-Westfalen angefragt hat: „Wo ist denn der Mann?“ und keine Info darüber bekommen hat, dass er in Ravensburg in Haft gesessen hat. Denn nur dann hätte die Staatsanwaltschaft überlegen können, ob die Gründe ausreichen, einen Haftbefehl zu erlassen.
Dabei ist es so einfach, zu sagen: Wir wissen es noch nicht, wir gucken noch. – Die Ministerpräsidentin hat gerade gesagt, man solle nicht vorschnell handeln. Aber genau dieser Fehler ist mal wieder passiert. Statt einfach zu sagen: „Ich als der Verantwortliche frage noch nach, ich kläre noch auf“, kam sofort ein schützendes Sich-vor-die-Behörden-Stellen: Alle
Ja, die Bevölkerung will Sicherheit, und ja, ein Innenminister soll eigentlich alles wissen. Aber wann macht sich Politik endlich ehrlich und sagt: „Es ist unmöglich, als Minister alles zu wissen. Es ist unmöglich, alles mitteilen zu können und auch alles aufzunehmen – dafür sind die Informationen einfach zu viele. Und dir, liebe Öffentlichkeit, teile ich die Dinge dann mit, wenn ich sie weiß“?
Wann macht sich Politik endlich ehrlich und sagt nicht solche Sachen wie: „Teile dieser Antwort könnten die Bevölkerung verunsichern“? Wann macht sich Politik endlich ehrlich und sagt nicht: „Alle haben alles gewusst, es gab keine Informationslücken“? Wann macht sich Politik endlich ehrlich und sagt nicht: „Ich weiß, wer Kanzlerkandidat wird, aber ich sage es euch nicht“? Alles andere sind Unwahrheiten, alles andere sind Lügen, und die Menschen kommen sich verarscht vor.
Herr Kollege Marsching, ich möchte Sie jetzt nicht nur wegen Ihrer Kleidung, sondern wegen Ihrer Wortwahl kritisieren und Sie bitten, sich so auszudrücken, dass es der Würde des Hohen Hauses entspricht.
Ja, ich sage es beim nächsten Mal nicht mehr. Aber so denken die Menschen übrigens da draußen. Klar ist wieder, dass die gleichen Leute dafür auf den Tisch klopfen – unglaublich.
Beantworten Sie sich bitte selbst einmal die folgenden Fragen: Warum hat das Innenministerium nicht gehandelt, als die Mehrfachidentitäten des Täters im März 2016 bekannt wurden? Warum hat das LKA Nordrhein-Westfalen zugeschaut, während Amri seine aufenthaltsrechtlichen Auflagen wieder und wieder und wieder verletzt hat? Und warum hat man ihn quer durch die Republik reisen lassen? Warum hat das LKA Nordrhein-Westfalen der Staatsanwaltschaft in Duisburg verschwiegen, wo sich der spätere Täter aufhielt? Warum hat das LKA Nordrhein-Westfalen der Ausländerbehörde in Kleve verschwiegen, wo sich der spätere Täter aufhielt?
Die Schlussfolgerungen aus all diesen Fragen müssten Sie erkennen lassen: Die bestehenden Gesetze hätten ausgereicht, wenn in diesem Fall das Landeskriminalamt seine Arbeit, seinen Job getan hätte. Der Fehler beim LKA muss aufgeklärt werden.
Herr Minister Jäger ist dafür einfach der falsche Minister, nachdem er sich in der Sondersitzung vor seine Behörden gestellt hat, sämtliche Fehler von sich gewiesen hat und gesagt hat: Es gab keinen Fehler, es gab keine Informationslücken.
Eines hilft nun überhaupt nicht, Herr Kollege Mostofizadeh, und zwar wenn Sie bei der Rede des Kollegen Laschet – nachdem er ausgeführt hat, was alles hätte passieren können – vom Platz aus dazwischenrufen: „Hätte, hätte, Fahrradkette!“, sich dann aber ans Pult stellen und sagen: Wenn die CDU in Berlin das und das gemacht hätte, dann wäre alles besser geworden. – Das ist eine Logik, die es hier nicht geben darf. Es darf nicht das Ziel der Politik sein, die Verantwortung hin und her zu schieben.
Übrigens hilft es auch nicht, meine Damen und Herren, einen Gutachter der Landesregierung zu beauftragen. Ich nenne Ihnen nur einen einzigen Grund, der dagegenspricht – die Unruhe war groß, als wir
das gerade gehört haben –: Der Gutachter der Landesregierung soll vollen Zugang zu allen Unterlagen bekommen. Das heißt, dass er mehr Zugang zu den Unterlagen bekommt als die Parlamentarier dieses Hauses.
Ja, dazu komme ich jetzt, Frau Ministerpräsidentin. Denn nach Art. 30 der Landesverfassung liegt die Kontrolle des Handelns der Landesregierung beim Parlament. Deswegen fordere ich die Kollegen Laschet, Lindner und Stamp hier offen auf: Lassen Sie uns gleich zusammensetzen, und lassen Sie uns diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordern. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass die Landesregierung einem Externen mehr Zugriff auf Unterlagen gewährt als den Parlamentariern dieses Hauses. Wir brauchen einen PUA, und zwar jetzt.
Meine Damen und Herren, liebe Zuschauer, wir müssen aufklären, was falsch gelaufen ist, um es in Zukunft besser zu machen.
Herr Minister Jäger ist dafür nicht der Richtige. Ich wiederhole die Forderung, die wir hier schon häufig gestellt haben: Das Fass ist übergelaufen. Es ist nicht voll, sondern es ist übergelaufen, und Herr Jäger muss weg. Wir brauchen echte Aufklärung. Wir brauchen echte Konsequenzen, um am Ende echte Sicherheit zu haben. – Danke schön.
Der Fraktionsvorsitzende der Piraten, Herr Marsching, hat gesprochen. – Als Nächster spricht der fraktionslose Abgeordnete Schulz.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Von exakt dieser Stelle aus hatte ich Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, vor ziemlich genau einem Jahr nahegelegt, dem Innenminister des Landes NordrheinWestfalen den Hut in die Hand zu geben, weil er weder ihn selbst nehmen noch Verantwortung übernehmen würde.
Sicher sind beide Ereignisse – das sage ich insbesondere mit Blick das Ereignis, über das wir hier und heute reden – bzw. die Folgen daraus nicht unbedingt vergleichbar. Letztes Jahr musste nicht Herr Minister Jäger seinen Hut nehmen, sondern der Polizeipräsident von Köln musste gehen.
Es gab andere Situationen, in denen zum Beispiel katastrophale Zustände in Flüchtlingseinrichtungen dazu geführt haben, dass ebenfalls nicht die Aufsichtsbehörde personelle Konsequenzen erleiden musste, sondern ein Regierungspräsident gehen musste.
Es gibt noch andere Beispiele wie Hogesa oder die Tatsache, dass – so viel zur Aufklärung und auch zu Gutachten und dergleichen mehr – die LoveparadeUmstände – für die Herr Minister Jäger, der gerade frisch im Amt war, sicherlich keine Verantwortung zu tragen hatte – bis heute nicht eindeutig und abschließend aufgeklärt sind.
Jetzt hier Aufklärung zu fordern, ist zwar gut. Wir wissen aber, wo das enden kann – nämlich im politischen Alltagsgeschehen. Terror in Berlin durch Täter im engmaschigen Überwachungsnetz der Behörden unter Federführung Nordrhein-Westfalens – das ist schiefgegangen. Die Gründe dafür bedürfen der Aufklärung. Aber die politische Verantwortung wird an dieser Stelle erneut nicht übernommen.
In den vergangenen Wochen wurde öfters die Frage gestellt: Was muss eigentlich noch passieren, damit jemand hier persönliche Verantwortung insbesondere in politischer Hinsicht übernimmt?
Frau Ministerpräsidentin, ich befürchte, dass eine Äußerung, die ich vor einigen Wochen einmal auf Twitter gemacht habe, leider Gottes zur Wahrheit wird – nämlich, dass dieses Sicherheitsrisiko, welches durch Ihren Innenminister verkörpert wird, mittlerweile auch zu Ihrem persönlichen Risiko wird.
Denn eines muss man sagen: Während, wie auch immer, Herr Minister Jäger Chef der Behörden ist, um die es hier und heute geht und in den nächsten Wochen und Monaten sicher weiterhin gehen wird, sind Sie doch als Kabinettschefin diejenige, die die Verantwortung für die Gesamtregierung trägt. Dieser Verantwortung werden Sie so lange nicht gerecht werden können, was die Aufklärung angeht, solange Sie dieses Sicherheitsrisiko Jäger mit sich herumtragen.
Fehleinschätzungen wurden nach zahlreichen oppositionellen Angriffen in der Zwischenzeit – ich glaube, es war letzte Woche – vonseiten des Innenministeriums eingeräumt. Herr Minister Jäger befand sich auf dem Beobachtungsposten.
In diesem Zusammenhang möchte ich einmal den Antrag der Regierungskoalition in den Blick nehmen. Darin ist die Rede davon, dass man Gefährder in den Blick nehmen müsse. Das war im Fall Amri ja der Fall. Er war im Blick der Behörden, und zwar engmaschiger, dichter und intensiver, als man es sich im Hinblick auf einen Gefährder gar nicht wünschen kann.
An dieser Stelle danke ich Herrn Kollegen Stamp dafür, dass er aufgegriffen hat, was ich ebenfalls geäußert habe: Die Grenzen des Rechtsstaats werden nur dort berührt, wo Entscheidungen getroffen werden, die dann möglicherweise einer gerichtlichen Überprüfung anheimgestellt werden.
Die Frage, ob das aufseiten des Innenministers zu verantworten ist, muss ich Ihnen ganz ehrlich mit Ja beantworten. Die Behörden haben sicherlich gut gearbeitet. Aber die Schlussfolgerung aus der Arbeit der Behörden sowie die möglichen und notwendigen Konsequenzen daraus hat immer der Kopf der Aufsicht als Exekutive zu ziehen. Hier liegt also ein Exekutivversagen vor. Und verantwortlich ist nur einer, nämlich der Innenminister.
Frau Ministerpräsidentin, ich glaube, die Opposition kann es auch in Zeiten des Wahlkampfes, der hier und heute, aber auch bei der Aufklärung keine Rolle spielen sollte, gut verkraften, wenn Sie diesen Innenminister nicht entlassen; denn dann wird das weiterhin Thema im Wahlkampf sein. Und die innere Sicherheit ist ein Thema, das zu wichtig ist, als dass man es bloß dem Wahlkampf opfern sollte.
Deswegen unterstütze auch ich die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss. Das Versagen dieses Innenministers …